Bühneneingang
Missbrauch, Sektenwahn, politisches Versagen: Die Akte Otto Mühl - mit Christina Pausackl & Thomas Winkelmüller
- Fotocredit: Anna-Lisa Bier
- hochgeladen von Katharina Pagitz
In einem Artikel für das Monatsmagazin DATUM rollen Christina Pausackl und Thomas Winkelmüller die Verbrechen des Aktionskünstlers und Sexualstraftäters Otto Mühl neu auf. Dabei verweben sie aktuelle Rechercheergebnisse mit Stimmen von Opfern, deren Missbrauchserfahrungen eng mit den Kunstwerken von Otto Mühl verbunden sind - und sie lassen vier Expertinnen aus Kunst, Recht, Kinderschutz und Sektenfragen zu Wort kommen, die für eine ordentliche Aufarbeitung in der Causa Mühl kämpfen.
In Folge 68 berichten Christina Pausackl und Thomas Winkelmüller aus dem Maschinenraum des investigativen Kulturjournalismus, stellen die Frage nach politischer Verantwortung und nehmen den kommerziellen Kunstbetrieb in die Pflicht.
Hinweis für Betroffene: Auf der Website der Beratungsstelle #we_do! findet sich ein Überblick zu Anlaufstellen, die sich mit Diskriminierung, Belästigung, Machtmissbrauch, sexueller Gewalt und arbeitsrechtlichen Fragen befassen. Die dort aufgelisteten Angebote inkludieren alle Sparten des Kulturbetriebs.
Erratum: Bei der angesprochenen Galerie Kohlbauer (12:32) handelt es sich tatsächlich um die Galerie Wienerroither und Kohlbacher.
Fabian Burstein
Bevor es losgeht, ein wichtiger In dieser Folge sprechen wir über Machtmissbrauch, traumatische Erlebnisse und sexualisierte Gewalt im Kontext des Falls Otto Mühl. Wir bitten Sie bewusst zu entscheiden, ob Sie die Episode anhören möchten.
Hallo und herzlich willkommen am Bühneneingang. Mein Name ist Fabian Burstein, ich bin Kulturmanager und Autor und in diesem Podcast zeige ich euch den Kulturbetrieb von innen, so wie er wirklich ist.
Meine heutigen Gäste sind Christina Pausackl und Thomas Winkelmüller. Eine Geschichte im Monatsmagazin Datum, die sich den Verbrechen des Aktionskünstlers Otto Mühl über neue Quellen und Erkenntnisse annähert, ist der Ausgangspunkt für diesen Besuch am Bühneneingang. Christina Pausackl wurde jüngst nach Stationen bei der Zeit und beim Profil zur neuen Datum Chefredakteurin bestellt. Thomas Winkelmüller verstärkt das Magazin als Reporter und hat bereits zu vielen heiklen Kausen recherchiert. Gemeinsam gehen sie in ihrem Artikel der Frage nach, inwieweit die Taten des Otto Mühl wirklich aufgearbeitet sind und sie werfen die Frage auf, ob ein Kunstwerk noch Kunst ist, wenn es eigentlich einen brutalen Missbrauch abbildet. Liebe Christina, lieber Thomas, vielen Dank für euren Besuch im Podcast Studio.
Christina Pausackl
Danke für die Einladung.
Thomas Winkelmüller
Danke für die Einladung.
Fabian Burstein
Ich will gleich so richtig einsteigen, nämlich mit dem ersten Satz eures Artikels. Da steht: „Otto Mühl war ein Sektenführer und Sexualstraftäter.“ Das ist eine harte Ansage, insbesondere wenn man bedenkt, dass doch immer wieder noch versucht wird, den Künstler in den Vordergrund zu stellen und vor diese Straftaten auch zu stellen. Hat euch das Überwindung gekostet, so einzusteigen?
Christina Pausackl
Nein, eigentlich nicht. Ich würde eher sagen, das war das Ergebnis der Recherche. Und Otto Mühl, wie du auch erwähnt hast, ist ja an sich keine neue Geschichte. Wir kennen ihn schon sehr lange. Er ist ein bekannter Aktionskünstler, aber eben auch, und vor allem würde ich sagen, ein Sexualstraftäter und Sektenführer. Und ich glaube, dass es wichtig ist, dass diese Geschichte oder Otto Mühl auch anders rezipiert wird. Also wenn man sich anschaut, wie über Otto Mühl die vergangenen Jahrzehnte geschrieben wurde, waren seine Verbrechen oft nur ein Nebensatz. Und das war schon noch eine bewusste Entscheidung, hier einen anderen Blick auf Otto Mühl, den Täter zu werfen.
Fabian Burstein
Es ist ja so, dass die Geschichte des Otto Mühl, würde man auf den ersten Blick sagen, ja eigentlich schon ganz gut aufgearbeitet ist, in dem Sinne, dass schon sehr viel über ihn geschrieben wurde, sehr viel über ihn berichtet wurde, auch natürlich im Rahmen seines damaligen Strafverfahrens. Ihr beginnt ja eure Recherche mit der Feststellung, dass viele Fragen noch im Dunkeln liegen. Was war denn die konkrete Recherchefrage, die ihr euch gestellt habt, jenseits der bekannten Fakten, als ihr begonnen habt, diese Sache wieder aufzurollen?
Thomas Winkelmüller
Naja, wir wollten wissen, weil Leute an uns herangetreten sind und gesagt haben, da gibt es eben noch Dinge, die einfach ungeklärt sind. Wir wollten wissen, was sind diese Dinge? Das heißt, wir haben eine Archivrecherche gemacht einmal und geschaut, was sind die Sachen, über die bereits berichtet worden ist und haben dann mit den Leuten gesprochen. Wo sehen die selbst noch Dinge, die nicht ganz klar sind. Also zum Beispiel die Öffentlichkeit hat bis heute, glaube ich, zum großen Teil nicht gewusst, dass in Portugal mutmaßlich der Missbrauch fortgesetzt worden ist von jungen Frauen oder von jungen Mädchen eigentlich muss man sagen, von 14-Jährigen. Es ist nicht ganz klar, wie welche Politiker wann und wie oft eingegangen sind. Es ist nicht klar, inwiefern die Schule, die ihr Öffentlichkeitsrecht hatte, am Friedrichshof kontrolliert worden ist. Die Akten liegen irgendwo im Burgenland, wenn sie nicht schon vernichtet worden sind. Dazu gibt es keine Aufzeichnungen in den Medien, die wir gefunden haben oder im Archiv. Wir wissen einfach nicht, was da drinsteht, ob es Hinweise gab, ob es Warnungen gab, dass da mutmaßlich Missbrauch oder irgendeine andere Form von Gewalt oder Fürsorgevernachlässigung stattfindet. Genau, also die Fragen sind, es gibt relativ viele Sachen, die da ungeklärt sind. Wir haben auch gemerkt, sogar bei uns in der Redaktion zum Teil, so richtig ein Gefühl für das, was da alles passiert ist, hat keiner gehabt mehr. Also ich bin jung, ich bin 27, Otto Mühl ist nichts, was mir jetzt da akut mehr in meiner Erinnerung ist. Aber auch bei Leuten, die eigentlich in der Zeit schon auf der Welt waren, haben nicht zwingend gewusst, was da jetzt alles genau passiert ist, wie schlimm das wirklich war. Und deswegen haben wir gesagt, okay, da gibt es offenbar wirklich viele Sachen, die ungeklärt sind und deswegen wollen wir uns das anschauen.
Christina Pausackl
Ich glaube, das ist ganz wichtiger Punkt auch, dass es nicht nur um Otto Mühl als Verbrecher geht, sondern natürlich auch, wie wir mit ihm umgehen. Otto Mühl wird bis heute ausgestellt, er ist auch in Bundesmuseen ausgestellt worden, also staatlich finanziert, die einen Bildungsauftrag haben. Und es wurde aber zum Beispiel diese Komponente, wie ist der Staat auch mit Mühl und mit seiner Kommune, die er da gegründet hat, umgegangen, wie Thomas schon erwähnt hat, die ist öffentlich gefördert worden. Es gab da Schule mit Öffentlichkeitsrecht und als dieser Fall öffentlich wurde, es gab eine Gerichtsverhandlung. Aber diese Verantwortungsfrage, wie sind wir als Staat, als Gesellschaft dann mit den Opfern umgegangen? Oder erkennen wir an, dass wir da vielleicht nicht genau hingeschaut haben? Das ist alles nicht passiert und das ist aber wichtig.
Die Opfer von Mühl leben noch und es kann uns auch nicht egal sein und da einfach einen Deckel drüber schieben. Ja, ist egal, war so. Und wir hängen ihn halt weiterhin aus und machen vielleicht ein kleines Schild hin und schreiben, er ist verurteilter Sexualstraftäter. Und was dazu kommt, ist auch, dass nach diesem Gerichtsprozess weitere Vorwürfe laut wurden, die dann zum Teil verfolgt wurden. Das heißt auch das Argument, ja, er hat zur Strafe abgesessen, finde ich, greift er nicht in voller Länge. Und man muss dazu sagen, es geht ja auch nicht nur darum, hat er seine Strafe abgesessen und okay, dann ist er quasi wieder. Genau ist es natürlich so, dass er resozialisiert ist, man darf ihm diese Straftaten nicht mehr vorwerfen.
Bei Mühl kommt eben das eine dazu, dass es weitere Vorwürfe danach gab und er auch überhaupt keine Einsicht oder Reue zeigte nach seiner Haftentlassung Jahre danach, hat dann bestritten, dass er Missbrauch eigentlich begangen hat, nur eben gesagt, es waren eh entwickelte Mädchen, das hat er on record in Interviews gesagt. Und dann ist die Frage, inwiefern geben wir so einem Künstler eine große Bühne, ohne das zu kontextualisieren? Also es hat viele Ebene, diese Causa.
Fabian Burstein
Bevor wir da in die einzelnen Ebenen eintauchen, wollt ihr vielleicht einen kurzen Abriss geben durch die Geschichte an sich, was da alles rauskommt? Natürlich sollen die Menschen sich dann das Datum kaufen und das auch lesen, aber für die, die es halt jetzt noch nicht gelesen haben, wollt ihr in drei, vier Punkten vielleicht beschreiben, was die zentralen Erkenntnisse und Aspekte sind, damit wir dann da einhaken können?
Thomas Winkelmüller
Ja, also ich glaube, eine Erkenntnis, dass uns nicht ganz bewusst war, ist, wie stark als die ersten Vorwürfe gegen Otto Mühl in den späten 80ern aufgekommen sind. Die Unterstützung war auf der einen Seite der Politik. Wir haben Briefe gesehen von Leuten wie Ex-Bundeskanzler zu dem Zeitpunkt Kreisky oder Theodor Kerry, dem burgenländischen damaligen Landeshauptmann. Wir haben vom damaligen kurzfristigen ORF-Generalintendant Teddy Bugorski einen. Briefverkehr gesehen, wo auch der sagt, dass sich da beschweren. Also da gibt es ja überhaupt nichts, macht euch jetzt nicht narrisch wirklich ziemlich respektlos, auch gegenüber einem Hörer, wie er sich verhalten hat. Wir zitieren das im Text auch kurz, das heißt, da war mal die, das ist glaube ich eine der Sachen, die man sich auch in Zukunft noch genauer anschauen muss. Was ist da eigentlich an Unterstützung da gewesen?
Auf der anderen Seite die Frage eben der Missbrauch, ist er in Portugal weitergegangen? Wir haben eben ein Dokument gefunden, das relativ von tatsächlich einer Person, die sowas erlebt hat, wo relativ im Detail geschildert wird, was da passiert, auf sehr wirklich unangenehme Art zu lesen.
Und vielleicht ein dritter Punkt, den wir uns auch angeschaut haben, ist die Frage eben, wie wenig der Staat da interveniert. Aber man muss sich das vorstellen, das sind mehr als 100 Kinder gewesen, die dort aufgewachsen sind und ein Teil von denen war auch noch in der Kommune, als sie quasi sich aufgelöst hat. Und die waren teilweise 15, 14, 13, jünger, haben nicht gewusst, was eine Ampel ist am Ende des Tages.
Also die wurden dort wirklich abgeschottet von der Außenwelt. Also rauszugehen war ganz grob, war eigentlich was, was sie nicht gemacht haben auf dem Friedrichshof, das liegt in der Pampa, da ist rundherum nichts außer Wald und Acker Burgenland. Und die waren auf einmal ohne Vater, weil die meisten nicht wussten, wer der Vater ist, bzw. die Väter sich dann aus der Verantwortung gestohlen haben, nachdem der Vaterschaftstest gemacht wurde, gemeinsam mit ihren Müttern da und haben nicht gewusst, wie funktioniert die Welt. Es gab keine finanzielle Unterstützung vom Staat, es gab keine psychologische Unterstützung vom Staat und darunter leiden ganz viele bis heute. Also das ist auch was, was wir gemerkt haben, Drogenprobleme, psychische Erkrankungen, wirklich arge Traumata, Schwierigkeiten über diese Zeit zu reden etc. Da gibt es sehr viel und das muss man sich auch anschauen und sich die Frage stellen, auch als Gesellschaft und als Staat, schulden wir diesen Leuten eigentlich noch was? Was haben wir da versäumt?
Christina Pausackl
Ja, ich glaube, das ist ganz wichtiger Punkt, dass wir da auch nicht vor irgendeinem historischen Fall reden, Künstler, der im 16. Jahrhundert gewirkt hat, sondern dass eben die Betroffenen da sind, leben, zum einen sehen, wie es wieder neue Ausstellungen zu Mühl gibt oder zum Teil auch sich selbst auf Bildern sehen, die am Kunstmarkt um 80.000, 90.000 Euro verkauft werden. Das ist ein echtes Beispiel. Also zum Beispiel das Auktionshaus Dorotheum, das kommt auch im Text vor, hat erst 2019 ein Bild versteigert, wo ein Mädchen zu sehen ist, das ist ein Missbrauchsopfer von Mühl, belegt, und das wurde dort eben versteigert um 87.000 Euro. Und also ich glaube in diesem Kontext das zu betrachten, da sind Kinder da aufgewachsen, haben eigentlich keine Unterstützung bekommen und sehen, dass bis heute mit ihren Bildern Geld gemacht wird. Jetzt, wenn man das Gegenargument dann oft sich anhört von der Kunstwelt, okay, ich meine ja, das ist jetzt, da sieht man zum Beispiel keinen Missbrauch, muss man mitdenken, dass diese Kinder regelmäßig missbraucht wurden, oft vor, bevor sie Herr Mühl gemalt hat oder danach. Also das ist in dem Fall einfach nicht zu trennen. Und genau, wir sind einfach diesen Fragen genau nachgegangen, wie geht es den Betroffenen heute genau und hat der Staat hier Verantwortung übernommen? Und die Antwort ist eigentlich nein. Man hat sie einfach alleingelassen und es gab nicht einmal Entschuldigung.
Thomas Winkelmüller
Vielleicht noch was Interessantes. Wir wissen ja, wo dieses Bild, das du gerade beschrieben hast, das um 80.000 Euro im Dorotheum versteigert worden ist, aktuell liegt. Die Person, bei der das liegt, sagt, das ist kein Missbrauch, das ist tolle Kunst und Otto Müll war ein großer Künstler.
Fabian Burstein
Wer ist die Person?
Christina Pausackl
Genau, das ist eine Wiener, bekannte Wiener Galerie. Genau, genau.
Fabian Burstein
Okay, also die Galerie oder die Verantwortlichen der Galerie, die ihr angefragt habt, bestreiten, dass das jetzt eine Missbrauchsdarstellung ist bzw. erachten es nicht als relevant oder wie darf man sich das vorstellen?
Thomas Winkelmüller
Man muss sich das Bild einmal so vorstellen, da ist ein nacktes Mädel oben, das wird nicht missbraucht auf dem Foto, aber es ist in einer Zeit entstanden, als das Mädchen von Otto Müll missbraucht wurde. Das muss man einfach so sagen. Das heißt, was davor oder danach passiert ist, kann man sich ungefähr denken, mutmaßlich zumindest.
Christina Pausackl
Ich glaube jetzt unabhängig jetzt von dieser Galerie so ganz allgemein, was wichtig ist bei dieser Geschichte, glaube ich auch mitzudenken, dass es da unterschiedliche Interessen gibt, gibt. Also was ich sehr positiv finde, ist zum Beispiel, dass das MUMOK, das Museum für moderne Kunst, ein Bundesmuseum, sich wirklich kritisch auch dem eigenen Umgang mit Otto Mühl widmet. Also namentlich auch die Frau Therese Hochwartner, die auch im Text vorkommt, die ist die Leiterin für Kunstvermittlung und Sammlung im MUMOK und die hat sich jetzt wirklich zur Aufgabe gemacht, da noch mal hinzuschauen, Otto Mühl zu erforschen und auch der Frage nachzugehen, was ist ein guter Umgang mit diesem Künstler? Also ihre Haltung ist, wir wollen dem jetzt nicht aus dem Kanon streichen, nur es reicht eben nicht, ein kleines Schild dazu zu hängen, er hat diese Taten begangen, sondern genau sucht einfach einen Umgang, wie kann man diesen Künstler heute noch zeigen. Und im Unterschied dazu gibt es private Galerien, Kunsthändler, deren Hauptinteresse ist es natürlich, dass ihre Kunst viel wert ist oder im Preis steigt und dass es da jetzt prinzipiell nicht das vorderste Interesse ist, die Missbrauchsdaten von Otto Mühl aufzuarbeiten, weil das auch seine Kunst oder den Wert seiner Kunst schmälern wird. Und das ist, glaube ich, wichtiger mitzudenken.
Fabian Burstein
Ja, du schneidest eine wichtige strukturelle Erkenntnis an, die man noch einmal, glaube ich, ganz klar benennen muss und woran man auch sieht, warum auch vor dem forschenden Hintergrund öffentliche Museen wichtig sind. Das MUMOK hat sich offenbar, das habe ich auch dank eures Artikels gelernt, der Aufarbeitung, dem Ringen um einen Umgang verschrieben, was sehr gut und wichtig und richtig ist. Und das können andere Museen oder private Sammlungen nicht leisten oder wollen es nicht leisten. Wir haben ja auch ein Aktionismus-Museum in Wien, hinter dem aber wiederum auch, muss man auch klipp und klar sagen, private Kunstsammler auch stecken. Und da ist es naheliegend, dass man kein Interesse daran hat, Geschichten und Themen zu forcieren, die den Wert eines Künstlers am Markt senken. Also ich glaube, das ist noch mal wichtig zusammenzufassen.
Ich habe zwei große Dinge auch gelernt durch euren Artikel. Ich habe mehrere große Dinge gelernt, aber das möchte ich jetzt mal vorausschicken. Erstens genau dieser Aspekt, dass ein Bild, ein gemaltes Bild unter Umständen durch den Kontext eine Missbrauchsdarstellung sein könnte, das habe ich auch nicht mir so bewusst gemacht. Für mich war das auch immer das Kommunengeschehen, war der Skandal und das Missbrauchsthema, das jetzt natürlich steht das in einer Verbindung zur Kunst, aber dass das für ein Opfer natürlich so sein kann wie ein Foto aus so einer Handlung, das ist natürlich ein schrecklicher Moment, der dadurch verdeutlicht wird. Und das Zweite ist, das hatte ich auch nicht so am Schirm, ihr benennt das Thema einer Sekte, ihr habt es ja auch hergeleitet, diese Abschottungsmechanismen. Ist das tatsächlich so, dass das bei Sektenstellen auch anhängig ist, die Causa Mühl und das Kommunengeschehen, oder ist das etwas, was ihr jetzt konstruiert habt als Ableitung eures Artikels?
Thomas Winkelmüller
Also wir haben mit Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen relativ lange über das Thema gesprochen. Der Begriff Sekte ist grundsätzlich einer, der ein bisschen schwierig ist, weil es Religionswissenschaftler gibt, die sagen, das ist unprofessionell, das in so einem Kontext zu verwenden, wenn es nicht um Religion geht. Dem kann man entgegenhalten. Betroffenen, die in so einer Struktur aufgewachsen sind, tut es meistens recht gut, wenn man sagt, das war eine Sekte, wenn sie sagen können, das war eine Sekte, weil das ist ein Begriff, mit dem fängt man was an. Wir haben alle eine Vorstellung bei diesem Wort. Hingegen, wenn man eine Kommune, das kann viel sein oder eine sektenartige Gemeinschaft, ja, was ist das? Aber eine Sekte ist eine Sekte. Punkt. Also wir wissen alle, was das ist und deswegen hilft es den Leuten, deswegen haben wir auch so genannt und auch, weil es so benannt wird von den Opfern selbst, von den Leuten, die dort gelebt haben und von der Stelle für Sektenfragen, die auch das Wort im Namen hat. Genau deswegen haben wir das so gewählt.
Christina Pausackl
Und da vielleicht dann noch mal dazu erwähnt, eben Ulrike Schiesser eben von der Bundesstelle für Sektenfragen ist auch eine Expertin, die da im Text vorkommt und die wir auch am Cover haben, weil das ist auch noch die Komponente, dass sich einfach sie und drei andere Frauen, unter anderem die Frau Hochwartner, hier auch ein bisschen zur Aufgabe gemacht haben, dass dieser Fall neu aufgerollt wird, weil diese Expertinnen unabhängig voneinander auch über die Jahre immer wieder mit diesem Fall zu tun haben. Das heißt, bei der Sektenstelle landet das auch immer wieder. Wir haben die Rechtsanwältin Maria Windhager, die hier eben auch unter anderem rechtlich versucht, dagegen vorzugehen, dass diese Missbrauchsdarstellungen oder wo Missbrauchsopfer abgebildet sind, quasi vom Kunstmarkt oder von den Websites der Galerien irgendwie verschwinden. Das heißt genau, also es beschäftigen sich die Kinderschützerin Frau Wölfl, haben wir auch noch von Die Möwe im Text vor, die auch immer wieder mit diesem Fall zu tun hat. Das heißt, auch wenn wir nicht dran denken, beschäftigt das eben die Stellen seit vielen, vielen Jahren.
Fabian Burstein
Darauf würde ich eh gerne eingehen, nämlich die Rolle von diesen vier Frauen. Ich fasse noch mal zusammen. Wir reden hier von Marie Theresa Hochwartner vom Museum für Moderne Kunst, von MUMOK. Wir reden von der Ulrike Schisser, von einer Sektenexpertin und dazu zuständigen Stelle. Wir reden von der Hedwig Wölfel, von der Möwe, glaube ich, genau. Und von Maria Windhager, die ja als Rechtsanwältin sehr bekannt und sehr präsent ist, auch gerade in solchen Opferschutzfragen. Sind das Positionen, die ihr zusammengetragen habt für diesen Artikel oder darf man sich das so vorstellen wie eine Initiative, die sagt, wir vier aus unseren Perspektiven, wir arbeiten das jetzt auf?
Christina Pausackl
Genau, es war jetzt nicht so, dass wir sie zusammengeführt haben, es hat sich eher so ergeben. Uns hat dieser Fall interessiert und die haben auch eigentlich sich mehr oder weniger über diese Geschichte gefunden und zusammengetan, weil sie einfach gesehen haben, dass jeder für sich mit dem Fall irgendwie zu tun hat und genau diese Erkenntnis auch, aber niemand hat Gesamtwissen, dass sie selbst auch gemerkt haben, okay, zum Beispiel, wenn man jetzt hernimmt, die Frau Schiesser in der Sektenstelle hat damit zu tun, auch mit diesem sektenhaften Charakter, aber ihr fällt es dann schwer, das in ihrer Expertise jetzt aufzuarbeiten, weil sie merkt, da liegt noch so viel irgendwie im Dunklen. Und das war für die Frauen, glaube ich, ein Anlass zu sagen, Hey, wir merken, es sind einfach viele Fragen nicht geklärt. Das hat Thomas eh schon kurz erwähnt. Allein, dass man sagt, wir haben eigentlich gar keine, Es gibt keine Aktenzusammenschau. Also ist das irgendwo mal dokumentiert worden, diese Schule? Gibt es da eben irgendwelche Anmerkungen, schon Warnungen? Da geht es ja nicht nur um Vergangenheitsbewältigung oder Aufarbeitung, sondern ja auch um Lehren, die man daraus ziehen muss oder soll als Gesellschaft, dass wenn sowas wieder passiert, dass man weiß, okay, wo sind da Fehler passiert? Man muss dazu sagen, klar, das ist in den 70er, 80er, 90er Jahren passiert. Gott sei Dank haben wir inzwischen einen besseren Opferschutz einen besseren Kinderschutz. Also die Hoffnung ist schon, wenn das heute aufpoppen wird, dass wir auch anders damit umgehen würden. Aber das ist schon ein Mitgrund auch, dass das dann nicht nur eine Rückschau ist, sondern auch welche Lehren ziehen wir daraus? Wie gehen wir, wenn sowas ist, anders damit um? Sehen schon früher Warnsignale.
Thomas Winkelmüller
Ich glaube, man muss diesen Fall auch wirklich zu einem gewissen Grad und den Umgang der Politik schon auch das hat es nicht in den Text reingeschafft, letztlich, aber aus der Zeit sehen, in der das passiert ist. Damals war ein großes Bestreben von der Politik, dass man Kunstfreiheit großschreibt. Das war circa 20 Jahre, nachdem Günter Prous, auch ein Aktionismus-Kollege, Österreich verlassen musste, wegen seiner Kunst letztlich, weil er Anfeindungen bekommen hat und Schlimmeres. Das heißt, da war schon ein gewisses Bewusstsein da zu einem gewissen Grad, okay, Kunstfreiheit ist wichtig, was ja auch grundsätzlich richtig ist. Und ich glaube, das hat eben auch dazu geführt, dass eben verschiedene Stellen, verschiedene Politikerinnen gesagt haben, Schauen wir jetzt lieber nicht genauer hin oder das verteidigen wir jetzt einmal im Falle des Zweifels war in dem Fall nicht so gut, muss man leider sagen.
Fabian Burstein
Aber ist eine wichtige Einordnung, nämlich dass nicht jedes Versagen automatisch nur eine böse, fahrlässige Seite hat, sondern eine Amplitude darstellt, nämlich die Causa Prous war ja wirklich extrem. Also gibt es ja auch Erzählungen seiner Frau, was das für eine Verfolgung von Behörden nach sich gezogen hat. Und als vorauseilender, unter Anführungsstrichen, Lärmbereitschaft hat man unter Umständen, wir wissen es nicht genau, dann zu stark weggeschaut und es ist einem das durchgerutscht. Nichtsdestotrotz möchte ich schon auf diese politischen Verstrickungen ein bisschen zurückkommen, weil das ist ja nicht das einzige Beispiel, wo plötzlich, also denkt zum Beispiel an den Fall Unterweger, wo auch plötzlich so Solidaritätsbewegungen eingesetzt haben, wo das unter Anführungsstrichen schick war, sich mit jemandem gemein zu machen, der am Rande steht und wo sich das dann plötzlich gegen die Politik gerichtet hat. Habt ihr Erkenntnisse, wie tief der politische Schutz unter Anführungsstrichen gegangen ist? Gibt es da Dokumente? Wäre das, was vielleicht zum Beispiel für das neue Informationsfreiheitsgesetz, das man im Burgenland aushebt, was es da für Protokolle und Vorgänge gab.
Christina Pausackl
Ja, also ich finde, das ist ein guter Punkt. Das sollte man da versuchen anzuwenden. Eben diese Frage ist uns jetzt auch nicht gelungen endgültig zu klären, weil wir bisher nicht an die Akten herangekommen sind bzw. auch nicht wissen, ob es überhaupt noch welche gibt. Die Möglichkeit ist da, dass die inzwischen weg sind, sozusagen. Aber es gibt natürlich Indizien oder auch Beweise, dass man mal sieht, es gab ja schon eine große Nähe und einen gewissen Schutz. Eben wie schon erwähnt, der damalige Landeshauptmann im Burgenland, der Herr Keri, der war auch in der Kommune regelmäßig auf Besuch. Also das bestätigen sowohl ehemalige Kommune Mitglieder und es gibt auch Videos dazu. Also die Kommune hat ja quasi ihren ganzen Alltag mitgefilmt und im Archiv finden sich bis heute wirklich dokumentiert, dass der Herr Kerry da vor Ort war. Es gibt Unterstützungsbriefe von diversen Politikern und das ist, ich finde den Unterweger-Vergleich, jetzt nicht, was die Daten betrifft, aber den Umgang eben mit einem Täter sehr gut eigentlich, weil sie da in der Dynamik ganz viel, wie du gesagt hast, Fabian, Ähnlichkeiten zeigen. Auch beim Mühl war es so, dass noch während der Haft viele wichtige Vertreter der österreichischen Kunstbranche eine frühzeitige Haftentlassung für ihn gefordert haben. Museen haben Werke, die der Herr Mühl in der Haft gemalt hat, ausgestellt. Er war, ich weiß nicht, zwei, drei Monate aus dem Gefängnis, hat seine Taten nach wie vor eingesehen und bekommt die größte Kulturbühne des Landes, nämlich das Wiener Burgtheater, in einer Einzelvorstellung, damals nur unter Klaus Peymann. Und das zeigt, finde ich, schon genau wie er auch hochgejubelt eigentlich wurde, trotz seiner Daten.
Und in der Nachschau muss man schon sagen, es ist unglaublich. Es ist unglaublich. Und man muss dann, wenn man mit Betroffenen redet, die haben das alles mitbekommen. Eine Betroffene erzählt auch bei uns im Text, also als sie gesehen hat, dass der Mühl jetzt im Burgtheater diese Vorstellung bekommt, ist sie in eine schwere Depression verfallen. Das kann man, glaube ich, auch nachfühlen. Wenn du so einen Missbrauch erlebt hast und er wird mit der wichtigsten Bühne des Landes gefeiert, muss das unglaublich sein für Betroffene.
Fabian Burstein
Das zieht sich ja durch den ganzen Artikel, dass ihr sagt, okay, wir müssen in der Gesamtbetrachtung von solchen Causen nicht nur ständig diese Debatte führen, Straftäter versus Künstler. Das ist der erste Schritt, der sich etabliert hat und der eigentlich zu keinem Ergebnis geführt hat, weil wir keine Antwort darauf haben. Letztgültig. Aber ihr sagt, und das finde ich sehr einleuchtend, wir müssen viel stärker die Opferperspektive reinnehmen. Das heißt, wenn wir es schon nicht schaffen, das auseinanderzudröseln, den Sexualstraftäter oder den Straftäter und den Künstler, dann müssen wir zumindest darauf achten, dass die Menschen, die Opfer geworden sind, nicht über Jahrzehnte laufend retraumatisiert werden, weil man nicht sagt, was da dahintersteckt bzw. Denen das Gefühl gibt, ihr Schicksal ist weniger wert als jetzt das Konservieren einer künstlerischen Leistung. Habe ich da-?
Christina Pausackl
Genau. Und da vielleicht noch ein Punkt der Fall Otto Mühl ist ja sehr auch speziell, also das sagen auch viele Expertinnen, es ist nicht möglich, hier in diesem Fall diese klare Grenze Kunst Künstler zu ziehen. Der Mühl hat in der Kommune teilweise Kinder als Art Pinsel verwendet, Der hat Kinder mit Farbe über Leinwände geschliffen, unter anderem Kinder, die er missbraucht hat.
Ich glaube, das muss man bewusst machen. Oder die berühmten Aschebilder, das sind Bilder, die bestehen aus verbrannten Tagebüchern. Die hat Mühl quasi, wo es die Vorwürfe gegen ihn schon laut war, die die Staatsanwaltschaft bereits ermittelt hat, hat Mühl quasi die Tagebücher der Kommunenmitglieder einsammeln lassen und verbrennen lassen, weil er eben Angst hatte, da steht was drinnen, was für mich problematisch sein könnte und dann aus dieser Asche Bilder gemacht. Die gibt es nach wie vor. Wir wissen auch, wer sie hat. Die liegen auch im Depot vom Wiener Aktionismus Museum. Die sind nicht ausgestellt, aber die sind in deren Besitz. Also ich glaube, das muss man alles wissen über Otto Mühl, dass einfach seine Taten zum Teil wirklich Teil seiner Kunst waren. Er hat auch aus Ja, also das ist in dem Fall wirklich ganz, ganz schwer zu trennen.
Fabian Burstein
War es für euch auch ein Mitauslöser des Aktionismus-Museum plant, eine Mühlausstellung war das ein Mitauslöser, dass ihr genau jetzt diese Geschichte macht, weil ihr sagt, okay, bevor jetzt wieder eine Feierrunde eingeleitet wird, wollen wir Folgendes vorausschicken?
Thomas Winkelmüller
Ich würde sagen, es war keine Intervention oder sowas in diese Richtung, dass man sagt, okay, jetzt passiert das, jetzt schauen wir uns das deswegen an, ehrlicherweise. Es ist zeitlich die Nähe da, aber das war jetzt nicht der Auslöser oder so. Aber es war interessant, als ich mit Herrn Schröder gesprochen habe, der jahrelang an der Spitze der Albertina gestanden ist und jetzt eben das WAM leitet gesprochen habe, ist er mal zurückgerudert in den Gesprächen, hat gesagt, sie wollten ja eigentlich eine Rückschau machen auf die Kommunenzeit, das werden sie jetzt nicht machen, Sie wollen jetzt andere Phasen von Mühls Schaffen, sich anschauen und da ausgerechnet, und das fand ich bemerkenswert, die Unfälle im Haushalt. Und das ist eine Reihe, in der eigentlich die explizitesten Darstellungen von Opfern von ihm gezeichnet.
Fabian Burstein
Unfälle im Haushalt, das ist eine Bilderserie von Otto Müll.
Thomas Winkelmüller
Genau, danke. Und er hat zwar gesagt, ja, er will jetzt keine Opfer oder sowas zeigen, aber die anderen Gemälde, die auch entstanden sind, die nicht Opfer zeigen in dieser Reihe, die werden dann ausgestellt und damit wird auch geworben werden. Das heißt jetzt 35 Jahre nach der Verurteilung nächstes Jahr dann, soll mit einer Bilderserie, in der maßgeblich Mühls Opfer auch dargestellt worden sind, nicht mit deren direkten Abbildungen, aber mit dieser Reihe in Wien, in der Innenstadt, in der Kärntnerstraße, geworben werden. Mit dem Wissen, dass viele Leute, das traumatisiert ist, seine Opfer sind, muss man einfach darüber diskutieren, ob man das machen kann.
Fabian Burstein
Ich habe eine sehr heikle Frage, weil wir uns ja auch immer ein bisschen auf diese systemischen Dinge stürzen wollen. Es gibt derzeit ja sehr viel Berichterstattung über einen amerikanischen Missbrauchskomplex, nämlich den Fall Epstein, wo es auch eine Komplizin gibt, eine Lebensgefährtin, die Ghislaine Maxwell. Mühls Frau, sagt man, war ja auch maßgeblich mitbeteiligt an seinen Aktionen, die auch in Missbrauchsdaten unmittelbar gemündet sind.
Thomas Winkelmüller
Wurde auch verurteilt.
Fabian Burstein
Ja, wurde auch verurteilt. Und es gibt eine große Hypothese, warum der Epstein Komplex nicht noch weiter ausgerollt wurde, nämlich weil Politikerinnen und Politiker, die in Machtpositionen sind, geschützt werden. Könnt ihr ausschließen oder wollt ihr ausschließen, dass in der Kommune unter Umständen auch andere bekannte Persönlichkeiten zugegen waren, die da vielleicht beteiligt waren an Taten?
Christina Pausackl
Ich kann es nicht ausschließen. Also ich möchte aber dazu sagen, dass wir nicht im Hinterkopf jetzt irgendwie drei Namen von Politikern haben, wo es jetzt schwere Vorwürfe gibt, aber genau, es ist nicht aufgearbeitet und genau, also man kann es nicht ausschließen. Also was wir wissen, ist, dass dort hochrangige Politiker ein und ausgegangen sind. Genau, aber---
Thomas Winkelmüller
Aber der Paul Poetz hat einen Film gemacht, der heißt My Talk with Florence. Dort wird ein Name genannt, von dem man, da wird es quasi nicht explizit ausgesprochen, dass die Person das gemacht hat, aber da wird das angedeutet, dass eine politische Person dort eben öfter vor Ort war und auch Dienstleistungen sozusagen im weitesten Sinne in Anspruch genommen hat. Der Name wird im Film genannt, auch wir haben sowas gehört, aber eben das sind Gerüchte, das kann man nicht bestätigen.
Fabian Burstein
Wie ist der Name, der im Film genannt wurde?
Thomas Winkelmüller
Soll den Film schauen.
Fabian Burstein
Okay.
Christina Pausackl
Genau. Ich glaube, wichtig ist, dass man, also wir sind jetzt auch nicht da, Mutmaßungen anzustellen. Es ist wichtig, dass wir das, was wir schreiben und recherchieren, gut belegen können. Das ist für alle Seiten wichtig. Wir haben natürlich Medienrecht, aber da geht es ja nicht darum, dass wir jemanden schützen wollen, sondern dass wir einfach das, was wir belegen können, schreiben wir und beim anderen bleiben wir dran und recherchieren wir weiter.
Fabian Burstein
Super wichtiger Punkt, spielt ja auch immer wieder hier am Bühneneingang eine Rolle, weil ich ja öfters Journalistinnen und Journalisten einlade, auch um ein bisschen so ein Werkstätten-Gefühl zu kriegen. Ich könnte mir vorstellen, dass so eine Recherche unfassbar heikel ist, weil so viele Dinge mitspielen. Opferschutz, Täterschutz, auch natürlich potenzieller Täterschutz, also im Sinne der Unschuldsvermutung, dass man nicht Leute anpatzt, deren Leben dann zerstört ist und wo vielleicht nichts dahinter ist. Natürlich die Bedrohung, dass rechtliche Schritte gegen einen eingeleitet werden etc. Wie seid ihr mit dieser komplexen Gemengelage umgegangen? Könnt ihr ein bisschen erzählen, wie sich so eine Recherche dann jenseits des eigentlichen Schreibens und Recherchierens dann eigentlich abspielt?
Thomas Winkelmüller
Ich würde sagen, die meiste Hacken ist eh das, was vor dem Schreiben passiert. Also in dem Fall hatten wir natürlich einen indirekten Vorteil, weil Otto Mühl nicht mehr lebt, schon länger nicht mehr lebt. Das heißt, die Gefahr, dass er uns klagt, ist überschaubar. Das ist bei anderen Geschichten in solchen Causen natürlich nicht der Fall. Was den Opferschutz angeht, natürlich haben wir unser Bestes getan, dass wir nur mit Leuten Kontakt haben, die das wollen und nachgefragt haben, ob sie das wollen. In dem Fall dann bei denen, mit denen wir gesprochen haben. Genau.
Christina Pausackl
Da haben wir zum Beispiel auch ein Opfer, das vorkommt, wollte einen anderen Namen genannt haben. Also das macht man in dem Fall auch. Der Vorteil war, Vorteil unter Anführungszeichen auch, bei Otto Mühl, dass er ja schon genau das gerichtlich festgestellt ist, dass er Kinder missbraucht hat, das vor Gericht zugegeben hat und wir auch zum Beispiel Zugang zu den Akt hatten. Also wir konnten hier auch, haben wir einfach belegt schon recht viel. Das ist ja bei anderen Fällen, wo es jetzt wirklich nur Verdachtsberichterstattung ist, das heißt, wo es kein Gerichtsverfahren gab, kein gerichtliches Urteil, oft dann noch schwieriger, dass man dann auch, wenn man viele Hinweise hat oder Belege, die nahelegen, dass Missbrauch passiert ist, das ist dann noch komplizierter. In dem Fall ist ja schon auch viel gerichtlich bestätigt. Aber klar, wenn es jetzt dann Vorwürfe gegen konkrete andere Personen gibt, da ist es heikel und da muss man einfach schauen. Genau, es gibt Täter- Opferschutz, dass man das schreiben kann. Und manchmal ist es so, dass man vor drei Seiten was hört, aber es trotzdem nicht schreiben kann, weil einfach die Beleglage zu dünn ist.
Thomas Winkelmüller
Es ist immer eine Gratwanderung halt quasi, was kann ich schreiben, was nicht, mit wem rede ich, mit wem rede ich nicht. Unglaublich, unglaublich schwierig einfach. Muss man dann, also mit Erfahrung wird es besser, sage ich mal. Und je öfter man solche Fälle gemacht hat, umso sensibler wird man dafür. Aber Fehler passieren trotzdem immer. Natürlich.
Fabian Burstein
Also ich habe es mir besonders heikel vorgestellt, aus zwei Gründen. Erstens, weil er doch sehr explizit die Zeit in Portugal aufgreift. Ich habe das als Medienkonsument miterlebt. Da ist das eher dargestellt worden sozusagen als das Rückzugsrefugium des gezeichneten Otto Mühl, wo er sich mit seinen jüngeren Familienfreunden einfach aufs Alters-, auf den Alterssitz zurückzieht und dort weiterarbeitet. Also mit dem Bild räumt ihr ja schon relativ radikal auf. Bloß es kommt eine Facette mit rein, die auch unterbeleuchtet ist, nämlich das Thema der Mittäterschaften. Also die Idee, dass Mühlen Einzeltäter ist, die ist in vielen Köpfen drinnen. Dass aber in dieser Kommune unter Umständen sehr viele Menschen in seinem Machtsog Submacht erlangt haben und diese Macht dann auch missbraucht haben in Form von Gewalt und sexuellen Missbrauch, das wird viel weniger thematisiert. Und ich könnte mir vorstellen, davon leben ja auch noch welche. Könnt ihr diese Spur ein bisschen nachzeichnen?
Thomas Winkelmüller
Ja, also es gab ein ganz klares hierarchisches System innerhalb dieser Kommune. Auf der Spitze stand immer Otto Mühl und darunter gab es dann verschiedene Positionen, die Leute eingenommen haben. Das war wirklich so, dass man quasi mit den Leuten, die weit oben stand, tendenziell auch schlafen wollte, wie uns ehemalige Kommunatinnen erzählt, ehemalige Sektenmitglieder. Und die hatten auch mehr Macht einfach am Ende des Tages. Es gab ja auch sogenannte Ficklisten, wo Otto Mühl bestimmt hat, wer mit wem jetzt Sex haben muss und so. Und genau diese Leute, die dort recht weit oben in der Hackordnung standen, die sollen durchaus beteiligt gewesen sein. Also wir haben zum Beispiel aus der Urteilsbegründung eine Passage, wo es darum ging, dass einige Erwachsene einen jungen Burschen zu Boden gedrückt haben, damit sich Claudia Mühl mit ihrem Genital auf sein Gesicht setzen konnte.
Ich weiß nicht, das ist im Bewusstsein von vielen Leuten, glaube ich, einfach nicht da. Ich habe es auch nicht wirklich wo gelesen im Archiv bisher. Oder dass es eine sogenannte Bussi Back gab. Also quasi innerhalb des Unterrichts musste sich ein Erwachsener nackt auf den Tisch legen und die Kinder unter 14 mussten dann quasi den Mann oder die Frau an gewissen Stellen berühren, an allen Stellen berühren de facto und den Körper erkunden und kennenlernen sozusagen und auch Bussis dorthin geben. Vice versa durfte auch der Erwachsene dasselbe machen bei den Kindern, die auch leicht bekleidet waren. Also das sind Sachen, die weiß man nicht wirklich. Die sind aber ziemlich wichtig zu wissen, glaube ich, um zu verstehen, wie die Dynamik in dieser Sekte war. Und dass eben nicht nur Otto Mühl und Claudia Mühl, die beiden, die einfach verurteilt worden sind, die beiden Leute sind, die man da kritisch betrachten muss.
Christina Pausackl
Und da geht es ja nicht nur auch um strafrechtlich vielleicht relevante Dinge, sondern der Film, der schon erwähnt wurde, der eben vom ehemaligen Kind aus der Kommune gedreht wurde, „Meine keine Familie“. Das sieht man zum Beispiel ja auch auf Video als Szene, wo einfach ein junger Bub wirklich niedergemacht wird. Also das ist, dass dieser Umgang einfach nicht kinderfreundlich war, ganz im Gegenteil, ist glaube ich, offensichtlich. Ich glaube, das ist auch ein Teil, warum diese Aufarbeitung, wenn man jetzt dieses allgemeine Wort wieder verwendet, so kompliziert und schwierig ist, weil eben die Kommune eben diese Sekte, Sektenhaftes war, wo auch Erwachsene irgendwie unter diesem Brainwashing vom Mühl dastanden, aber gleichzeitig Erwachsene waren, die Kinder haben und da sicher ihrer Fürsorgepflicht auch nicht erfüllt haben und sicher im Nachhinein auch da innerhalb der Kommune nicht das Interesse vielleicht bei jedem groß war, das jetzt aufzuarbeiten, weil man auch selbst als erwachsene Person da zumindest vielleicht mitgemacht oder eben das System ermöglicht hat. Also ich glaube, da ist einfach wichtig der Blick auf die Kinder, die da einfach von vielen, vielen Erwachsenen allein gelassen wurden.
Thomas Winkelmüller
Ja, man muss sich das schon vorstellen. Also die sind ja mit eigentlich positiven Erwartungen in diese Sekte reingegangen und haben sich gedacht, wir schaffen da ein neues Gesellschaftsmodell, freie Liebe, zeitweise kein Eigentum etc. Das heißt, die hatten dort eigentlich in ihren Augen einen Großteil der Zeit eine gute Zeit. Gab es auch schlechte Phasen, keine Frage, auch eben für Leute, die unten in der Hackordnung standen. Aber nach 20 Jahren zum Beispiel, ich war auch am Friedrichshof und habe mit jemandem gesprochen, eine Person, die dort auch eben von Beginn an mehr oder weniger noch in Wien, als die Kommune noch in Wien war, gelebt hat. Das war schon auch eine coole Zeit für die natürlich. Und dann zu sagen, okay, eigentlich habe ich da Dinge mitermöglicht, die überhaupt nicht okay sind oder da sind parallel Sachen passiert, die ich vielleicht nicht mitbekommen habe, aber die ganz fürchterlich sind, dass man so mit einer wirklich maßgeblich prägenden Zeit seines Lebens, die man auch zum großen Teil vielleicht positiv in Erinnerung hat, so zu brechen und das aufzuarbeiten, fairerweise, das muss echt hart sein. Also das muss echt, echt, echt hart sein, das dann zu berücksichtigen.
Christina Pausackl
Man muss auch da nochmal dazu sagen, dass es ja quasi auch Mitglieder aus der Elterngeneration gibt, die sich bei den Kindern entschuldigt haben, die das einsehen, dass da eben Verbrechen passiert sind. Also es gab da schon auch Verantwortungsübernahme und auch Erkenntnis, dass da große Fehler passiert sind. Also es ist jetzt so, dass die Elterngeneration da niemand erkennt, dass da schlimme Dinge passiert sind.
Thomas Winkelmüller
Aber es gibt einen kleinen Teil, der das nicht tut.
Fabian Burstein
Es ist wie so oft eine ambivalente Geschichte. Ihr habt aber da schon einen vielleicht entscheidenden Schritt, glaube ich, eingeläutet in diesem Artikel, unter Umständen sogar der interessanteste Schritt jetzt aktuell in dieser Mühldebatte, nämlich der Weg vom Einzeltäter, vom ausgeflippten Künstler, der solche Dinge tut und dabei die Grenzen des Strafrechtes überschritten hat, hin zu einer schon einer kollektiven Tat, an der mehrere beteiligt sind, entweder aktiv oder durch aktives Wegschauen oder es nicht zur Kenntnis nehmen.
Lasst uns von dieser Seite her wieder zum Systemischen kommen. Wir sind ja auch gerade konfrontiert mit einem Skandal rund um SOS Kinderdorf, wo es natürlich um ein völlig anderes Setting geht, aber auch so seltsame Lichtgestalten existieren rund um diese Lichtgestalten. Ausgehend von diesen Lichtgestalten kommt der Verdacht auf oder dürfte es sogar eine Evidenz geben, dass Gewalt und Missbrauchshandlungen gesetzt wurden und irgendwie scheitert das System daran, da Korrektiv zu sein, das zur Kenntnis zu nehmen, dagegen zu handeln. Wir hatten es auch so ähnlich ja beim Kinderheimskandal vor einigen Jahren. Warum passiert das ständig?
Christina Pausackl
Ja, ich finde das total interessant. Also es sind andere Fälle, aber es gibt Ähnlichkeiten in der Systematik und die sieht man immer wieder. Ich glaube, wenn so systematischer Missbrauch passiert oder systematische Vertuschung, haben wir es ja immer mit Machtverhältnissen zu tun. Also es geht im Grunde immer um Macht, die die Macht haben und die eben nicht. Und das sieht man überall. Und dann auch ein System, oder wenn das wirklich kein Einzelfall ist, funktioniert nur, wenn man eben auch Leute um sich hat, die das ermöglichen. Also da gibt es immer gleiche Dinge, die sich ähneln.
Also wenn man jetzt SOS Kinderdorf hernimmt, dann gibt es, da gibt es auch eine Lichtfigur, die das gegründet hat, der Herr Gmeiner, wo ja selbst das Kinderdorf jetzt auch offengelegt hat, dass er auch quasi Kinder missbraucht hat, selbst. Und also es ist mir manchmal ein Rätsel, wie das möglich ist. Ich glaube, es hat vor allem eben mit dieser Macht zu tun und Machtmissbrauch und diese Machtungleichheit, also dass da oben jemand steht, der wird gefeiert, dem hört man zu, der hat irgendwie Anziehungskraft und dadurch dann weggeschaut wird oder er eben auch die Macht hat, Dinge zu vertuschen, runterzudrücken. Also im Grunde geht es da immer um Macht. Darum ist es auch so wichtig, darüber zu reden. Und sind das nicht Einzelfälle, sondern wir können daraus und müssen daraus immer wieder Lehren ziehen.
Du hast da vorhin den Fall Epstein erwähnt. Da geht es immer um Leute, die in der Mitte stehen und denen Macht zugesprochen wird. Und die Macht haben entweder Prestige oder Geld. Bei Epstein, der war reich und hatte viele reiche mächtige Freundin beim SOS Kinderdorf, der hatte Prestige. Das wurde gefeiert, wie ein Heiliger zum Teil, weil er ja gute Sache gegründet hat. Und dann werden diese Personen unangreifbar. Dann schaut man leichter weg. Dann haben sie die Macht, Dinge zu vertuschen. Also ich glaube, das ist ein riesiger Punkt. Und wenn man dann so geschlossene Systeme irgendwie schafft, und das ist bei der Mühlkommune ähnlich, er wurde gefeiert wie ein Heiland, der Herr Mühl. Und zum Teil noch, nachdem die Vorwürfe offengelegt wurden, wurde er angehimmelt. Also
Thomas Winkelmüller
Ich glaube, das ist der Punkt. Bei Mühl war ja der Umstand, dass die Kunst auch den Missbrauch ermöglicht hat. Er ist innerhalb der Kommune und teilweise auch außerhalb als einer der größten Künstler unserer Zeit, wenn nicht jemals angesehen worden. Und wie funktioniert Macht? Natürlich, wenn ich jetzt den größten Künstler der Welt vor mir habe und der will mit mir schlafen und alle himmeln ihn an und alle anderen wollen auch mit ihm schlafen, dann werde ich wahrscheinlich eher mit ihm schlafen, als wenn alle sagen, es ist irgendein dahergelaufener Zwutschkal, das mache ich mit dem nicht. Und dadurch eben durch dieses Kunstschaffen sich selbst auch inszenieren als der größte Künstler an die Spitze stellen dieser Kommune. Insofern ist die Kunst eben auch noch einmal zu betrachten als dieses Mittel zum Zweck, als dieses Mittel um zu missbrauchen, weil durch die Kunst, die er macht, er zum größten Künstler wird und damit zu einem Mann, den man will, von dem man auch gewollt werden will.
Christina Pausackl
Genau. Es war ja auch, und das finde ich so eine spannende Dynamik. Da vielleicht noch dazu zum Thema Macht, da geht es natürlich auch wenn ich die Macht habe, dann kann ich sie ausnutzen und wenn ich angehimmelt werde. Und bei Mühl fand ich auch so beklemmend und interessant, aber das sagt so viel aus, dass eben teilweise dann Frauen eifersüchtig waren, wenn sie nicht mit ihm schlafen konnten. Oder das haben auch Betroffene berichtet, dass eben teilweise Eltern eifersüchtig waren auf die Kinder, weil Mühl ihnen mehr Zuneigung, also Zuneigung oder mehr Interesse an ihnen hatte. Und das, glaube ich, zeigt schon genau, was für überhöhte auch Position er sich da geschaffen hat, und Mühl hat das ja auch selbst immer wieder gesagt, Ich bestimme, was hier passiert. Also er hat hier wirklich sehr in dieser Kommune wie Autokrat regiert und er bestimmte alles. Und ja, es haben sie dann auch irgendwie alle gebückt und ihm untergeordnet.
Fabian Burstein
Christina, du hast ja insgesamt viel über MeToo berichtet. Also das ist ja ein Feld, wo du dich extrem gut auskennst und auch schon viele Details rausgearbeitet hast. Ist das nicht insgesamt ein Phänomen, wie sich diese Machtverhältnisse sukzessive pervertieren und wo man dann immer wieder an diesen eigenartigen Punkt kommt, dass die Opfer auf eine ganz seltsame Art und Weise beweisen müssen, dass sie Opfer sind, weil in dieser Mechanik Scheinfreiwilligkeiten entstehen, die aber gar nicht freiwillig sind.
Christina Pausackl
Ja, ich glaube, das ist ein riesiges Thema. Genau, dass dann eben Betroffene ganz arg und ganz viel erklären müssen, warum sie dageblieben sind. Da muss man verstehen, das sind immer Abhängigkeitsverhältnisse. Also es ist ein Unterschied, wenn ich auf der Straße gehe und mir haut ein Mann auf den Hintern, dann kann ich wegrennen, dann tue ich mir leichter, das vielleicht anzuzeigen, weil ich in keiner Abhängigkeit zu diesem Menschen stehe. Aber wenn man jetzt sagt, eben sexuelle Belästigung oder Übergriffe am Arbeitsplatz durch einen Vorgesetzten, da wird es komplizierter. Was mache ich, wenn mir ein Chef eine nette Nachricht schreibt? Soll ich dann sagen, ich will das nicht, das ist mir unangenehm, eine schwierige Situation, das ist mein Vorgesetzter, ich bin abhängig, das ist mein Arbeitsplatz, der zahlt mich.
Wenn man jetzt die Kommune hernimmt, ist es das, Ah, ich will ja da dabei sein. Das passiert ja oft schleichend. Das ist irgendwie wie wenn ich einen Job beginne, das reizt mich, das ist spannend, ich möchte es gut machen, mir wird was versprochen. Der Mühl hat ein Leben frei von Zwängen versprochen, weg von, weiß ich nicht, diesem kapitalistischen System, das war ja alles reizvoll und da möchte ich mitmachen, möchte dabei sein. Ich habe vielleicht meine ganze Familie zurückgelassen, ich habe mein ganzes Geld aufgegeben, die haben ja Gemeinschaftseigentum gehabt. Das heißt, da sind überall Abhängigkeiten. Und ich glaube, das muss man verstehen, dass man da reinschlittert und es dann nicht so einfach ist, mit dem zu brechen, weil ich vielleicht keine Familie habe, wo ich raus kann, kein Geld habe und eben das ist grau, das ist nicht kompliziert, also das ist nicht banal. Also ich kann dreimal zugestimmt haben und beim vierten Mal will ich das nicht mehr, aber ich komme nicht raus. Und weil ich dreimal davor zu irgendwas nicht Nein gesagt habe, okay, bin ich jetzt kein Betroffener mehr? So funktioniert die Welt nicht und so funktionieren diese Systeme nicht. Und ich glaube, das ist ganz wichtig zu verstehen.
Thomas Winkelmüller
Voll und bei bei Müll kommt in diese Sektendynamik noch einmal rein. Du bist da so arg drinnen, du merkst gar nicht, dass da eigentlich gerade was passiert, was überhaupt nicht dem entspricht, was du eigentlich willst. Also ich habe mit eben Leuten gesprochen, die von Anfang an dort dabei waren und ich habe dann irgendwann gefragt, ist dir nicht aufgefallen, dass das basically eine Diktatur ist, was da passiert und ihr seid reinkommen mit freier Liebe und kein Kapitalismus mehr. Die Person hat gesagt, ja nein, wir waren blind, wir haben das nicht gespürt. Und ich glaube, das ist dann noch einmal schwieriger als sowas, weil da kommt nicht nur dieses Machtverhältnis dazu, da kommt auch noch obendrauf diese Sektenstruktur, wo du einfach blind wirst für Vorgänge. Ich hab zu einem Sektenführer, einem Guru, der Frauen schlägt, systematisch, um sie zu heilen, recherchiert und die Leute dort merken das auch nicht, dass da eigentlich was ganz Krasses passiert.
Christina Pausackl
Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, dass man sagt, okay, die Causa Mühl ist jetzt 35 Jahre her, Vergangenheit. Aber ich glaube, da ist wichtig zu verstehen, dass viele Betroffene erst jetzt bereit sind, wirklich darüber zu reden, weil das Zeit braucht, dass man das aufarbeitet, dass man das versteht. Also das ist ja immer so ein Argument, wenn sie Betroffene fünf Jahre nachher melden und erzählen, mir ist das und das passiert, dass man denkt, warum kommst jetzt? Erst jetzt? Aber das dauert, bis Leute das selbst verarbeiten, bis sie so weit sind, überhaupt über das reden zu können, wenn das überhaupt möglich ist. Also ich glaube, das ist wichtig zu sehen. Da gibt es aus der Psychologie und aus der Traumaforschung gute Erkenntnisse, dass teilweise Leute, die so ein schweres Trauma wie manche Betroffene in der Müllkommune erlebt haben, das 20, 30, 35 Jahre dauert bis die überhaupt so weit sind, um darüber reden zu können. Das heißt, das ist aktuell, wenn Betroffene darüber reden im Sinne von okay, das ist nicht ungewöhnlich, dass die erst teilweise 30 Jahre darüber reden können. Ich glaube, das ist auch wichtig mitzudenken.
Fabian Burstein
In solchen unfassbar heiklen Kausen im Kunst- und Kulturbereich steht immer ein Vorwurf mehr oder weniger subtil im Raum, nämlich dass der Grund, warum die Aufarbeitung auch so schwierig ist, darin zu suchen, ist, dass es ein unzureichend vorbereitetes journalistisches Gegenüber gibt. Und das hat wiederum maßgeblich damit zu tun, dass die Grenzen dieser Community viel zu oft verschwimmen. Also sprich, dass man sich als gemeinsame Szene versteht, wo es auch das Bedürfnis von journalistischer Seite nach Zugehörigkeit gibt, Da möchte man dazugehören, weil das ist schick, das ist glamourös, das ist interessant, das ist ausgefallen, extravagant. Ist das etwas, das ihr auch grundsätzlich beobachtet und das bei der Aufarbeitung der Causa Mühl auch eine Rolle gespielt hat?
Christina Pausackl
Also ich kenne sehr tolle quasi Kulturjournalistinnen und -journalisten, die super Arbeit machen. Das ist mir ganz wichtig vorwegzuschicken. Ich glaube aber, dass genauso dieses Ressort oder Genre, ja, dass das da quasi schwieriger ist wie bei anderen vielleicht oder anderen Ressorts hier Trennung immer zu wahren, weil klar, wenn ich jetzt klassischer Kulturjournalist bin, dann eben das lebt davon, dass ich ins Theater gehe, zu Veranstaltungen, mir Galerien anschaue, das ist oft ein schönes Event oder auch bei Sport. Also wenn jetzt Skandale im Sport passieren, als Sportjournalist mache ich vielleicht Spielberichterstattung und habe jetzt mit investigativen Recherchen ständig zu tun. Man sieht meistens die gleichen Leute in der Kulturbranche. Wir sind eine kleine Kulturwelt. Das heißt einfach, ich glaube, dass es da schwierig ist, in anderen Bereichen hier Grenze zu wahren. Und also ich glaube, die Gefahr ist da einfach relativ groß, weil man immer wieder die gleichen Leute sieht und oft in einem Setting, wo es jetzt nicht um harten investigativen Journalismus geht.
Thomas Winkelmüller
Also zum Glück bin ich überhaupt nicht Kunst affin, dass ich mir das quasi an die Brust heften kann. Deswegen war mir das relativ wurscht in dem Fall. Damals war es vielleicht anders bei Leuten. Und was auch noch interessant ist, die Maria Windhager hat uns erzählt damals, als sie gelernt hat, Juristin in der Kanzlei, in der sie war. Der Anwalt hat die Kommune vertreten, damals in einem Rechtsstaat gegen Otto Mühl. Aber sogar in der Kanzlei damals hing ein Mühl-Gemälde, weil so ihre Erzählung, der Anwalt von der Genossenschaft aus, die dann diese Bilder, die Kunst verwaltet hat, der Anwalt mit Müllgemälden bezahlt worden ist. Völlig absurd. Aber ja, das hat einen Wert. Und dazuzugehören zur Kunstszene, sicher, das ist immer was wert für Leute.
Christina Pausackl
Aber ich glaube, das ist eine Herausforderung generell im Journalismus, dass du einfach. Genau, oft hat man ja gewisse Themen oder Bereiche, zu denen man immer wieder berichtet und ja, ganz klassisch einfach die Distanz zu wahren, trotzdem zu den Personen, über die man ständig berichtet, ist sicher eine Herausforderung. Und im Kunstbereich, glaube ich, besonders, weil natürlich, man will die Einladung haben, man will zur Premiere, man möchte da dabei sein. Und das ist dann oft natürlich verbunden. Es gibt eine Aftershow Party oder Veranstaltung, wo man sich einfach zwangsläufig leicht näherkommen kann. Und genau.
Fabian Burstein
Ich hätte eine abschließende Frage an euch. Habt ihr irgendwo noch so etwas wie eine Smoking Gun stecken, die diese Causa betrifft? Habt ihr irgendeine Erkenntnis, ohne dass ihr mir jetzt natürlich sagen würdet, was diese Smoking Gun ist, Aber dürfen wir uns darauf einstellen, dass da irgendwas noch im Verborgenen liegt, was zu erheblichen Turbulenzen führen könnte?
Christina Pausackl
Also ich kann nur sagen, dass uns das Thema wichtig ist und wir da dranbleiben werden.
Thomas Winkelmüller
Der Text öffnet viele Fragen, die er nicht beantwortet. Insofern das Potenzial, dass da noch was kommt, ist auf jeden Fall da. Sagen wir es mal so.
Fabian Burstein
Liebe Christina, lieber Thomas, vielen lieben Dank, dass ihr mit mir diese intensive Stunde bestritten habt. Ich fürchte, es wird das erste Mal sein, dass ich so eine richtige Triggerwarnung mal vor die Folge setzen muss, weil es wirklich, wirklich schlimme Beschreibungen auch von Sachverhalten da drinnen vorkommen. Umso wichtiger, dass er das Thema wieder aufgegriffen hat und eben in einen Kontext gesetzt hat. Was könnte das mit dem Hier und Jetzt und mit den Dingen, die im Hier und Jetzt passieren, was könnte das damit zu tun haben? Was erzählt uns das über den Umgang? Mein dringender Rat, das aktuelle Datum zu kaufen und zu lesen, denn da steht die ganze Geschichte drinnen. Danke für euren Besuch.
Christina Pausackl
Danke für die Einladung.
Thomas Winkelmüller
Danke.
Autor:in:Fabian Burstein |