Bühneneingang
Sozialpartnerschaft als Kulturpartnerschaft - mit Ilkim Erdost

Der Bezüge-Skandal in der Wirtschaftskammer hat sie wieder in den Fokus gerückt: Die so genannte "Sozialpartnerschaft" mit ihren Besonderheiten rund um gesellschaftlichen Ausgleich, Funktionärswesen und politischen Einfluss. Aber was hat diese typisch österreichische Konstruktion zwischen Wirtschafts- und Arbeitnehmer:innen-Interessen eigentlich mit Kultur zu tun? Ilkim Erdost ist mit dieser Frage tagtäglich konfrontiert. Sie leitet den Bereich Bildung in der Arbeiterkammer Wien und verantwortet hier unter anderem die studentische Buchhandlung FAKTory, das Theater Akzent und den geplanten Jugendcampus. Auch in ihren vorherigen Funktionen bei den Wiener Volkshochschulen und den Wiener Jugendzentren war sie intensiv mit Bildung und Kultur befasst. Folge 69 möchte anhand einer Berufsbiografie unter dem Banner der Teilhabe herausfinden, inwiefern die große Vision von Gerechtigkeit eben mit Themen wie Bildung und Kultur zusammenhängt.

Fabian Burstein
Mein heutiger Gast ist Ilkim Erdost. Als Bereichsleiterin der Arbeiterkammer Wien verantwortet sie unter anderem die Bildungsaktivitäten der Institution und damit auch ein breites Portfolio an Kulturangeboten. Aber warum leistet sich eine Arbeitnehmerinnen-Vertretung, die vorwiegend mit Arbeitsmarktpolitik und Fragen der juristischen Vertretung in Verbindung gebracht wird, so einen Schwerpunkt? Inwiefern hängt die große Vision von gesellschaftlicher Gerechtigkeit mit Themen wie Bildung und Kultur zusammen und welche diesbezüglichen Erfahrungen bringt Ilkim Erdost aus ihren vorherigen Jobs bei den Wiener Jugendzentren und den Volkshochschulen mit. Liebe Ilkim, herzlichen Dank, dass du mit mir den Bogen von Arbeitnehmerrechten hin zur kulturellen Teilhabegerechtigkeit spannst.

Ilkim Erdost
Vielen herzlichen Dank.

Fabian Burstein
Du kennst ja die Herausforderungen des Zugangs zu Bildung und Kultur ja auch aus deinen früheren beruflichen Stationen bei den Wiener Jugendzentren und eben auch bei der Volkshochschule. Welche Erkenntnisse über, sag ich mal, soziale Ungleichheit nimmt man aus solchen Institutionen eigentlich mit?

Ilkim Erdost
Erstmal, dass die Wege von einzelnen Personen zu Kunst- und Kulturinstitutionen oftmals länger sind, als wir uns das imaginieren, auch aus Perspektive sozusagen der institutionellen Strukturen, die es gibt in Wien, in Österreich. Es gibt viele Initiativen, die mittlerweile versuchen, diese Wege kurz zu halten und in die Bezirke selber zu gehen, Volkstheater in den Bezirken oder auch aufsuchende Kunst und Kulturangebote zu stellen, wie in den Gemeindebauten, Theatervorstellungen und so. Also diese Erkenntnis ist an sich nicht neu. Wenn man sie allerdings von der Perspektive der teilnehmenden Personen sieht, sieht man auch, wie diese Wege ausgestaltet sind, also was man da auch für Hürden überwinden muss und dass es nicht nur eine technische Frage ist, dass sozusagen es nicht nur um die technische Frage der Distanz geht, also wo findet etwas statt, sondern wie wird es affichiert, welche Themen werden behandelt, in welcher Sprache findet es statt, wie werden mögliche Teilnehmende angesprochen, wie findet sozusagen auch die Kommunikation und das Recruiting, wenn man so möchte, von Personen statt, die da Zuschauer Beteiligte sein könnten. Also das eine sind die Wege, das andere sind die Themen und die Perspektiven auf die, repliziert wird. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es oftmals einfach total unterschiedliche Sichtweisen gibt, was Menschen bewegt, die an den Rändern stehen oder die sozusagen weithin als marginalisiert gelten, ohne jetzt was projizieren zu möchten. Aber die Themen, die da bewegen, sind oft einfach handfest, existenzielle Fragen, Wie komme ich über die Runden für das nächste Monat? Wie schaffe ich meinen Alltag? Wie bekomme ich das unter einen Hund, wenn ich eine 10-Stunden-Schicht habe, meine Tochter, meinen Sohn abzuholen? Und da bleibt nicht viel Raum, um sozusagen auch diese Bewältigungsstrategien, die die Kunst bietet, um sich damit irgendwie auseinanderzusetzen, sondern da geht es wirklich ums handfeste Überleben. Und die Gewissheit, was das mit einzelnen Personen macht. Ich glaube, oder auch die Kenntnis darüber, was bedeutet das für einen Einzelnen dann für eine Familie, die ist, glaube ich, zu wenig präsent in Kunst- und Kultureinrichtungen. Also zum Beispiel passiert mir oft, dass ich angesprochen werde mit dem Zusatz naja oder mit dem Hinweis, die Vorstellung ist gratis, die Vorstellung ist gratis und insofern wäre das doch etwas für ihr Klientel. Damals z. B. bei den Volkshochschulen ist es oft vorgekommen, Vorstellung ist gratis, wir können auch zu ihnen kommen und dann ist die Vorstellung gratis. Und nur der Umstand, dass die Vorstellung gratis ist, heißt nicht, dass jemand Zeit findet, den Weg findet, es einrichten kann in seinen Alltag oder auch überhaupt wüsste, warum jetzt aktuell diese Vorstellung für sie oder für ihn ein Thema sein soll.

Da ist es natürlich ein bisschen dankbarer, wenn man mit Kindern und Jugendlichen arbeitet und dann eine Klasse sozusagen wohin bestellt und mit Schulen kooperiert. Das geht immer. Allerdings auch da stellt sich die Frage der Perspektive und der Themenwahl. Und ich glaube, das ist etwas, womit wir uns insgesamt als, unter Anführungsstrichen, Mehrheitsgesellschaft stärker auseinandersetzen müssen und auch damit profitieren könnten, selbst zu wissen, welche Themen sind das, welche Perspektiven bewegen uns da? Und da gibt es in der Kunst einen reichhaltigen Fundus. Man muss nicht alles neu entwickeln, aber man muss schon sehr genau schauen und den Perspektivenwechsel auch wirklich durchführen wollen.

Fabian Burstein
Würdest du sagen, dass der Kunst- und Kulturbetrieb manchmal schlicht und ergreifend auch ein bisschen weltfremd ist? Den guten Willen kann oder muss man ja den Leuten nicht absprechen. Es ist ja nicht falsch zu sagen, Ich möchte niederschwellig sein, ich möchte Gerechtigkeit herstellen, indem ich ökonomische Barrieren niederreiße und so weiter und so fort. Dass es aber schlicht und ergreifend an authentischen Einblicken fehlt, was Leute wirklich brauchen, um da teilnehmen zu können.

Ilkim Erdost
Ja, definitiv. Es sind einerseits die authentischen Einblicke und es ist auch andererseits die Beziehung und der Austausch, der fehlt. Also ich denke, dass ich würde dem zustimmen. Ich glaube, dass es da ein sehr aufrichtiges Bemühen gibt, auch in den letzten Jahren ein sehr aufrichtiges Bemühen auch zugenommen hat, dass man die eigene Zuseherschaft auch verbreitern möchte, dass man sich öffnen möchte, dass man zugänglicher sein möchte. Ganz viele Festivals, aber auch Häuser haben das mittlerweile zu ihrem Credo gemacht und das ist auch wirklich sehr positiv zu bewerten. Was aber alle großen Institutionen eint, ist die Öffnung ist etwas, die nicht nur eben technisch stattfinden darf, sondern die Öffnung ist etwas, die sich in die Identität der eigenen Tätigkeit mitnehmen muss. Und das bedeutet, dass man eben Perspektiven mitnehmen muss, auch Einblicke in die Lebenswelten haben und gewinnen muss und sich da in eine ehrliche Auseinandersetzung einlassen muss. Und diese Auseinandersetzung braucht Austausch, braucht Beziehung, braucht Einbindung. Das ist nicht etwas, was man punktuell gewinnt, indem man mal sich mal sozusagen in den Vorort begibt und dort Erkundungen einholt, sondern es ist etwas, das durch eine längerfristige und auch wirklich, ja längerfristige betriebener Austausch stattfindet. Und der braucht Beziehung, der ist sehr aufwendig. Das sind Prozesse, die über Marketing oder über eben Kommunikation weit herausgehen. Und sie brauchen Menschen, die diese Brücken auch selbst schlagen können in den Institutionen selbst, ob das jetzt nun Personen sind, die quasi aus diesen Nachbarschaften kommen oder sich daraus rekrutieren oder dort auch wirklich als Kontaktpersonen oder Institutionen, die dort sind, die dort als Kontakt fungieren können und als Türöffner, aber solche Brückenbauer Funktionen braucht, die können dann eben auch diesen Austausch immer wieder stabilisieren und immer wieder auch anstoßen. Aber es braucht einen Willen der Institutionen, dass sie sich auf diese längerfristige Reise einlassen und die Öffnung sozusagen nicht nur technisch vollziehen, sondern auch mit sich selbst machen lassen.

Fabian Burstein
Ich will da gerne ein bisschen aus dem eigenen Fundus schöpfen damit das nicht so ein erhobener Zeigefinger ist. Ich selbst war mal verantwortlich für ein Kulturzentrum in Ludwigshafen am Rhein. Das war in einer sehr roughen Gegend, Ludwigshafen am Rhein, insgesamt eine Arbeiterstadt mit großen strukturellen Problemen. Und ich war in einem Viertel umgeben von Menschen aus Umständen, wo man sagen würde, okay, da ist all das, was du beschreibst, Lebensrealität, also komplizierte Lebensverhältnisse dahingehend, dass nicht viel Geld da ist, dass man nicht die Betreuungssituation hat, dass man das einfach so machen kann, dass man sich für am Abend jemanden nimmt, der auf Kinder aufpasst oder dass man mit den Kindern selbst voreingehen kann. Und ich selbst bin wahnsinnig oft gescheitert in dem Ansinnen, meine unmittelbarste Umgebung in dieses Zentrum reinzuholen. Und ich habe wirklich viel probiert. Jetzt einfach die Frage, wenn ich dich jetzt konsultiere und sag oder dich damals konsultiert hätte und gesagt hätte, ich schaff's gerade nicht, es gelingt mir nicht. Was wären die drei, vier Punkte gewesen, die du mir mitgegeben hättest auf operativer Ebene? Fabian, das, das und das musst du mal grundständig beachten und dann könnte das gelingen.

Ilkim Erdost
Ich möchte mich da gar nicht als Expertin aufschwingen, weil ich glaube, da gibt es leider nicht sozusagen die drei Antworten, die man von Ludwigshafen nach Ottakring oder nach Favoriten übertragen kann. Aber vielleicht, ich versuche es mit einer Annäherung. Es gibt einige Initiativen, die da in Europa sehr beispielgebend sind und eine ist in Wien. Das ist zum Beispiel die Brunnenpassage am Yppenplatz in Ottakring, die sehr, sehr früh, als dieses Viertel sich verändert hat, eben direkt in diesem Viertel angesiedelt hat und mit der Botschaft sozusagen Kunst für alle diese Nachbarschaft in Ottakring auch in ihre Bemühungen und ihr Angebot inkludiert hat. Und ich habe zu dem Zeitpunkt, als ich Direktorin in der Volkshochschule Ottakring war, viele Kooperationen durchgeführt. Und einer der wesentlichen Punkte, um jetzt auf deine drei Punkte einzugehen, einer der wesentlichen Punkte war diese Verwurzelung in der Nachbarschaft, wirklich alles zu versuchen, um Personen, die auch direkt dort wohnen, in sehr niederschwellige Angebote reinzuholen, wo sie selbst dabei sein können. Also gemeinsames Tanzen, gemeinsames Singen, gemeinsames Kochen, gemeinsame Schachmeisterschaften, gemeinsame Feste, in denen Kleider getauscht worden sind, also jetzt vorderrangig nicht Inszenierungen, indem man Personen eingeladen hat, sondern gemeinsame Aktivitäten, die entstanden sind in einem gemeinsamen Bemühen und da sehr niederschwellig auch in gemeinsamen Erlebnissen zu bleiben. Und dieses gemeinsame Erleben führt dann, wenn man dranbleibt, zu den Beziehungen, die ich vorher angesprochen habe, weil Beziehung funktioniert nur und ist nur dann belastbar, wenn gemeinsame Erlebnisse erprobt werden in einer Praxis und die nicht nur sozusagen einmalig bleiben. Das heißt, man muss schon dranbleiben an diesen gemeinsamen Erlebnissen. Das Zweite, damit man überhaupt so weit kommt und in die Verlegenheit kommt, dass man diese gemeinsamen Erlebnisse auch wirklich umsetzen kann, ist, es braucht Personen, die mehrsprachig sind, die aus den unterschiedlichen Familien, Communities, Nachbarschaften, wie man es auch immer nennen möchte, sind und da diese Brückenfunktion ausüben, die gemeinsam einladen, die hinter der Theke stehen, die den Kleidertausch mit organisieren, die auch Künstlerinnen und Künstler sind, die vielleicht sozusagen aus ihrer Kompetenz heraus einen Workshop halten können, wie auch immer. Und das Dritte ist, und deswegen habe ich auch ein bisschen einschränkend und vorsichtig gemeint, ich bin keine Expertin, man muss dranbleiben. Es gibt sozusagen leider nicht etwas, wo man sich ausruhen kann an den Erfahrungen, die man in den letzten zwei, drei Jahren gemacht hat, auch wenn man sehr erfolgreich ist. Zum Beispiel, ich habe die Brunnenpassage genannt, es gibt andere Initiativen auch, es ändert sich so viel auch in Nachbarschaften, in Städten, in den Sozialstrukturen der Familien, in Zuwanderungsstrukturen. Was 2015 sozusagen gegolten hat, muss 2025 nicht gelten, muss nicht mal 2020 gelten. Und dieses Dranbleiben ist wahnsinnig fordernd natürlich gerade für Kunstinitiativen oder Häuser, die eher kleiner sind, die auch darauf angewiesen sind, dass ihre Ressourcen in nachweisbare Output und Produktionen gehen. Das ist eine riesige Challenge und ich glaube, da braucht es einfach wirklich auch kreative Wege, auf die ich definitiv keine Antwort habe, aber kreative Wege, um dieses Dranbleiben auch auf den Boden bringen zu können.

Fabian Burstein
Das heißt, wenn ich das kurz zusammenfassen darf, ich habe so ein bisschen so einen Punktefetisch.

Ilkim Erdost
Super, ich auch.

Fabian Burstein
Erstens, es ist die Nähe, also das heißt, man muss sich trauen, nicht in Übergeordnete weltumspannende Konzepte zu denken, sondern muss einmal beginnen, den eigenen sozialen Raum zu entdecken und die Lust darauf haben, den zu bespielen. Zweitens, es braucht Integrationsfiguren, die das auch authentisch leben können und die da auch wirklich ganz pragmatisch Anknüpfungspunkte bieten. Und drittens, es braucht so etwas wie Resilienz, um in Neudeutsch zu sein. Also das heißt die Fähigkeit, auch mal mit Rückschlägen erstens umzugehen und zweitens auch die Lust festzuhalten, okay, ich kann nicht ein Pferd ewig reiten, sondern alles ist in Bewegung. Ich muss einfach Lust drauf haben, ständig mich damit zu bewegen.

Ilkim Erdost
Ja, finde ich ist eine schöne Zusammenfassung. Ich hätte zu der Resilienz auch noch dazu gestellt, dass man eben nicht aus den Augen verlieren darf, dass es wirklich um eine längerfristige Perspektive geht und dass die Rückschläge, die man da auch wahrnimmt, dass man sie nicht persönlich nimmt, weil die Ablehnung sozusagen, wenn man sich doch so bemüht, diese integrative Arbeit zu machen und dann wird sie nicht wahrgenommen, das kann schon, das frustriert schon, ich verstehe das auch, aber es ist nicht persönlich gemeint. Es sind einfach die Lebensrealitäten ganz, ganz andere und die Hürden, die oftmals genommen werden müssen für eine Teilhabe, sind für die Institutionen oft gar nicht sichtbar.

Fabian Burstein
Aber auch ein schöner Punkt, sich nicht ständig selbst zerfleischen, sondern okay, es hat nicht funktioniert. Es ist nicht zwingend jemand Schuld daran, dass es nicht funktioniert hat, sondern die Mechanik, die erprobte, ist nicht aufgegangen. Weiter zur nächsten Mechanik. Der Grund, warum ich dich eingeladen hab, ist ein ganz spezieller. Am Bühneneingang befassen wir uns immer wieder mit Macht und nämlich auch bewusst mit positiven Machtperspektiven, also dass es Macht braucht, um zu gestalten und dass sich Macht auch mit positiven Attributen aufladen lässt, also dass man Macht positiv nutzen kann. Jetzt bist du in eine sehr machtvolle sozialpolitische Institution gegangen, was aus meiner Sicht jetzt nicht der naheliegendste Schritt ist, wenn man eine Volkshochschule geleitet hat und dann die Wiener Jungzentren, die auch Kulturzentren sind, nicht nur, aber auch, dass man da reingeht in die Arbeiterkammer und sagt, okay, ich bin da jetzt für Bildung und damit auch für viele kulturelle Teilhabethemen zuständig. Geht es dir da primär um Freizeitgestaltung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder geht es dir da um die Schaffung von einer Chancengerechtigkeit, die du auf irgendeine Art und Weise auch im Berufsleben angesiedelt siehst?

Ilkim Erdost
Super Frage. Die Frage ist, ich würde sie gerne persönlich beantworten. Es liegt mir eigentlich nicht so, aber es war eine wirklich sehr persönliche Entscheidung und auch gar keine einfache. Ich habe damals mit meiner Tochter darüber gesprochen und ich kann mich erinnern, dass sie damals gesagt hat, sie findet, das ist ein Fehler, weil ich habe den besten Job der Welt. Ich bin Leiterin der Wiener Jugendzentren, was gibt es Besseres? Natürlich aus ihrer Perspektive tatsächlich der coolste Job der Welt. Und ich kann mich erinnern, dass ich sozusagen mir wirklich schwer getan habe, das zu begründen, aber ich bin mit der einen Antwort dem am nächsten gekommen. Und das ist ein Gefühl der Verantwortung gegenüber jenen Veränderungen und Veränderungsprozessen, denen wir uns jetzt gerade demokratiepolitisch, sozialpolitisch gegenüberstehen. Und ich hab gewusst, dass eben diese Institution, die die Arbeiterkammer ist und die Möglichkeiten, die sie auch hat und die Rolle, die sie hat, da eine sehr, sehr wichtige und sehr, wie du es formuliert hast, machtvolle Position hat und dass die Arbeiterkammer auch in der Art und Weise, wie sie wirkt und in den letzten Jahren, finde ich, ist es noch besonders deutlich geworden, da eine ganz wichtige Ausgleichsfunktion hat, vor allem eben gegen antidemokratische Kräfte und gegen den Backlash, den wir jetzt gesellschaftspolitisch in vielen, vielen Fragen sehen. Und dieses Verantwortungsgefühl hat mich in diese Position getragen, weil alle die Themen, die ich bei den Jugendzentren, bei den Volkshochschulen, in der kommunalen Bildungsarbeit betreut oder begleiten durfte, haben mich wahnsinnig inspiriert und waren für mich ein unfassbarer Motor und sehr inspirierend einfach. Ich kann mich an unschätzbar viele Erlebnisse erinnern, die mich nach wie vor durch meine Arbeit tragen, aber das Gefühl, sozusagen jetzt gerade in wichtigen Positionen dieses Engagement auch einsetzen zu wollen, das hat mich in diese Position getragen und es war wirklich eine sehr persönliche Entscheidung. Deswegen gibt es jetzt, deswegen muss ich es auch persönlich beantworten und mein Gefühl oder beziehungsweise meine Perspektive jetzt und heute darauf ist auch sehr persönlich. Mir fehlt es zum Beispiel sehr, mit jungen Menschen in Kontakt zu sein. Mir fehlt sehr, diesen direkten Austausch mit einer Örtlichkeit zu haben, wie es bei den Volkshochschulen war. Und gleichzeitig spüre ich, was für eine unglaubliche Kraft es hat, in dieser Flughöhe auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem für junge Menschen das gesamte Gewicht dieser Institution auch in die Waagschale werfen zu können, auch in der Gewerkschaftsbewegung. Hier erfahre ich wahnsinnigen Rückenwind für diese auch kulturpolitischen Fragen, die, wie ich finde, entscheidend sein können in den Kämpfen, die wir gerade auch demokratiepolitisch ausfechten müssen.

Fabian Burstein
Ich kann diese Entscheidung sehr gut nachvollziehen. Ich habe mal eine ähnliche getroffen. Ich bin aus dem klassischen kulturellen, institutionellen Bereich Kulturchef einer Bundesgartenschau geworden, vor dem Hintergrund, dass ich die Chance hatte, einmal für 2,2 Millionen Menschen Kunst- und Kulturprogramm zu machen, ähnlich wie du. Und es war noch ein zweiter Punkt, den ich sehr gut verstehen kann. Es war dieses Thema der Sektorkoppelung. Also ich hatte von einem Tag auf den anderen mit Städtebau zu tun, mit Stadtraumentwicklung, mit profanen Bauthemen, die aber unglaublich wertvoll sind für die Lebensrealität von Menschen. Glaubst du, ist das insgesamt etwas, worauf sich Kunst und Kultur viel stärker einlassen sollte, diese unkonventionellen, sektorübergreifenden Allianzen, so wie du es jetzt zum Beispiel mit dem Thema Arbeitsmarktpolitik oder Arbeitnehmerinnenpolitik gemacht hast?

Ilkim Erdost
Ich glaube, dass das Thema Allianzen insgesamt demokratiepolitisch für uns wichtiger sein wird, weil wir uns auch gegenüberstehen einer breiten Phalanx an Allianzen, die Demokratie und Arbeitnehmerinnenrechte, Frauenrechte, gesellschaftspolitischen Fortschritt zurückdrängen möchten. Und insofern kann man daraus gut lernen, diese Allianzen ebenfalls zu schmieden. Ich denke, oder für mich war es zumindest so, ich möchte jetzt niemanden lektorieren, aber für mich war entscheidend, dass all die kulturpolitischen, bildungspolitischen, gesellschaftspolitischen Fragen, die mich bewegt haben und von denen ich überzeugt war, dass sie für den gesellschaftlichen Fortschritt unumgänglich sind, dass sie gekoppelt sein müssen mit Arbeitnehmerinnenrechten und der Perspektive der Beschäftigten und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und dass sie dann eine besondere Kraft entwickeln können. Also ich gebe ein Beispiel, wenn es darum geht, Teilhabe zum Beispiel von jungen Menschen in ihren Ausbildungsbereich voranzutreiben, ist es immer wieder ein Randthema, also Teilhabe, mein Gott, warum sollen die jetzt wirklich darüber mitbestimmen, wie ihre Ausbildung ausschaut und was soll dabei rauskommen Und wie aufwendig, gerade bei ganz jungen Personen, die in Schule bzw. im Lehrbetrieb ja ohnehin eine andere Funktion haben. Allerdings, wenn man aus der Gewerkschaftsperspektive die Fragen der Teilhabe und der Mitbestimmung anschaut, bekommen sie eine ganz andere Dimension, weil betriebliche Mitbestimmung etwas ist, das ist in der DNA quasi der Gewerkschaftsbewegung eingeschrieben und sie ist eine der ganz, ganz wesentlichen Stützen und Säulen unserer Demokratie, ohne dass man es jetzt so offenkundig spüren würde. Aber im Betrieb kommen wahnsinnig unterschiedliche gesellschaftspolitische Perspektiven zusammen.

Im Betrieb arbeitet man sozusagen Seite an Seite mit unterschiedlichen Positionen, mit unterschiedlichen Perspektiven auf Frauenrechte, mit unterschiedlichen Perspektiven auf verkehrspolitische Fragen. Aber Kollegen sind alle und Kolleginnen sind alle. Und diese Kraft sozusagen einerseits dieser gemeinsamen Klammer, Mitbestimmung braucht es aber im Betrieb und andererseits auch diese vereinende und integrative Kraft, die gewerkschaftliche Mitbestimmung für sehr kontroversielle Fragen haben kann, die nutzbar zu machen oder die zu verbinden, sagen wir so, die zu verbinden, verbinden mit Kultur und bildungspolitischen Fragen, das halte ich für ein Riesenpotenzial.

Fabian Burstein
Aber lass uns dadurch in die wirklich auch ein bisschen so in aktuelle kulturpolitische Debatten reingehen. Zum Beispiel in Wien, da hatten wir ja das Schema, das du beschreibst, war ja auf der Theaterebene sehr schön repräsentiert, also zum Beispiel das Volkstheater auch als dann gewerkschaftlich geprägtes Gegenmodell zum höfischen Burgtheater. Da müsstest du doch in Sorge sein, wie sich das in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, weil, also man kann jetzt zum Volkstheater stehen, wie man will, aber ein Arbeiterinnentheater ist es ja wohl nicht, oder?

Ilkim Erdost
Die Arbeiterinnen – also ich bin generell in Sorge, wie sich das entwickelt hat – aber die Arbeiterinnen und Arbeiter haben sich verändert. Die Arbeiterschaft ist generell viel diverser geworden. Der überwiegende Teil, vor allem in Wien, hat die österreichische Staatsbürgerschaft nicht und ist insofern sozusagen in vielen demokratiepolitisch entscheidenden Fragen gar nicht gefragt. Es sind 80 Prozent der Reinigungskräfte zum Beispiel in Wien, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Es ist weit über 60 Prozent der Arbeiterinnen. Und Arbeiter insgesamt und das heißt, wir haben einfach eine komplett andere Gruppe vor uns, wie es noch vor 20 30 Jahren der Fall war. Da hat sich einfach wahnsinnig viel verändert und, und davon bin ich auch überzeugt, es hat sich auch die Arbeitswelt drastisch verändert von der Art und Weise, wie viel Luft und Raum gegeben wird, um eben neben einer Stunden Schicht noch Kultur zu konsumieren. Da hat sich auch im Arbeitsleben sehr, sehr viel getan. Aber wenn du an die Gründungsgeschichten sozusagen denkst, gibt es natürlich offenkundig viele Parallelen. Aber auch da denke ich, dass dieser identitätsstiftende, diese identitätsstiftende Tür noch nicht geöffnet ist, weil genauso wie die Arbeiterinnenschaft sich verändert hat, müssten sich die Häuser verändert haben und das stimmt einfach nicht. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in Wien, die jetzt sozusagen entweder Schlosser oder Hilfskräfte oder Reinigungskräfte sind, sind auch nicht repräsentiert in der Programmierung dieser Häuser. Das ist gar nicht ein Vorwurf, aber das ist sozusagen etwas, wo finde ich das Angebot mit dem oder auch die Art und Weise, wie die Entwicklung dieser Angebote stattfindet, mit den Lebensrealitäten nicht zusammenfällt. Das heißt, da hat sich viel getan und an der Teilhabe der Arbeiterinnen und Arbeiter im politischen Spektrum hat sich wahnsinnig viel verändert.

Also auch wenn wir anschauen, wie die Wahlbeteiligung sich verändert hat, also selbst unter jenen Einkommensschichten oder Arbeiterinnen und Arbeitern, die wählen dürften, weil sie die Staatsbürgerschaft haben, das untere Einkommensdrittel ist unterrepräsentiert bei Nationalratswahlen oder Gemeinderatswahlen. Es wählen auch, wenn man sich für die Wiener Bezirke anschaut, vor allem jene Bezirke in einem höheren Ausmaß mit einer Wahlbeteiligung von über 60 bzw. 70 Prozent, die eher bürgerlich geprägt sind. Also da fällt viel auseinander, was Kommunikation und Teilhabe betrifft. Das hat einerseits mit den formalen Ausschlüssen zu tun, aber nicht nur, es hat.

Fabian Burstein
Auch lebensweltliche Gründe, aber ich kann dir total folgen. Jetzt sehe ich aber dann zum Beispiel, dass das zuständige Ministerium in der letzten Periode eine Studie zur Publikumsbeteiligung gemacht hat, die sehr wenig rezipiert wurde oder nur in Form der Executive Summaries und so weiter. Und wenn man dann in die Methoden reinschaut, sieht man dann zum Beispiel, dass im Wesentlichen Leute, die nicht gut Deutsch sprechen, von der Erhebung ausgeschlossen waren. Ich meine, kriegt man da nicht eine unglaubliche Wut noch dazu, wenn in so einer Studie propagiert wird, dass der Publikumsschwund nicht Realität ist?

Ilkim Erdost
Ich bin ein bisschen abgeklärt vielleicht. Also ich habe die Emotionalität nicht mehr. Es ist eher eine gewisse, Ja, es wundert mich nicht, ich bin nicht erstaunt, habe eine gewisse Abgeklärtheit da auch, weil es ist für mich nichts Neues, das so agiert wird. Die Frage ist auch, wie sehr möchte man diese Publikumsbeteiligung wirklich vorantreiben? Also ist es etwas, das ein Faktor ist, dem man gerecht werden möchte aus eigenem Antrieb oder aus Antrieb der Fördergeber? Also ich finde auch das berechtigt sozusagen zu sagen, Meine Güte, das wird halt von der Politik eingefordert. Dann schauen wir es uns halt an und machen wir es halt irgendwie und dann gibt es zwei Personen, die machen das und dann ist eh okay. Also auch das ist nachvollziehbar, aber es ist dann auch nachvollziehbar, wenn es halt die Ergebnisse bringt, die es bringt.

Zu der angesprochenen Studie, da habe ich jetzt aktuell wenig Einblick, aber dass Sprachbarrieren oder auch sozusagen die Barriere der Teilhabe oder Teilnahme an solchen Studien, dass das etwas ist, was immer wieder ein blinder Fleck ist. Das kennen wir insgesamt aus den Sozialwissenschaften. Die Frage ist wie viel will man wirklich, dass die Personen, die es betrifft und um die man sich bemühen möchte, wie viel wollen wir sie wirklich abholen? Und das ist eine mühsame Hacken. Also das ist nicht leicht. Und ich kenne es auch aus eigener Erfahrung, weil du auch vorher gesagt hast, naja, man scheitert ja auch als Volkshochschuldirektorin war nicht jeder Schritt von Erfolg gekrönt. Also bei weitem nicht. Wir haben uns wahnsinnig angestrengt in der Teilhabe Arbeit und sind immer wieder draufgekommen, dass wir auf dem Holzweg sind und wieder retour und haben wieder irgendwas Neues entwickelt. Das ist ultra aufwendig. Aber man lernt als Institution sehr viel. Also ich möchte es ein bisschen positiv formulieren, es gibt viel Potenzial und viel noch versteckt für Kunst und Kultur, aber auch für Bildungsinstitutionen in der herausragenden oder herausreichenden Arbeit mit Menschen lebensweltlich Dinge zu lernen, die wahnsinnig wertvoll für die eigene Arbeit ist. Das ist sozusagen das Schöne an der Teilhabe. Sie ist zwar wahnsinnig aufwendig, aber es lernen beide Seiten.

Fabian Burstein
Ich glaube auch, dass das ein erster Schritt wäre, dass sich alle mal ehrlich machen. Also will ich es wirklich oder will ich es nicht bzw. wenn ich es an einer Stelle nicht will, wie stelle ich sicher, dass es dann an der anderen Stelle besonders gewollt ist. Also dass ich im Schnitt einen guten Weg finde, der dann vielleicht die Besonderheiten der einzelnen Häuser berücksichtigen darf. Ich denke da auch immer an das Generationenthema, wenn gepredigt wird, eine Institution muss sich verjüngen. Manchmal denke ich mir, naja, lasst es halt doch einfach alt werden und die Leute glücklich damit sein und machen wir halt was anderes auf das dann von Grund auf jung denkt und wo dann die Jungen mit der Institution alt werden. Also vielleicht sind wir da auch an manchen Stellen zu verbohrt in den eigenen Erwartungshaltungen.

Ilkim Erdost
Ich glaube, ja, mag sein. Ich glaube, dass ganz viel in der Praxis gelernt wird durchs Tun und ganz viel dadurch gelernt wird, dass man eben Dinge ausprobiert und ad acta wirft, relativ viel Zeit damit vergeudet wird zu theoretisieren. Also ich bin wahnsinnig gern, ich liebe alle die theoretischen Diskussionen dazu und ich gebe auch gerne Einblick sozusagen in meine Erfahrungen. Aber die größten Erfahrungen, die ich gemacht habe, ist im Ausprobieren und zum Beispiel auch sozusagen aus der Perspektive einer großen Institution ist zum Beispiel das Personalrecruiting ein wahnsinnig mühsames. Also einerseits möchte man dem gerecht werden, dass man gut ausgebildete Menschen in die Positionen rekrutiert, die nach einer relativ kurzen Einarbeitungszeit selbstständig arbeiten können. Da kann man sich umdrehen, die können das dann machen. Und das ist auch dem geschuldet, dass man da möglichst wahrhaftig natürlich auch an dem eigenen Auftrag und keine Ressourcenvergeudung und so weiter.

Das ist klar in der Bildungsstruktur aber von Österreich, Die Bildungsstruktur von Österreich kennend ist es halt so, dass besonders hoch und gut ausgebildete Personen beziehungsweise Personen, die bereits einschlägige Berufserfahrung haben und ein gutes Leumund und die entsprechenden Kontakte haben, selten eben aus jenem Klientel sich rekrutieren, das man vielleicht jetzt besonders erreichen möchte. Das heißt, wenn man im Recruiting sich öffnen möchte für Personen, die auch repräsentieren, was an Publikum man sich in den eigenen Häusern erhofft, muss man Risiken eingehen und diese Risiken bergen schon in sich, dass man daneben greift oder dass sich bestimmte Entscheidungen nicht ausgezahlt haben oder dass es einen größeren Begleitungsaufwand und Einschulungsaufwand gibt. Diese Bereitschaft ist manchmal eine schwierige Entscheidung und das merke ich. Also es ist immer wieder, es taucht immer wieder in unterschiedlichen Situationen auch mir auf und ich plädiere dafür, dieses Risiko einzugehen, weil wir auch als bildungspolitisch tätige Person ist es leider nicht zu empfehlen, darauf zu warten, dass die Bildungspolitik sich in Österreich massiv verändert, auch die Struktur. So schnell wird das einfach nicht sein. Insofern müssen manche Dinge auf Risiko basieren. Es muss on the job nachgeschult werden. Es müssen manchmal auch Risiken eingegangen werden, dass man Personen mit, die vielleicht nicht genau on point ausgebildet sind, aber die man dann reinholt und sagt, na, das Risiko gehe ich jetzt ein, weil da gibt es einen Brückenschlag, der interessiert mich und das möchte ich weiterverfolgen.

Fabian Burstein
Ist ja auch im Prinzip ein Appell für eine Vielschichtigkeit, was auch Kulturverwaltung betrifft, weil da haben wir auch diese Repräsentationsprobleme, die dann zur Folge haben, dass natürlich diejenigen, die in Verantwortung sind, tendenziell so ein Peergroup Thinking vielleicht an den Tag legen. Ich will aber von dieser allgemeinen Ebene dann doch wieder ein bisschen zurückkommen auf die praktische, denn so weit bist du ja dann auch wieder nicht vom operativen Kulturgeschäft weg, weil es gibt ja durchaus Institutionen bzw. Einrichtungen, die deinem Bereich zugeordnet sind, soweit ich das weiß, und die ganz konkret Kultur machen, zum Beispiel das Theater Akzent. Wie führt ihr, weil wir gerade beim Theater waren, wie führt denn ihr solche Theater Partizipations-, Teilhabegerechtigkeits-Debatten? Mir ist jetzt völlig klar, dass du nicht die Theaterleiterin bist, das heißt, ich würde dich jetzt nicht festnageln wollen, ist das und das so und so, Aber mich interessiert, welche Diskussionen führt ihr da intern, um so eine Institution auf einen Weg zu bringen, der dementsprechend, wie du es skizziert hast.

Ilkim Erdost
Also einerseits sind wir natürlich ebenso in dem Spannungsverhältnis auf der einen Seite eine gewisse Frequenz und Publikumszahl vorweisen zu können, einfach aus wirtschaftlichen Gründen und natürlich auch, weil hier Ressourcen eingesetzt werden, das muss nach was gleich schauen. Also da sind wir nicht davor gefeit und auch in keiner Käseglocke. Das heißt, es braucht eine gewisse Breite. Es braucht all die Kooperationen, die alle Theaterhäuser machen und es braucht sozusagen diese Breite in dem gesamten Publikum, im gesamten Programmspektrum. Und auf der anderen Seite aber auch Wagnisse einzugehen, indem man eben schaut, okay, wie kann ich Zielgruppen hineinholen, beziehungsweise Kooperationen hineinholen, die vielleicht sonst keine Chance auf eine große Bühne hätten? Und drittens aber auch eben Kooperationen. Zum Beispiel wir haben eine Kooperation mit den Wiener Festwochen, wo auch die Produktionen im Haus stattfinden, wo wir eher schauen, dass das Publikum dann entsprechend divers ist und wo wir versuchen, nicht nur, aber auch sozusagen durch unsere Netzwerke und durch den freien Eintritt eine breitere Teilhabe zu ermöglichen. Es ist aber ein Spannungsverhältnis, weil dieses einerseits sozusagen punktuell kooperieren, Wagnisse, Risiken eingehen, unterschiedliche Communities hineinholen und auf der anderen Seite aber breite Frequenz und Publikumszahlen vorzuweisen und zu generieren, das steht sich manchmal im Weg.

Fabian Burstein
Ich bin ein Kind des vierten Bezirks, ich bin da aufgewachsen und ich beobachte folgendes Phänomen. Viele Menschen wissen nicht einmal, dass Akzent für AK steht, also Arbeiterkammer Zentrum, Akzent. Und das ist etwas, das wundert mich schon lange, also auch lang vor der Zeit, bevor du da warst, warum diese Identität, die ja eigentlich ein Asset wäre aus meiner Sicht, warum die eher so ein bisschen verstehen, das wäre ja eigentlich ein Alleinstellungsmerkmal, dass man angehängt ist als Theater an eine große sozialpolitisch relevante Arbeiterinnen-, Arbeitnehmerinneninstitution und dass man diese Kraft mit reinnimmt in das Haus. Ist das eine Wahrnehmung, wo du sagen würdest, es ist eine Frechheit, das stimmt überhaupt nicht oder wo du okay, da ist vielleicht ein bisschen was Wahres dran, aber das hat folgende Gründe.

Ilkim Erdost
Du legst den Finger in das nächste Spannungsverhältnis, nämlich wie viel Freiraum gibt man einer Kunstinstitution, einer Kulturinstitution, in dem man nicht sozusagen als Arbeitnehmerinnenvertretung die Hand immer drauf haben möchte auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite, wie viel Nähe braucht es damit auch klar ist, wer da dahintersteht? Und diese Diskussion ist auch eine erschöpfende. Aber ich gebe recht, wir sind da auch in der Verantwortung zu zeigen. Gerade dieses Angebot, das niederschwellig divers ist, wo viele Schülerinnen und Schüler daran teilhaben können, das würde es ohne der Arbeiterkammer nicht geben. Und es ist auch Gegenstand unserer Zukunftsüberlegungen, die wir in diesem gesamten Areal haben, den wir immer mehr als Arbeiter, also als AK Campus sehen, wo einerseits eben das Akzent dazugehört, daneben ist unser Bildungszentrum, wo die gewerkschaftliche Bildung stattfindet, Betriebsräte, Schulungen, die SOZAG, sozusagen die Sozialakademie mit den Gewerkschaften umgesetzt wird und dann Richtung Plösslgasse, das ist die andere Seite dieses Blocks, entsteht jetzt das YOCA Youth Campus, auch eine Liegenschaft, die der Arbeiterkammer gehört, wo wir ein Haus für junge Arbeitnehmerinnen entwickeln und wo es 10.000 Quadratmeter angebotsgeführte Nutzfläche gibt. Das heißt, da werden 10.000 Quadratmeter eingesetzt, um jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterschiedlichste Angebote zur Verfügung zu stellen, von Ausstellungsflächen über Makerspaces, über verschiedene Teilhabemöglichkeiten und und und. Also Arbeitswelt und Schule zum Beispiel hat Planspiele, die dort stattfinden werden. Da wird es einerseits um Bildung und Schulung gehen, natürlich alle Themen, die den Arbeitsmarkt betreffen, aber auch um politische Teilhabe, um politische Ermächtigung. Und das passt sich sozusagen in diesen block mit dem Anton Benya Park in der Mitte perfekt ein und muss auch in Zukunft stärker noch als Arbeiterkammer Campus statt-, also wahrgenommen werden.

Fabian Burstein
Aber wie darf man sich das vorstellen? Da ist ja dann ein Brownfield oder nein, es ist eigentlich kein Brownfield, sondern ein Greenfield. Also da ist schon was, aber das ist sozusagen jetzt noch nicht so entwickelt. Steht ihr da vor einem Reißbrett und tragt die verschiedenen Nutzungsformen ein, gemäß eurer Erfahrungswerte? Werdet ihr da gezwungen, ermuntert oder sogar aus eigener Antwort seid ihr da in Partizipationsprojekte mit Bürgerinnen und Bürgern involviert. Wie darf man sich das vorstellen? Weil an und für sich städteplanerisch ist das ja eine Traumsituation. Ich habe 10.000 Quadratmeter und die gestalte ich jetzt einmal aus entlang einer Agenda, die ich hab.

Ilkim Erdost
Wir haben von Anfang an in diesem Projekt YOCA auf Beteiligung gesetzt. Dieser Jugendcampus Youth Campus bzw. dieses Bildungsgebäude der Arbeiterkammer kann und soll nur mit der Beteiligung von jungen Menschen entstehen. Da ist ein Beteiligungsprozess dem zuvor gelagert gewesen, wo hundert Personen, also Jugendliche, junge Arbeitnehmerinnen, Lehrlinge, Vertrauensräte, Vertrauensrätinnen bzw. Auch natürlich Schülerinnenvertreter und so weiter in einem Prozess sich überlegt haben, was würden sie sich denn wünschen von einem Gebäude, das ihnen zur Verfügung steht und das für sie unterstützend sein soll. Und die Unterlagen, die in diesem Prozess entstanden sind, war ein wahnsinnig spannender, auch für mich sehr, sehr lehrreicher Prozess, sind in die Ausschreibungsunterlagen eingeflossen, waren die Grundlage des Architekturwettbewerbes, der dem dann nachgelagert war. Und der Architekturwettbewerb wurde dann zweistufig durchgeführt, ebenfalls begleitet durch eine Gruppe an jungen Menschen, die in der Vorprüfung sozusagen als zukünftige Nutzer immer beigezogen waren und ähnlich wie die Vorprüfer, die zum Beispiel Nachhaltigkeitsthemen analysiert haben, wo es darum ging, wie ist der Entwurf in Richtung Energieverbrauch, wie sind die Materialitäten, wie viel Co2-Ausstoß etc.

Und die Jugendbeteiligung hat sich damit auseinandergesetzt, wie sehr und wie wahrhaftig ist der Entwurf, der hier vorliegt, an dem dran, was sozusagen der Beteiligungsprozess im Vorfeld eben gezeigt hat. Und das, was sehr spannend war an diesem Prozess, war nicht nur, mit was für einer Ernsthaftigkeit die jungen Menschen an diesen Beteiligungsprozess herangegangen sind, sondern auch, wie sehr sie eigentlich sozusagen an Zukunftsthemen selbst schon dran sind, die im Arbeitsleben und im Bildungswesen jetzt schon Fragezeichen bei uns als Erwachsene hervorrufen. Also wie möchte man mit der Natur der Transformation umgehen, was bedeutet Digitalisierung im Bildungswesen Und da auch so flexibel zu sein, dass sozusagen Räume, die vielleicht jetzt wie am Reißbrett gefüllt werden mit Ideen, aber auch veränderbar sind, weil wir bauen da jetzt ein Haus, es kann sich in 10 Jahren die Arbeitswelt noch einmal drastisch verändern, genauso drastisch, wie es sich in den letzten 10 Jahren verändert hat. Oder vielleicht sogar schneller und dann in der Lage zu sein, in diesem Haus auch Veränderungen durchzuführen. Das war auch eben einer der Paradigmen, die wir uns da unterworfen haben.

Fabian Burstein
Nun würde wahrscheinlich niemand sagen, dass diese Form von Partizipation falsch ist. Sie ist sicher richtig und man muss das so machen. Und ich finde es auch schön. Gleichzeitig gibt es natürlich schon ein sehr romantisiertes Bild von Bürgerinnenbeteiligung. Ich habe Bürgerbeteiligungsprozesse bei Konversionsflächen erlebt, die albtraumhafte Züge gehabt haben, weil sich Leute gestritten haben, weil am Ende über die Gestaltungsmöglichkeit erst wieder nur selbstsüchtige, lobbyistische Positionen vertreten wurden und so weiter. Das ist natürlich nicht immer so, aber das kommt vor. Plus wir wissen natürlich auch mittlerweile, dass tendenziell immer dieselben Menschen an Bürgerbeteiligung teilnehmen, eben nicht die Leute, die du beschrieben hast, weil die manchmal auch keine Zeit haben und keine Zugänge haben, um sich da reinzuleben. Jetzt aus deiner wirklich sehr praxisnahen Erfahrung aus allen Institutionen, die du begleitet hast, wie organisieren wir denn realistisch Bürger Innenbeteiligung, dass das nicht so ein romantisches Passwort Thema ist, sondern dass das auch wirklich einen Sinn ergibt?

Ilkim Erdost
Eine Sache hast du eh schon angesprochen, man muss auf die Zusammensetzung der Teilnehmenden achten. Es nützt nichts. Und das ist eben genauso anstrengend, wie es anstrengend ist, Kulturinstitutionen zu öffnen, wie es anstrengend ist, im Recruiting aufzupassen und da Risiken einzugehen. Also das sind alles aufwendige Themen, aber natürlich Beteiligung findet nur dann statt, wenn die Zusammensetzung auch der entsprechenden zukünftigen Nutzerinnengruppe, wie es in unserem Fall war, entspricht. Und da haben wir uns sehr viel angetan und haben uns das auch von Anfang an sehr, sehr genau angeschaut.

Und der zweite Aspekt ist, Beteiligung muss völlig Abstand nehmen von Partikularinteressen. Und das ist eine Frage der Gestaltung und der Moderation. Wenn es eben nur mehr darum geht, dass ich meine eigenen Interessen als Anrainer, als zukünftiger Nutzer oder Nutzerin durchsetzen möchte, dann hat natürlich der Beteiligungsprozess ein Problem bzw. dann wird er zur Farce. Und da gilt es, und das ist eine Frage, da braucht es hohe Professionalität, vor allem auch einen informierten Prozess. Das heißt die übergeordnete Sachebene. Worum geht es uns denn? Was sind denn unsere Bedürfnisse und was ist denn mein Interesse, das ich jetzt, wenn man alleingelassen ist, unbedingt durchsetzen möchte? Aber was ist mein dahinter gelagertes Bedürfnis und woher nährt sich das?nUnd wie kann man aus diesem Bedürfnis ein kollektives Interesse generieren? Wenn das nicht gelingt, dann hat der Beteiligungsprozess natürlich keine Chance, denn es geht in der Beteiligung bzw. in solchen Beteiligungsprozessen kann es nur um kollektive Interessen gehen und kann es nur um gemeinsame Interessen und politische Interessen gehen, dann hat das auch sozusagen eine fruchtvolle Wirkung für die Zukunft.

Fabian Burstein
Ich muss zum Abschluss unseres Gespräches natürlich noch ein bisschen auf die tagespolitische Ebene eingehen. Es ist jetzt so, dass einer der Eurigen, einer der Shooting Stars der aktuellen Regierung ist, also unser Finanzminister war in der Arbeiterkammer Abteilungsleiter, glaube ich, und reüssiert gerade mit Nüchternheit, mit Sachkenntnis. Also da gibt es einen sehr, sehr breiten Konsens, dass das eine gute Besetzung war. Wurscht, ob man jetzt weltanschaulich mit allem einverstanden ist oder nicht, aber es stellt niemand in Frage, dass das ein gescheiter und kompetenter Finanzminister ist. Beim Thema Kulturpolitik haben wir ein bisschen ein Problem. Mein Gefühl ist, dass viele Menschen dem derzeitigen Vizekanzler, Kulturminister großes sozialpolitisches Engagement attestieren. Auch da, wie auch immer man das findet, aber die kulturpolitische Ebene, auch die medienpolitische Ebene, gibt sukzessive Grund zur Sorge, um das jetzt einmal vage und diplomatisch auszudrücken. Was könnt ihr da tun? Ich will jetzt gar nicht von dir eine Positionierung, wie du das siehst, aber wie kann man da lobbyistisch einwirken, dass dieses Thema wesentlich, wesentlich substanzieller bearbeitet wird, als das derzeit der Fall ist?

Ilkim Erdost
Die Regierung hat insgesamt ein Problem und das ist, dass kein Geld da ist. Also es gibt sozusagen nicht die Möglichkeit, die man in früheren Konstellationen manchmal gemacht hat, nämlich Probleme oder knifflige Fragestellungen mit Geld zu bewerfen. Diese Möglichkeit fällt aus und nicht nur das, sondern sie muss auch Kürzungen vornehmen und damit verdient man sich in der Regel keinen Blumenstrauß und auch keine Beliebtheitswerte. Darüber hinausgehend betrachte ich sozusagen schon seit Beginn meiner Karriere, dass gerade Kunst und Kulturförderung immer ein Opfer von wirtschaftlichen Krisen ist. Genauso wie sozusagen vor allem sozusagen gesellschaftspolitische Themen, Frauenförderung immer ein Opfer von wirtschaftlichen Krisen ist und immer gerne. Da muss auch die budgetäre Situation noch nicht so schlecht sein, wie sie jetzt im Moment ist, aber gleich einmal sozusagen eingespart werden kann, weil sie gegenüber materiellen oder wirtschaftlichen Interessen zurücksteht. Und da kommt man schwer aus und da sind wir sozusagen immer wieder gefordert und täglich grüßt das Murmeltier auch immer wieder aufs Tapet zu bringen, dass Kunst und Kultur nicht nice to have ist, sondern inhärentes Bestandteil vom Menschsein und wir nur in der Lage sind, Veränderung zu denken oder Veränderung voranzutreiben, wenn wir uns künstlerischen Prozessen aussetzen. Das ist sozusagen also da kommen wir nicht aus und das sehe ich auch als eine der Aufgaben, die uns Teil wird.

Es gibt einen Lichtblick, sagen wir mal so. Ich versuche es positiv, weil wir am Ende sind, positiv zu schließen. Und das ist die Bildungspolitik. Da gibt es offensive Mittel und da ist es tatsächlich gelungen, mit dem Chancenbonus eine verteilungspolitische Tangente in die Schulförderung reinzubringen. Das macht uns Spielräume in der Schule auf, um sozusagen jene Schulen, die schwierige Voraussetzungen haben, besser materiell auszustatten. Das Gleiche würde ich mir für die Kunst und Kultur wünschen, nämlich zu sagen, wir schauen gerade dorthin, wo Personen vielleicht partizipieren oder auch Menschen erreicht werden, die existenzielle Kämpfe ausfechten, die vielleicht in Nachbarschaften wohnen, wo Kunst und Kultur nicht nur sozusagen nice to have ist, sondern auch Teil der Sozial und Integrationspolitik. Und dort setze ich weniger den Sparstift an, sondern dort gibt es vielleicht sogar Offensivmittel. Das würde ich mir wünschen.

Fabian Burstein
Ich verstehe den Standpunkt. Das ist aber ein stark fördermittelgetriebener Standpunkt. Was hindert den Kunst- und Kulturminister daran, sich hinzusetzen und beispielsweise eine Strategie, eine Flottenstrategie für seine Bundeseinrichtungen zu schreiben? Es gibt Leute, die sagen, er kann es nicht und er hat nicht die Leute um sich, die es können. Aber das finde ich eine negative, also das finde ich eine zu negative Einordnung jetzt einmal oder vielleicht auch eine zu bösartige Einordnung. Aber da seid ihr das prototypische Beispiel. Ihr betreibt ja auch nicht Arbeitsmarktpolitik, indem ihr nur Arbeitsmarktfördermittel freisetzt, sondern eine strategische Vision zu dem Thema findest. Müsste man da nicht viel stärker Druck ausüben und das einfordern?

Ilkim Erdost
Also ich habe einerseits versucht, auch ein bisschen zu skizzieren, was ich als unsere Aufgabe sehen würde, was wir einfordern können, warum der Vizekanzler sich sozusagen dieser Frage nicht so stellt, wie du das skizziert hast, vielleicht ein Thema für eine nächste Podcast Folge.

Fabian Burstein
Er kommt nicht. Ich habe schon zwei oder dreimal gefragt, aber mir geht es wie im Falter. Er kommt einfach nicht. Ich möchte sehr herzlich danken für diese sehr intensive, auch vor allem sehr substanzielle Bühneneingangfolge.

Ilkim Erdost
Dankeschön.

Fabian Burstein
Wo wir über eigentlich eine persönliche Biografie herausgearbeitet haben, eine berufliche Biografie, was für kulturpolitische Themen es neben der eigentlichen Kunstbetrachtung eigentlich gibt. Und ich glaube, das ist das Feld, das uns in Zukunft viel eher beschäftigen müsste als ästhetische Fragen. In diesem Sinne herzlichen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast und vielleicht bis bald mal.

Ilkim Erdost
Vielen Dank. Danke.

Autor:in:

Fabian Burstein

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.