Die Dunkelkammer
History. Eisenerz, April 1945: Massaker mit Zuschauern
- hochgeladen von Maximilian Langer
In jeder Gemeinde von Rechnitz über Graz und Leoben bis nach Mauthausen müsste ein Mahnmal stehen, eingraviert die Namen der ungarischen Jüdinnen und Juden, die bei Todesmärschen im April 1945 am helllichten Tag erschlagen und erschossen wurden. Im steirischen Eisenerz steht eines.
Christa Zöchling
Guten Tag, hier ist Christa Zöchling. Ich begrüße Sie zur neuen Dunkelkammer aus der Reihe History. Und wieder wirft Vergangenes einen Schatten auf das Heute. Und ich muss mich entschuldigen, ich bin leider etwas verschnupft. Diese Episode war so nicht geplant. Ein guter Freund, der Lyriker Stefan Eibel, der sich jahrelang Stefan Eibel Erzberg nannte, weil er von dorther stammt, hat sich vor kurzem bei einem privaten Abendessen heftig über den Bürgermeister der Stadt Eisenstadt alteriert. Der Dichter ungefähr Die weigern sich, eine Tafel mit den namentlich bekannten Opfern des Todesmarsches anzubringen.
Vor Jahren schon haben sie es versprochen und nix ist geschehen. Oh doch, es ist schon was geschehen. Eines von zwei Kriegerdenkmälern in der Gegend haben sie erst vor zwei Jahren restauriert. Dafür war schon Geld da. Seitdem pfeife ich auf den Namenszusatz Erzberg. Ich hielt die Aufregung des Freundes für etwas übertrieben. Ich kenne Eisenerz als eine Stadt, die unglaublich viel für die Aufarbeitung des Massakers an den ungarischen Juden am 7 April 1945.
Spät, aber doch und gründlich. Der damalige Vizebürgermeister und Lehrer Gerhard Niederhofer von der ÖVP war treibende Kraft dabei gewesen. Historiker und Historikerinnen wie Heimo Halbreiner, Leonore Lapin, Christian Ehetreiber, Eisenerzer Lehrer und Lehrerinnen und Jugendliche haben sich daran beteiligt. Ein Theaterstück ist entstanden. Die Lehrpläne in den Eisenerzer Schulen wurden geändert, denn die Jugend sollte wissen, was in ihrer nächsten Umgebung geschehen war. Jedes Jahr wird auch ein Gedenkmarsch durchgeführt.
Die Nachkommen von Tätern recherchieren ihre Familiengeschichte. Das ist ziemlich einzigartig, dieses Beispiel in Eisenerz. Im Jahr 2004 wurde auf der Passhöhe des Präbichl ein Mahnmal aufgestellt, entworfen von Schülern und Schülerinnen. Zur Einweihung waren tausend Leute gekommen und zwei überlebende Bela Budai aus Szombathely und Juditha Hruza, die aus den USA angereist kam. Sie waren unter den ungarischen Juden gewesen, die am 23. März 1945 vom Lager in Kösek über die Grenze ins burgenländische Rechnitz getrieben und ins Schloss Rechnitz eingeliefert wurden.
Nazideutschland war im April 1945 am Ende, die Rote Armee stand vor Budapest, doch Adolf Eichmann und sein Sonderkommando hatten bis zuletzt auf sogenannte Leihjuden wie für die deutschen Rüstungsbetriebe und Schanzarbeiten am Südostwall gepocht. In Akten ist von 50.000 die Rede. Als die Rote Armee näher rückte, wurden die sogenannten Schanzjuden, wie man sie nannte, ostwärts getrieben. Ziel, Konzentrationslager Mauthausen. Einige 10.000 kamen dabei ums Leben, vielleicht sogar mehr. Die Schätzungen gehen bis zu 40.000. Von Wachmannschaften erschossen, erschlagen in unzähligen Massengräbern verscharrt. In über 150 österreichischen Gemeinden wurden nachweislich Morde an ungarischen Juden verübt, im Zuge dieses Todesmarsches.
Schon in Rechnitz, waren die, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten, in einer Nacht auf LKWs verladen worden und irgendwo auf Feldern oder Wiesen erschossen. Ein blutiges Massaker verübt, auch von den Gästen, die Stunden zuvor im Schloss der Gräfin Margit Battiani exzessiv gefeiert und getrunken hatten. Wo die Ermordeten verscharrt worden waren, ist bis heute unbekannt. Keiner aus dem Dorf hat jemals geredet. Es gab einen Prozess im Jahr 1948, doch die Hauptangeklagten waren flüchtig und von den Rechnitzern wollte niemand etwas mitbekommen haben. Zwei Zeugen, die Aussagen wollten, wurden kurz vor dem Gerichtsverfahren umgebracht.
Man sprach damals von Fememorden, weil sie Ort und Täter verraten hätten. Von dem, was in Rechnitz geschah, hat Hruza damals mitbekommen, dass von den Kameraden, die mit Spaten ausgestattet in Lastwägen gepfercht worden waren, keiner zurückkam. Judith Hruza und Bela Budai wurden mit tausenden anderen quer durch die Oststeiermark getrieben, über Graz, Leoben, Eisenerz nach Mauthausen. Ein Elendszug aus verhungerten Gestalten mit zerfetzten Kleidern, die Lappen um die Füße gebunden, ohne Schuhe, viele Barfuß. Bewacht wurden sie von halbwüchsigen Hitlerjungen, SS-Männern, Volkssturm-Männern, Polizei und Gendarmerie. Alle vier Tage bekamen sie zwei Kartoffeln, eine Rübe, einen Becher Suppe. Etwa 170 Kilometer hatten sie zurückgelegt, als sie am 7.
April am Präbichl ankamen. Mehr als zwei Wochen waren sie dafür unterwegs gewesen zu Fuß. Sie kamen durch jedes Dorf und überall stießen sie auf hämische Gesichter oder dreiste Neugier. Was Juden gibt's noch? Gebrüllt wurde Saujuden, schneller, schneller, erinnerte sich Budai. Auf der Strecke blieben Menschen entkräftet liegen, erschlagen, getreten, erschossen.
Leichen wurden in nahe Bäche geworfen, in schnell ausgehobene Gruben. Es gab am Ende von Kolonnen, Einheiten, die nur für diese Aufräumarbeiten zuständig waren. In Graz waren Anfang April drei Transporte hintereinander angekommen. Bei Tageslicht schleppten sie sich die Riesstrasse hinunter in die Stadt. In drei Himmelsrichtungen wurden sie auf Lager aufgeteilt, Andritz, Wetzelsdorf und Liebenau. Jeder Grazer, jede Grazerin muss davon etwas bemerkt haben, denn es ging mitten durch die Stadt.
Im Gymnasium in den 1970er Jahren habe ich darüber nichts gehört, obwohl wir eine Schule mit jungen Lehrern und einer sozialdemokratischen Direktorin waren. Erst im Jahr 2012 wurde in der Belgierkaserne, in Graz Wetzelsdorf, ehemals Kaserne der SS, ein Massengrab gefunden mit mehr als 200 Leichen. Unter den identifizierten Opfern waren mehrheitlich ungarische Juden. Im April 1945 war in höheren Lagen morgens manchmal das Gras gefroren, einmal hat es sogar geschneit. Übernachten mussten, die am Todesmarsch Beteiligten, immer im Freien. Nach zwei, drei Tagen in Graz ging es an der Mur entlang nach Leoben. In Frohnleiten verweigerte die Volkssturmeskorte geschlossen den Befehl ihres Kommandanten, Juden zu erschießen.
Das war einzigartig. Ganz selten ließen Volkssturm Männer Nachzügler, die nicht mehr weiter konnten, auf Pferdefuhrwerke aufsteigen. Doch eine erschreckend große Anzahl von Volkssturmmännern und Gendarmen mordete. Es war nicht nur die SS. Sie kamen vorbei an Häusern und Siedlungen, ausgemergelte Gestalten. Zeitzeugen berichten, dass die Menschen bei einer Rast das Gras von den Wiesen aßen, auch Würmer und anderes Getier.
Die Gendarmeriechronik von Sankt Peter-Freinstein vermerkt: die Juden waren derart abgemagert, dass sie kaum noch gehen konnten. Zwei dieser Entkräfteten, von denen die Chronik spricht, wurden von Josef Juvanschitz, einem Arbeiter in St. Freinstein, in seinem Haus versteckt, unter Lebensgefahr. Hie und da warf ihnen jemand ein Brot zu, einen Apfel oder ein Eimer mit Kartoffeln wurde auf die Straße gestellt. Maria Mauns, eine Bäuerin aus Landl, das ist weiter oben nach Eisenerz, gab Erdäpfel, Suppe und Brot aus. Die, die so handelten, wurden nicht nur von der SS, nein, sie wurden auch von den Zuschauern, von den Passanten massiv bedroht. Wenn jemand half, geschehen ist diesen menschen nichts.
Am 7.April 1945 sind 6.000 bis 7.000 ungarische Juden und Jüdinnen vom Eisenerzer Volkssturm und dem Chef der Eisenerzer Polizei am Fuße des Präbichl übernommen worden. Eine sogenannte Alarmkompanie des Volkssturms, angeführt von Ludwig Krenn, war am Vorabend bei viel Wein darauf eingeschwört worden, möglichst viele zu ermorden. Ich zitiere aus Gerichtsakten: Der, der die meisten Juden erschießt, bekommt einen Liter Wein und für jeden getöteten Juden gibt es eine Zigarette, so Krenn, und jeder, der sich feig zeige, werde von ihm persönlich erschossen. Die Kompanie führte dann gleich einmal Schaufeln für die Gräber mit sich. 7. April 1945, die Menschen schleppen sich die steile Straße hinauf. Ein Schneetreiben setzt ein.
Die Wachmannschaften hatten befohlen, die Schwächsten an die Spitze zu stellen. Gegen 14 Uhr erreichen die ersten langsam die Passhöhe. In einer Kurve eröffnet die Alarmkompanie das Feuer. Die Ersten werden niedergemäht und von den Nachkommenden überrannt, die über ihre Leidensgenossen stürzen und ihren Mördern ein leichtes Ziel bieten. Auch Judith Hruza ist an dieser Stelle um ihr Leben gelaufen. Es haben nicht alle Volkssturmmänner geschossen. Die, die nicht geschossen haben, haben versucht, nicht aufzufallen.
Nach 45 Minuten wird das Massaker auf Befehl eines SS-Truppenführers beendet. Etwa 250 Menschen sind tot. Ludwig Krenn sagt dann gegenüber der SS, es sei doch geplant gewesen, dass nur noch tausend in Hiflau ankommen. Aber er hatte auch vorgesorgt. Noch während des Massakers war im Volkssturm ausgegeben worden, auf der Flucht erschossen. Und Krenn machte schon zwei Tage später weiter mit den nächsten ankommenden Kolonnen.
Am 7.April war der Todesmarsch für mehrere Stunden stillgestanden, denn die Straße wurde von Leichen geräumt die in der Seeau in neu ausgehobene Gruben geworfen wurden. Die jüdischen Schaufler wurden ebenfalls erschossen. Über Hiflau ging der Zug weiter nach Mauthausen. Auch das Morden ging weiter. Sie wurden in ein Nebenlager von Mauthausen nach Gunskirchen getrieben, ein gerodetes, eingezäuntes Waldstück mit ein paar Baracken und tausenden Menschen im Freien. Bis zu Kriegsende gab es hier täglich geschätzt 200 Tote. Die Menschen starben an Flecktyphus und an Hunger und an Erschöpfung, vielleicht auch an Verzweiflung.
Schon drei Wochen nach Kriegsende berichtete eine Zeitung der Freiheitskämpfer unter dem Titel "Eisenerz war Zeuge", vom Massaker in Eisenerz. Ein Jahr Später, im April 1946 standen in Graz 18 Angeklagte vor einem britischen Militärgericht. Graz war ja britische Zone gewesen. Die Richter verhängten zwölf Todesurteile, unter anderem gegen Ludwig Krenn, von dem bereits die Rede war, Otto Christhandl, NS Kreisleiter von Leoben, und den Volkssturmmann Anton Hirner. Die anderen wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch sehr bald begnadigt. Der letzte Verurteilte wurde 1953 aus der Haft entlassen. Vor Gericht spielte es sich so Die Hauptangeklagten Kreisleiter, Kompanieführer schoben jede Verantwortung von sich.
Die Volkssturmmänner sprachen sich ab. Justizbeamte fanden bei einer unangekündigten Leibesvisitation, Zettel, die sie hin und her geschmuggelt hatten. Ich zitiere aus einem Aufsatz von Heimo Halbreiner. Das ist ein Zitat aus diesen Nachrichten, die Sie sich haben gegenseitig zukommen lassen. "Ludwig Ich habe dich bei meiner ersten Aussage schwer belastet, weil du damals ja geflüchtet warst. Du musst dich jetzt auf dem Pilke ausreden. Ich hoffe, dass du mir hilfst, wenn du gefragt wirst."
Das Ganze ging nach dem Du hast mich nicht bei der Schießerei gesehen. Dafür habe ich dich nicht gesehen, als du den Juden zu Tode geprügelt hast. Doch es hatte Zuschauer gegeben, die auch aussagten, anders als in Rechnitz und Benedikt Fuhrmann, selbst Zeuge des Todesmarsches, der über das Gaberl führte, denn es gab mehrere Routen und mehrere Kolonnen, wurde von den Briten mit der Recherche beauftragt und konnte eine ganze Reihe von Überlebenden ausfindig machen. Überlebende des Todesmarsches hatten sich nach der Befreiung 1945 auch in einem Flüchtlingslager in Admont wiedergefunden. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Massengräber ausgehoben wurden und die Toten ordentlich bestattet. Sie sammelten auch Geld für einen Gedenkstein. So kam es zu einem jüdischen Friedhof in der Seeau, der aber immer abgesperrt war.
Im Jahr 1970 stellte der damalige Eisenerz Bürgermeister Fritz Moll, ein Sozialdemokrat, bei der Kultusgemeinde Graz den Antrag, den Friedhof auflösen zu dürfen. Wegen, ich zitiere, Unverträglichkeit mit dem Tourismus. Wanderer kämen vorbei und fragten, was da war und so weiter. In der Volksschule hatte man Stefan Eibel und den anderen Kindern erklärt, der abgesperrte Friedhof sei ein Türkenfriedhof, aus der Zeit der Türkenbelagerung. Als die Kinder einmal über das Gitter kletterten, sahen sie fremde Schriftzeichen auf Steinen Türkisch halt. Als der Teenager Eibel es besser wusste, schrieb er ein Gedicht mit dem Titel Schrei in der Seeau und bot es der Kirchenzeitung zum Abdruck an. Der Pfarrer sagte, es sei noch zu früh. Judith Hruza kam 1965 nach Eisenerz zurück auf die Präbichl Basshöhe, wo sie als 19-Jährige um ihr Leben gelaufen war.
Aber da war nichts, was daran erinnerte. Sie klaubte einen Stein auf und nahm ihn mit. Im Geplauder mit einem Kaufmann in Trofaiach, bei dem sie Ansichtskarten erstand. Woher kommen Sie? Was hat sie hierher geführt? Ich habe das Massaker am Präbichl überlebt. Sagte ihr der Kaufmann ins Gesicht, das angebliche Massaker am Präbichl sei nur kommunistische Propaganda. Er sagte, Niemand wurde hier erschossen, vielleicht ein oder zwei, die flüchten wollten.
Es gibt ein Foto vom Todesmarsch. Das wurde nach dem Massaker bei Eisenerz in Hiflau aufgenommen, fotografiert aus einer Dachluke heraus. Man sieht eine Kolonne entkräfteter Menschen, dicht an dicht, einer den anderen stützend, die sich die Häuser entlang schlängelt, eskortiert von bewaffneten Männern und ein Hitlerjunge starrt sie an. Der Todesmarsch war ein Massenmord mit Zuschauern. Brigitte Herner, die Enkelin eines der zum Tode verurteilten Täter, hatte die Courage, ihre Magisterarbeit darüber zu schreiben. Ihren Vater hat sie nie gefragt, aber jetzt sprach sie mit der ganzen Verwandtschaft, mit allen, die noch lebten, und es tat weh. Allen. Eisenerz hat unglaublich viel getan für die Aufarbeitung.
Dass es jetzt unbedingt noch eine Namenstafel der Opfer braucht, wurde mir klar, als ich Auszüge aus dem Gedenkbuch des Mahnmals las. Eine zufällige Seite, einer hatte keine Botschaft wie Nie wieder hineingeschrieben, sondern seine Auschwitz Nummer. Der Historiker Halbreiner hat mit Hilfe von Gerichtsakten und dem Archiv in Yad Vashem etwa 40 Opfer namentlich identifiziert. Vergangene Woche habe ich im Gespräch mit dem noch immer engagierten ehemaligen Vizebürgermeister Gerhard Niederhofer erfahren, dass es die Namenstafel bereits seit ein paar Monaten gibt. Seltsam, dass sich das nicht herumgesprochen hat. Und ich denke mir, auch eine sinnlose Aufregung wie von Stefan Eibel erfüllt manchmal ihren Zweck, denn ohne Eibels Tirade hätte ich die Geschichte nicht recherchiert und geschrieben. Und damit verabschiede ich mich von Ihnen und bedanke mich fürs Zuhören. Ihre Christa Zöchling bis zum nächsten Mal.
Autor:in:Maximilian Langer |