Ist das wichtig?
Wöginger muss noch einmal vor Gericht
- hochgeladen von Georg Renner
DIe Diversion im Amtsmissbrauchs-Prozess gegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger und zwei Finanzbeamte ist aufgehoben worden. Der Oberösterreicher soll einen führenden Beamten im Finanzministerium, Thomas Schmid, angestiftet haben, das Besetzungsverfahren für die Leitung des FInanzamts Braunau zu manipulieren, damit ein Parteifreund den Job bekommt - wodurch eine wesentlich besser qualifizierte Kollegin übergangen worden ist.
Wollt Ihr mehr wissen?
- Hier die Medienmitteilung des OLG Linz über die Aufhebung der Diversion:
https://www.justiz.gv.at/olg-linz/oberlandesgericht-linz/medienstelle/pressemitteilungen/verfahren-august-woeginger-pressemitteilung-vom-10-dezember-2025.11a6.de.html - Hier kannst Du Wögingers Stellungnahme nachschauen:
https://on.orf.at/video/14303723/stellungnahme-von-oevp-klubobmann-woeginger-zu-seinem-verfahren - Kollege Philipp Aichinger hat in der "Presse" einen Kommentar zur Diversion an sich verfasst:
https://www.diepresse.com/20397042/woeginger-vor-gericht-grasser-zu-hause-das-ist-recht
Transkript:
idw113 – Der Fall Wöginger
Hi, grüß euch und herzlich willkommen bei „Ist das wichtig?" vom 13. Dezember. Wir reden heute wieder über August Wöginger. Der ÖVP-Klubobmann will nämlich auch dann ÖVP-Klubobmann bleiben, wenn sein Prozess wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch gegen ihn ausgehen sollte – also wenn er verurteilt wird. Moment, werdet ihr jetzt sagen: Georg, du hast uns vor ein paar Monaten erzählt, Wögingers Prozess ist vorbei, mit einer Diversion erledigt worden. Richtig – nur hat sich das auch diese Woche geändert.
Die Diversion ist aufgehoben worden und der Prozess muss jetzt fortgesetzt beziehungsweise überhaupt einmal von Anfang an durchgeführt werden. Und was dabei herauskommt, ist völlig offen. Wir werden das in den nächsten paar Minuten wie üblich in unseren sieben Fragen aufgliedern und erklären: Wer ist dieser Wöginger überhaupt? Warum wird über diese Diversion diskutiert? Und ist das ein wichtiges Verfahren? Betrifft uns das in irgendeiner Form?
Mein Name ist jedenfalls Georg Renner, ich bin seit 18 Jahren politischer Journalist und das hier ist „Ist das wichtig? Politik für Einsteiger" – ein Podcast, in dem wir aktuelle politische Nachrichten so erklären, dass man sie auch nebenbei gut verstehen kann.
Also Georg, was ist passiert?
Fangen wir ganz kurz mit einer Wiederholung an. Worum geht es da überhaupt? Was ist das für ein Fall? 2017 ist der Chefposten des Finanzamts Braunau-Ried-Schärding, also einer Region in Oberösterreich, neu ausgeschrieben worden.
Eine Finanzbeamtin namens Christa Schaaf, die jahrzehntelang gut gearbeitet hat und das Amt schon interimistisch geleitet hat, nachdem der Vorgänger in Pension gegangen ist – die hat sich beworben. Und später wird eine Kommission feststellen, die die Entscheidung damals überprüft hat, dass sie nach allen objektiven Kriterien die bestqualifizierteste Kandidatin war: hat Fortbildungen gemacht, hat schon Managementerfahrung gehabt, kennt sich im Finanzamt, in dem sie jahrzehntelang gearbeitet hat, natürlich super aus. Bekommen hat den Job aber ein anderer – ein ÖVP-Bürgermeister aus der Region, der erst kurz davor in die Finanzverwaltung gewechselt ist. Er war eigentlich ursprünglich viele Jahre lang Polizist und ist ziemlich neu gewesen in der Finanzverwaltung. Trotzdem hat die Besetzungskommission ihn der Frau Schaaf vorgereiht.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die WKStA, hat dann Jahre später Anklage erhoben – und zwar gegen August Wöginger und zwei Mitglieder dieser damaligen Besetzungskommission, unter anderem wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch. Der Vorwurf ist: Wöginger soll beim damaligen Generalsekretär im Finanzministerium – also einem sehr, sehr hohen Beamten im Finanzministerium, das diesem Finanzamt Braunau übergeordnet ist –, einem gewissen Thomas Schmid, interveniert haben. Also der hat bei dem angerufen und gesagt: Hey, kannst du da was machen?
Und was hat sich Wöginger diesem Vorwurf der Staatsanwälte nach gewünscht? Nämlich, dass sein Parteifreund diesen Posten im Finanzamt Braunau bekommt – weil der ist Bürgermeister aus dem Wahlkreis Wögingers und in seinem ÖVP-Bund, dem ÖAAB, gut verankert. Und der hat gesagt: Schauen wir, der hat sich da beworben, kann man da was machen? Und die Kommissionsmitglieder, die hätten dann auf Thomas Schmids Wirken – der hat wiederum bei denen interveniert – die Reihung entsprechend vorgenommen und diesen erst frisch in die Finanzverwaltung gewechselten Beamten mehreren anderen Bewerberinnen und Bewerbern, unter anderem der Frau Schaaf, gegenüber vorgereiht. Und das, sagt die Staatsanwaltschaft, sei Amtsmissbrauch beziehungsweise bei Wöginger Anstiftung zum Amtsmissbrauch.
Im Oktober ist dann dieser Prozess gestartet und ziemlich schnell wieder vorbei gewesen. Die Angeklagten haben nämlich – für viele Beobachterinnen und Beobachter überraschend – eine sogenannte Verantwortungsübernahme erklärt. Das ist nicht ganz ein Geständnis, aber eine Anerkennung, dass die Dinge im Wesentlichen so gelaufen sind, wie die Staatsanwaltschaft sie schildert.
Das ist kein Schuldeingeständnis, muss man auch gleich dazu sagen, sondern nur eine Anerkennung der Tatsachen. Und das Gericht hat daraufhin entschieden, eine Diversion anzubieten. Das heißt, das ist eine Art einer Erledigung eines Strafverfahrens, ohne dass es eine Strafe gibt. Und man spart sich den ganzen Prozess. Man sagt: Okay, die Beschuldigten haben gesagt, ja, es war im Wesentlichen eben so, und kriegen dafür eine Art Geldbuße – in dem Fall. Das ist keine Strafe, ist eine wichtige juristische Unterscheidung, aber sie zahlen ein paar tausend Euro und dafür gibt es keinen Prozess. Sie werden nicht schuldig gesprochen, sind nicht vorbestraft und können ihre Wege gehen.
In dem Fall hat es geheißen: Okay, kein Urteil, kein Schuldspruch, aber auch kein Freispruch, sondern eben die Diversion. Wöginger hat gezahlt, die beiden anderen Beamten aus dieser Besetzungskommission auch – fünfstellige Geldbeträge. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – ein Prozess funktioniert ja immer so, dass die Staatsanwaltschaft, also Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, den Angeklagten gegenübersitzen und ein Richter oder eine Richterin oder mehrere Richter entscheiden dann, wer Recht hat. Hat die Staatsanwaltschaft Recht, werden die Beklagten verurteilt. Haben die Verteidigerinnen und Verteidiger Recht, dann werden sie freigesprochen.
Die WKStA hat damals im Gerichtssaal grundsätzlich zugestimmt dieser Diversion, aber – wie sie selbst gesagt hat – mit Bauchschmerzen. Sie haben damals von einem „absoluten Grenzfall" gesprochen. Dann ist aber was eher Ungewöhnliches passiert.
Die Oberstaatsanwaltschaft Wien, die der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vorgesetzt ist, hat gesagt: Nein, halt, Leute, das ist kein diversionsfähiger Fall aus unserer Sicht – und hat den Staatsanwälten die Weisung gegeben: Bitte gegen diese Diversion in Berufung zu gehen. Das heißt, zum nächsthöheren Gericht zu gehen und zu sagen: Hey, können wir das rückgängig machen? Das passt uns nicht. So ist es dann gekommen. Der Fall ist vom Landesgericht Linz zum Oberlandesgericht weitergegangen und das hat jetzt diesen Mittwoch entschieden: Die Diversion wird aufgehoben. Das Verfahren gegen Wöginger und die beiden anderen Beamten geht weiter und muss dann mit so einem Frei- oder Schuldspruch enden.
Und wer sind die alle?
August Wöginger ist ÖVP-Klubobmann, also der Leiter der ÖVP-Abgeordneten im Nationalrat. Das ist eine der wichtigsten Positionen in der österreichischen Politik überhaupt. Wögingers ÖVP ist ja Teil einer Regierungskoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS. Die haben bei der letzten Nationalratswahl im September 2024 so viele Stimmen bekommen, dass sie gemeinsam eine Mehrheit bilden können und damit die nächsten vier, fünf Jahre lang im Wesentlichen diese Regeln allein festlegen können, die in Österreich gelten. Und das ist ziemlich viel Abstimmungsarbeit, weil diese drei Parteien natürlich mit völlig unterschiedlichen Programmen angetreten sind und viele, viele Kompromisse nötig sind, damit die gemeinsam sich auf Gesetze einigen können.
Die Klubobleute dieser drei Parteien haben da eine Schlüsselfunktion. Die sind diejenigen, die schauen müssen: Okay, was kann ich der anderen Partei anbieten, damit die bei den Gesetzen, die wir gemeinsam beschließen wollen, mitgehen? Und halten das meine Abgeordneten eh durch, dass wir diese Kompromisse schließen? Und Wöginger war schon in der vorigen Regierung, als die ÖVP noch mit den Grünen zusammengearbeitet hat, und ist auch in dieser Regierungsperiode jemand, der als Verbinder fungiert – einerseits zwischen den einzelnen Teilen der ÖVP, die ist ja intern auch nicht immer in allem einig, und andererseits zu den anderen Parteien hin. Ein leutseliger Mensch und jemand, der einfach sehr gut verhandeln kann, der ziemlich genau weiß: Okay, was braucht mein Gegenüber, was kann ich meinen Abgeordneten zumuten, und so weiter. Er ist außerdem Oberösterreicher und einer der erfahrensten Politiker in der heutigen ÖVP und eben damit eine der Schlüsselpersonen in dieser Koalition und in dieser Regierung.
Mitangeklagt sind dann noch zwei weitere Finanzbeamte, die wir aus medienrechtlichen Gründen nicht näher bezeichnen. Das waren Mitglieder der sogenannten Begutachtungskommission.
Eine Begutachtungskommission, das ist das Gremium, wenn hohe Jobs in der Verwaltung ausgeschrieben und besetzt werden sollen: die Leute, die sich alle Bewerberinnen und Bewerber anschauen und dann eine Reihung erstellen – wer wäre der Bestgeeignete für den Job, wer hat welche Qualifikationen und so weiter. Die machen dann dem Minister oder der Ministerin, also dem obersten Organ in diesem Verwaltungsapparat, normalerweise einen Dreiervorschlag mit den bestgeeigneten Persönlichkeiten, die sich für diesen Job beworben haben. Und der Vorwurf ist jetzt eben, dass durch die Intervention dieses Thomas Schmid eine Besetzungskommission zusammengestellt worden ist, bei der Frau Schaaf – die eben diesen Job dann nicht bekommen hat, obwohl sie objektiv die bestqualifizierte Person für den Job war – diese Kommission soll darauf hingewirkt haben, dass sie erstens im Hearing durchfällt und zweitens jedenfalls der Parteifreund vorgereiht werden soll.
Und über Thomas Schmid müssen wir auch noch reden. Eine ganz, ganz zentrale Persönlichkeit in den diversen Korruptionsermittlungen der letzten Jahre in Österreich.
Der war früher Generalsekretär im Finanzministerium, das ist der wichtigste Beamte des Ministers, der Durchgriffsrecht auf allen Ebenen hat – also ein wirklich mächtiger Mann in der Verwaltung. Und der spielt auch in diesem Fall eine zentrale Rolle. Thomas Schmid hat ausgesagt, dass Wöginger bei ihm regelmäßig, mehrfach interveniert habe, um eben seinen Parteifreund in diese Position zu hieven. Schmid ist mittlerweile Kronzeuge in mehreren Korruptionsverfahren, das heißt, er macht umfangreiche Aussagen, was er auf Geheiß anderer Politiker alles gemacht hat, und bekommt dafür keine Strafe. Aber er hat dafür eben mit der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet und umfangreiche Aussagen gemacht, die andere – wie in diesem Fall eben Wöginger – belasten.
Und warum diskutieren die darüber?
Es gibt mehrere spannende Fragen. Zur Grundfrage, warum dieses Verfahren spannend und wichtig ist, habe ich schon mal eine eigene Folge gemacht – die verlinke ich euch in den Shownotes.
Es ist einfach ein Urübel der österreichischen Verwaltung, dass die Politik da oft Günstlinge ihrer Partei anderen, fleißig arbeitenden Beamtinnen und Beamten vorreiht. In dem Fall, was die aktuellen Entwicklungen angeht, finde ich aber einen Aspekt spannend: Warum ist diese Diversion aufgehoben worden? Das OLG Linz, das Oberlandesgericht Linz, hat in seiner Begründung erklärt, warum das so ist – und die ist aus meiner Sicht recht deutlich ausgefallen.
Bei Amtsmissbrauch, einem Verbrechen mit bis zu fünf Jahren Haft als Strafrahmen, ist eine Diversion generell nur in atypisch leichten Fällen zulässig, sagt das Oberlandesgericht – und das hier sei eindeutig kein solcher Fall. Zweitens: Das ursprüngliche Gericht, das Erstgericht, hat gesagt, okay, der Schaden ist eigentlich unbedeutend, eigentlich ist praktisch ja nichts passiert. Da sagt das Oberlandesgericht Linz jetzt, das sei eben nicht so – der Schaden ist nicht unbedeutend gewesen. Die übergangene Bewerberin Christa Schaaf hat einerseits einen finanziellen Nachteil erlitten, weil sie eben diese Führungsfunktion und das damit verbundene Gehalt nicht bekommen hat.
Und die Republik hat ihr dann Schadenersatz zahlen müssen, weil Christa Schaaf dann geklagt hat gegen diese Entscheidung: Sie sei diskriminiert worden, weil sie eben nicht Parteimitglied sei, weil sie eine Frau sei, und andere Gründe. Und das Bundesverwaltungsgericht hat dann gesagt: Ja, die hat Recht, die ist da diskriminiert worden. Es gibt eine rechtskräftige Entscheidung dazu und die Republik hat ihr dann eben diesen Verdienstentgang ersetzt. Also der Schaden ist eben nicht geringfügig.
Und drittens sei das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Verwaltung durch diese Diversion erheblich beeinträchtigt worden, sagt das OLG Linz. Das Gericht spricht da von „generalpräventiven Aspekten" – also sehr vereinfacht gesagt: Eine Diversion darf eigentlich nicht den Eindruck erwecken, dass da jemand straffrei davonkommt, dass da jemand sich so ein bisschen freikauft, dass es da jemanden so günstig erwischt habe, dass seine Tat kaum oder keine Folgen gehabt habe. Das nennt man Generalprävention, also Vorbeugung, andere Leute von solchen Taten abzuhalten.
Und in dem Fall sei das eben so, sagt das OLG Linz, dass genau dieser Eindruck entstanden sei – und dieser Eindruck darf nicht entstehen. Und aus all diesen Gründen hat es die Diversion aufgehoben.
Ganz anders sieht das natürlich die ÖVP. Wögingers Partei, deren Generalsekretär Nico Marchetti, hat sich überrascht gezeigt und gesagt: Naja, die ursprüngliche Richterin, bei der Wöginger und die anderen Angeklagten gesessen sind, hat ja die Diversion vorgeschlagen.
Die WKStA hat ursprünglich zugestimmt. Alle Angeklagten waren einverstanden – und jetzt wird das einfach aufgehoben. Wögingers Anwalt Michael Roeggyer kritisiert, dass sein Mandant im Rechtsmittelverfahren nicht einmal angehört wurde. Also das OLG Linz hat dann nicht erst alle gefragt, was sie eigentlich davon halten, wenn es das aufhebt, sondern das einfach so entschieden. Und gestern Vormittag, am Freitag, hat Wöginger dann in einer Pressekonferenz selbst auch noch Stellung genommen. Sein Kernstatement, würde ich sagen, ist: „Ich habe nichts Unrechtes getan" – aus seiner Sicht sehr unschuldig. Er habe nur das Anliegen eines Bürgers weitergeleitet und er habe nicht gewusst, dass es da eine Kommission gibt.
Er hat keinen Einfluss auf diese Kommission genommen und so weiter. Und die Diversion aber nur deswegen angenommen, weil das Gericht sie angeboten hat und er sich wieder seiner politischen Arbeit widmen wollte. Das sei aber kein Schuldeingeständnis und er geht von einem Freispruch aus.
Okay, und wie betrifft das uns?
Wir könnten jetzt noch mal diskutieren, diese Frage mit dem Finanzamt Braunau und warum ich persönlich das auch für völlig jenseitig halte, dass da irgendein Parteigünstling einer wirklich qualifizierten, jahrzehntelang gut gearbeitet habenden Beamtin vorgereiht wird, die offensichtlich besser geeignet ist für den Job. Ich glaube, man muss keine ganz, ganz große Brille aufhaben, um zu sehen: Hey, okay, das ist eine Sauerei ihr gegenüber und allen Menschen in dem Land, die glauben, dass Leistung sie eigentlich weiterbringen kann. Aber das haben wir alles schon mal besprochen in der ersten Folge zu diesen ganzen Wöginger-Angelegenheiten.
Reden wir lieber über dieses Wesen der Diversion. Die Diversion ist grundsätzlich Anfang des Jahrtausends als Instrument ins Strafrecht eingeführt worden, um vor allem kleinere Fälle zu erledigen. Da geht es um Ladendiebstähle, wo derjenige noch nicht x-mal vorbestraft ist, wo man sagt: Hey, okay, zahlt es sich da wirklich aus, lange mit allen Instrumenten des Strafrechts eine großangelegte Ermittlung, eine lange Hauptverhandlung und da mit allem draufzufahren? Oder ist es nicht gescheiter, wenn schon zum Beispiel die Staatsanwältin eine Diversion anbietet und der Beschuldigte sagt: Okay, ich habe das gemacht, ich mache es nie wieder – der kriegt eine kleine Geldbuße oder überhaupt nur eine auf bedingte Zeit aufgeschobene Verwarnung und damit ist das alles erledigt, der Rechtsfrieden hergestellt. Das ist tatsächlich ein wichtiges Instrument, auch um die Justizbehörden – die Staatsanwälte, die Polizei, letzten Endes auch die Gerichte – zu entlasten, und wird auch häufig verwendet.
Aber – das hat mein Kollege Maximilian Werner vom Standard sehr ausführlich recherchiert – für solche Fälle wie den von Wöginger ist die Diversion eigentlich nicht gemacht.
Und nur um das ein bisschen zu reflektieren im Strafrecht: Es ist natürlich bis zu einem gewissen Grad auch ein rechtsstaatliches Problem. Wenn man Wöginger zuhört, dann sagt er: Naja, okay, er hat diese Diversion halt angenommen, obwohl er sich selber eigentlich für unschuldig hält. Und das ist dann tatsächlich ein bisschen ein rechtsstaatliches Problem, weil „vor Gericht und hoher See ist man in Gottes Hand", gibt es dieses Sprichwort – und natürlich ein ganz großer Teil der Fälle, die vor Gericht verhandelt werden, sind sehr, sehr eindeutig und das sind in aller Regel keine Unschuldigen.
Aber angenommen, jemand wie Wöginger ist wirklich unschuldig – und das ist tatsächlich nicht nur wegen der Unschuldsvermutung so, das ist tatsächlich eine Möglichkeit, dass er am Ende freigesprochen würde. Und wenn da jetzt wirklich jemand, der am Ende sich als unschuldig herausstellen sollte, gesagt hat: Hey, okay, na, ich zahle diese Euro – ist ja auch nicht wenig Geld – einfach nur um diesen Prozess los zu sein und nicht diesem Risiko ausgesetzt zu sein, verurteilt zu werden – dann ist das eigentlich ein rechtsstaatliches Problem. Wenn man sagt: Hey, okay, ich zahle dem Staat lieber ein bisschen was, als am Ende, auch wenn ich mich für unschuldig halte, verurteilt zu werden – dann ist das vielleicht ein kritischer Punkt und den sollte man bei der Diversion im Hinterkopf behalten.
Ja, und dann reden wir noch darüber: Warum sollte Wöginger freigesprochen werden? Also Wöginger hat ja grundsätzlich die Sachlage anerkannt und es ist auch so umfassend dokumentiert, dass das alles so passiert ist, wie es passiert ist – das ist klar. Nur: Amtsmissbrauch und auch die Anstiftung zum Amtsmissbrauch braucht nicht nur diese sogenannte Tatbestandsmäßigkeit, also dass das tatsächlich so ist, dass jemand anderer in seinen Rechten geschädigt worden ist dadurch, dass Beamtinnen und Beamte das entschieden haben, beziehungsweise dadurch, dass jemand diese Beamten angestiftet hat, das so zu entscheiden – sondern es braucht auch noch Wissentlichkeit.
Und gerade bei Wöginger ist das tatsächlich eine sehr, sehr spannende Frage: Hat er tatsächlich gewusst, dass durch seine Intervention bei Thomas Schmid andere Beamtinnen und Beamte, wie zum Beispiel Christa Schaaf, in ihren Rechten geschädigt werden dadurch, dass der ihnen vorgereiht wird, dieser Parteigünstling? Und das ist tatsächlich eine juristische Frage, die das Gericht wird klären müssen. Ich habe den Akt gelesen, ich bin da nicht hundertprozentig überzeugt, ob diese Wissentlichkeit so nachgewiesen werden kann.
Aber genau dazu gibt es natürlich ein Gerichtsverfahren und genau deswegen ist es eine spannende Angelegenheit, dass diese Diversion jetzt aufgehoben worden ist und das Gericht das beantworten muss. Aber es ist – wie bei jedem Gerichtsverfahren – natürlich weit davon entfernt, klar zu sein, dass Wöginger verurteilt wird oder ob er überhaupt schuldig ist. Durchaus möglich, dass er und seine Mitangeklagten vielleicht auch da am Ende freigesprochen werden.
Das ist völlig zu Recht die Unschuldsvermutung: August Wöginger ist ein unschuldiger Mann. Davon trennen kann man aber natürlich die politische Verantwortung. Wo Wöginger sagt: Naja, er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, der bleibt natürlich Klubobmann. Dass es dieses Verfahren so gab, diese Besetzung, dass da ein weit weniger gut qualifizierter Finanzbeamter, der bis vor kurzem noch Polizist war, einer extrem guten Beamtin vorgezogen worden ist – das ist unstrittig. Das ist gut dokumentiert in diversen Gerichtsentscheidungen, zum Beispiel eben in diesem Schadenersatzverfahren, das Christa Schaaf dann angestrebt hat.
Und das ist völlig klar und offensichtlich, dass da interveniert worden ist und nur deswegen dieser Parteigänger von Wöginger seinen Job bekommen hat. Und das kann man tatsächlich kritisch hinterfragen als Bürgerin, als Bürger: Steht es wirklich dem Klubobmann einer Partei zu, zu sagen, naja, okay, ich bin unschuldig, es ist nichts passiert – oder gibt es da vielleicht eine politische Verantwortung dafür? Davon hat Wöginger bisher jedenfalls nichts erkennen lassen.
Und ist das schon fix?
Fix ist noch gar nichts. Klar ist jetzt nur, dass dieser Prozess wiederholt werden muss – und zwar die ganze Hauptverhandlung. Das wird irgendwann in den nächsten Monaten passieren, sicher nicht mehr im Dezember. Wögingers Anwalt hat bei der Pressekonferenz gesagt, er rechnet vielleicht damit Ende Jänner, Anfang Februar – weil ja eigentlich keine zusätzlichen Vorbereitungsarbeiten mehr gemacht werden müssen. Es wird nichts mehr ermittelt. Man wartet jetzt eigentlich nur darauf, dass das Gericht einen Termin ausschreibt. Und dann ist, wie gesagt, völlig offen, wie das ausgeht: Freispruch, Schuldspruch – alles möglich.
Wir werden sehen.
Und woher weißt du das eigentlich?
Grundsätzlich: Die Aufhebung der Diversion ist vom Oberlandesgericht Linz per Presseaussendung verkündet worden. Die verlinke ich euch in den Shownotes. Und ich verlinke euch auch August Wögingers Verantwortung, also seine Pressekonferenz – da gibt es ein Video davon. Und ich stelle euch auch noch einen Link zu zwei Kommentaren dazu online, unter anderem vom Kollegen Eichinger in der Presse – selber ein Jurist –, der schreibt, wo das Problem mit der Diversion ist und welche Faktoren da überall hineinspielen. Spannende Angelegenheiten jedenfalls.
Also, ist das wichtig?
Ich finde schon. Einerseits, weil ich es gut finde, dass eine so wichtige Angelegenheit – Intervention zugunsten eines Beamten und zum Schaden einer ausgezeichneten Beamtin, die nur ihren Job gemacht hat – dass so etwas durchverhandelt wird und alle Beweise in der Öffentlichkeit auf den Tisch kommen. Finde ich grundsätzlich eine gute und wichtige Sache.
Andererseits finde ich es tatsächlich auch spannend, dass in der Öffentlichkeit jetzt ein bisschen über die Diversion und das Wesen dieses rechtlichen Instruments diskutiert wird – weil die Diversion einfach diese Gefahr in sich birgt, wie wir schon besprochen haben, dass auch ein Unschuldiger mal sagt: Lieber, okay ja, ich nehme diese Diversion in Anspruch, nur um nicht das volle Verfahren zu riskieren. Mal schauen, vielleicht kommen da ja in den nächsten Jahren die einen oder anderen Reformschritte. Wir werden das weiter beobachten und ich halte euch auf dem Laufenden.
Und das war's mit dieser Folge „Ist das wichtig? Politik für Einsteiger". Die Idee dieses Podcasts ist, ein Einsteigerprogramm für Menschen zu bieten, die sich zwar für Politik interessieren, aber sich nicht jeden Tag damit beschäftigen. Ich freue mich über euer Feedback an podcast@istdaswichtig.at oder per Sprachnachricht an die WhatsApp-Nummer in den Shownotes. Und falls ihr in diesem Umfeld Werbung machen wollt, wendet euch bitte an office@missinglinkme.dia.
Wenn ihr euch für Formate für Fortgeschrittene interessiert, möchte ich euch noch meine beiden E-Mail-Newsletter ans Herz legen: den „Leitfaden", in dem ich immer dienstags aktuelle politische Themen für das Magazin Datum kommentiere, und „Einfach Politik", eine sachpolitische Analyse für die WZ, die jeden Donnerstag erscheint. Die Links zur kostenlosen Anmeldung für beide stelle ich euch in die Shownotes. Und falls ihr mehr hören wollt: Ich gehöre auch zum Team von „Ganz offen gesagt", Österreichs bestem Gesprächspodcast für Politikinteressierte.
„Ist das wichtig?" ist ein Podcast von mir, Georg Renner, in Kooperation mit Missing Link. Produziert hat uns Konstantin Kaltenegger. Die zusätzliche Audiostimme ist von Maria Renner, Logo und Design von Lilly Panholzer. Danke für Titel und Idee an Andreas Sator, Host des Podcasts „Erklär mir die Welt".
Danke fürs Zuhören. Bis zum nächsten Mal. Adieu.
Autor:in:Georg Renner |