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Wenn die Ukraine fällt und Europa erwacht
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Was passiert, wenn sich pazifistische Wunschvorstellungen im Umgang mit Russland durchsetzen und die Ukraine sich 2027 nicht mehr halten kann? Diese Episode zeichnet ein Szenario, das hoffentlich Fiktion bleibt, aber sicherheitspolitisch erschreckend plausibel ist. Wir blicken auf den möglichen Zusammenbruch eines europäischen Staates, auf politische Säuberungen, neue Fluchtbewegungen, eine kampferprobte Armee unter fremder Kontrolle und eine weit über 1000 Kilometer lange Frontlinie direkt vor der NATO. Dazu analysiere ich, was EU- und NATO-Minister diese Woche tatsächlich gesagt haben, wo die Risiken liegen und dass Europa trotz klarer Warnungen nur zögerlich handelt. Eine Episode über Realismus, Verantwortung und die Frage, ob Europa rechtzeitig erkennt, was auf dem Spiel steht.
Herbert Bauer
Grüß Gott und einen guten Tag, heute möchte ich einfach einmal darstellen, was passieren würde, wenn sich unrealistische, pazifistische Ideen zum Ukrainekrieg verbreitern würden. Dazu eine - hoffentlich fiktiv bleibende - Geschichte.
Es ist Februar 2027. Seit der Besetzung der Krim sind fast dreizehn Jahren Krieg und die ukrainische Armee erschöpft, die Personalreserven sind ausgereizt. Die westliche Hilfe ist unregelmäßig geworden und teils überhaupt ausgeblieben, die Munitionsproduktion Europas konnte die Lücke nie schließen. In mehreren Frontabschnitten ziehen sich ukrainische Verbände koordiniert zurück, um zivile Opfer zu vermeiden. Was wie eine temporäre Konsolidierung beginnt, endet binnen Wochen in einem vollständigen militärischen Zusammenbruch. Die ukrainische Regierung in Kiew wird abgesetzt. Ein neues, Moskau-abhängiges Übergangskabinett übernimmt die Führung. Internationale Beobachter sehen die gleichen Muster wie in den 1930er und 1940er Jahren: politische Verhaftungen, Zwangsumsiedlungen, Medienzensur, verschwindende Oppositionelle. Die Zahl der Getöteten in den Säuberungswellen lässt sich schwer beziffern, Schätzungen sprechen von mehreren hundert bis mehreren tausend.
Die ukrainische Armee, bis dahin die kampferprobteste Streitkraft Europas, wird innerhalb weniger Monate vollständig reorganisiert. Teile werden aufgelöst, andere in nationale Sicherheitsstrukturen integriert, wieder andere personell übernommen. Der Konsolidierungsprozess verläuft nicht freiwillig, aber rasch und konsequent. Die Soldaten werden, wie historisch mehrfach belegt, auf das neue politische System verpflichtet. Die Kommandostrukturen werden ersetzt. Offiziere, die als zu ‚westlich‘ gelten, verlieren Posten, manche ihre Freiheit, einige ihr Leben. Mit der neuen politischen Führung beginnt ein zweiter Teil der Operation: Die verbliebenen militärischen Einheiten werden schrittweise entlang der neuen Westgrenze eingesetzt. Vom Schwarzen Meer bis zur weißrussischen Grenze wird ein massiver Militärgürtel ausgebaut, Moldawien erliegt dem Druck, die westlich orientierte Regierung dankt ab.
Westeuropa sieht sich zum ersten Mal seit 1945 einer Frontlinie von mehr als 1000 Kilometern gegenüber, nur nun ohne Pufferzone und mit geleerten Rüstkammern. Für die Bevölkerung in der Ukraine bedeutet das den endgültigen Bruch. Eine neue Fluchtbewegung setzt ein. Viele derjenigen, die bereits seit 2022 im Ausland leben, kehren nicht zurück. Hunderttausende Weitere verlassen das Land. Die EU-Staaten sind zur Aufnahme gezwungen und werden konfrontiert mit Familien, politisch Verfolgten, ehemaligen Soldaten und Menschen, die schlicht keine Zukunft unter der neuen Ordnung sehen, aber auch Saboteuren, die in der Flüchtlingswelle, mitschwimmen. Ein unsolidarisches, opportunistisches Europa blickt in diesen Monaten in einen selbst verursachten sicherheitspolitischen Abgrund. Mit dem Zusammenbruch der Ukraine stehen nun kampferfahrene, reorganisierte militärische Verbände nicht mehr zwischen Russland und der EU, sondern direkt an der NATO-Grenze, sie schauen nicht nach Osten, sondern nach Wesetn. Und die Frage, die sich in jedem Verteidigungsministerium stellt, lautet: Wie stabil ist eine Grenze, wenn die stärkste Armee Osteuropas plötzlich nicht mehr für, sondern gegen die europäischen Interessen eingesetzt werden kann?
Sollten Sie der Ansicht sein, dass ich maßlos übertrieben habe, lassen Sie mich nun sachlich nüchtern argumentieren. Warum dieses Szenario gar so realistisch ist?
Wenn wir über das Jahr 2027 und den möglichen Zusammenbruch der Ukraine spekulieren, dann reden wir nicht über ein Schreckensbild, sondern über ein Szenario, das in sicherheitspolitischen Planspielen tatsächlich durchgespielt wird, um zu klaren Handlungssträngen zu kommen. Die Frage lautet also nicht: Ist das völlig unrealistisch? Sondern: Wie real sind die Mechanismen dahinter? Was wird getan? Alle vier Kernmechanismen sind historisch belegt und sicherheitspolitisch anerkannt, schauen wir uns das näher an.
Der erste Punkt ist die Reorganisation besiegter Armeen. Das ist kein hypothetischer Vorgang, sondern eines der konstantesten Muster in der Militärgeschichte. Wo Regimewechsel stattfinden, werden Streitkräfte umgebaut. Das geschah nach 1945 in nahezu allen osteuropäischen Staaten, es geschah in Teilen der deutschen Wehrmacht, später in den Sicherheitsapparaten arabischer Staaten, nach den jugoslawischen Zerfallskriegen und in mehreren postsowjetischen Republiken. Eine Armee, die strukturell geschlagen oder politisch delegitimiert ist, wird nicht aufgelöst und verschwindet. Nein, nein, sie wird übernommen, gesäubert und neu ausgerichtet. Genau deshalb ist es realistisch anzunehmen, dass auch eine ukrainische Armee nach einem politischen Zusammenbruch nicht einfach „weg“ ist, sondern in Teilen eingegliedert, in Teilen ersetzt und in Teilen gegen Europa ausgerichtet werden würde. Das entspricht den Mustern aller vergleichbaren Machtübernahmen.
Der zweite Punkt betrifft die politischen Säuberungen. Auch hier muss man nichts erfinden. Wenn autoritäre Systeme Territorien übernehmen, konsolidieren sie ihre Macht mit Mitteln, die politologisch gut dokumentiert sind: Verhaftungen, Entlassungen, Repression gegen Oppositionelle und gezielte Eliminierung von Politikern, Offizieren und Verwaltungsbeamten, die als illoyal gegenüber den neuen Machthabern darstellen oder als solche gelten. Die Größenordnung solcher Säuberungen liegt historisch im Bereich, wie schon erwähnt, von mehreren hundert bis mehreren tausend Personen. Aber selbst dann, wenn ein Übergang offiziell als geordnete Befriedung bezeichnet wird. Dass ein Regime, das 2027 in Kiew eingesetzt würde, mit ähnlichen Methoden arbeiten könnte, ist daher kein spekulativer Gedanke, sondern eine naheliegende, empirisch gestützte Annahme.
Der dritte Punkt ist die Fluchtbewegung. Jeder große Staatskollaps der letzten Jahrzehnte, ob Jugoslawien, Syrien oder Afghanistan, hat massive Wanderungsbewegungen ausgelöst. Menschen fliehen vor Repression, vor wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit, vor politischer Unsicherheit oder aus reiner Angst. Und im Fall der Ukraine kommt hinzu, dass bereits Millionen Menschen seit 2022 in Europa leben. Ein erneutes Kippen des Systems würde sehr wahrscheinlich eine zweite Welle auslösen: Familien, junge Männer, ehemalige Soldaten, politische Gefährdete, Menschen, die nicht unter ein autoritäres System zurückkehren wollen. Das ist kein spekulatives Extrem, sondern die normale Reaktion auf den Zusammenbruch eines Staates.
Und der vierte Punkt ist die sicherheitspolitische Konsequenz. Der militärische Effekt eines wegfallenden Pufferstaates gehört zu den am besten erforschten Faktoren in der europäischen Sicherheitspolitik. Wenn die Ukraine als unabhängiger Staat wegfällt, rückt eine organisierte, kampferfahrene, autoritär kontrollierte Militärmacht unmittelbar an die NATO-Grenze. Das entspricht exakt den Warnungen, die seit 2023 von den baltischen Staaten, vom finnischen Außenministerium, vom deutschen Militärischen Abschirmdienst oder vom EU-Militärstab ausgesprochen werden. Alle westlichen Planungsdokumente zeigen denselben Mechanismus: Wenn der Puffer verschwindet, steigt der Druck auf Europa unmittelbar, und die NATO muss binnen Monaten eine völlig neue Abschreckungsarchitektur errichten. Genau das macht dieses Szenario nicht reißerisch, sondern strategisch relevant.
Nun, unsere Fiktion wirkt deshalb so plausibel, weil sie auf logischen, historisch belegbaren Mechanismen beruht. Es ist kein was wäre, wenn alles schiefgeht?, sondern ein was folgt aus Mustern, die wir bereits kennen?. Ja, und genau deshalb ist es für Europa so entscheidend, diese Konsequenzen zu verstehen und mit Selbstbehauptungswillen zu reagieren. Auch die Bevölkerung selbst.
Nun was sagen EU- und NATO-Minister diese Woche zu genau diesen Risiken? Wenn wir das Szenario eines kollabierenden ukrainischen Staates durchdenken, dann lohnt der Blick nach Brüssel, wo diese Woche sowohl die EU-Verteidigungsminister als auch die NATO-Außenminister tagten. Und man muss sagen: Die Themen, die dort offen oder indirekt angesprochen wurden, liegen erstaunlich nah an den Risiken, die unser Szenario beschreibt. Gleichzeitig wird deutlich, wie groß die Lücke zwischen politischer Erkenntnis und tatsächlicher Handlungsfähigkeit ist. Öffentlich am deutlichsten formuliert hat es in dieser Woche die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Beim Treffen der EU-Verteidigungsminister in Brüssel sagte sie, alle Mitgliedstaaten seien sich einig, dass Europa seine eigene Verteidigungsfähigkeit rasch und substantiell stärken müsse. Ihre Worte waren ungewöhnlich klar. Ich zitiere: Wir haben nicht viel Zeit zu handeln. Putin wird sehr wahrscheinlich kein Abkommen langfristig einhalten. Zitat Ende.
Damit benennt Kallas Punkte, die für die europäische Sicherheit zentral sind: Erstens, dass Europa im gegenwärtigen Zustand nicht ausreichend geschützt ist. Zweitens, dass das Zeitfenster, in dem gegengesteuert werden kann, kleiner wird. Und drittens, dass jede Hoffnung auf einen stabilen oder verlässlichen russischen Kurs illusorisch ist. Ihre Aussage fügt sich in eine Reihe weiterer Warnungen ein, die in Brüssel hinter verschlossenen Türen geäußert wurden: Europa muss industriell, finanziell und militärisch schneller und entschlossener handeln, wenn es nicht in eine Lage geraten will, in der äußere Akteure die strategischen Bedingungen diktieren.
Gerade diese Offenheit zeigt, wie sehr sich die Einschätzung der Bedrohungslage verschärft hat - und wie weit die politischen Maßnahmen hinter der analytischen Realität zurückbleiben. Auch mehrere Verteidigungsminister sprachen, teils vorsichtig, teils sehr direkt, das strukturelle Risiko an, dass Europa im Fall einer militärischen Eskalation ohne den ukrainischen Puffer sehr schnell unter Druck geraten würde. In Berichten von Medien und Nachrichtenagenturen wird deutlich, dass besonders die baltischen Staaten, Polen und Finnland vor einem Szenario warnen, in dem Russland in drei bis fünf Jahren wieder über erhebliche militärische Handlungsfreiheit verfügt. Diese Einschätzung deckt sich mit den realen Produktions- und Mobilisierungstrends in Russland, die von NATO-Militärplanern seit Monaten beobachtet werden. Es ist also kein Geheimnis, dass die Zeit derzeit nicht für Europa arbeitet.
Wechseln wir von der EU zur NATO-Seite zeigt sich ein ähnliches Bild. In der gemeinsamen Pressekonferenz des Generalsekretärs und in Hintergrundgesprächen, über die internationale Medien berichtet haben, wird deutlich, dass die Allianz zwar geschlossen hinter der Ukraine steht, aber gleichzeitig damit ringt, wie man eine langfristige Abschreckung ohne verlässliche US-Ressourcen organisieren könnte. Das ist die neue strategische Realität seit dem Regierungswechsel in Washington. Und viele Minister, insbesondere aus Nordeuropa, weisen darauf hin, dass Europa ohne amerikanischen Rückhalt weder die erforderliche Luftverteidigungskapazität noch die industrielle Grundlage besitzt, um eine über 1000 Kilometer lange Ostfront eigenständig zu stabilisieren.
Hier liegt einer der größten Widersprüche: Europa erkennt zwar das Risiko, aber die politischen Entscheidungen laufen dem sicherheitspolitischen Bedarf hinterher, wenn nicht sogar entgegen. Die EU hat weder ein gemeinsames Verteidigungsbudget noch ein verbindliches Aufrüstungsziel für alle Mitgliedstaaten, und ihre Produktionskapazitäten reichen nachweislich nicht aus, um einen hochintensiven Konflikt zu kompensieren. Die NATO wiederum ist zwar militärisch einheitlicher, aber politisch gespalten, weil einige Staaten den amerikanischen Kurs mittragen, während andere versuchen, europäische Autonomie aufzubauen oder überhaupt quer treiben. Diese strategische Divergenz schwächt das Abschreckungsbild.
Ein weiterer Widerspruch betrifft die Ukraine selbst. In Brüssel wird offen eingeräumt, dass die Unterstützung zwar weiterläuft, aber in mehreren EU-Staaten politisch bröckelt. Das ist kein Geheimnis, sondern Ergebnis parlamentarischer Debatten und Haushaltsentscheidungen, die bereits in der Presse dokumentiert sind. Gleichzeitig weiß jeder in der Allianz: Ein abrupter Rückgang westlicher Unterstützung würde genau jene Dynamik erzeugen, die unser 2027-Szenario beschreibt, nämlich einen schrittweisen militärischen Kollaps. Damit entsteht ein paradoxes Bild: Die europäischen und transatlantischen Entscheidungsträger beschreiben die Risiken sehr ähnlich wie unser fiktives Szenario, aber die politischen Maßnahmen, die nötig wären, um dieses Szenario zu verhindern, bleiben fragmentiert, langsam oder unzureichend finanziert. Und genau in dieser Lücke zwischen Einsicht und Fähigkeit liegt die strategische Verletzlichkeit Europas im Jahr 2025.
Noch ein kleiner Exkurs, den ich hier einschieben möchte. In diesen Tagen hat eine Aussage für Aufmerksamkeit gesorgt, die nicht aus einem diplomatischen Außenministerium stammt, sondern vom Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, Admiral Giuseppe Cavo Dragone. In einem Interview mit der Financial Times spricht er offen darüber, dass die NATO ihre bisherige Reaktionsweise auf hybride Angriffe Russlands überdenken müsse. Es gehe, so Dragone, nicht mehr nur um das Abwehren von Attacken, sondern auch um die Möglichkeit, künftig präventiv oder proaktiv zu handeln, wenn hybride Aktionen eine klare Bedrohungslage erzeugen. Er nennt dabei ausdrücklich offensive Cybermaßnahmen, unangekündigte militärische Manöver oder gezielte Informationsoperationen. Alles Schritte, die in diesem Kontext als Verteidigungsmaßnahmen verstanden werden könnten. Mehrere Medien, darunter Financial Times, berichten übereinstimmend von dieser strategischen Verschärfung, die zwar noch nicht beschlossen, aber offenbar ernsthaft geprüft wird. Aus Moskau kam darauf eine sofortige und scharfe Reaktion. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, bezeichnete Dragones Überlegungen als äußerst unverantwortlich und warf der NATO vor, die Spannungen bewusst zu verschärfen. In russischen Agenturmeldungen ist die Rede von einer bewussten Destabilisierung, die Frieden unmöglich mache und erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen könne. Auch staatliche Medien griffen das Thema sofort auf und stellten Dragones Worte als Provokation dar, als Versuch, den Konflikt mit Russland systematisch zu eskalieren. Der Tenor ist eindeutig: Moskau betrachtet solche Überlegungen als Angriff auf die eigene Sicherheit und als Signal, dass sich das Verhältnis zur NATO weiter verschlechtern könnte.
Allerdings beim Treffen der NATO-Außenminister und hier beende ich den Exkurs, bei dem man erwarten hätte könnte, dass eine so grundlegende strategische Frage ausführlich erörtert wird, tauchte dieses Thema öffentlich kaum auf. In den offiziellen Pressekonferenzen ging es um die Unterstützung der Ukraine, um diplomatische Initiativen und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Europas. Es gab keinen Hinweis darauf, dass präventive Maßnahmen oder proaktive hybride Operationen Teil der offiziellen Tagesordnung waren. Auch in den Abschlusserklärungen findet sich dazu nichts. Damit entsteht ein sichtbarer Widerspruch: Einer der höchsten Militärverantwortlichen der NATO spricht öffentlich über eine mögliche strategische Neuausrichtung, während die politische Ebene dieses Thema, zumindest nach außen, nicht aufgreift. Das kann natürlich auch Taktik sein oder Politik.
Nun, gerade diese Diskrepanz macht Dragones Aussagen so interessant. Sie zeigen, wie ernst die militärische Seite der Allianz die aktuelle Bedrohung einschätzt und wie weit die strategischen Überlegungen hinter den Kulissen offenbar bereits reichen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die politische Ebene noch nicht bereit ist, diese Diskussion öffentlich zu führen oder offiziell zu legitimieren. Für die europäische Sicherheitspolitik ist das ein wichtiger Moment: Der militärische Apparat sendet Warnsignale, doch die politische Antwort bleibt vorerst aus.
Und wieder einmal versuche ich ein Fazit, wobei ich dazu auch noch kurz die Friedensbemühungen und ihre Illusionen streifen möchte. In diesen Wochen wird viel über neue Friedensinitiativen gesprochen. Staaten bieten sich als Vermittler an, es gibt diplomatische Sondierungen, und manche Regierungen hoffen, ein Einfrieren des Konflikts könnte zumindest kurzfristig Stabilität schaffen. Doch der Blick auf die Lage zeigt, dass diese Bemühungen an einer grundlegenden falschen Annahme hängen: Sie unterstellen nämlich, dass Russland bereit wäre, ernsthaft zu verhandeln. Ein Regime, das seine Kriegsproduktion weiter ausbaut, territoriale Kontrolle festigt und sich militärisch im Vorteil sieht, hat keinen Grund, von seinen Zielen abzurücken. Genau deshalb existiert im Moment keine tragfähige Basis für substanzielle Gespräche.
Solange die eine Seite überzeugt ist, militärisch noch Fortschritte erzielen zu können, bleibt Diplomatie ohne robuste Abschreckung ein politisches Wunschbild. Friedensinitiativen, die diese Machtasymmetrie ausblenden, sind gut gemeint, aber strategisch einfach naiv. Ein Frieden, der auf dem Rückzug oder der Aufgabe der Ukraine basiert, wäre kein Abschluss, sondern der Beginn eines tieferen Problems, nämlich die Vorverlagerung von Instabilität in den Kern Europas.
Damit schließt sich der Bogen zu unserem Ausgangspunkt. Das Szenario „Wenn die Ukraine fällt und Europa erwacht“ - so lautet der Titel des Podcasts - war keine Dramatisierung, sondern eine nüchterne Analyse dessen, was passiert, wenn Europa zu spät oder nicht angemessen reagiert. Entweder Europa baut jetzt echte Verteidigungsfähigkeit auf und zwar finanziell, industriell, personell und politisch oder es nimmt bewusst in Kauf, dass andere - wer immer das ist - über seine Sicherheit entscheiden werden. Einen dritten Weg gibt es nicht. Noch besteht die Chance, dass die Ukraine nicht fällt. Noch besteht die Chance, dass Europa nicht erst durch Verlust lernt, was Verteidigung bedeutet. Aber diese Chance wird kleiner, wenn Worte nicht endlich in Handlungen übergehen. Denn eines gilt seit der Antike unverändert: Si vis pacem, para bellum. Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.
Autor:in:Herbert Bauer |