Das Orakel
Ist am Wahltag Zahltag?
- hochgeladen von Michael Stebegg
In 29. Folge von „Das Orakel" ergründen wir, wie es uns und Österreich heute geht. Dazu analysieren wir Ergebnisse einer großen, aktuellen Statistik-Austria-Befragung mit Schwerpunkt politische Teilhabe. Und wir gehen der Frage nach, ob am Wahltag wirklich Zahltag ist.
Peter Hajek
Also, die Freiheitlichen in Österreich haben deshalb 29% bekommen und liegen jetzt in den Umfragen – wie wir schon beim letzten Mal herausgearbeitet haben – bei 33, 34% und profitieren zumindest beim einem Drittel ihrer Wählerschaft genau von diesem Momentum: ‚So, jetzt geb‘ ich den Anderen mal die Stimme, weil des is a Witz, was die Anderen aufführen!‘
Willkommen zum demoskopischen Podcast ‚Das Orakel‘. Mein Name ist Peter Hajek. Ich bin Meinungsforscher und Politikwissenschaftler und schaue mit Ihnen in die politische Gegenwart, immer wieder in die Vergangenheit und ab und zu auch in die Zukunft, die ja bekanntermaßen schwer zu prognostizieren ist.
Michael Stebegg
Hallo und herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, zur 29. Folge von ‚Das Orakel‘. Mein Name ist Michael Stebegg und mir gegenüber sitzt wie immer Meinungsforscher Peter Hajek. Hallo Peter.
Peter Hajek
Hallo Michi.
Michael Stebegg
Ich freue mich, dass du da bist.
Peter Hajek
Ich mich auch.
Michael Stebegg
Ich freue mich wirklich, dass du da bist, weil ich mich wirklich auf diese Ausgabe freue. Denn du hast heute eine wirklich große und wirklich spannende Umfrage mitgebracht, nämlich eine Statistik Austria Befragung mit einer Stichprobe von über 3.500 herausgegeben vom – und das muss ich vorlesen: Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.
Und wem das noch nicht reicht, ich darf schon mal spoilern: Sie bekommen auch heute den ganz frisch gebackenen Doktor Hajek serviert. Du wirst nämlich die Ergebnisse dieser Umfrage mit jenen aus deiner Dissertation vergleichen. Sag mal, wie lange ist denn der Dis eigentlich her?
Peter Hajek
Die, na ja, das ist halt so eine Geschichte. Also die Dissertation hab ich 1997 begonnen und 2005 abgeschlossen.
Michael Stebegg
Ein Zeiterl ….
Peter Hajek
Ja – aber sagen wir es mal so, es hat 8 Jahre gedauert, aber ich hab nur 3 Monate geschrieben und also ich hab damals begonnen bei OGM zu arbeiten und hab noch an den Hochschulehrgang für Markt und Meinungsforschung gemacht und das ist halt so dahingegangen. Der schon oft hier viel zitierte Peter Ulram, mein Doktorvater. hat irgendwann dazwischen gesagt, nachdem ich es schon hinhauen wollte, sprach er die bahnbrechenden Worte: 'Hajek, si san guat, machen s‘as.' Und dann hab ich gesagt, OK, gut, dann mach ich es. Dann haben wir es aber noch mal umdisponieren müssen, weil 1997 haben wir es eingereicht und 2002 war Nationalratswahl und schon wieder alles ganz, ganz anders. Und das war ein Vergleich der der FPÖ mit den US Republikanern. Und auf das werden wir aber heute nicht eingehen, sondern wir werden auf Zeitreihen eingehen, die die politische Beteiligung und Einschätzung der österreichischen Bevölkerung betrifft.
Michael Stebegg
Genau, nämlich der genaue Titel der Studie ist: 'So geht es uns heute. Die sozialen Krisenfolgen im zweiten Quartal 2025. Schwerpunkt politische Teilhabe.' Bevor wir aber ans Werk gehen, kommen wir zu einer ganz besonderen Bevölkerungsgruppe, nämlich die ‚Aufmerksamen Hörerinnen und Hörer unseres Podcasts‘. Du würdest sagen, die Rubrik heißt: 'Schuld ist immer der Michi.'
Peter Hajek
Das stimmt nicht.
Michael Stebegg
Das ist nämlich so, in unserer letzten Folge hat der Peter nämlich irrtümlicherweise behauptet, die Deckelung bei der Pensionsanpassung greift bei 2500 Euro netto. Richtig ist aber, dass sie schon bei 2500 Euro brutto greift, was netto knapp über 2000 Euro sind. Und danke dafür an unseren Hörer Reinhard.
Peter Hajek
Er uns freundlicherweise darauf hingewiesen hat und dann gleich auf die Frage nachgeschoben hat, wie wird eigentlich bei euch der Podcast kontrolliert? Darauf gehen wir dann in einer anderen Folge mal ein, wenn wir den Blick hinter die Kulissen machen.
Michael Stebegg
Genau jetzt aber zu unserem Hauptthema – der Studie. Und wenn man sich die Ergebnisse dieser 'So geht's uns heute'-Studie anschaut, drängt sich der Eindruck auf, es geht uns allen urschlecht. Also frei nach Heinrich Heine 'Denk‘ ich an Österreich in der Nacht, hat es mich um den Schlaf gebracht.' Siehst du das auch so? Also im Hinblick auf eure aktuellen Umfragen?
Peter Hajek
Ist dir das Zitat jetzt eingefallen oder hast du das vorab vorbereitet?
Michael Stebegg
Ist mir beim Herfahren eingefallen.
Peter Hajek
Sehr gut. Na, das gefällt mir sehr gut. Ja, also das ist eine sehr, sehr große Befragung und wir haben sie uns zweigeteilt. Das eine betrifft das Auskommen mit dem Einkommen und auf der anderen Seite haben wir die politische Beteiligung. Und jetzt schauen wir uns ganz kurz das mit dem Einkommen an, aber da bleiben wir wirklich nur ganz kurz. Ja, das deckt sich mit unseren Zahlen auch, insbesondere eine Zahl, nämlich die Statistik Austria sagt für 10% der österreichischen Bevölkerung ist es sehr, sehr eng finanziell und das deckt sich auch bei uns.
Wir haben eine etwas andere Fragestellung als die Statistik Austria, aber es kommt dasselbe raus, dass wir fragen. entweder nach dem persönlichen Nettoeinkommen oder dem Haushaltseinkommen und zwar lautet, wenn wir es jetzt mit dem persönlichen Nettoeinkommen fragen, machen wir das so, wie kommen Sie mit Ihrem derzeitigen persönlichen Nettoeinkommen aus, was trifft am ehesten auf Sie zu und dann gibt es 4 Antwortmöglichkeiten, nämlich ich kann sehr gut davon leben, es reicht völlig, es geht sich gerade aus oder es reicht nicht aus und diese 10%, die die Statistik Austria hier zitiert, sind auch bei uns jene, die sagen, es reicht nicht aus.
Und dann könnte man jetzt natürlich die theoretische Frage stellen: ‚Na ja, die geben wahrscheinlich zu viel Geld aus, die fahren einen tiefergelegten Lamborghini, den sie sich nicht leisten können, oder sonst was.‘ Das ist sind dann immer die üblichen …
Michael Stebegg
Sehr klischeehaft …
Peter Hajek
Richtig! ‚Migranten sind’s wahrscheinlich auch!‘ Das sind die sehr klischeehaften Vorstellungen und dann schaut man sich an, wie korreliert das mit unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und da kommt auch dasselbe raus wie bei der Statistik Austria. Das sind natürlich Alleinverdiener Haushalte, in dem Fall meistens Alleinverdienerinnen Haushalte. Es sind Menschen, die ganz grundsätzlich auch ein niedrigeres Einkommen haben. Natürlich haben die meisten dann auch eine einen niedrigeren Bildungsabschluss oder eine geringere berufliche Qualifizierung. Aber das sind Ergebnisse, die plausibel und in sich logisch sind.
Und auf diese 10% muss man natürlich achten. Das sind circa, um das mal in Zahlen festzumachen, sechs- bis siebenhunderttausend Menschen. Würde man es auf Haushalte runterbrechen, wären es wahrscheinlich irgendwo bei 400.000 Haushalten- Das kommt jetzt drauf an, mit wie viel durchschnittlichen Bewohnern bzw. Personen man das dann rechnet. Aber diese beiden Größenordnungen sind jene Gruppen, die die Österreich, obwohl es der österreichischen Bevölkerung nicht rasend gut geht, finanziell.
Michael Stebegg
Das bringt mich zur nächsten Frage, nämlich ihr macht für ATV immer die Frage der Woche und damit kommen wir zu unserer neuen Rubrik …
Peter Hajek
Die Zahl der Woche!
Michael Stebegg
Die Zahl der Woche ist 58 – nämlich 58% der Befragten sind für die Einführung einer Erbschafts- beziehungsweise Vermögenssteuer. Ist das korrelierend damit, dass viele sagen, es geht mir nicht gut und deswegen schielen sie zu den größeren Einkünften der Betuchteren?
Peter Hajek
Na ja, das das das stimmt natürlich bis zum gewissen Grad. Wir haben aber in diesem Fall nicht gefragt, sind Sie für die Einführung einer Erbschafts- und Vermögenssteuer Ja oder nein? Sondern wir haben die Frage zugespitzt und haben eine aktuelle Situation hergenommen. Und zwar gab es auch im Standard ein Interview mit Sozialministerin Schumann und einer Vertreterin, glaube ich, Caritas war es. Und es ging um die Neuordnung und Neuregelung der sozialen Hilfe. Die soll ja wieder vereinheitlicht werden, was so viel heißt wie, wenn es zu einer Vereinheitlichung kommt, wird sicher zu Kürzungen kommen. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass man sagt, in Bundesländern, es wird mehr werden.
Michael Stebegg
Die konkrete Frage lautet, wenn ich sie vorlesen darf: Es gibt den Vorschlag, statt Kürzungen bei der Sozialhilfe eher die Einführung einer Erbschafts- oder Vermögenssteuer vorzunehmen. Stimmen Sie diesen Vorschlag zu oder nicht zu? Und ihr habt wieder in einer Viererskala abgefragt, nämlich ich stimme sehr zu, eher zu, stimme eher nicht zu, stimme gar nicht zu und natürlich auch noch weiß nicht oder keine Angabe.
Peter Hajek
Also, es kommt raus, 58% stimmen dem sehr oder eher zu. So, und sie stimmen aber dem sehr oder eher zu, weil es ja um die Sozialhilfe geht. Wenn wir nur nach Erbschafts- und Vermögenssteuern fragen, dann wird die Stimmung kritischer. Es ist nicht so, dass sie kippt ins Negative, aber sie wird einfach eindeutig kritischer. Aber der Stand der Dinge ist aktuell, dass wir in Österreich einfach Einsparungen vornehmen müssen, diese natürlich auch den Sozialbereich betreffen. Natürlich wäre es viel, viel schöner, wenn wir tatsächlich einmal in der Struktur und in der Verwaltung sparen würden. Angeblich wollen das jetzt die Bundesländer mit dem Bund angehen. Schauen wir uns das einmal an, was das Thema Gesundheit betrifft, auch beim Thema Bildung und so weiter und so fort. Aber es wird halt enger für uns alle.
Wobei man jetzt dazu sagen muss – ich weiß, ich wiederhole mich – es ist ein wohlhabendes Land und wir werden halt die einen mehr, die anderen weniger auf ein paar Dinge verzichten müssen. Es wäre natürlich besser, wenn die mehr verzichten, die auch mehr haben, logischerweise. Was bei Sozialleistungen, wenn sie gekürzt werden, halt meistens dann halt die trifft, die halt weniger haben. Aber lassen wir das jetzt einmal so stehen. Und dann geht der Blick natürlich hinüber, wenn wir das so fragen, hinüber auf die finanziell besser gestellten, logischerweise. Die tatsächliche Gretchenfrage lautet aber bei jenen, die zustimmen, wo greift denn eine Erbschafts- und Vermögensteuer.
Die Gewerkschaft zum Beispiel und auch Sozialdemokratie hat immer gesprochen, oft sprechen sie natürlich polemisch von einer Reichensteuer, bei Erbschaften und oder Vermögen, das kann man sich jetzt aussuchen, von 1 Million.
Michael Stebegg
Brutto oder netto?
Peter Hajek
Das ist dann glaube ich schon wurscht fast und aber es ist wahrscheinlich netto gemeint. Und da sagen aber alle, Expertinnen und Experten, na ja, also wenn man eine Erbschaftssteuer einführen möchte, die auch wirklich Substanz hat, dann wird man das wahrscheinlich ein bisschen niedriger ansetzen müssen. Und das ist halt dann die entscheidende Gretchenfrage und was die politische Konnotation betrifft: Markus Matterbauer hatte gesagt, in dieser Legislaturperiode geht es sich nicht aus, steht nämlich nicht im Koalitionsübereinkommen und dementsprechend machen wir es nicht. Aber: Er hat auch den Zusatz gesagt, vielleicht geht es sich nach der nächsten Nationalratswahl aus.
Michael Stebegg
Schauen wir mal.
Peter Hajek
Und vielleicht kommt die schneller, als man glaubt.
Michael Stebegg
Wir werden sehen. An dieser Stelle noch eine kleine Anmerkung für unseren Hörer Thomas, den viele noch aus unserer letzten Folge kennen. Er hat uns gefragt, ob wir jetzt wöchentlich podcasten, weil wir die Zahl der Woche haben. Nein, wir bleiben beim zweiwöchigen Rhythmus, aber wir haben den Duden und ChatGPT befragt, es ist trotzdem sprachlich korrekt, von der ‚Zahl der Woche‘ zu sprechen.
Kommen wir zurück zur Statistik Austria Studie und widmen uns dem großen Kapitel ‚Politische Teilhabe‘. Laut der Studie interessieren sich nur rund ein Fünftel der Österreicher:innen stark für Politik. War das schon immer so oder hat sich das verändert im Laufe der Zeit?
Peter Hajek
Das war im Prinzip schon immer so. Die Vergleiche auch jetzt mit den Zahlenreihen in meiner Dissertation sind insofern ein bisschen schwer, weil sie unterschiedliche Skalierungen haben. Aber man kann sagen, dass es immer einen größeren Anteil an jenen gegeben hat, die sagen, ich interessiere mich nur eher oder weniger für Politik. Aber was hat sich verändert in der Grundhaltung? Früher gab es vielleicht ein etwas gehobenes Interesse an der Politik, weil ja die Politik, nämlich namhaft SPÖ und ÖVP, ja viele Lebensbereiche durchdrungen haben. Und du ein Parteibuch gebraucht hast, wenn du vielleicht einen Job haben wolltest, vielleicht eine Wohnung zugeordnet haben wolltest. Die Durchdringung der beiden Parteien aller, sowohl Lebens- als auch Wirtschafts-, Welten, war nach dem Zweiten Weltkrieg halt bahnbrechend, hatte viele, Gründe, warum das so war, die wir jetzt nicht ausrollen können und wollen. Aber dementsprechend gab es, ich würd es vorsichtig formulieren, nicht unbedingt ein Wahnsinns Interesse an der Politik, sondern …
Michael Stebegg
… eher ein persönliches.
Peter Hajek
Aber es gab – richtig – ein persönliches Interesse und auch eine persönliche Abhängigkeit von der Politik. Und dementsprechend würde ich sagen, das Interesse hat sich gar nicht so verschlechtert. Drehen wir die Geschichte um. Wir haben ja schon in einem unserer letzten Podcast davon gesprochen, wie ist der Blick der Bevölkerung auf die Politik und da war ja die Fragestellung ‚Die Politikerinnen und Politiker kümmern sich nicht um das, was wir denken und sagen.‘ und das war in den 70ern schon bei 75% und ist heute noch immer bei 75%. Das ist das Viertel, die es interessiert, ist auch das Viertel, die die österreichische Bevölkerung interessiert. Ja, grundsätzlich glaube ich, hat sich das nicht rasend verändert.
Michael Stebegg
Wir haben es gerade kurz gestreift – wenn man dann in der Studie weiterschaut, geht es um die politischen Aktivitäten, die wir als Bevölkerung so machen. Und da sieht man, das laut Statistik Austria in den letzten 12 Monaten 77% an einer Wahl teilgenommen haben, was ungefähr auf Nationalratswahlniveau liegt. Das klingt ja erst mal nicht schlecht. Gleichzeitig engagieren sich nur 5 bis 6% der Bevölkerung in einer Partei oder bei Demonstrationen. Haben wir jetzt also in Österreich eine Wähler:innen Demokratie, aber keine Mitmach-Demokratie?
Peter Hajek
So, so kann man das sagen. Also, man könnte auch sagen, wir haben eine distanzierend politische Kultur. Oder wie es die Freiheitlichen immer gesagt haben: ‚Wahltag ist Zahltag.‘ Die Österreicherinnen und Österreicher neigen – nicht in der Pandemie, da war es vielleicht ein bisschen anders und nachfolgend – aber zu großen Engagement und Demonstrationen neigt man eigentlich hier nicht. Also, ich habe das in der Dissertation verglichen: die US Republikaner mit den Freiheitlichen was die Wählerschaften betrifft. Und das Interessante war – wir sprechen jetzt bitte wie gesagt eigentlich von einer Betrachtung der 90er Jahre – aber auch schon damals war die Beteiligungsform bei Parteiaktivitäten in Österreich bei 7%, bei Demonstrationen bei 5% und bei Petitionen auch bei 4%. Das ist ziemlich, was jetzt die Statistik Austria erhoben hat.
Aber bei den US-republikanischen Wählerinnen und Wählern war das damals schon auch höher. Also das heißt, dieses eigene Engagement war in den USA und ist wahrscheinlich auch heute noch stärker ausgeprägt, weil es einfach eine andere Form auch der politischen Kultur ist. Jetzt können wir natürlich weiter gehen und sagen: wahrscheinlich war es unter Metternich nicht so gewünscht, dass man sich rasend politisch engagiert und das hat sich ein bisschen halt weiter gesetzt. Wir könnten auch noch sagen, dass wir zwar eine relativ hoch bleibende Wahlbeteiligung haben, weil Wahlen bei uns als symbolischer Akt der Zugehörigkeit verstanden wird, aber nicht unbedingt als Ausdruck der politischen Begeisterung. Das habe ich jetzt schön gesagt.
Michael Stebegg
Sehr schön.
Peter Hajek
Ja, ich weiß. Das hab ich mir aus der Dis rausgeschrieben.
Michael Stebegg
Vielleicht lese ich sie mal, die Dis. Wegen Begeisterung – bleiben wir da kurz dabei. Die Studie beschäftigt sich dann weiter damit, welche Art der politischen Aktivitäten ausgeübt wurden. Und das sieht man – Petition hast du schon gesagt. Aber dass auch Social Media eine der häufigsten Formen ist, außerhalb der Beteiligung an Wahlen. Und das klingt ein bisschen nach Convenience. Also, ich like ein Foto von einer Demo und sag: Ich war dabei.
Peter Hajek
Genauso ist es! Also, die heutigen Ausdrucksformen im Social Media Bereich, oder nennen wir es einfach im digitalen Bereich, sind natürlich mannigfach und vermitteln auch eine gewisse Breite und Unterstützung. Es wird ja dann immer gesagt, Wahnsinn, so und so viel Followers und so viel Likes und so viele Interaktionen – wie die gerechnet werden, muss mir auch mal einer vorherhüpfen …
Michael Stebegg
Da können wir mal eine Spezial Folge für dich machen!
Peter Hajek
… und das hat natürlich Wirkung, nämlich, es hat einmal wirtschaftliche Wirkung, weil es ist dann natürlich auch marketinggetrieben und dann kann man vielleicht auch Einnahmen dadurch auch generieren. Du korrigierst mich, wenn das falsch ist.
Michael Stebegg
Ja, politische Parteien würden jetzt weniger Einnahmen aus Postings lukrieren, aber …
Peter Hajek
Ja, das wahrscheinlich, aber wos waß a Fremda! Aber es hat natürlich eine gewisse Wirkung, aber es ist natürlich etwas anderes, wenn Menschen auf die Straße gehen oder wenn sich Menschen engagieren, so wie es auch früher deutlich stärker war. Da gab es ja die blühenden roten Sektionen in Wien, die heute ein pensionäres Dasein fristen. Aber so ist halt der Zug der Zeit. Aber ja, ein ein Like, ein Posting, ein Tweet, you name it, ist deutlich leichter gemacht als wenn ich auf ein Amt gehe zum Beispiel und dort eine Petition unterschreibe. Und insofern ja, könnten wir tatsächlich bisschen von der Convenience Demokratie sprechen.
Die Frage ist natürlich, was hat das halt für Auswirkungen auf unser aller Leben. Also, es findet ja, nehmen wir einen lustigen Gesellen der heutigen Zeit her, Donald Trump, der ja alles über Truth Social macht und dort alles verkündet. Und aber auch die ganzen Stakeholder und Medien darauf reagieren. Also es hat sich natürlich vollkommen verändert und weitergedreht. Also und das ist das Interessante jetzt im Vergleich zu meiner Dissertation, die habe ich, wie gesagt, vor 20 Jahren beendet. Wahnsinn! Es ist irrsinnig, wie sich das verändert hat.
Michael Stebegg
Wie sich ein Social Network zum Pressesprecher oder Pressesprecherin aufspielt.
Peter Hajek
Unglaublich.
Michael Stebegg
Ein weiteres Kapitel in der Studie beschäftigt sich mit der Frage des ‚Gehörtwerdens‘. Hier sagen 81 Prozent der Befragten, dass sie sich politisch nicht gehört fühlen. Das haben wir eh schon mal festgestellt. Das haben die Menschen ja schon immer gesagt. Ich glaube, den Punkt hatten wir auch schon mal in unserer Live-Folge: ‚Steht Österreich am Abgrund zur Diktatur?‘ Daher erlaube ich mir gleich eine Nachfrage: Wenn nur jeder Fünfte oder jede Fünfte das Gefühl hat, dass die eigene politische Stimme zählt. Wie gefährlich ist diese Entfremdung gerade im Kontext steigender Wahlbeteiligung von populistischen – rechts- oder linkspopulistischen – Parteien?
Peter Hajek
Na, ich würde das rein auf populistische Parteien beziehen, denn wenn du zum Beispiel nach Frankreich schaust, ja. Dort hast du sehr starke rechts und linkspopulistische Gruppierungen, die eigentlich zu einer Lähmung des Parlaments führen, wo Premiers im Stundentakt zurücktreten und wieder ernannt werden und das ist tatsächlich ein Problem. Ob das nur damit zusammenhängt, dass sich Menschen nicht gefühlt hören, das weiß ich nicht, das können wir so nicht sagen. Aber wir haben natürlich ein, wie soll ich sagen, ein Gefühl der Entfremdung. Und das ist aber, Michi höre & staune, nicht neu, weil schon in meiner Dissertation aus dem Jahr 1997 …
Michael Stebegg
Achtung! Wir schalten auf analog um, bitte.
Peter Hajek
… habe ich geschrieben von einer strukturellen Entfremdung zwischen Bürgern und politischem System. Tut mir leid, wir haben es damals noch nicht gegendert. Und die politische Entscheidungen werden als intransparent und elitär wahrgenommen – und das in einer Dissertation, wie gesagt, die vor 20 Jahren verfasst worden ist. Und das hat sich fortgesetzt bei uns. Und das hat sich fortgesetzt in der westlichen Gesellschaft. Das heißt, man hat das Gefühl, es gibt das, was Herbert Kickl immer als Narrativ verwendet, die Elite, die da oben, wie gesagt, hat es in früheren Zeiten auch schon geben. Aber es ist dieses, dieses Momentum ist viel, viel stärker geworden und natürlich haben sowohl die Syrien-Krise als auch die Pandemie das Ganze auch noch unterstützt. Jetzt kommt die, die vorher von uns angesprochene Digitalisierung, die das natürlich in einem unglaublichen Ausmaß beschleunigt. Und jetzt hast fertig den Salat, obwohl sich auf lange Sicht die Einstellung der Menschen nicht rasend verändert hat.
Michael Stebegg
Aber könnte man dann vermuten, dass wir aufgrund dieser zusätzlichen oder weiteren Faktoren, auch wenn wir sagen, wir sind stabil ‚nicht gehört‘, dass wir mal an einen Kipppunkt kommen und dann die Leute sagen ‚Jetzt reicht es aber wirklich!‘ oder ist es einfach ein naja …
Peter Hajek
Aber Was ist ‚Jetzt reicht es aber wirklich.‘ Was soll das sein? ‚Jetzt reicht es aber wirklich‘? Also, sprichst du von Revolution oder sprichst du von ‚Ich wähle jetzt‘, ich weiß nicht …
Michael Stebegg
Na ja, beginnend bei einer Denkzettelwahl, wo ich bewusst sage: ‚So, jetzt gebe ich mal den anderen die Stimme.‘
Peter Hajek
Aber das passiert laufend. Also, die Freiheitlichen in Österreich haben deshalb 29% bekommen und liegen jetzt in den Umfragen – wie wir schon beim letzten Mal herausgearbeitet haben – bei 33, 34% und profitieren zumindest beim einem Drittel ihrer Wählerschaft genau von diesem Momentum: ‚So, jetzt geb‘ ich den Anderen mal die Stimme, weil des is a Witz, was die Anderen aufführen!‘
Das Problem der österreichischen Bundesregierung ist ja, dass Mühle auf – Mühle zu gespielt werden kann, weil sie haben ja jetzt nichts Positives zu verkünden und jetzt gibt es wahrscheinlich noch den ein oder anderen, der sagt: ‚Aber jetzt gebe ich‘s erst recht den Freiheitlichen.‘ Man muss aber sagen: Die können gar nicht anders. Also die sind wirklich gebunden, deshalb sei hier noch mal zitiert mein lieber Kollege, Thomas Hofer, der mal gesagt hat, er glaubt, Herbert Kickl wollte gar nicht in die Regierung. Weil die Situation, die man jetzt hat, die ist wirklich sehr, sehr schwierig. Aber wie gesagt, das passiert bei Wahlen ja laufend.
Der Herr Farage in Großbritannien führt die Umfragen bahnbrechend an und das dortige mehrheitsfördernde Wahlsystem könnte einen Herrn Farage als nächsten Premier bringen. In Frankreich sind die rechts und links populistische Fraktionen sehr sehr stark. Man wird sehen was bei einer nächsten Präsidentenwahl herauskommt. Wir haben eine Georgia Meloni, die sich aber als große Pragmatikerin erwiesen hat, aber auch sie war so eine Art Denkzettel Wahl. Die Großen – sowohl die Sozialdemokraten als auch die Christdemokraten in Italien – sind ja nur noch verschieden gering vertreten.
Also wir haben das ja laufend, aber ein gut ausgewogenes demokratisches System einerseits mal das Wahlsystem, auf der anderen Seite die Checks and Balance, dann die Gewaltentrennung. Wenn das gut austariert ist, dann wird man auch solche Denkzettelwahlen überstehen. Die Problematik ist, wenn etwas kippt, also siehe Türkei, siehe auch Ungarn. Wenn es in eine Richtung gibt, wo man freundlich formulieren könnte, nach Colin Crouch, von der Postdemokratie oder wie es ich sagen würde, von einer beschädigten Demokratie. Wobei ich bei der Türkei würde ich gar nicht mehr von einer beschädigten Demokratie sprechen. Die Türkei ist ein autoritäres System. Punktum.
Michael Stebegg
OK. Ein letzter Punkt, den ich mir gerne mit dir bei dieser Statistik Austria Umfrage anschauen möchte, ist dass wenn man sich jetzt die unterschiedlichsten Fragestellungen und Bereiche anschaut, dann sind immer besonders stark betroffen die vulnerablen Gruppen. Das heißt also Menschen zum Beispiel mit niedrigem Einkommen oder alleinerziehende Personen. Bedeutet das, dass die soziale Ungleichheit sich zunehmend in politische Ungleichheit übersetzt?
Peter Hajek
Ja, bis zu einem gewissen Grad ist das so. Und auch das ist eigentlich nichts Neues. Also ich komme das letzte Mal zurück auf meine Dissertation, auch dort habe ich geschrieben, dass die politische Teilhabe wird zu einer Frage sozialer Lage. Und das war schon immer so. Es war natürlich, ist die, wie soll ich es sagen – ein abgesichertes soziales, ökonomisches Umfeld ist schon immer gewesen die breite Basis für eine demokratische Entwicklung. Und Ungleichheit war auch immer schon ein politischer Treiber. Gerade die Sozialdemokratie, die sich für Gruppen eingesetzt haben, die keinen ökonomischen Background hatten, die, wenn man so will, sozial entrechtet waren, die keine Möglichkeiten hatten wie Gesundheitsvorsorge, Pensionssysteme et cetera. Gerade durch die Vertretung dieser Gruppen hat sie natürlich einen großen politischen Aufschwung genommen und meines Erachtens wurde sie damit zur erfolgreichsten politischen Bewegung, die es je gegeben hat. Die aber, wie es Ralf Dahrendorf schon 1989 geschrieben hat, alles erreicht hat, was erreicht hat und deshalb hat er damals ein Buch herausgebracht mit das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts. Aber ja, das ist nicht neu, die Frage ist eben nur, wird diese soziale Lage von politisch Akteuren missbraucht, um möglicherweise autoritäre Systeme zu etablieren und oder gibt es eine menschenfreundliche Variante und demokratische Variante davon?
Michael Stebegg
Du hast mir das Stichwort – das wäre meine allerletzte Frage gewesen – vorweggenommen. Nämlich dadurch, dass diese vulnerablen Gruppen größer werden und eben dort die Unzufriedenheit größer wird, sie weniger Teilhabe – gefühlt oder in echt – haben, diese Gruppen sind, wie du schon gesagt hast, grosso modo das klassische sozialdemokratische Wählerpotenzial. Ist das jetzt nicht eine Chance für die SPÖ? Auch wenn sie vielleicht vom Dahrendorf tot gesagt wird. Aber jetzt da einzugreifen und einfach genau diese menschenfreundliche Politik zu machen?
Peter Hajek
Also wir müssen mal, Michi, mit einer Urban Legend aufhören: Es gibt in Österreich keine Gruppen, die in größerer Armut leben. Es ist, wir sind wirtschaftlich gesehen, eine Erfolgsgeschichte. Auch weltweit ist das alles eine Erfolgsgeschichte. Weil die Armut trotzdem, auch wenn sie noch immer in großen Teilen vorhanden ist, einfach immer mehr zurückgeht. Also, es ist einfach falsch, dass wir hier in Österreich ganz knapp vor der Verelendung stehen. Das stimmt einfach nicht. Nachweislich nicht.
Michael Stebegg
Na ja, nicht Verelendung. Aber dass es den Leuten, ob in echt oder gefühlt, schlechter geht, zeigen ja die Umfragen, die wir laufend haben, dass die Leute sagen: ‚Ich hab weniger Geld, mir geht es schlechter heute, ich habe weniger politische Teilhabe.‘ Auch wenn es nur gefühlt ist, ist das nicht einfach ein gutes Momentum für die SPÖ oder auch für andere, ich sag mal, menschenfreundliche Politik.
Peter Hajek
Ja. Wir gehen davon aus, dass, dass alle Gruppierungen im österreichischen Parlament einen menschenfreundlichen Ansatz pflegen. Aber natürlich ist das eine Chance für die Sozialdemokratie. Nur die Sozialdemokratie muss verstehen, dass mit den Rezepten der 70er und 80er Jahre, ich nicht weiterkomme. Ich brauche mich nicht mehr auf Bruno Kreisky berufen, die Zeit ist vorbei. Nämlich sehr lang schon. Ja, das heißt: Ja, die Sozialdemokratie als politische Bewegung hat ihre Daseinsberechtigung. Aber sie muss das heute genauso wie die ÖVP oder christdemokratische Parteien ins 21. Jahrhundert transferieren. Und es ist nicht so, dass wir jetzt am Beginn des 21. Jahrhunderts stehen. Also grad nimma. Ja, also sie, sie hätten das schon ein bisschen früher angehen können.
Michael Stebegg
Wir stehen am Beginn des Endes unserer 29. Ausgabe. An dieser Stelle meine traditionellen Hinweise: Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, eine Frage haben oder sich zu einem Thema in dieser Folge äußern wollen, schreiben Sie bitte sehr gerne an frag@dasorakel.at. Und diese Folge und alle anderen auch gibt es zum Nach- und Immer-wieder-hören auf www.dasorakel.simplecast.com und überall dort, wo es gute Podcasts gibt. Die nächste Folge erscheint dann am Donnerstag, 30.10. Bis dahin sagen wir: Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.
Peter Hajek
Das Orakel.
Autor:in:Michael Stebegg |