Rohrer bei Budgen
"Wem "SPÖ 1" eingefallen ist, würde ich sofort entlassen"
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In Folge 17 von Rohrer bei Budgen sprechen Innenpolitik-Journalistin Anneliese Rohrer und Patrick Budgen über die Krise in der Medienbranche, die schlechten Umfragewerte der Regierungsparteien und die Bedeutung der Neutralität. Gast im Podcast ist diesmal Völkerrechtler Ralph Janik.
Patrick Budgen
Frau Doktor, diese Woche ist Halloween.
Anneliese Rohrer
Das war auch das einzig Spaßige an dieser Woche.
Patrick Budgen
Finden Sie?
Anneliese Rohrer
Ja, schon.
Patrick Budgen
Kann man Sie leicht erschrecken, eigentlich?
Anneliese Rohrer
Nicht mit Halloween.
Patrick Budgen
Nein?
Anneliese Rohrer
Nein. Mit irgendwelchen Geistern in Häusern schon, aber nicht mit Halloween.
Patrick Budgen
Und mit Innenpolitik auch nicht mehr wahrscheinlich, oder?
Anneliese Rohrer
Na. Das wäre traurig.
Patrick Budgen
Hallo und herzlich willkommen. Das ist Rohrer bei Budgen, der politische Podcast. An dieser Stelle wollen wir alle zwei Wochen die innenpolitischen Geschichten des Landes, die Aufreger, die Skandale, kurzum alles, worüber gesprochen wird, analysieren und einordnen. Wir, das bin ich, Patrick Budgen, seit 20 Jahren ORF Journalist und Moderator. Und sie muss sich wie immer nicht vorstellen, Sie ist die Stimme im heimischen Innenpolitik Journalismus. Vielfach ausgezeichnet. Frau Dr. Anneliese Rohrer, hallo. Da verdreht sie wie immer die Augen. Wir sind mittendrin in den Herbstferien. Dementsprechend ruhig ist es diese Woche innenpolitisch. Es gibt dennoch genug Gesprächsstoff für Folge 17 von Rohrer bei Budgen. Stichwort Medienpolitik, die schlechten Umfragewerte für die Regierungsparteien und der Skandal rund um SOS Kinderdorf, der sich immer weiter ausweitet. Und wir nehmen uns heute mal ein bisschen mehr Zeit, um in die Tiefe zu gehen zu ganz grundsätzlichen Dingen wie etwa der Neutralität, deren Bestehen wir ja am Sonntag am Nationalfeiertag gefeiert haben. Und dazu haben wir heute einen profunden Gast, der ein neues Buch dazu geschrieben hat. Völkerrechtler Ralph Janik ist uns telefonisch zugeschaltet. Hallo.
Ralph Janik
Hallo.
Patrick Budgen
Frau Doktor. Wie bei uns üblich, Ladies first. Sie stellen die erste Frage.
Anneliese Rohrer
Ja, mich würde vor allem interessieren. Was glauben Sie wäre notwendig, um eine Mehrheit der Österreicher zu überzeugen, dass die Neutralität ein Auslaufmodell ist?
Ralph Janik
Wir haben unser Buch ja extra Auslaufmodell Neutralität mit einem Fragezeichen genannt, weil ich mir selbst noch nicht so ganz sicher bin bzw. der Pragmatiker in mir sagt, weil es genau diese Mehrheit ohnehin nicht geben wird, geht man damit um, was jetzt gerade verfassungsrechtlich vorgesehen ist? Und es ist ja in gewisser Hinsicht ohnehin schon der größte Schritt gemacht worden, nämlich 1995 und in Jahren danach, weil wir ja durch die EU Mitgliedschaft und die Weiterentwicklung der Außenpolitik und der Verteidigungspolitik der EU die Neutralität ohnehin über weite Strecken eingeschränkt haben. Also der langen Rede kurzer Sinn, Auslaufmodell im traditionellen Sinne. Ja, aber wir haben das ja selbst ohnehin schon vor längerem erkannt und insofern sie ja eh angepasst, aber wohlweislich nicht abgeschafft.
Anneliese Rohrer
Ich komme noch einmal zurück zur Frage, weil Sie gesagt haben, das wird es nie geben. Eine Mehrheit der Österreicher wird es nie geben. Es gab dann plötzlich in Finnland eine Mehrheit, es gab plötzlich in Schweden eine Mehrheit. Kann man das wirklich so sagen, dass das nie sein wird?
Ralph Janik
Ich glaube, was sich verändern würde oder was eine maßgebliche Veränderung bewirken würde, wäre wirklich ein direkter Angriff von Seiten eines anderen Staates auf Österreich. Und selbst dann auch nur dann, wenn jetzt auch niemand sonst Österreich zu Hilfe kommen würde, weil man sagen würde, ihr helft uns ja auch nicht. Also wenn man jetzt zum Beispiel, wir haben ja genau das Problem in Österreich, dass wir zum Beispiel nach unserer Verfassung gar nicht die Möglichkeit haben, ein anderes EU Land gegen einen Angriff mit dem Bundesheer zu schützen, weil das entsprechende Gesetz das nicht vorsieht. Wir könnten theoretisch Waffen liefern, wir könnten theoretisch Waffenlieferungen über unser Gebiet zulassen, aber das Bundesheer könnten wir nicht entsenden. Wenn jetzt aber Österreich selbst angegriffen würde, könnten andere uns unterstützen, aber gleichzeitig könnten andere Länder auch sagen, warum sollen wir euch unterstützen? Ihr würdet uns im Fall eines Falles ja wegen der Neutralität auch nicht unterstützen. Also was einen Wandel in der öffentlichen Meinung wahrscheinlich herbeiführen würde, wäre ein direkter Angriff auf Österreich von außerhalb der EU, auf den dann auch noch dazu keine Reaktion von anderen EU Ländern kommen würde, weil die sagen würden, wir helfen euch nicht, weil ihr uns ja auch nicht helfen würdet.
Patrick Budgen
Mich würde interessieren, Herr Janik, warum hängt der Großteil der Bevölkerung denn so an der Neutralität? Warum ist das bei uns in Österreich so eine heilige Kuh wie Mozart Kugeln und Stephansdom?
Ralph Janik
Ich glaube, das hat sehr, sehr viele Gründe. Einer ist natürlich historisch. Wir haben mit der Neutralitätspolitik sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir haben in der Zeit vom Kalten Krieg, und das sage ich jetzt auch als Völkerrechtler, es geschafft, eine relativ große Rolle zu spielen. Wenn ich jetzt Völkerrecht unterrichte, erzähle ich von ganz vielen Verträgen, die Wien im Namen haben. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge. Wiener Übereinkommen über Staaten Nachfolge. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen. Die heißen alle Wiener Übereinkommen sind verschiedene Verträge, weil die in Wien ausverhandelt wurden bzw. In Wien beschlossen wurden. Das heißt, wir haben da mal eine große Rolle gespielt. Und dann natürlich all die klassischen Geschichten, Gipfeltreffen, Kennedy, Chruschtschow, dann andere große Treffen in Wien, die erfolgreiche Außenpolitik von Kreisky und dann natürlich auch noch, dass die UNO in Wien einen Sitz hat, was ich auch wiederum aus meiner Perspektive sehe, weil zum Beispiel wir haben einen Master an der SFU, wenn ich so viel Werbung erlauben darf. Da kommen die Leute einerseits, weil es in Wien so schön ist, aber andererseits auch, weil sie sagen, wir wollen ja auch über die UNO was lernen und die UNO hat hier einen Sitz. Und das sind alles Dinge, die bis heute spürbar sind.
Der zweite große Grund ist, das merke ich vor allem an den Reaktionen, die mir über E Mails so zugeschickt werden, manche auf meine Aussagen öffentlich. Wenn ich zum Beispiel die Neutralitätspolitik kritisiere, die Menschen assoziieren Neutralität mit Frieden. Wir haben die historische Lektion gelernt, dass wenn Österreich sich an Kriegen beteiligt, das meistens vor allem für Österreich nicht gut endet. Und viele Menschen assoziieren die Neutralität mit Frieden und Sicherheit bzw. Damit, sich nicht in Kriegen einzumischen. Man könnte aber parallel dazu genauso sagen, warum war Österreich jetzt die letzten Jahrzehnte friedlich oder sicher? Wir waren ja genauso auch Teil der europäischen Familie, wir waren UNO Mitglied. Das könnte ja genauso gut auch an der UNO Mitgliedschaft liegen. Es könnte genauso gut daran liegen, dass wir Mitglied des Europarats waren für die NATO Länder, die können sagen bei denen es war ja nicht nur Österreich friedlich, Deutschland war ja genauso friedlich. Deutschland könnte sagen, bei uns war Frieden wegen der NATO. Also man muss da immer bedenken, ist etwas kausal oder ist es einfach nur korreliert? Also war die Neutralität der Grund, warum wir in Frieden gelebt haben oder war es bloß Korrelation? Das heißt, wir waren neutral, aber nicht deswegen war es in Österreich friedlich, sondern es war zufällig nebeneinander. Aber emotional scheint für viele das Wort Neutralität mit Sicherheit Hand in Hand zu gehen bzw. sogar eine Bedingung für Sicherheit zu sein.
Anneliese Rohrer
Ja, aber die Politik hat schon auch Schuld. Wir erinnern uns, Sie sich sicher auch. Wir erinnern uns an Thomas Klestil, der die Neutralität in den Tabernakel der Geschichte verschieben wollte. Wir erinnern uns an Wolfgang Schüssel, der gesagt hat, sie ist überholt, wo man dann gedacht hat, naja, also mit was werden wir uns verteidigen? Mit Mozartkugeln oder wie? Und in dem Moment, wo die erste Umfrage gezeigt hat, dass das nicht ankommt, war die politische Diskussion schon beendet. Zuletzt vor der letzten Wahl ist es auch wieder aufgepoppt und Bundeskanzler Nehammer hat gesagt, aus Schluss. Die Politik ist ja auch nie dran geblieben, obwohl alle historischen Beispiele zeigen, dass die Neutralität an und für sich niemanden schützt.
Ralph Janik
Man merkt, dass Politiker, was das Thema angeht, verwenden wir ein hartes Wort, durchaus feige sind oder merken, dass man da nicht viel zu gewinnen, aber viel zu verlieren hat. Wir haben immer wieder so zaghafte Versuche, darüber zu sprechen, aber sobald es auf dieses emotionale Thema geht, wird das schnell zurückgerudert. Das fällt mir auch auf. Und es fällt mir auch, wie ich vorhin schon angedeutet habe, daran auf, dass wenn ich sogar nicht die Neutralität als solche hinterfrage, aber unseren Umgang mit der Neutralität, dann bekomme ich wütende Mails, ob ich Kinder habe, ob ich die in den Krieg schicken würde, warum ich nicht selbst in der Ukraine kämpfe und dergleichen. Und mir scheint, dass politische Parteien und vor allem auch Regierungsmitglieder sich das nicht antun wollen, weil sie eben Sorge davor haben, dass sie da ganz viele Wählerstimmen verlieren, wenn sie nur mal darüber offen sprechen oder eine offene Diskussion fordern. Ich habe auch einmal ich mache das normal nicht, aber ich habe einmal einen offenen Brief unterschrieben, in dem ich deswegen unterschrieben habe, weil da nur drin stand eine offene Diskussion über Sicherheitspolitik. Da stand nicht drin die Neutralität abschaffen. Ich selber habe noch nie irgendwo gesagt, Neutralität abschaffen, aber allein die Forderung nach einer offenen sicherheitspolitischen Diskussion hat schon einige getriggert, weil man da die Sorge hat, dass das im Endeffekt dazu führen könnte, Neutralität aufzugeben. Und viele glauben, Neutralität bedeutet Sicherheit, keine Neutralität bedeutet, dass am nächsten Tag Österreich angegriffen wird. Und das weiß ja zum Beispiel auch Russland. Ich möchte da erinnern an vor gar nicht allzu langer Zeit diese Aussage von Herrn Medwedew, der gesagt hat, Österreich muss neutral sein oder soll neutral sein und man wäre vertraglich dazu verpflichtet, dazu nur ein Wort: Wir sind nicht vertraglich dazu verpflichtet, neutral zu sein. Das ist auch so ein Mythos, der immer und immer wiederkehrt, sogar von hochrangigen Politikern, die teilweise Positionen haben, wie Sprecher in dem Bereich zu sein und sogar die sagen, die Neutralität stünde im Staatsvertrag. Das stimmt einfach nicht. Wir haben sie einseitig und wie es im Neutralitätsgesetz heißt aus freien Stücken erklärt und was man aus freien Stücken erklärt, kann man aus freien Stücken auch wieder zurücknehmen. Wir müssen nicht neutral sein. Wir wollen ja, die Bevölkerung, Mehrheit will es, aber völkerrechtliche Verpflichtung gibt es dazu nicht. Und wenn ich nur noch einen Satz erlauben darf, verzeihen Sie den langen Monolog, weil mir das eben ganz besonders wichtig ist. Die Leute haben ja ganz verschiedene Vorstellungen von dem Wort Neutralität. Rita Philips von der Universität Klagenfurt hat da eine Umfrage gemacht und die hat gezeigt, dass es ein ganz diffuses Bild ist. Die einen assoziieren damit Frieden, die anderen eben außenpolitische Bedeutung. Für viele war es auch eine Art Ersatz nach dem großen Bedeutungsverlust im Zuge des Ersten und dann des Zweiten Weltkriegs, dass man trotzdem noch besonders ist. Jetzt ist man vielleicht keine große Monarchie in Europa mehr, aber man hat diesen ganz besonderen Status. Und das ist ein bisschen eine Art außenpolitisches und innenpolitisches Placebo, dass man sagen kann, wir sind vielleicht nicht mehr groß und mächtig, aber wir sind neutral, wir sind Vermittler, wir sind Brückenbauer. Ob wir das wirklich sind, ist was ganz anderes, aber das interessiert viele dann auch gar nicht. Da reicht vielen das Gefühl, dass wir der große Vermittler und Brückenbauer sind. De facto sind wir es ohnehin nicht mehr, weil dazu müsste das Außenministerium mehr Geld bekommen, weil so eine Konferenz, es war zum Beispiel letztes Jahr eine zu autonomen Waffensystemen, da waren viele Leute, da muss man Catering finden, verträgliches Essen, kulturell und religiös akzeptables Essen. Da muss man einen Caterer finden, der das überhaupt kann, der das auch tun will. Da muss man Räumlichkeiten anmieten, da muss man irrsinnig viel Personal bezahlen, das kostet alles Geld. Also nur sagen wir sind neutral, lieber Rest der Welt kommt zu uns und haltet eure Konferenzen ab oder verhandelt. Bei uns ist nicht genug. Da braucht man entsprechende Ressourcen. Und da schaut es bei Politikern ganz anders aus. Also die Neutralität verteidigen oder eben davon sprechen, dass wir der große Vermittler und Brückenbauer sind, das ist das eine. Es kostet nichts. Wenn es dann ans Eingemachte geht, also Budget fürs Außenministerium schaut es schon wieder ganz anders aus.
Patrick Budgen
Sie haben gesagt, wir sind aus freien Stücken neutral. Wie könnte denn die Neutralität theoretisch abgeschafft werden im Parlament? Was braucht es dazu?
Ralph Janik
Sie stellen eine Ketzerische Frage. Die einfache Antwort ist, ist ein Verfassungsgesetz wie jedes andere auch und kann dementsprechend mit Verfassungsmehrheit, also zwei Drittel im Nationalrat abgeändert oder abgeschafft werden Und völkerrechtlich braucht es einen sogenannten contrarius actus. Also wir haben sie einseitig erklärt und müssen sie dementsprechend auch einseitig widerrufen. Also eben allen Staaten kommunizieren, wir sind jetzt nicht mehr neutral und die anderen können das akzeptieren oder nicht akzeptieren, aber sie haben da nichts zum Mitreden.
Anneliese Rohrer
Würde das eine Gesamtänderung der Verfassung bedeuten und daher Volksabstimmung?
Ralph Janik
Nein. Also politisch ja. Deswegen würde ich, wenn ich jetzt in die Rolle eines politischen Beraters schlüpfe, es empfehlen, eben auch auf Grundlage einer offenen Diskussion, aber notwendig ist es nicht, weil politische Gesamtänderung wäre eben das liberale Prinzip beispielsweise, oder dass wir überhaupt eine Demokratie sind. Die Neutralität mag politisch in der Wahrnehmung von vielen, weil es so ein emotionales Thema ist, eine Gesamtänderung würde, also ihre Abschaffung würde eine Gesamtänderung bedeuten, aber juristisch nicht. Sie ist nicht so ein Eckpfeiler unserer Verfassung, dass da eine Volksabstimmung zwingend vorgesehen ist, aber aufgrund der Bedeutung würde ich eine Volksbefragung hier mir wünschen, damit niemand sagen kann, oh, wir haben die Neutralität verändert oder abgeschafft und niemand hat uns gefragt. Also fragen sollte man da zusätzlich zu einer entsprechenden Verfassungsmehrheit im Parlament die Leute schon, aber ich glaube, wenn es da eine Zwei Drittel Mehrheit im Parlament gäbe, dann würde auch schon ein bisschen Gesinnungswandel oder ein Wandel in der Meinung der Bevölkerung auch schon davor stattgefunden haben.
Patrick Budgen
Sehr, sehr spannend, würde ich sagen. Ich glaube, wir haben viele Fragen geklärt rund ums Thema Neutralität live aus Griechenland zugeschaltet sozusagen. Ralph Janik, vielen Dank für Ihre Analyse heute.
Anneliese Rohrer
Danke vielmals.
Ralph Janik
Danke auch für die Einladung.
Patrick Budgen
Vielen Dank. Ralf Janik. Eigentlich auf Urlaub, Workation nennt man das jetzt. Frau Dr. Rohrer, haben Sie das schon mal gehört?
Anneliese Rohrer
Wieder ein neues Wort gelernt.
Patrick Budgen
Also wenn man eigentlich im Urlaub arbeitet. Mit seinem Laptop.
Anneliese Rohrer
Nicht out of office, sondern Workation.
Patrick Budgen
Workation, genau. Haben wir wieder was gelernt. Frau Doktor, jetzt, wo wir so unter uns sind, müssen wir noch ein paar andere Dinge besprechen. Unter uns, der Manuel ist wie immer dabei, unser Producer. Die Rede des Bundespräsidenten am Nationalfeiertag. Sie haben die sicher gesehen, wie ich sie kenne. Wie hat es Ihnen gefallen?
Anneliese Rohrer
Ich fand es nicht überraschend, aber ich fand es in der Tatsache, dass er bei einem Begriff geblieben ist, nämlich den guten Kompromiss, den er nicht weiter ausgeführt hat, in der Annahme, jeder in Österreich weiß, was ein guter und falscher Kompromiss ist, fand ich gut, weil das war fokussiert auf das, was Österreich eigentlich braucht und auf das, was in Österreich so in Verruf geraten ist.
Patrick Budgen
Hören wir vielleicht einmal kurz hinein in die Rede von Alexander Van der Bellen am Nationalfeiertag.
Alexander van der Bellen
Die Lage, in der sich unsere Heimat Österreich heute befindet, fordert die Fähigkeit zum verantwortungsvollen, also zum guten Kompromiss ein. Die internationale Politik, die wirtschaftliche Situation, die Budgetlage erfordern mutige Entscheidungen. Verantwortung sieht hier nicht weg, sondern nimmt wahr, dass dies eine günstige Gelegenheit, im Englischen würde man sagen eine opportunity zu prinzipiellen strukturellen Veränderungen ist und geht sie mutig an, auch wenn es wehtut, weil es noch mehr wehtun wird, nichts zu ändern.
Patrick Budgen
Frau Dr. Was ist ein guter Kompromiss im Vergleich zu einem schlechten Kompromiss aus Ihrer Sicht?
Anneliese Rohrer
Also ich finde, das sollten wir zwei einmal und überhaupt in den Medien diskutieren, weil für die Medien und für die Journalisten ist eigentlich jeder Kompromiss eine Sache von Gewinnen und Verlieren. Und dieser Zugang, dass es immer einen Verlierer geben muss beim Kompromiss, der hat, glaube ich, in den letzten Jahrzehnten Österreich sehr geschadet. Also atmen wir kurz durch und sagen, ein guter Kompromiss ist, wo jeder irgendwas nachgibt, aber das Resultat ist dann, wenn man so will, das Beste aus zwei Positionen.
Patrick Budgen
Müssen wir aufpassen mit dem, das Beste aus zwei Welten.
Anneliese Rohrer
Nana ich habe keine Welten mehr, das ist zu hoch gegriffen, aber wo es also keinen Sieger und keinen Verlierer gibt, sondern da hat man sich geeinigt auf einen gewissen Weg und wenn der in die Irre führt, könnte man ja das korrigieren, aber das ist in Österreich auch nicht möglich, weil korrigieren würde wieder Eingeständnis sein. Also da hat er schon einen Punkt gehabt, dass man darüber, dass man das festigen sollte, dieses Weggehen von Sieg und Niederlage.
Patrick Budgen
Manchen Beobachtern habe ich gelesen, war die Rede ein bisschen zu optimistisch, also zu wenig die Probleme behandeln, die wir derzeit haben. Sie schauen mich jetzt zu finster haben.
Anneliese Rohrer
Nein, das hat nichts mit Ihnen zu tun, sondern ich schaue deshalb so finster, weil man muss zur Kenntnis nehmen, offenbar, und das würde ich verstehen, der Bundespräsident oder auch der ehemalige Bundeskanzler Schüssel bei der Verleihung der Österreicher des Jahres durch die Presse hat das fürs Lebenswerk bekommen und hat genau dasselbe, in anderen Worten, natürlich gesagt, wir brauchen Zuversicht. Und da komme ich immer wieder, ich weiß, Journalismus ist Wiederholung. Das hat schon der alte Schulmeister gesagt, gebrüllt durch die Redaktion, Journalismus ist Wiederholung. Man kann es nicht oft genug sagen. Der ehemalige Bruder von JFK, also der Edward Kennedy, dessen Sohn Knochenkrebs hatte, der hat in seiner Biografie geschrieben, Ich habe ihm gesagt, du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du akzeptierst es und bist optimistisch oder du bist pessimistisch. Wenn du optimistisch bist, hast du wenigstens 50 Prozent der Chance, dass das gut ausgeht. Bei Pessimismus gar nicht. Also Jahrzehnte danach reden wir von Zuversicht. Und das ist schon, glaube ich, vielleicht auch in Deutschland nicht ein mitteleuropäischer Zug, aber jedenfalls ein österreichischer, dass man, Gusenbauer hat einmal gesagt, der ehemalige Bundeskanzler, sudern, dass man sich selbstständig negativ einstellt. Es kann nicht, das ist ja das, was Österreich wirklich, woran Österreich wirklich leidet. Das kann nicht funktionieren, das geht nicht, das können wir nicht.
Patrick Budgen
Zählen Sie sich da auch dazu eigentlich?
Anneliese Rohrer
Ja, ja, nur hoffe ich jedenfalls, dass sie nicht so lange braucht, bis ich draufkomme, dass das der falsche Zugang ist. Aber ja, wahrscheinlich ist meine spontane Reaktion und das ist schädlich, etwas abgemildert durch meine Zeit in Amerika, weil die haben natürlich einen total anderen Zugang und abgemildert auch durch geht nicht, gibt's nicht. Aber sagen wir so, von meiner Sozialisation her bin ich anfällig für das, daher verstehe ich es auch.
Patrick Budgen
Aber ein Appell für und an die Zuversicht. Ich würde gerne zu den Kompromissen wieder zurückkommen. Aus vielen Kompromissen besteht ja auch die aktuelle Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS. Und die kommt laut aktuellen Umfragen nicht gut weg, muss man sagen. Peter Hayek hat eine ganz aktuelle Umfrage für die Gratiszeitung Heute durchgeführt, um die Stimmung nach acht Monaten zusammenzufassen und die schaut so die FPÖ kommt auf 34 Prozent, die ÖVP auf 23 die SPÖ stürzt auf 17 Prozent ab, Grüne 11 und NEOS 10 Prozent, wenn man die drei Regierungsparteien zusammenrechnet, nur noch eine ganz hauchdünne Mehrheit. Im Juni waren es noch 55 Prozent. Woran liegt dieser Abwärtstrend in den Umfragen?
Anneliese Rohrer
Naja, dass die Leute das Gefühl haben, es passiert zu wenig und es passiert zu wenig schnell in den Dingen, die sie wirklich betreffen. Das sind also die Energiekosten und die Lebenshaltungskosten, vielleicht auch noch die Suche nach leistbaren Wohnen, wie die SPÖ das sagt. Also in den Dingen, die sie wirklich betreffen und im Alltag, da haben die Leute das Gefühl, macht die Regierung nicht genug.
Patrick Budgen
Warum?
Anneliese Rohrer
Und zu Recht.
Patrick Budgen
Zu Recht? Ist es zu langsam?
Anneliese Rohrer
Ja, zu Recht. Und es ist zu langsam und es hängt wieder in den, ich würde mal sagen, es hängt in den österreichischen Seilen.
Patrick Budgen
Die Regierung oder was hängt in den österreichischen Seilen?
Anneliese Rohrer
Ja, die Regierung. Nehmen nur die Energiekosten her. Die Energiekosten sind deshalb so undurchsichtig und steigen immer mehr, weil A Das wird nicht erklärt. Da war unlängst im ORF ein Experte, ich hab vergessen von wo der tatsächlich gesagt hat, die Energiekosten werden steigen, weil die Netzkosten steigen und die Netzkosten steigen, weil zu wenig verbraucht wird. Welcher Durchschnittsösterreicher soll das verstehen?
Patrick Budgen
Nicht einmal der Überdurchschnittsösterreicher versteht das.
Anneliese Rohrer
Ich meine, er spart, er spart, Energie und weil er spart, werden die Netzkosten teurer und seine Energiekosten steigen. Es wird A nicht erklärt. Das ist dieser österreichische Ort, wir wissen. Und B die Energiekosten durch diese Verflechtungen der Landesgesellschaften und der Verbund, das müsste man alles auseinanderdividieren.
Patrick Budgen
Das war der Vorstand von der E Control, den Sie da zitieren, der Herr Urbancic. Was wäre der Auftrag der Politik, der Regierung jetzt in diesem Fall?
Anneliese Rohrer
Ja das zu entflechten. A das zu erklären, genau, und B, weil wenn mir jemand sagt, ich verbrauche weniger, daher werde ich mehr zahlen, denke ich mir, wie soll ich das jetzt verstehen und fühle mich irgendwie veräppelt, sag ich mal.
Patrick Budgen
Oder hinters Licht geführt sogar ein bisschen. Die SPÖ würde ich gerne herauspicken aus dieser Umfrage, die liegt bei 17 Prozent laut dieser Umfrage. Das ist vier Prozent weniger als das ist schlechteste Wahlergebnis. Warum diese Abwärtsspirale bei der SPÖ?
Anneliese Rohrer
Lesen Sie den Boulevard?
Patrick Budgen
Ja.
Anneliese Rohrer
Um mit Merz zu sagen, Fragen Sie den Boulevard.
Patrick Budgen
Ist es nur der Boulevard?
Anneliese Rohrer
Nein, das natürlich nicht. Ich meine, er hat ein wirklich unglückliches Händchen manchmal. Das muss man schauen. Mein Zugang bis zum Beweis des Gegenteils ist, dass er nicht die richtigen Personen hat. Ich meine, nehmen wir nur zum Beispiel die Auswahl des Kulturberaters.
Patrick Budgen
Der Herr Scholten.
Anneliese Rohrer
Der Herr Scholten. Der Herr Scholten ist 90er Jahre. Das ist nicht das, was ein moderner Kulturmedienminister braucht. Ohne Herrn Scholten nahezu treten.
Patrick Budgen
Vor allem in einer Zeit der Politik, wo Geld keine Rolle gespielt hat, in den er Jahren oder wenig, viel weniger Geld, also wo es mehr Geld gab.
Anneliese Rohrer
Und er hat keine aufregende Performance hingelegt. Also warum? Weil er Angst hat, dass wenn er sich irgendwelche Jungen holt, dass er dann wieder als Linker verschrien wird. Also er muss sich entscheiden. Er kann eine rechte Wirtschaftspolitik machen, eine linke Kulturpolitik, wenn die gut ist, aber er hat keinen, ich sage mal so, er hat keinen festen inneren Kern, an den sich irgendwer anhalten kann, wo man dafür oder dagegen sein kann und den Rest erledigen die Gratiszeitungen und die Kronenzeitung. Ich mein, das ist ja keine objektive oder nicht einmal Kritik an einem Politiker, das einfach auf Vernichtung aus wegen der Erbschaftssteuer, wegen der Vermögenssteuer, keine Ahnung, hat er gar nichts mehr gesagt.
Patrick Budgen
Oder wegen den Inseraten?
Anneliese Rohrer
Das will ich nicht behaupten.
Patrick Budgen
Andreas Babler ist jedenfalls auch Medienminister und da sind wir auch schon beim nächsten Thema. Die Medienbranche. Schlechte Nachricht für uns beide und für alle anderen Journalistinnen und Journalisten. Die Medienbranche steckt in einer tiefen Krise. Sparpakete, Entlassungen, ganze Abteilungen werden aufgelassen, es gibt jede Woche neue Hiobsbotschaften. Allein im heurigen Jahr habe ich gesehen, 300 Jobs in der Medienbranche gehen verloren. Warum verschärft sich die Situation? Ich meine, Sie erleben die jetzt schon seit Jahrzehnten mit. Warum verschärft es sich gerade jetzt so?
Anneliese Rohrer
Und ich erlebe auch seit Jahrzehnten mit, dass es keine Branche in Österreich oder irgendwo gibt, die so lustvoll seit Jahrzehnten ihren eigenen Niedergang diskutiert. Und da sind wir wieder bei der Einstellung. Sie hören nur das Ende der klassischen Medien, das Ende des Journalismus, das Ende von dem und dem. Und sie hören aber nicht, welche Möglichkeiten technisch und überhaupt die neue Entwicklung seriösen Journalisten bietet, die es ja früher alle nicht gegeben hat. Du hast entweder für eine Zeitung gearbeitet oder gar nicht. Und jetzt kannst du, du kannst deine Blogs machen, schau sie die Dunkelkammer an. Aber was ist die Reaktion auf diese Krise, die da ist. Ich meine, das kann zum Beispiel der Standard. Was soll der Standard machen, wenn er in ganz Europa schwer rosa Papier findet? Aber da muss ich halt irgendeinen positiven Zugang finden. Und der Zugang in Österreich ist, nach mehr Förderung und nach anderer Förderung zu schreien, aber nicht zu sagen, ob diese Lust auf gefördert werden auch irgendwie den Qualitätsjournalismus einschränkt. Und wenn der Qualitätsjournalismus eingeschränkt wird, warum sollen die Leute ihn konsumieren? Da sind wir wieder bei der Zuversicht.
Patrick Budgen
Aber haben die Medien, höre ich das richtig heraus, die Transformation verschlafen?
Anneliese Rohrer
Wissen Sie, ich bin da wirklich die Falsche, weil ich kann mich. Ja, aber ich kann, warum lache ich? Ich kann mich erinnern, wie das Internet aufgetaucht ist und plötzlich hat man in der Redaktion gesehen, da ist irgendeine Website Presse, da schreiben irgendwelche Leute über Außenpolitik, ich war damals Leiterin der Außenpolitik, ich war aufgebracht und bin in die Chefredaktion gegangen. Wer ist das im Namen der Presse? Total nicht wissend, aber auch nicht aufgeklärt wären, dass das eine neue Möglichkeit ist. Wir haben das nur als Angriff, als Bedrohung oder als Bedrohung aufs Papier gesehen. Und da war in Österreich noch niemand, der das richtig eingeschätzt hat.
Patrick Budgen
So ähnlich sehen Sie das heute auch in vielen Bereichen, was die neuen Medien betrifft. Christian Nusser, ein geschätzter Kollege, der ja seine Newsflick Seite betreibt, hat diese Woche 10 Wahrheiten über den Journalismus aufgeschrieben und eine hat mir besonders gut gefallen. Da hat er geschrieben, die Leute sind bereit, 80 Euro und mehr für eine Schikarte zu zahlen, aber nicht für ein Zeitungsabo. Zum Beispiel braucht uns noch wer. Es gelingt Medien zunehmend schlechter den Menschen ihre Daseinsberechtigung zu erklären. Würden Sie das unterschreiben?
Anneliese Rohrer
Nein, das würde ich nicht unterschreiben, weil ich glaube, wir sind einfach wir in Österreich oder im Journalismus sind am falschen Dampfer. Ich habe die Österreich Ausgabe der Zeit mir genau angeschaut. Wieso ist die Zeit, die deutsche Wochenzeitung Die Zeit ein Erfolgsrezept? Sie ist unhandlich. Bei uns heißt du kannst keine Zeitung verkaufen, die du nicht am Häusl lesen kannst.
Patrick Budgen
Ist das so?
Anneliese Rohrer
Ja, sie hat graue Texte ohne irgendwelche Auflösung und ist dennoch Erfolg. Warum? Weil die Texte einen Mehrwert liefern. Du musst ja nicht alles lesen. Aber wenn du drei so Riesentexte in einer Woche hast, die dir was geben, greifst du das nächste Mal wieder hin. Aber wenn du diesen Einheitsbrei hast, wo alle irgendwie die APA-Meldungen verändern, warum soll ich dann zu den Zeitungen greifen? Warum?
Patrick Budgen
Aber es ist ja nicht ein Teufelskreis. Immer weniger Geld, immer weniger Journalisten, immer weniger Zeit, immer weniger Exklusivgeschichten, oder? Das ist doch so ein Teufelskreis.
Anneliese Rohrer
Hat man in Österreich auch mit der Fixierung auf Förderungen, das hat man in Österreich einfach verschlafen.
Patrick Budgen
Das heißt, ich höre raus, dieser Ruf nach Förderungen, nach öffentlichen, den verstehen Sie nicht.
Anneliese Rohrer
Der ist des Teufels. Absolut. Weil ich kann mich erinnern, der Franz Vranitzky hat einmal gesagt, er kann im Ausland die Presseförderung überhaupt nicht erklären, weil jeder sagt, seid ihr wahnsinnig. Ihr zahlt dann in Zeitungen dafür, dass ihr euch ständig kritisieren. Das kann niemand verstehen. Das ist eine österreichische Schizophrenie.
Patrick Budgen
Sie haben Angst gehabt. Es wird nicht lustig, diese Folge. Ich finde sie eigentlich durchaus unterhaltsam. Schwarzer Humor. Ein neues Parteimedium gibt es seit wenigen Tagen. SPÖ 1, glaube ich, heißt also ein SPÖ TV. Viel Spott und Häme hat es gegeben für die erste Ausgabe. Ist das gerechtfertigt, dieser Spott? Oder ist es nicht auf der anderen Seite gerechtfertigt, dass eine Partei wie die SPÖ endlich, muss man sagen, der FPÖ nachzieht und auch ein eigenes Medium betreibt?
Anneliese Rohrer
Patrick sowohl als auch. Auch ich habe mich bereits lustig gemacht. Und zwar, ich habe mir das dann angeschaut, Ich kann es jetzt noch nicht einschätzen, weil ich noch nicht wahnsinnig viel darauf gefunden habe, aber ich habe mich lustig gemacht und auch da wieder meine tiefe Überzeugung, Der Babler hat einen Stab. Ich weiß nicht, wer ihm da berät, oder der dem SPÖ1 eingefallen ist, den würde ich sofort entlassen, den würde ich ungeschauter kündigen, weil Das natürlich, wenn SPÖ1 ist, jeder an Auf 1 denkt, ist das die linke Version des rechtsextremen Fernsehkanals der FPÖ, den die FPÖ benutzt, Dann brauche ich da irgendwas anderes oder nur SPÖ. Aber SPÖ1. Warum 1? Wo ist 2, wo ist 3?
Patrick Budgen
Welcher Name wäre Ihnen eingefallen?
Anneliese Rohrer
Na, ich hab nicht nachgedacht. Aber beim nächsten Podcast fragen Sie mich.
Patrick Budgen
Und wir haben den Herr Babler auch schon mal eingeladen, öffentlich hier im Podcast. Ich glaube, vier Wochen hat er noch Zeit oder drei Wochen sich zu melden. Vielleicht hört er diesmal zu. Er ist herzlich willkommen bei uns.
Anneliese Rohrer
Ich kann ihn dann fragen, wer ihn berät.
Patrick Budgen
Jetzt, Frau Doktor, würde ich zu einem ernsten Thema gern kommen noch. Und zwar zum Skandal rund um die Kinderschutzorganisation SOS Kinderdorf, der sich ja immer weiter ausweitet. Ein Bericht des Falter hat die Causa Mitte September ins Rollen gebracht mit Vorwürfen gegen den Standort Moosburg in Kärnten. Kurze Zeit später sind dann weitere Standorte in den Fokus geraten und jetzt auch der verstorbene SOS-Kinderdorf-Gründer Hermann Gmeiner und erst gestern publik geworden. Ein reicher Großspender soll sich an Kindern vergangen haben, gedeckt offenbar vom Ex Präsidenten von SOS Kinderdorf, so der Vorwurf. Ich meine, wir haben ja eigentlich für alles Worte, aber manchmal fehlen einem die Worte, oder?
Anneliese Rohrer
Ja, absolut.
Patrick Budgen
Was sagen Sie dazu?
Anneliese Rohrer
Mir fehlen sie überhaupt, weil ich kann mich erinnern, in meiner Jugend war das Kinderdorf Moosburg, das war die tolle Einrichtung und die neue Art, mit verwaisten Kindern oder gequälten Kindern umzugehen. Nur es kann niemanden überraschen, weil das ist auch das österreichische, nicht nur das österreichische. Das ist irgendwas bei solchen Organisationen, dass du nicht sagst, was wirklich los ist, um die Firma zu schützen. Es geht immer um die Firma. Es geht auch bei den Katholiken Missbrauchsfällen um die Firma. Wenn Sie irgendeinen österreichischen Politiker fragen, weit weg von ist, warum er was macht. Es geht um die Partei, es geht immer um die Firma. Aber das ist wirklich erschütternd.
Patrick Budgen
Aber man fragt sich auch, wenn es um die Firma geht, unter Anführungszeichen, das haben so viele Menschen gewusst, warum schweigen alle so lange?
Anneliese Rohrer
Weil es auch an Zivilcourage fehlt. Es waren ja offenbar nicht nur Betreuer, sondern es waren offenbar auch Führungsfiguren irgendwie involviert oder betroffen, oder es fehlt an Zivilcourage, Es fehlt, das muss man auch sagen, in Österreich, an Empathie für Kinder. Können wir drüber reden, warum? Keine Ahnung. Und diese österreichische Art, nur nicht den Kopf raus. Ich meine, da haben ja etliche, sind ja entschädigt worden, glaube ich. Acht Kinder sind entschädigt worden und trotzdem hat die Führung versucht, das alles unter der Decke zu halten. Das ist auch wieder nicht nur österreichisch, aber bei uns besonders ausgeprägt aus Angst vor, ich würde nicht einmal sagen Jobverlust, sondern aus Angst vor Ausgrenzung und so weiter und so fort.
Patrick Budgen
Jetzt ist eine Reformkommission eingesetzt worden unter der Leitung von Irmgard Gries. Was erwarten Sie sich denn von dieser Kommission?
Anneliese Rohrer
Naja, das, was man sich von der Klasnik-Kommission in anderen kirchlichen Fällen erwarten konnte, dass sie eine Anlaufstelle sind. Wenn das jetzt für Betroffene, die endlich Gehör finden und wenn diesen betroffenen Kindern, jetzt erwachsenen, Jugendlichen, die Therapie gezahlt wird, dann ist das schon etwas. Und vor allem, wenn man in dieser ganzen Organisation Tabula Rasa macht.
Patrick Budgen
Kompletter Neustart.
Anneliese Rohrer
Komplett Neustarten. Und klar macht den Mitarbeitern in dem Moment, wo irgendwas vorfällt, müssen sie es melden. Aber in dem Fall hat ja auch die Führung geschwiegen, hat ja die jetzige Geschäftsführerin zugegeben. Klassischer Fall Gmeiner seit 2013 das sind zwölf Jahre, weiß man, was da los war und niemand hatte den Mut zu sagen, wir müssen das klären.
Patrick Budgen
Gmeiner, der Gründer von SOS Kinderdorf, galt ja so als Pionier der Menschlichkeit. Es gibt zahlreiche Plätze, Parks, Straßen, die darin benannt sind. Es gibt Büsten und Statuen. Wären Sie dafür, die umzubenennen und abzureißen?
Anneliese Rohrer
Ja, alla long schon. Ich finde wirklich so österreichisch grotesk die Geschwindigkeit, mit der man jetzt die Gmeiner-Pisten und die Gmeiner-Straßen und das alles umbenennt und runterreißt, die finde ich im Verhältnis zu dem, wie lange man geschwiegen hat, finde ich das eigenartig. Ja, alla long natürlich. Selbstverständlich gehört das geändert, aber das, was jetzt so als Aktivismus an den Tag gelegt wird, ist eigentlich bescheuert.
Patrick Budgen
Zwei Drittel der Finanzen von SOS Kinderdorf kommen aus der öffentlichen Hand, werden also finanziert von uns allen, von uns Steuerzahlern. Trotzdem finde ich, weil nicht, vielleicht täuscht mich mein Eindruck. Wie sehen Sie das? Die Politik in der Causa bis jetzt sehr zurückhaltend mit der Reaktion, oder?
Anneliese Rohrer
Ja, ja, die Politik ist zurückhaltend. Andere sind auch zurückhaltend, weil das von einer linken Zeitung aufgebracht wurde. Es sind die Jugendlandes, Soziallandesräte gehen ins Fernsehen. Das ist auch auf Seiten der Politik ein Mangel an Zivilcourage. Es müsste irgendjemand hergehen und sich pauschal entschuldigen oder sagen, wir werden jetzt alles vom Jugendministerium tun, damit das nicht mehr vorkommt. Neue Regeln, neue Sanktionen. Ich weiß nicht was alles, damit die Kinder geschützt werden. Ich fürchte nur, der Schutz der Kinder, wie in anderen Fällen auch, ist in Österreich keine Priorität, fürchte ich. Soll mir irgendjemand das Gegenteil beweisen.
Patrick Budgen
Vielleicht macht das noch jemand in einer unserer nächsten Folgen. Das war jedenfalls Rohrer bei Budgen Folge Nummer 17. Vielen Dank, Frau Doktor, für die wie immer messerscharfe Analyse heute. Vielen Dank. Danke unserem Producer Manuel für den guten Ton. Und bei Ihnen bedanken wir uns wie immer fürs Zuhören. Egal wo Sie uns zuhören. Bis zum nächsten Mal in zwei Wochen. Wir freuen uns auf Sie.
Autor:in:Lara Marmsoler |