Ganz offen gesagt
Gelingt Serbiens Protestierenden der Regierungssturz?

Am 1. November jährt sich zum ersten Mal das Unglück von Novi Sad. Zu Mittag war damals das Vordach des Hauptbahnhofes eingestürzt. 14 Menschen kamen vor Ort ums Leben, zwei weitere erlagen später ihren Verletzungen. Das Unglück löste die größte Protestwelle in Serbien aus. Der Vorfall wurde zum Symbol für die korrupte Regierung von Präsident Aleksandar Vučić. Der Politikwissenschaftler Vedran Džihić vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) lässt im Gespräch mit Solmaz Khorsand das vergangene Jahr Revue passieren, analysiert die Protestbewegung, die mit brachialer Gewalt vom Staatsapparat niedergeschlagen wird und die viel zu spät in die Gänge gekommene Solidarität Europas für die Demonstrierenden.

Solmaz Khorsand
Herzlich willkommen bei Ganz offen gesagt. Mein Name ist Solmaz Khorsand und mein heutiger Gast ist der Politikwissenschaftler Vedran Dzihi. Mit ihm spreche ich über die Protestbewegung in Serbien, die vor genau einem Jahr am 1. November ihren Anfang genommen hat. Auslöser dieser Proteste gegen Korruption, Machtmissbrauch und den autoritären Regierungsziel von Präsident Aleksandar Vucic war der Dacheinsturz des Bahnhofs in Novi Sad, bei dem 16 Menschen ums Leben gekommen sind. Infolgedessen gingen Abertausende in den vergangenen Monaten auf die Straße im ganzen Land. Mit Vedran Džihić spreche ich über die Forderungen der Protestierenden, die Gewaltbereitschaft der serbischen Regierung, auf diese zu reagieren und die fehlende Rückendeckung der Europäischen Union für diese Demokratiebewegung.
Hallo Vedran, schön, dass du Zeit hast für unser Gespräch heute. Ich freue mich sehr. Bevor wir beginnen, aber ganz offen gesagt, gibt es die Transparenzpassage, woher wir einander kennen und ob du parteipolitisch aktiv bist oder was. Ich übernehme den ersten Teil, wobei ich den nicht mal gescheit beantworten kann, weil ich keine Ahnung habe, wann wir uns kennengelernt haben. Ich weiß nur, dass ich deine Artikel und deine Expertise über Jahre verfolgt habe in unterschiedlichen Medien und ich glaube, über Social Media haben wir uns dann irgendwie vernetzt und spätestens als du so nett warst, dass du mir dein Buch zugeschickt hast, ankommen, dass wir da mehr oder weniger etwas Kontakt haben. Aber heute sehen wir uns zum ersten Mal.

Vedran Džihić
Genau, das ist das erste Mal, dass wir uns sehen. Und zur Transparenzpassage:Ich bin nicht politisch aktiv tätig. Also ich bin politisch aktiv im weitesten Sinne des politischen Begriffs, aber nicht parteipolitisch.

Solmaz Khorsand
Okay, super. Das ging schnell.
Ich stelle dich noch unseren Zuhörerinnen und Zuhörern vor, die dich nicht kennen sollten. Du bist Politikwissenschaftler, arbeitest am Österreichischen Institut für Internationale Politik und unterrichtest an der Uni Wien. Du beschäftigst dich sehr stark in deiner Forschung mit Demokratisierung, Kriegs und Konfliktursachenforschung, insbesondere in Südosteuropa, kommst selbst aus Bosnien Herzegowina und hast auch darüber unter anderem in deinem Buch vor einem Jahr geschrieben, also Ankommen publiziert im Kremer und Scherer Verlag, über das ich schon gesprochen habe. Und du warst schon mal ganz offen gesagt und wurdest interviewt von einem unserer Gasthosts zum kroatischen Musiker Thompson. Ich wollte es mir trotzdem nicht nehmen lassen, dich noch einmal einzuladen, um ein größeres Fass aufzumachen und vielleicht ein bisschen weiter als nur über einen nationalistischen Musiker zu sprechen und zwar über die Protestbewegung in Serbien. In wenigen Tagen jährt sich der jahrestag, also am 1. November damals kamen 16 Menschen ums Leben, wo zu Mittag in Novi Sad ein Vordach eines Hauptbahnhofs eingestürzt war.
Und zuerst, also 14 Menschen kamen unmittelbar vor Ort ums Leben und dann zwei sind an ihren Verletzungen verstorben. Und das hat eine extreme Protestwelle ausgelöst in Serbien, weil die Menschen gesagt haben, da wurde nicht sauber gearbeitet, da wurden billige Materialien verwendet, da wurde zu schnell gearbeitet, da kam es zu Postenschacherei und Korruption und es gingen Zehntausende auf die Straße im ganzen Land. Es wurde vor allem inspiriert natürlich von jungen Menschen, von Studierenden und es kam auch zu politischen, es hat auch politische Konsequenzen. Also der Premierminister ist zurückgetreten, einige Landespolitiker sind zurückgetreten, aber die Proteste gehen nach wie vor weiter und auch die Reaktion der Regierung ist stärker geworden. Also die Gewalt hat auch zugenommen im vergangenen Jahr. Und ich wollte grundsätzlich kurz mal mit dir dieses Jahr Revue passieren lassen, also eine kurze Bilanz ziehen für alle, die diese Protestbewegung, die wirklich extrem beeindruckend ist, also das möchte ich ja auch noch mal gesagt haben, dass das wirklich für mich schon auch eine von diesen Bewegungen ist, die vielleicht eine Vorbildwirkung für andere haben kann. Ich möchte gerne in Bilanz sehen, wer die Protestierenden sind.
Warum schaffen die es so lange durchzuhalten? Also ein Jahr ist schon eine lange Zeit und wie sie es auch geschafft haben, dass sie den Rückhalt in der Bevölkerung bekommen haben, weil ein paar Soziologen sagen, dass man hier einen einzigartigen Schulterschluss verschiedener Gruppierungen sieht, ob das jetzt Linke und Nationalisten sind oder orthodoxe Christen und Muslime. Also das ist echt etwas, was man noch nie in dieser Form erlebt hat.

Vedran Džihić
Ja, das sind gleich ein, zwei, drei Fragen, die aber alle sehr wichtig sind. Es ist jetzt ein Jahr und zunächst mal muss man sagen, dass die Proteste mit dieser langen Dauer schon sehr außergewöhnlich sind. Also dass eine Protestbewegung ein ganzes Jahr lang anhält, dass sie weiterhin auch die Straßen besetzt, mobilisieren kann, pulsiert gewissermaßen, ist nicht nur für Serbien außergewöhnlich, sondern auch insgesamt auch, glaube ich, im europäischen globalen Vergleich. Die Vorgeschichte dieser Proteste ist auch nicht eine, die wir vernachlässigen sollten, weil Serbien eine Gesellschaft ist, die sich in den letzten 13 Jahren unter der Führung von derzeitigen Präsidenten Aleksandar Vucic sehr stark autokratisiert hat. Serbien gehört ja auch weltweit zu den wenigen Staaten nach diesen wissenschaftlichen Untersuchungen, die am stärksten diese Autokratisierung in den letzten 10, 15 Jahren vorangetrieben haben. Und es gab in dieser Zeit sehr viele andere Proteste auch. Vielleicht werden sich Zuhörer innen erinnern, wenn sie politisch die Entwicklungen am Balkan verfolgen, dass es auch Proteste gab wegen des Abbaus von Rohstoffen Lithium präzise, präziser gesagt vor einigen Jahren, als Pläne bekannt wurden, dass hier in massiver Weise Lithium abgebaut werden soll und die Umweltzerstörungen drohten.
Es gab Proteste nach einem Amoklauf in einer Belgrader Schule, wo neun oder zehn Jugendliche umgebracht wurden von ihrem Schulfreund. Das war im Mai 2023. Es gab auch Proteste während der Corona Zeit. Gewissermaßen gibt es eine lange Tradition der Proteste und wenn man noch länger zurückgeht zu den er Jahren, gab es damals die berühmten, mittlerweile in die Geschichte eingegangenen Proteste gegen das Regime von Slobodan Milosevic. Und dieses Regime ist dann unter dem Druck der Proteste und der Mobilisierung auf der Straße, wo die Studenten eine sehr große Rolle gespielt haben, zusammengebrochen im Oktober 2000 und man spricht ja auch heute noch von der oktoberrevolution des jahres 2000. Nun, diese vorgeschichte hat auch einen Haken. Und der Haken ist der, dass das Regime von Aleksandar Vucic eigentlich bislang immer in der Lage war, mit unterschiedlichen Mitteln, die einem autoritären Regime oder semiautoritären Regime zur Verfügung stehen, diese Proteste ganz einfach auszusitzen, Protestierende zu diffamieren, jedenfalls die Energie aus den Protesten herauszunehmen, sodass alle Proteste die es bisher gab, nach einer gewissen Zeit gescheitert sind.
Also wenn man es irgendwie so zusammenfassen kann. Was aber dennoch geblieben ist, ist eine gewisse Form von Protestenergien in der Gesellschaft, die man zwar vielleicht irgendwie kurzfristig zum Stillstand bringen kann, die aber dann wieder, weil der Anlass ja nicht verschwunden ist, also die Korruption, der Klientelismus, Postenschacher, die Repression, brutale Kontrolle auch der Institutionen, das ist ja alles weiterhin da. Also das heißt, verschwindet nicht. Und so gesehen sind auch die Gründe für das Protestieren gegen das Regime nicht verschwunden. Nun, die letzte große Protestbewegung, die jetzt eben seit einem Jahr andauert, hat einen konkreten Anlass gehabt. Dieser konkrete Anlass ist auch ein Symbolbild des Regimes. Das heißt, wenn ein Gebäude, das gerade renoviert wurde, kollabiert, wenn man dann weiß, dass im Hintergrund chinesische Firmen, Subunternehmer, die Parteikollegen, Kolleginnen sich da bereichert haben, dann ist es ganz klar, und das sagen auch die Studierenden und die Protestierenden, dieses Regime hat die Menschen umgebracht und nicht ein Zufall, wie es das Regime auch versucht hat darzustellen.
Jedenfalls gab es einen heftigen Anlass. Es gab diese historische Unzufriedenheit, also die Gärt und Zorn und Wut vermischen sich immer wieder, dann werden sie stiller, dann explodieren sie wieder. Und es gab dann nach diesem Absturz des Vordachs die gewöhnliche Reaktion des Regimes. Leugnen, beschwichtigen, wir wissen nicht, was da war. Es wurde gar nicht renoviert, es wurde wieder gelogen und versucht irgendwie die Realität zurechtzubiegen, was noch einmal auch die Wut und den Zorn bei den Menschen verstärkt hat. Die Bewegung explodierte förmlich im positiven Sinne. Also die Bewegung erreichte immer mehr Gesellschaftsschichten und dann passiert etwas, was eigentlich niemand erwartet hat.
Die Studierenden haben sich an die Spitze der Bewegung gesetzt. Anders als in den Protesten zuvor, wo die Opposition, die sehr fragmentiert ist, die dem Druck ausgesetzt ist, die Proteste angeführt hatte, waren es diesmal die studierenden junge Leute Gen Z, von denen man immer annahm, dass sie passiv sind, dass sie nur auf den Mobilgeräten herumhocken, dass sie desinteressiert und sind und eigentlich nur auswandern wollen. Nein, gerade diejenigen sind, die großen Treiber geschrieben hat, die Treiber der Proteste geworden und die haben es geschafft, das werden wir sicher noch im Laufe des Gesprächs besprechen, mit unterschiedlichen, sehr kreativen und auch innovativen Methoden, die Wut, die es in der Bevölkerung auch gibt und diesen Zorn einzufangen und zu transformieren in eine Protestenergie, die jetzt so lange andauert, die klare Ziele formuliert und die wirklich auch das Regime diesmal ziemlich ins Schleudern und ins Wanken gebracht hat.

Solmaz Khorsand
Ich habe da ungefähr fünf Nachfragen. Die eine ist, gerade weil du die Gen Z erwähnt hast, weil wir das in anderen Ländern jetzt auch verstärkt sehen, ob das jetzt Nepal ist, Madagaskar, Marokko, also dass man da sehr ähnliche Bewegungen sieht, nämlich auch da im Iran damals die Frau Leben Freiheit Bewegung. Gut, das waren jetzt nicht Studierende, aber es waren auch, also nicht nur, aber es waren zumindest auch diese Gen Z, die so furchtlos ist und dass all diese Bewegungen ja auch keine wirklichen Anführer haben, also so Figuren, die man dann festnehmen kann. Das ist ja auch in Serbien, dass man da sehr viele Parallelen entdeckt. Kannst du nur kurz bevor ich auf die einzelnen Mechanismen und die Solidaritätsbekundungen, weil ich fand auch sehr spannend, gerade in der serbischen Protestbewegung, wie sie diese Märsche organisiert haben und wo einfache Leute quasi die Kids mehr oder weniger eingeladen haben zum Essen und sie versorgt haben. Also da findet ja ein unglaublicher gesellschaftlicher Zusammenhalt statt, auch auf den Unis. Die Unis sind ja auch zu diesen Hochburgen geworden, wo sie sich verschanzt haben und einige Dekane waren auf der Seite der Studierenden, einige nicht.
Aber weil du es vorher gesagt hast, dass Serbien im Vergleich zu anderen Ländern eine extrem schnelle Autokratisierung erlebt, kannst du da vielleicht nur drei, vier Beispiele nennen, an denen es sich festmacht, was so einzigartig ist und vor allem, wodurch man quasi an Serbien lernen kann, wenn es zu dieser Autokritisierung kommt.

Vedran Džihić
Ja, Serbien ist mittlerweile auch in der Forschung ein klassisches Beispiel, das immer wieder untersucht wird, eine große Einsicht. Und etwas, was man auch bei dieser Welle der Autokratisierung auch beobachten konnte, ist die Tatsache, dass die Autokratisierung graduell erfolgt. In Serbien ging das auch schleichend vor sich. Also es gab die Übernahme der Macht durch die Serbische Fortschrittspartei durch den Aleksander Vuci 2012. Der trat damals aus Serbia ein nationalistischer Reformer, ein reformorientiertes Gesicht. Zumindest hat er versucht, das so darzustellen. Das kam auch bei den Europäern auch keine Ahnung, bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ganz gut an.
Er hat versprochen damals, dass er die Kosovo Frage lösen wird und hat sich eigentlich stets als Garant der Stabilität dargestellt. Also er wird jetzt liefern, was die Demokraten vor ihm nicht geliefert haben. Und das hat er wirklich in der Aussenkommunikation sehr konsequent versucht, so zu kommunizieren, auch Bei der Fluchtbewegung 2015 2016 war er der erste, der Angela Merkel in Berlin versprochen hat. Er macht die Grenzen zu und macht alles, was Deutschland will, hat den Franzosen auch versprochen für die französischen Wirtschaftsinteressen macht er auch da alles, was die wollen, hat aber zugleich auch den Chinesen und den Rußen versprochen, dass er auch hier den Markt öffnet und hat mittlerweile auch also weite Teile auch der Wirtschaftslandschaft und der Industrie an die Chinesen de facto und de facto verkauft. Das heißt also eine Außenwirkung, womit er sich auch Legitimität in der Europäischen Union kaufen konnte, auch garniert mit dieser Europäisierungsrhetorik, die immer sehr leer war, nicht substanziell, aber die hat er natürlich, weil er doch so klug war, vor sich getragen. Im Inneren, und das ist jetzt dann die zweite Einsicht, neben dieser graduellen Autokratisierung im Inneren, hat er dann sehr konsequent den Apparat der Serbischen Fortschrittspartei massivst aufgebaut und ausgebaut und zwar so, dass er eigentlich von Beginn an die Partei und Institutionen gewissermaßen gleichgesetzt hat und dass vor allem auch im Wirtschaftsbereich im Bereich der Beschäftigung sehr bald klar war, dass nur jene, die bei der Serbischen Fortschrittspartei sind, die Posten im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich, in den Gemeinden bekommen konnten. Und die öffentliche Verwaltung in Serbien ist wirklich enorm groß und einer der wichtigsten Arbeitgeber.
Das heißt also hier ging es sofort mit einer Umfärbung der Institutionen an die Arbeit und mit einer klientelistisch korrupten, nepotistischen Form von Besetzung auch der Arbeitsplätze, was dazu geführt hat, dass natürlich die Serbische Vorschiedspartei dann enorm gewachsen ist. Die hat dann nach den letzten Schätzungen Mitglieder, also gemessen an der Bevölkerungsanzahl müsste die Sozialdemokratie in Österreich dann, keine Ahnung, auf einmal vier Millionen Mitglieder haben, was sich für Herrn Babler auch nicht ausgehen wird. Und mit der Gleichsetzung von Institutionen und der Partei und mit einer sehr hierarchischen Entscheidungsstruktur, wo er an der Spitze steht, konnte er eigentlich sehr konsequent die Demokratie in Serbien abbauen, also die institutionelle Demokratie, aber auch eben dann tatsächlich die Transparenz in sehr vielen anderen Bereichen.

Solmaz Khorsand
Ist er ideologisch, also weil man weiß, allein die Tatsache, dass er war Minister unter Milosevic, also er war Informationsminister, wo er auch Journalisten unterdrückt hat, aber ist er quasi so extremist.

Vedran Džihić
Die Ideologie hat ja schon eine ganz große Rolle gespielt. Und das ist das nächste Spezifikum, das wir zwar auch in Ungarn und in den anderen Fällen schon finden, aber hier in Serbien, das auch besondere Wurzeln gehabt hat. Wir wissen, dass alle Autokraten mit einer nationalistischen Grunderzählung arbeiten. Das heißt, die teilen das Volk in das gute und das schlechte Volk, erzählen die Geschichte von einer Nation, die einmal groß war, appellieren an den Stolz der Nation. Das macht Orban jetzt gerade in Tagen wie diesen, macht das christliche, wir sind überlegen und wie auch immer. Also das hat er schon konsequent gemacht. Und da kommt ein nächster Faktor dazu, die Medienbeherrschung.
Also all diese Autokraten, so auch Vucic, setzen alles daran, dass sie neben den Institutionen auch die öffentliche Meinung kontrollieren und manipulieren können. Und da gibt es einen ganzen Medienapparat von Boulevardmedien, die den Job eigentlich erledigen. Für Aleksandar Vucic jetzt ganz konkret. Er selbst hat Wurzeln in der Milosevic Zeit, wie du gesagt hast. Also er war ja als junger Mann auch Informationsminister in der letzten Phase des Milosevic Regimes. Also das war die Zeit, als Milosevic massiv gegen die Albanerinnen im Kosovo vorging, ethnische Säuberung gerade sich abspielte und wo die NATO dann auch interveniert hat 1999. Das heißt, da war er Informationsminister, das heißt ein Sprachrohr des Regimes.
Er hat später versucht, sich eben aus reformorientierter Konservativa auszugeben. Im Kern war es aber immer klar, dass diese ideologische Komponente des serbischen Nationalismus bei ihm im Hintergrund schon sehr, sehr wesentlich war. Also er hat das immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht in Bezug auf den Kosovo, wo er sehr abfällig und abschätzig sich immer über die Albaner geäußert hat, also mit einem rassistischen Grundunterton. Er hat die Medien irgendwie stets parallel zu dieser europäischen Erzählung, die serbische nationalistische Erzählung erzählen. Lasse hat den Putin hochleben lassen, noch in den er Jahren und auch nach der russischen Aggression in der Ukraine. Putin ist heute weiterhin einer der beliebtesten Politiker in Serbien, also wenn es um die Beliebtheitswerte geht. Er hat in Bezug auf Bosnien immer von einer Bedrohung des serbischen Volkes gesprochen und er hat seine Mitstreiter auch etwas in die Welt setzen lassen gelassen und zwar ein Konzept der sogenannten serbischen Welt.
Das erinnert auch an Ruski Mir, an die russische Welt und ist eigentlich ein nationalistisches, expansionistisches Grundkonzept, das in seinem Kern aussagt, wir wollen zurück zu einer auch politischen Realität, wo all die Teile des Balkans, wo Serben und Serbinnen wohnen, zu Serbien dazugehören. Das rekurriert auf das 19. Jahrhundert zurück, wo es eben diese Idee des Großserbiens sehr stark gab. Bezieht sich auf die er Jahre, wo eigentlich Milosevic auch so in Großserbien angestrebt hat und mit militärischen Mitteln auch irgendwie versucht hat zu erkämpfen. Und das ist auch so ein bisschen eine ideologische Hülle auch geworden. Kurzum Nationalstaats Rückbezug auf die er Jahre, Geschichtsrevisionismus im breiten Stil, auch jetzt in Bezug auf Srebrenica, auf den Genozid in Bosnien oder in Bezug auf die Verbrechen der serbischen Armee im Kosovo. Alles das gehört zu seinem Repertoire.
Spezifisch ist aber hier, dass er es ständig auch mischt mit Botschaften, die anders verpackt sind an den Westen und an die Europäische Union. Also er ist ein Chamäleon einer besonderen Art und kann sich rhetorisch unglaublich gut anpassen. Und wenn er jetzt irgendwie mit Ursula von der Leyen oder mit Friedrich Merz telefoniert oder mit dem französischen Präsidenten Macron, den er als Freund bezeichnet, wenn er sich mit denen trifft, dann hört man nur Süßholzraspeln, also dann ist alles super und Serbien hat einen europäischen Weg und wir wollen Reformen, weil sie halt Mitglied werden wollen. Naja, ich glaube nicht, dass sie Mitglied werden. Ich glaube, er verhält sich da ähnlich wie sein Kumpel in Budapest, Viktor Orbán. Also auch Viktor Orbán hasst eigentlich Brüssel und auch die Idee der Europäischen Union, vor allem auch die Werte der Europäischen Union. Was er aber nicht hasst, ist das europäische Geld.
Und Vucic ist ein beinharter Machtpragmatiker, der nichts von der Europäischen Union hält. Also sein ideologisches Grundgerüst ist ein konservativ nationales, traditionelles, misogenes, machistisches. Also das ist ganz eindeutig und das macht er auch klar zu Hause. Er weiß aber sehr wohl, dass die Europäische Union und Serbien wirtschaftlich in einer sehr, sehr engen Beziehung stehen, dass die Handelsströme nicht im großen Stil nach Russland führen können, sondern nach Europa. Er weiß zum Beispiel, dass die deutsche Industrie etwa Plätze, aber Arbeitsplätze in Serbien unterhält. Und der weiß, dass wirklich die wichtigste Geldquelle Brüssel und die europäischen Staaten sind. Und deswegen spielt er dieses Doppelspiel. Und das ist schon etwas, was man in der Literatur sehr gut herausgearbeitet schon sieht, dass eben all die Autokraten und all die Despoten unserer Zeit, ob Orban oder Vucic oder Erdogan in der Türkei und wenn man da weiter nach Georgien schaut, Fizo jetzt in der Slowakei, also sie haben immer so ein Doppelsprech, Doppelsprech, beinharte Machtinteressen, sind bereit natürlich auch alles zu erzählen, was man von ihnen will und auch zu lügen, wenn notwendig.
Aber im Kern, das, was sie zu Hause tun, ist eine beinharte, auch repressive Kontrolle der Gesellschaft und ein unbändiges Streben nach Macht und Machterhalt. Also es ist irgendwie fast schon ein pathologisches, machtbesessenes psychologisches Konstrukt, das dahintersteht, wo man eigentlich, wo sie sich selbst, also da würde ich meine Hand ins Feuer legen, wo sich dies selbst ohne Macht nicht vorstellen können. Das heißt, Macht und die eigene pathologische Persönlichkeit sind irgendwie eng miteinander verknüpft, erinnert doch an die USA und an den Trump. Also da gibt es ja viele, viele Beispiele.

Solmaz Khorsand
Parallelen. Kurz nur damit ich diesen Komplex der Europäischen Union nur abschließe, damit wir wieder zu den Protesten zurückkommen. Die Europäische Union könnte ja in diesem Zusammenhang sagen, es reicht uns. Und gerade auch hat sie gerade bei den Protestierenden jetzt nicht unbedingt den größten Rückhalt. Im Vergleich zu Georgien, wo man überall die EU Flaggen sieht, sieht man sie ja jetzt nicht, weil man die EU nicht unbedingt als unterstützende Kraft wahrnimmt, weil sie ja noch weiterhin Geschäfte machen will mit Vucic und du hast ja auch die Geschichte mit dem Lithium genannt, Also dass man halt an dem so stark hängt und deswegen sich quasi in dem Support für die Protestierenden zurückhält und auch keinen, ich wüsste gar nicht, ob sie Interesse hätten an einem Regierungswechsel, wie ihn die Protestierenden fordern.

Vedran Džihić
Die Rolle der EU ist in der Zwischenzeit etwas komplexer und differenzierter. Aber was von Beginn an ganz sichtbar war, ist der Versuch der Europäischen Union, dass sie eigentlich Business as usual betreibt. Also die Europäische Union hat in Bezug auf Serbien, aber auch auf viele Teile des Westbalkans und durchaus auch in Bezug auf andere Autokraten in der europäischen Nachbarschaft und in der EU selbst immer einen sehr pragmatischen bis opportunistischen Zugang gewählt. Am Westbalkan hat sich auch sogar ein Begriff etabliert, Stabilistokratie. Und der Begriff besagt schlicht, dass die Europäische Union, ob eigener Interessen und aus pragmatischen Gründen, weil man, was auch immer Stabilität im Kosovo haben will, die deutschen Arbeitsplätze sichern will, Handel betreiben wird oder Lithium letztendlich dann abbauen wird, dass man eigentlich dann eher auf die Zusammenarbeit mit den gewählten, unter Anführungsstrichen despoten Autokraten wie Vucic setzt, dass man glaubt, dass man damit auch die Stabilität bekommt in der Region.

Solmaz Khorsand
Unabhängig davon, dass die Wahlen nicht fair und gerecht waren, das wurde dann irgendwie.

Vedran Džihić
Kurz angemerkt, aber eigentlich nicht groß beachtet. Die letzten Wahlen waren nicht regulär und waren weder frei noch fair. Aber dann, um die Stabilität zu bekommen, um diese Kooperation, Zusammenarbeit fortzusetzen, macht man nicht nur ein Auge, sondern auch zwei Augen zu bei Verletzungen von Menschenrechten, bei Verletzungen von europäischen Werten und eigentlich auch bei einem wüsten Beschimpfen Europas, was Vucic jetzt in den Protesten tut, vielleicht kommen wir noch dazu, aber er bezichtigt die Protestierenden einer Umsturz Aktion, wo die eine bunte Revolution mit dem Zweck, also finanziert vom Westen und von einem Deep State, von einem liberal Deep State, das kennt man ja aus anderen Bank Beispielen, also auch aus Ungarn oder wie auch immer, wo eben diese liberalen Deep State Leute es auf seine Herrschaft und auf die Stabilität von Serbien abgesehen haben. Also beschimpft die EU auch sehr offen und auch Deutschland oder wie auch immer. Aber zugleich antwortet die EU mit diesem sehr pragmatischen oder sehr opportunistischen Politikzugang. Was aber in der Zwischenzeit, und das ist schon auch etwas unglaublich Starkes, was in den Protesten auch in die Welt gesetzt wurde, was in den Protesten, die sich eigentlich nicht um die EU geschert haben, wo es sogar bei den Plenar bei den sogenannten Studentinnenversammlungen einen Beschluss gibt, dass man keine EU Flaggen verwenden darf. Bei den Protesten also explizit, das heißt, da gibt es eine Verbitterung und man ist irgendwie enttäuscht.
Aber die Macht und die Energie, die hier in die Welt gesetzt wurde und die Tatsache, dass auch nach einem Jahr weiter protestiert wird und dass das mittlerweile aller Welt bewusst ist und dass es auch eine Berichterstattung gibt etc.

Solmaz Khorsand
Stimmt, das hat ja auch lange gedauert.

Vedran Džihić
Das hat lange gedauert, aber das hat alles dazu geführt, dass die EU mittlerweile realisiert, dass es so nicht weitergeht. Also das hat man ein bisschen gemerkt beim letzten Besuch von Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen in Belgrad. Sie hat im Jahr 2024 vor dem Protest einen Besuch in Belgrad absolviert und bei dem Besuch hat sie den Aleksandar Vucic als lieben Freund bezeichnet und hat die Fortschritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gelobt. Also es ist eine Farce. Jetzt war sie in Belgrad und hat dann ihre Pressekonferenz begonnen mit der Betonung, dass Europa eine Demokratie ist, dass wir die autoritären Tendenzen nicht dulden wollen, dass die Freiheit der Medien ganz wesentlich ist und es war deutlich kühler. Und was danach kam, also wirklich vor wenigen Tagen eine Resolution des Europäischen Parlaments, ich muss sagen, das ist die schärfste Resolution des Europäischen Parlaments überhaupt in Bezug auf ein Kandidatenland, wo ganz offen, sachlich, nüchtern dokumentiert gesagt wurde, dass eigentlich Aleksandar Vucic hier mit einem repressiven Apparat versucht, die Proteste zu ersticken, dass im Rechtsstaatlichkeitsbereich, im Medienbereich, im Bereich der polizeilichen Arbeit, im Bereich der Institutionen große Mängel vorhanden sind. Die Resolution des Europäischen Parlaments, die auch mit großer Mehrheit angenommen wurde, das ist auch wesentlich, ruft auch dazu auf, dass man eben die Gewalttäter aus den Polizeikreisen prozessiert, dass man sogar sich überlegt, ob man Sanktionen einführt gegen bestimmte Menschen aus der serbischen Führung.
Und insgesamt ist das so wirklich ein Schlag ins Gesicht auch von Aleksandar Vucic, weil er geglaubt hat, er wird mit seinen gewöhnlichen Mitteln hier auch weiterkommen. Das heißt, der Wind in Brüssel dreht ein wenig um. Ob das jetzt wirklich Konsistenz so bleibt oder nicht, das kann man jetzt glaube ich nicht vorhersagen. Aber es ist deswegen wichtig, weil die EU das erste Mal sieht, dass man sich eigentlich nicht die Augen zudecken kann bei grober Verletzung der europäischen und demokratischen liberalen Werte in der Nachbarschaft und dass man eigentlich handeln muss trotz des Opportunismus, trotz des Pragmatismus, den es hier in Brüssel gibt. Und das ist eigentlich ein Erfolg der Studierenden sicherlich, das ist ein Erfolg der Proteste, ist ein Erfolg der öffentlichen Meinung auch im Westen, die deutlich stärker wurde und zeigt, dass zeigt eigentlich, wenn die EU, die in sehr vielen anderen Fällen auch sehr strategisch agiert und sehr zögerlich und geopolitisch nicht in die richtige Rolle hineinfindet und vieles, vieles mehr, dass aber die EU wirklich viel mehr machen könnte oder anders viel mehr machen müsste und dass die Hebelwirkung der Europäischen Union vielleicht doch eine ist, die irgendwann substanziell zu großen oder zu substanziellen Veränderungen in vielen von Kandidatenländern führen könnte.

Solmaz Khorsand
Welchen Impact das in Serbien haben kann, Also gerade diese letzte Resolution, darüber möchte ich am Ende noch mal sprechen. Aber ich würde gerne kurz zwei Schritte zurückgehen, weil ich glaube, viele erinnern sich nicht, was die Protestierenden getan haben. Ich würde gerne ein paar konkrete Beispiele nennen, die man vielleicht auch replizieren könnte und aber auch noch mal über die Repression sprechen, also mit welcher Gewalt da vorgegangen worden ist. Und auch ich erinnere mich, dass ich mit Freunden aus der Diaspora gesprochen habe, die gemeint haben, dass viele Intellektuelle oder Künstler gerade in der Zeit sich nicht trauen nach Serbien zu fahren, weil ihnen, weil sie entweder haben sie überhaupt keine Einreise, dürfen sie nicht einreisen. Journalisten wird die Berichterstattung untersagt oder sie dürfen da nicht ausreisen. Also vielleicht nur, dass wir diesen Themenkomplex kurz noch abhandeln, weil ich glaube, vielen ist nicht bewusst, was da an Gewalt und aber auch eben Erfolg von Seiten der Protestierenden stattgefunden hat.

Vedran Džihić
Also eben zu diesem ersten Punkt und das ist wirklich eine beeindruckende Bilanz, wenn man jetzt zurückblickt, also die Protestierenden haben am Beginn der Proteste einmal begonnen in den Universitäten, an den Fakultäten Bürgerinnenversammlungen einzuberufen.

Solmaz Khorsand
Back in the days.

Vedran Džihić
Und dieser Bürgerversammlung auch in anderen Fällen gab. Also man hat ja auch, also wenn ich jetzt an die studentischen Proteste in Österreich denke, als ich studiert habe, gab es 1996 97 die größten Studentenproteste in Österreich und da gab es auch im Audimax die große Versammlung, wo man basisdemokratisch solidarisch mit ganz klaren prozeduralen Mechanismen versucht hat, Entscheidungen herbeizuführen. Also nicht, wo jemand den anderen überstimmt, nicht wo jemand sich hinstellt und den großen Anführer oder Anführerin spielt, sondern eine inklusive Solidarität, solidarische, horizontale Form der Entscheidungsfindung, die auch wirklich zum Kern des Demokratischen eigentlich führt. Die haben wirklich von Beginn an gesagt, wir wollen über das, was wir tun, gemeinsam solidarisch und horizontal entscheiden und das haben sie dann irgendwie auch wirklich konsequent gemacht. Es gab niemanden, der nach vorn geprescht ist und irgendwas gemacht hätte, ohne dass es beschlossen wurde in den vielen Gremien, ohne dass es ausdiskutiert wurde. Das ist eine ganz, ganz wesentliche Dimension. Und ich finde, das ist auch eine demokratiepolitische Erfrischung, die aus Serbien kommt, von der man auch wirklich sehr viel in Europa lernen könnte.

Solmaz Khorsand
Auch dass sie nicht apolitisch sind, sondern dass sie sich politisieren lassen und eben, dass sie neue Methoden entwickeln, die nicht sofort.

Vedran Džihić
Genau, es ist wirklich ein explizit politischer Zugang. Man hat natürlich klare Forderungen definiert in Bezug auf die Bekämpfung der Korruption, die Aufdeckung der Hintergründe hinter diesem Absturz des Bahnhofsgebäudes. Man hat dann später die Neuwahlen verlangt. Das ist weiterhin eine der zentralen Forderungen der Studierenden. Man hat aber immer von Beginn an wirklich sehr, sehr politisch im weitesten Sinne agiert. Politisch in dem Sinne, dass man sehr differenziert und sachlich auch das Regime de facto auseinandergenommen hat. Also in der Kritik, dass man sich immer bei dieser Kritik von zutiefst demokratischen Prinzipien hat leiten lassen, also eben Transparenz, Gerechtigkeit rechtsstaatlicher Institutionen und zwar unabhängig von der ideologischen Positionierung.
Das kann man vielleicht später noch aufgreifen, weil es gibt schon auch hier konservativ nationale Kreise, die auch mitprotestieren. Es ist eine breite Bewegung, die unabhängig von der ideologischen Ausrichtung an klaren demokratischen institutionellen Prinzipien beharrt. Und das ist, glaube ich, auch wesentlich. Was aber dann, und das ist wirklich auch das Innovative gewesen, was man dann gemacht hat, man hat gesagt, auch wenn wir jetzt in den großen Städten sitzen wie Belgrad oder Novi Sad oder Ni oder Kragoevac, müssen wir die anderen Menschen erreichen, und zwar alle Gesellschaftsschichten. Also wir müssen auch zu den Bauern hin und zu den Älteren und wir müssen zu den Pensionisten hin und zu den Gewerkschaften und wie auch immer und.

Solmaz Khorsand
Zu den ganzen Leuten, die auch die Regime Propaganda eigentlich ausgesetzt sind, die eigentlich.

Vedran Džihić
Auch dann nicht, also in weiten Teilen von Serbien hat man auch keinen Zugang zu den unabhängigen Nachrichtensendern, also weil die nicht terrestrisch sind und das Regime das verbietet. Das heißt, hier hat das Regime wirklich eine vollkommen offene Landschaft vor sich, also wo medial gemacht werden kann, also was sie wollen. Aber die Studierenden haben gesagt, OK, wir machen was ganz klug ist. Wir spazieren oder fahren Fahrrad durch ganz Serbien und sind dann, keine Ahnung, einmal sind wir von Belgrad nach Novypasar, ist eine kleine Stadt in Südserbien unterwegs. Dort solidarisieren wir uns mit lokalen Studenten, Studentinnen mit der Bevölkerung. Dann sind wir wieder mit dem Fahrrad unterwegs in einer kleinen Gemeinde in der Vojvodina. Das nächste Mal kommen die aus Kragojevac, marschieren alle zu einer Kundgebung, die wir diesmal in Ni machen und nicht in Belgrade und wie auch immer.
Also wirklich so ein kapillarer Versuch der Eroberung unter Anführungsstrichen des ganzen Landes, was wirklich sehr, sehr klug, sehr klug war. Und das alles ohne klare Führung. Also du hast es ja auch angesprochen, der Zugang von Beginn an. Wir agieren hier horizontal, Es gibt breite Entscheidungsfindungsmechanismen. Es gibt aber keine Galionsfigur wie Daniel Compendit oder sonst irgendwen, der auf die Spitze läuft und dann irgendwie natürlich dem Druck des Regimes ausgesetzt werden könnte.

Solmaz Khorsand
Das Interessante ist, diese führerlose Bewegungen, das stoßt extrem vielen Kommentatoren weltweit, egal in welchem Land auf. Sie verstehen das nicht. Es braucht diese Galionsfiguren offenbar nicht. Es funktioniert trotzdem.

Vedran Džihić
Genau, es kommt natürlich schon später die Frage, jetzt gerade auch in Serbien, die Studenten vor der vorgezogenen Neuwahl, genau das wollte ich eben haben Studentenlisten erstellt und in dem Moment, wo die Wahlen ausgeschrieben werden sollten, wird es auch Personen geben und dann natürlich, da wird es wirklich sehr viel Feinarbeit benötigen, dass man diese basisdemokratischen Methoden, die man etabliert hat und die Repräsentanz nach außen tatsächlich in einem guten Verhältnis austariert und ausbalanciert, dass eigentlich das Authentische der Bewegung nicht gekapert wird von bestimmten Leuten, die dann vielleicht auf einmal Machtgelüste entwickeln. Also das ist so ein bisschen sicherlich eine eine Herausforderung.

Solmaz Khorsand
Lässt sich das übersetzen. Kann aus einer Bewegung so eine Art klassische Partei werden? Weil ich meine, es gab auch die Umfragen, dass irgendwie 58 Prozent diese Partei, also diese Liste auch wählen würden. Das ist ja ein Wahnsinn, dass dir das gelungen ist.

Vedran Džihić
Also so frei nach Bertolt Brecht, also so nach den Mühen der Gebirge kommen dann die Mühen der Ebene und mühende Gebirge sind jetzt sicherlich noch mitten. Da sind wir mittendrin. Also das Regime ist ja noch immer da. Das Regime besitzt das Repräsentation, Repressionsapparat und kann Gewalt einsetzen und kann vieles noch tun. Ich bin der Meinung, dass das Regime am Ende ist. Nur der Zeitpunkt ist noch nicht klar, wann es denen auch bewusst werden wird und wann sie abtreten werden müssen. Aber es ist auch so, dass dieser Kampf noch offen ist und bei diesem offenen Kampf und wenn dann die Wahlen einmal ausgeschrieben sind, werden sicherlich die Karten bis zu einem gewissen Grad neu gemischt.
Das heißt, wird man tatsächlich sehen, ob die Transformation eine politische Partei gelingt oder nicht gelingt, wie das gelingt, ob es dann Fraktionen innerhalb der Bewegung gibt, die vielleicht ideologisch dann anders agieren, ob jetzt die nationalkonservativen Kreise innerhalb der Bewegung Nein, wir wollen nur mit, wenn wir alle am Mythos festhalten, dass in Srebrenica kein Genozid stattgefunden hat oder wenn wir die Kosovo Frage ausklammern oder oder was auch immer. Und auf der anderen Seite gibt es die grünen, linken, liberalen Studierenden, die der Meinung sind, dass man auch wenn man jetzt dann die Wahl gewinnt, dass man in der neuen Regierung Akzente setzen muss bei der Umweltfrage, bei der Frage der Gerechtigkeit, der Solidarität, des gesellschaftlichen Ausgleichs. Und das ist schon eine ganz andere Dimension, wo leider auch bei den leider, also gar nicht leider, wo die Mechanismen des Politischen, des Parteipolitischen schon auch eine gewisse Form von Normierung mit sich bringen.

Solmaz Khorsand
Aber kennt man bereits jetzt gewisse Spaltungen? Also ist es irgendetwas?

Vedran Džihić
Es gab zumindest Debatten innerhalb der Studentenbewegung und das führt mich vielleicht auch da nochmal zu dieser vorherigen Was war das Neue, was war das Innovative? Um das noch kurz abzuschließen. Also eine Sache, die ganz wesentlich war, ist die Gewaltlosigkeit.
Und man hat ja am 15. März die größten Proteste in der Geschichte Serbiens gehabt auf den Straßen von Belgrad mit mehr als Menschen, die friedlich demonstriert haben, wo dann das Regime offensichtlich und offenbar eine Scharkanone eingesetzt hatte, um hier für Chaos zu sorgen. Aber das ist auch eine Innovation gewesen. Und um das vielleicht auch nicht zu vergessen, auch den Marathonlauf, den Ultramarathonlauf der Studierenden Richtung Straßburg, die sind dann wirklich durch die europäischen Länder, da waren sie auch in Wien, die waren auch in Wien mit den Fahrrädern. Die neue Außenministerin hat sie dann auch begrüßt am Heldenplatz und wurde dann kritisiert oder wie auch immer. Also das ist zu diesem Neuartigen auch jetzt irgendwie noch eine Zusatzbemerkung, weil man dann dadurch auch das besser versteht. Aber um jetzt zu dieser Frage der ideologischen Grundpositionierung zurückzukommen, es gibt schon in Serbien mittlerweile eine Debatte, weil bei einer der letzten großen Kundgebungen einer der Sprecher ein wirklich nationalistischer Vertreter des konservativen Nationalserbiens war und seine Ansprache wurde auch von vielen aus dem linken Spektrum oder dem liberalen Spektrum sehr scharf kritisiert.
Einige haben dann auch diese Frage wirklich nach der Homogenität dieser Bewegung auch offen gestellt. Wollen wir ein Teil einer Bewegung sein, wo ein Nationalist irgendwie dann die Ansprache halten kann? Das heißt, in Serbien selbst gibt es schon Debatten. Was aber auch wieder ganz klar geworden ist nach einer gewissen Zeit ist, dass diese Heterogenität in ideologischer Hinsicht derzeit einfach notwendig ist, weil sie auch für die serbische Gesellschaft steht. Das ist die serbische Gesellschaft, die wir heute haben. Dass aber trotz der ideologischen Differenzen die Forderungen auf etwas hinauslaufen, was im Kern weder auch demokratiepolitisch richtig ist, das heißt eben Institutionen, rechtsstaatliche Transparenz, Korruption auch bei den Konservativen. Und das ist jetzt alles ein bisschen ein ziemlich schwieriger Spagat, der noch, aber.

Solmaz Khorsand
Man sieht es in all diesen Ländern, also in all diesen, wo diese Bewegungen sich finden, wo es immer das erste Ziel ist, der Regimesturz und danach formulieren wir aus, was wir wollen. Das tun sie schon vorher, aber das.

Vedran Džihić
Machen sie schon vorher. Also was man jetzt in Serbien schon weiß, also es wird seit einiger Zeit, es wurde seit einiger Zeit an diesen Listen Wahllisten gebastelt, aber die Namen sind noch nicht draußen, Die Namen sind nicht draußen. Aber was ganz klar ist, dass auf diesen Listen Expertinnen nur Experten stehen werden, also die irgendwie in der Lage sind, bei einigen und bei bestimmten Politikbereichen tatsächlich Sachliches und die Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft, also man spekuliert, dass auch der Rektor der Universität Belgrad an der vordersten Spitze eine von diesen Listenstädten, Oppositionelle haben das.

Solmaz Khorsand
Nie versucht zu vereinnahmen oder schon?

Vedran Džihić
Es gibt in Serbien eine sehr fragmentierte und man muss fast schon sagen auch unfähige Opposition in vielen Bereichen. Also die Oppositionsparteien, die derzeit im Parlament sitzen, sind kaum in der Lage, groß zu mobilisieren, sind auch natürlich unter dem Druck des Regimes immer wieder gewesen, erschöpfen sich in einer institutionellen parlamentarischen Arbeit, die keinen Sinn hat, also weil das Parlament eine reine Schaubühne ist für das Regime, selbst, wo man eigentlich nichts erreichen kann und man hat schon seitens der Opposition immer wieder sich ein bisschen hineinreklamiert. Man versucht auch im Gespräch zu sein. Also weil real realistisch betrachtet ist es ja auch so, dass bei der nächsten Wahl, wenn sie dann stattfindet, auch die oppositionellen Parteien, die jetzt im Parlament vertreten sind, auch antreten werden. Das heißt, sie werden auch um die Stimmen buhlen. Einige werden sich vielleicht entscheiden, dass sie in einer, dass sie sich dieser studentischen Liste dann anschließen. Die Frage ist, ob die Studierenden das wollen, weil jetzt nach den Meinungsumfragen bräuchten sie das nicht.
Also derzeit hätte nach den letzten Meinungsumfragen, diese Studentenliste hätte die Stimmenmehrheit und die absolute Mehrheit. Das ist so gesehen ein offener Punkt. Es wird aber sicherlich so sein, dass einige von Oppositionsparteien wahrscheinlich auch dann, sofern die Wahlen frei und fair sein sollten und das ist eine ganz große Frage, ob sie stattfinden, ob Vucic sie ausrufen wird, wie stark er versuchen wird, sie zu manipulieren, ob er vielleicht davor, weil er den Machtverlust befürchtet, ob er zu Gewalt greift, zu massiver Gewalt, um das alles irgendwie zu diskreditieren. Das sind alles offene Fragen, die sich dazu stellen.

Solmaz Khorsand
Vielleicht noch kurz die Etappen der Gewaltspirale im vergangenen Jahr noch mal nachkonstruieren, weil ich glaube, vor kurzem, wir haben im Vorgespräch darüber gesprochen, gab es eben diese Angriffe vom Parlament, von Regierungsanhängern, selbst von Vucic. Dann gibt es immer wieder Meldungen, neben der Polizei gibt es ja auch quasi die Hooligans und die auf die einfachen Leute losgehen, Also dass man nur da begreift, welche Elemente der Gewalt es da gibt und der Repression.

Vedran Džihić
Ich glaube, bei diesem Regime von Aleksandar Vucic und bei vielen anderen autoritären Systemen ist eigentlich das Prinzip der Einhegung der Gewalt durch den Staat auf eine legitime Art und Weise längst umgekehrt worden in eine Verbreitung der Gewalt in alle Richtungen. Das heißt also, Gewalt ist rausgelassen worden, Also der Staat benutzt die Gewaltsamkeit, aber nicht legitim und maßlos oft, also wie wir es jetzt bei den Protesten gesehen haben. Und der ganze öffentliche Raum ist irgendwie voll mit dieser Gewaltsprache. Also wenn man die Titelseiten der Boulevardmedien, die von VUC kontrolliert werden, liest, dann ist es eigentlich eine in die Sprache verkehrte, übertragene Gewalt überall wo man hinschaut. Und das Regime hat ja auch vor diesen Protesten bereits diese auch teilweise Informalisierung der Gewalt sehr systemisch auch und systematisch betrieben. Also man hat jenseits der staatlichen Polizei und Armee Organe, hat man immer so ein bisschen nicht eine formalisierte Privatarmee, aber auf jeden Fall eine Miliz, eine Miliz auch nicht. Also so im kriminellen, halbkriminellen Milieu sich bewegende Mischung aus Gewalttrupps, Hooligans, Rechtsextremen mit großer Russlandaffinität, die man immer so ein bisschen hochgezüchtet hat, in Abhängigkeit gehalten hat und immer wieder einsetzen konnte.
Also wenn man es gebraucht hat, man kennt auch von den Protesten vor dieser Studentenbewegung, gab es auch dann irgendwie Anlässe, wo auf einmal diese Hooligans in schwarz angezogen auf Leute losgehen, auf die Protestierenden losgehen.

Solmaz Khorsand
Sind das Opportunisten oder sind das echt eingefleischte Vucic Anhänger?

Vedran Džihić
Das sind eigentlich Kriminelle. Also es sind Kriminelle. Es sind Menschen, die auch in den ER ER Jahren unter Milosic vielleicht groß geworden sind, die irgendwie ideologisch irgendwie auch jetzt keine klare Orientierung haben, aber die auch so eine Lust an Gewalt haben, oft so wie die Hooligans und die Fans. Das ist eine Maße, eine amorphe Maße, die sich dann irgendwie machistisch, sexistisch irgendwie benimmt und wo Gewalt irgendwie systematisch verherrlicht wird. Und da gibt es Wurzeln auch zu den Freischer Truppen in den ER Jahren, die noch immer verehrt werden. Also es gab einen berühmt berüchtigten Freische Anführer, Arkan, also der in den ERN herumgewütet hat, war auch ein Fußballfan und Vucic selbst rühmt sich, dass er auch ein Fußball Hooligan war, auch ein sehr, sehr gefährlicher, wie er es immer wieder sagt. Jedenfalls ist es jetzt keine formalisierte Miliz, aber diese Informalisierung der Gewalt durch das Regime hat dazu beigetragen, dass diese Menschen beliebig eingesetzt werden können.
Und jetzt sind wir da bei den neuesten Protesten. Das Regime hat zwei Gewaltmechanismen eigentlich immer wieder verwendet und versucht das ein bisschen zu balancieren, damit die Gewalt nicht nach außen oder von außen wahrnehmbar nicht explodiert, aber dass man dennoch den Studierenden, den Protestierenden die Angst in die Knochen jagt. Und eine Dimension waren diese Freischeller. Also es gab viele Anlässe, wo die auf die friedlichen Demonstranten losgegangen sind, wo sie zum Beispiel in Lovi Sad das Rathaus in Brand gesetzt haben und niedergeschlagen und zerstört haben und wo dann aber das Regime sich hinsetzt und schaut das sind die Protestierenden, schaut, was die machen, das sind diejenigen, von denen die Gewalt ausgeht. Das ist eine sehr perfide Strategie. Man setzt selbst durch die Freischeller und diese ganzen Hooligans und Schlägertrupps Gewalt gezielt ein und bezichtigt dann die Protestierenden der Gewalt. Und das ist das große Narrativ auch bis heute.
Das ist die eine Dimension. Das geht kontinuierlich weiter, auch bei diesen Zelten, dem sogenannten Tschadziland. Und die befinden sich vor dem Parlament und vor dem Präsidentschaftsgebäude in Belgrad. Da bewegen sich dann auch diese halbkriminellen Schlägertrupps, bezahlte Leute, die ihre Tagessätze dann am Ende des Tages abholen und irgendwo verschwinden. Aber die setzt er auch bewusst und gezielt ein, um eben auch dann, wenn notwendig, mit Gewalt vorzugehen gegen die anderen, aber auch um das Narrativ zu erzeugen, das sind die echten Protestierenden, die nicht gewalttätig sind, die anderen da draußen. Also wirklich eine Orwellsche Umkehrung der Realitäten und der Wahrheiten. Und neben dieser Dimension gibt es die zweite Das ist der Einsatz der scheinbar oder formal legitimen Form der Gewalt durch die Polizei.
Und die hat wirklich dann in den Sommermonaten, auch in den letzten Wochen, also es gab so eine Phase im August, wo die wirklich massivst war, also wo Studenten eingesperrt wurden, also wo unter sexueller Androhung Menschen stundenlang festgehalten wurden, wüstest beschimpft wurden, die da geschlagen wurden, also wo man wirklich mit einer extremen polizeilichen Brutalität, nicht verhältnismäßig durch nichts eigentlich legitimiert gegen die Protestierenden losging. Das war so die Phase, wo man wirklich scheinbar sich im Zentrum der Macht bei Vucic gesagt hat, wir wollen die jetzt so stark ängstigen, dass sie sich nicht mehr trauen, auf die Straßen zu gehen. Es war auch die Sommerzeit. Man hat gehofft, mit dieser Mischung aus Gewalt und dann Ferien und Ermüdung wird das Ganze sanft einschlafen und irgendwie verschwinden oder mit Gewalt. Und das ist jetzt eben eine Dimension gewesen, die schon auch für einen Aufschrei in Europa gesorgt hat, wo auch viele dann auch im deutschen Auswärtigen Amt, im Europäischen Parlament, auch im österreichischen Ausland gesagt Irgendwie ist da schon längst die rote Linie überschritten und dass jetzt auch das Europäische Parlament explizit auf wirklich diese dokumentierte Gewalt eingeht und auch vom Regime oder von der Regierung verlangt, dass bestimmte Polizeianführer, die hier tätig waren, da gibt es diesen Kritschko und so wie die heißen, dass die wirklich auch dann irgendwie verfolgt und untersucht werden. Also das ist ein Zeichen davon, dass es dem Regime nicht gelungen ist, das zu verstecken und auch diese Gewalt irgendwie in eine Wattehülle einzupacken.

Solmaz Khorsand
Ich habe noch ungefähr 5 Millionen Fragen, aber wir kommen schon fast zum Schluss, deswegen belasse ich es bei zwei. Du hast es schon in anderen Interviews erklärt, aber vielleicht möchtest du es auch noch mal mit den Zuhörerinnen bei uns teilen. Also dass du zwei Szenarien siehst, die diesen Ausgang jetzt von dieser Protestbewegung irgendwie ausmachen könnten. Also einerseits entweder, dass das Regime in extreme Gewalt ausartet oder dass es tatsächlich zum Regimesturz kommt. Und in dem Zusammenhang würde ich, weil sich die Position der Europäischen Union ja verändert hat, inwieweit das tatsächlich Vucic zurückdrängen wird.

Vedran Džihić

Vucic ist, glaube ich, zu allem entschlossen, um seine Macht zu verteidigen. Es gibt ja fast schon was Pathologisches bei seinem Zug zur Macht. Und anders als bei Milosevic bin ich der Meinung, dass er leider nicht irgendwie von sich ausgehen wird, weil er sich selbst nur in dieser Position, in dieser Machtposition sieht und wahrscheinlich auch glaubt, dass er der größte Serbe aller Zeiten ist oder wie auch immer das heißt. Da gibt es was Pathologisches, eigentlich nichts Gutes verheißt. Es verheißt nur wahrscheinlich einen Kampf bis zum Schluss, wo man nicht irgendwie einschätzen kann, wie das dann ausgeht. Ich bin der Meinung, dass er zu Gewalt bereit ist, dass er auch bereit ist, noch weiter zu eskalieren. Also wenn er sieht, dass es für ihn enger wird und dass er bereit ist, alles Mögliche da einzusetzen, von den Freischern bis Manipulation, Propaganda bis auch hin zum polizeilichen Apparat.
Und in den letzten Wochen hat auch die Polizei versucht, irgendwie unter Kontrolle zu bringen. Es gab da und dort ein paar Polizeikommandierende, die nicht derselben Meinung waren.

Solmaz Khorsand
Die sich ja auch solidarisieren mit dem Protestieren, weil die haben ja auch Familie und.

Vedran Džihić
Freunde, Kinder der Polizisten und nicht alle glauben, dass das, was Vucic macht, irgendwie das Gescheiteste ist. Das heißt, hier ist schon auch eine sehr, sehr gefährliche Dynamik auch im Gang. Die befürchte ich fast, es sei denn, es kommt wirklich eine sehr, sehr harsche Positionierung auch aus Deutschland und Frankreich, verändert die Grundhaltung und die USA auf einmal, was man von den USA leider nicht erwarten kann in dieser Situation, dass hier er vielleicht davor zurückschreckt. Aber im Kern sehe ich jetzt doch die Chancen oder die Wahrscheinlichkeit höher, dass zu irgendwelchem Zeitpunkt leider auch nochmal die Gewalt explodiert, weil er ist nicht bereit, jetzt die Wahlen auszurufen, die Studierenden und die Protestbewegung ist weiterhin da. Er lässt sich nicht einschüchtern. Also was ein edles Prädikat ist, dass die nach einem Jahr trotz dieser Gewalt und dieser Repression weitermachen, ist fast schrecklich unglaublich nach einem Jahr. Und die werden jetzt im Herbst sicherlich auch weitermachen. Am 1.
November gibt es die ganz große Protestkundgebung in Novi Sad. Also da marschieren jetzt auch schon bereits zu Fuß Menschen und Studierende aus einigen Städten im Westen Serbiens 300 Kilometer, um irgendwie Novi Sad zu erreichen. Und es ist nicht auszuschließen, dass auch er versucht hier diese Proteste in Novi Sad irgendwie zu unterwandern und auch irgendwie für Gewalt zu sorgen. Das ist alles schwierig und leider sehr, sehr gefährlich. Also wenn auch er dann sagt irgendwann, okay, dann rufe ich die Neuwahlen aus, dann wird er das nur machen, weil er glauben wird, dass er sie kontrollieren kann. Also so ganz frei und fair werden die auch nicht ablaufen. Aber was passieren kann, also wenn die Neuwahlen ausgerufen sind, kann auch eine Dynamik in Gang gesetzt werden durch die Übermacht auch der Menschen und durch die Unzufriedenheit, durch die Wut und vielleicht auch eben und hoffentlich auch durch die Unterstützung der EU, dass dann vielleicht doch in einem Wahlakt ein anderer Ausgang, und zwar Finn Vucic, ein negativer Ausgang zustande kommt und dann eben dieser Regimeumsturz, den man sich nicht so vorstellen kann.
Also heute ist er da und morgen ist er wie Saddam Hussein oder Ceausescu irgendwie weg oder wie auch immer, sondern das wird noch eine lange schwierige Phase werden. Das heißt, die Szenarien vermischen sich ein wenig, Aber ich befürchte, dass es jetzt irgendwie so ein Happy End im demokratischen, solidarischen Sinne nicht so einfach geben wird, weil eben dieses autoritäre Regime wirklich so stark ist und irgendwie so verbissen sich an der Macht halten will.

Solmaz Khorsand

Gibt es deiner Ansicht nach Möglichkeiten von außen die Protestbewegung sowohl zivilgesellschaftlich als auch politisch stärker zu unterstützen.

Vedran Džihić

Dazu ist bis jetzt keine Bereitschaft da gewesen. Anders als in den er Jahren, als die Anti Milovic Bewegung wirklich vom Westen finanziell und mit allen möglichen Mitteln unterstützt wurde, sehen wir das nicht und zwar überhaupt nicht. Die Europäische Union hat lange gebraucht, um überhaupt eine Position zu entwickeln. Also da traut sich kaum jemand drüber. Und ich glaube auch nicht, dass es jetzt bald dazu kommt, dass da massiv von außen eine klare, prostudenten Positionierung eingenommen wird. Es wird vielleicht irgendwie sich schleichend geben, jetzt auch durch die Resolution des Europäischen Parlaments, aber leider etwas, was man schon auch noch im Kopf behalten muss, dass wir uns auch in Europa und global in einer Phase der Entwicklung befinden, wo die Ordnungsmacht der liberalen Welt längst zusammengebrochen ist und delegitimiert wurde, wo die autoritären Allianzen, ob jetzt China, Russland, das was ein Eppelbaum in ihrem Buch beschreibt, die Achse der Autokraten depulsiert, die wird jetzt, keine Ahnung, vielleicht in Tschechien durch einen neuen Premierminister Babi noch mal reicher um eine weitere Person. Orban sitzt die Wahnsinn nächstes Jahr, aber sitzt noch immer fest im Sattel.
Und die europäischen Rechten und die Rechtsextremen, die eigentlich Sympathien auch haben für das, was Vucic tut und die anderen tun, sind auch noch da und bedrohen demokratischen Konsens in unseren Staaten. Also so gesehen ist es eine ganz, ganz andere Zeit. Aber auch in dunklen Zeiten gibt es das Helle und das Helle, das die Studenten in Serbien jetzt hier zusammengebracht haben, mit diesen basisdemokratischen Methoden, mit Unerschütterlichkeit, auch mit tätiger Hoffnung, weil das ist keine naive Hoffnung, sondern eine tätige Hoffnung. Und auch mit dieser Energie und Kreativität. Ich glaube, das ist schon etwas, was auch noch mal zeigt, dass der Kampf zwischen Freiheit und Angst, der Kampf zwischen Demokratie und Autokratie nicht zuungunsten der Demokratie und der Freiheit ausfallen muss. Es gibt Möglichkeiten, es gibt Wege und vielleicht wird es dann wirklich am Ende hell.

Solmaz Khorsand

Danke für dieses wirklich vielen, vielen Dank für dieses schöne Schlusswort am Ende, dass es doch ein bisschen optimistischer ist, als wir uns das manchmal denken. Vielen, vielen Dank, dass du dir so viel Zeit genommen hast und uns ein bisschen die Welt zu erklären. Und ich bin, ja, ich hoffe, dass ich wünsche den serbischen Protestierenden alles Gute.

Vedran Džihić

Danke dir für die Einladung.

Autor:in:

Solmaz Khorsand

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.