Die Dunkelkammer History
Adolf Eichmann im Palais Rothschild: Wie der Holocaust begann
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Von Christa Zöchling. An der Adresse der Wiener Arbeiterkammer stand einst das Palais Rothschild. Im Jahr 1938 wandelte es sich zu einem Ort der Todesangst. Von hier aus organisierte Adolf Eichmann die Vertreibung und Erpressung der österreichischen Juden und später die Deportationszüge in die Todeslager. Eine Ausstellung im Foyer der Arbeiterkammer erzählt, was damals geschah und durch wen.
Christa Zöchling
Guten Tag, hier ist Christa Zöchling. Ich begrüße Sie zur neuen Dunkelkammer aus der Reihe History.
Haben Sie vielleicht vor kurzem einmal die Arbeiterkammer in Wien aufgesucht, für eine Beratung in Arbeitsrecht oder wegen der Steuer oder anderer Dinge? Dann wird Ihnen aufgefallen sein, das Entree hat sich verändert, das Foyer wurde neu gestaltet. Es ist eine kleine Irritation. Schon von auss sieht man durch die gläserne Front nach innen kommen einem Wörter in weißen Lettern auf schwarzem Hintergrund entgegen und da steht: „Enteignet, entrechtet, deportiert, ermordet.“ Und da steht auch: „Palais Rothschild. 1884 bis 1955“.
Ein Palais an der Stelle des nüchternen Zweckbaus der Arbeiterkammer.
Rothschild. Die berühmten Bankiers.
Ja, die Rothschilds waren verhasst wie keine andere jüdische Familie. Aus einem Trödelladen im dunkelfeuchten Ghetto in Frankfurt hatte sich der Gründervater im 18. Jahrhundert nach oben gearbeitet, bis in die Salons des Adels und an den Hof des Kaisers. Mit Münzhandel und Wechselgeschäften hatte es begonnen. Im 19. Jahrhundert gehörte der Familie das größte Bankhaus in Europa. Das war durch kluge Personal- und Strategieentscheidungen gelungen und natürlich auch etwas Glück. In einer Zeit, als Nachrichtenkuriere noch wochenlang unterwegs waren, hatte der Vater seine Söhne in allen wichtigen Städten, in London, in Paris, Prag, Neapel und Wien und Regensburg platziert. Die Rothschilds nahmen so früher als andere die tektonischen Machtverschiebungen wahr. Wer gewinnt, wer verliert, welche Transaktionen günstig waren und wo investiert werden sollte. Die Rothschilds finanzierten Könige, Kriege und Kaiser. Und später, in Zeiten der Ersten Republik, unterstützten sie das rechte politische Lager, auch die faschistische Heimwehr.
Und nebenbei stifteten sie und spendeten sie für Heilanstalten, Spitäler und Armenhäuser und so weiter. Doch die Stimmung gegen sie blieb rau. Der Volksmund sagte ihnen nach, sie ließen Regierungen wie Marionetten tanzen.
Rothschild, der Name allein ist bis heute eine Chiffre für den ewigen Antisemitismus. In nahezu allen Verschwörungstheorien taucht irgendwann der Name Rothschild auf. Bis heute.
Wenige Stunden nachdem die Nationalsozialisten am 12. März 1938 am Wiener Ballhausplatz die Macht übernommen hatten und Tausende siegestrunken durch die Stadt marschierten. Auf der Jagd nach Juden und politischen Gegnern wurde auch Louis Rothschild verhaftet, am Rollfeld des Flugplatzes Aspern, als er gerade eine Maschine besteigen wollte. 14 Monate lang saß er in der Gestapo Zentrale am Morzinplatz in vollständiger Isolation, ohne die kleinste Nachricht von der Welt draußen, ohne ein menschliches Wort. Den Wärtern war es verboten, mit ihm zu sprechen.
Der Historiker Roman Sandgruber vermutet, dass Rothschild die Vorlage war für Stefan Zweigs Schachnovelle, in der ein Gefangener der Gestapo die Haft, ohne verrückt zu werden, nur so überstanden hat, indem er sich Schachpartien ausdachte. Als der 57-jährige Louis Rothschild endlich einen Dampfer nach Übersee bestieg, war sein Haar schlohweiß. Er war erpresst worden. Für Leben und Freiheit hatte er das gesamte Rothschild-Vermögen in Österreich und Böhmen den Nationalsozialisten überschrieben. Das Lösegeld betrug in etwa 21 Millionen Dollar, US-Dollar. Liegenschaften und Stadtpalais waren sofort beschlagnahmt worden. In einem quartierte sich der Sicherheitsdienst der SS ein. Das größere, an der Prinz Eugen Straße gelegene, nach hinten von einem Park umgebene, von dem aus eine Freitreppe ins Palais führte, wurde von Adolf Eichmann beansprucht. Der SS Obersturmbandführer war für Auswanderung, besser gesagt für die Vertreibung und das Auspressen der jüdischen Bevölkerung zuständig.
Im August 1938 begann er sein Werk. Im oberen Stock des Palais gab es Dienstwohnungen. In der Beletage herrschte das Elend. Hunderte Menschen standen täglich dort an, wurden von Zimmer zu Zimmer geschickt, in denen Dokumente überprüft, abgestempelt und zerrissen wurden, die Menschen gedemütigt, schikaniert und angerauscht.
Was war vorzulegen? Ein Visum des Aufnahmelandes, Den Nachweis, dass die Passumlage bezahlt war, Den Reisepass, eine Bestätigung, dass die Judenvermögensabgabe und sämtliche andere Steuern und Gebühren entrichtet worden waren, Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts, eine Vermögensaufstellung, ein Nachweis, dass die Reichsfluchtsteuer bezahlt war und die Sozialausgleichsabgabe. Ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis war verlangt und eine Umzugsgutgenehmigung für Möbel und so weiter und so fort. Und was an Vermögen noch übrig blieb für den Antragstellenden, das kam auf ein Sperrkonto und derjenige, dem es gehört hatte, bekam einen Lappen in die Hand gedrückt. Das war die Erlaubnis auszureisen. Schon in den Nachtstunden standen Frauen, Männer und Greise und Kinder am Schwarzenbergplatz in Reihen, um in der Früh, eskortiert von der SS, das Palais betreten zu dürfen.
Die Bittsteller waren eingeschüchtert und nervös, wenn Eichmann über die Gänge stiefelte, der Schrecken in Menschengestalt oder andere SS-Männer in ihren schwarzen Uniformen rissen die wartenden Mütter panisch ihre Kinder an sich bloß nicht anstreifen, nicht im Weg sein, am besten nicht auffallen. Böse, herablassend, arrogant und verlogen. So verhielt sich Eichmann auch gegenüber den Funktionären der Israelitischen Kultusgemeinde, die er zur Kooperation zwang. Doch dazu mehr im nächsten Podcast.
Die Zentralstelle hatte einen üblen Ruf. Die SS-Männer, die dort Dienst taten, sowie das weibliche Personal waren überzeugte Nationalsozialisten und Antisemiten, schon in der illegalen Zeit zur Partei, zur SA oder zur SS gegangen. Sie glaubten, sie seien Herrenmenschen und verhielten sich auch so, ließen die Wartenden Strafe stehen, beschimpften sie, verhöhnten sie, ohrfeigten sie, stießen sie mit Fußtritten die Treppe hinunter.
Nicht wenige genossen die Qual der Wartenden, erniedrigten alte Menschen, stießen sie zu Boden, pickten einzelne heraus, um sie in den Keller zu zerren und misshandelten sie mit Rohrstäben und Peitschen.
Das kam dann in Nachkriegsprozessen zur Sprache. Für seine Tätigkeit in der Zentralstelle es waren etwa 60 Mitarbeiter, davon ein Drittel Frauen wurde allerdings keiner und keine je zur Verantwortung gezogen, höchstens für spätere NS-Karrieren. Und da gab es auch durchgehend milde Urteile. In den 50er Jahren waren die Leute, die einmal in der Zentralstelle gearbeitet hatten, schon wieder auf freiem Fuß oder verschollen. Die Mitarbeiter der Zentralstelle waren meist etwas jünger als der 32-jährige Eichmann. Den Ersten Weltkrieg hatten sie als Kinder erlebt, aber nicht mitgemacht.
Beruflich hatten sie es zu nichts oder wenig gebracht und sich in den 30er Jahren der illegalen SA und SS zugewandt. Alle waren sie mit rasierten Wohnungen oder Villen bedacht worden, je nach Rang. Unter ihnen waren auch ein paar Sozialdemokraten, die zu den Nazis übergelaufen waren. Im Foyer der Arbeiterkammer kann man heute in den Biografien der Täter und Täterinnen in der Zentralstelle blättern. Die Ausstellungsmacher Sophie Lilly und Arie Wagsmuth haben ihre Karrieren im Kontext der Judenvernichtung und ihr Leben danach aufgearbeitet, soweit das möglich war.
Übrigens: Der Katalog zu dieser Dauerausstellung ist großartig. Man versteht ein bisschen besser, wie es zum Holocaust kam, auch wenn der Holocaust immer unbegreiflich bleiben wird.
In Deutschland hatte sich die Entrechtung der jüdischen Bürger, begonnen 1933, mit Hitlers Machtübernahme, Schritt für Schritt über die Jahre gesteigert. In Österreich ging das in drei Monaten vor sich, von März 1938 an. Entlassung aus dem Staatsdienst, Arbeitsverbot, Judensteuern für Juden verboten, Kino, Theater, Oper, Parkanlagen, Schwimmbäder, Bänke im Freien, öffentliche Schulen. Es ist bitter, aber das war nicht nur dem Terror der Nazis geschuldet, sondern auch dem weit verbreiteten Antisemitismus. „Der Jud muss weg, das Gerstl bleibt da“. „Gerstl“, also das Geld der Juden, so hieß es damals schon am ersten Tag der Naziregierung in Wien im März 1938 wurde der Kapitaltransfer ins Ausland und die Abhebung von Konten stark eingeschränkt, nahezu unmöglich gemacht. Das war eine österreichische Initiative. Während die Deutschen bemüht waren, jedes Unrecht in die Form eines Gesetzes oder in eine Verordnung zu pressen, zeigte sich der österreichische Charakter in wilden Arisierungen von Wohnungen, Villen und Geschäften und in Mundpropaganda, wo was von einem Juden zu holen sei. Auch deshalb wurde Eichmann von Berlin aus mit der Zentralstelle beauftragt, um das zu unterbinden.
Etwa 20.000 selbsternannte kommissarische Leiter hatten sich in den ersten Wochen nach dem sogenannten Anschluss jüdische Geschäfte angeeignet, ganz zu schweigen von denen, die einpackten, was ihnen gefiel, weil der jüdische Inhaber für sie ohnehin vogelfrei war. Oder die liebe Nachbarin, die bei der jüdischen Hauspartei anklopft und das Klavier verlangt oder das Service, das ihr bei einer Kaffee Einladung aufgefallen war. Oder das Bild über dem Sofa. Die reichen Juden waren verhasst, aber die armen mochte man auch nicht. Mit der Anti-Rothschild Propaganda lagen die Nazis am Puls der Zeit.
Der NS-Propagandafilm „Die Rothschilds“ erschien 1940. Das Drehbuch ging auf Mirko Jelosic zurück, einen Blut- und Bodenschriftsteller, der sogar kurz Burgtheaterdirektor war. „Sprechen Sie ihn frei zum Stolze Österreichs“. Dafür plädierte sein Anwalt einem Prozess 1946. Jelosic sei nie ein Antisemit gewesen und immer ein Gentleman. Jelosic wurde tatsächlich freigesprochen. 1957 trat er schon wieder bei der FPÖ auf.
Mit Kriegsbeginn 1939 veränderte sich das Aufgabengebiet der Wiener Zentralstelle wesentlich. Jetzt ging es nicht mehr nur um Ausreise und Erpressung, sondern um Vertreibung in unwirtliche Gegenden im Osten. Offiziell hieß das Umsiedlung. Die Eichmann Männer aus der Zentralstelle taten jetzt auch öfter Dienst in den Sammellagern in Wien, wo die Juden zusammengepfercht und voller Angst warteten, ob sie auf den nächsten Transport kommen. Dort fielen sie als besonders brutal auf, als müsste nun gar kein Schein mehr gewahrt werden. Insgesamt sind in diesen Jahren 130.000 jüdische Österreicher und Österreicherinnen geflohen, 67.000 wurden umgebracht. 1942 begannen die Massendeportationen in den Tod und Eichmann war wieder an der vordersten Front tätig, diesmal als Organisator des Völkermords in Europa.
Deportiert werden sollten nach NS-Schriftverkehr die unbemittelten, also die ärmeren Juden. Von Sammellagern in Wien wurden die Menschen auf offene LKWs verladen. Auf den Listen war angegeben so und so viel Stück Juden und durch die Stadt zum Aspang Bahnhof gefahren. Was dachten bloß die Wiener und Wienerinnen, die das sahen? Aber angeblich hat es ja keiner gesehen. Bevor sie ins Sammellager kamen, wurden die Juden aus ihren Wohnungen geworfen und in sogenannte Sammelunterkünfte gebracht. Auch die Mietwohnung in der Zirkusgasse, in der mein Mann und ich leben, war eine solche Sammelunterkunft gewesen.
Ich habe das erfahren, als ich auf der Homepage des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands den Link von Memento Wien anklickte. Man gibt dort Adresse und Türnummer ein und sieht, wer in diesen Jahren dort gewohnt hat. 1942 lebten in den zwei Zimmern in der Zirkusgasse in meinem Haus vier Frauen, die nicht miteinander verwandt waren. Die älteste war 84 Jahre alt, Charlotte Strasser. Sie wurde am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Acht Wochen später war sie tot. Verhungert oder zu Tode gestoßen, wer weiß es. Im selben Transport war die 80-jährige Franziska Ernst. Sie starb kurz nach der Ankunft, ein paar Tage. Auch die 73-jährige Eugenie Kriegel hielt in Theresienstadt nur ein paar Wochen aus. Allein zurück blieb in meiner Wohnung die jüngste, die 51-jährige Frida Krispin. Sie wurde am 31. März 1943 nach Auschwitz gebracht und kam vermutlich direkt in die Gaskammer.
In diesen Tagen, Ende März, wurde auch die Wiener Zentralstelle aufgelöst. Eichmann und seine Gehilfen hatten jetzt anderswo zu tun. Aus allen von der Wehrmacht besetzten Ländern fuhren in den 40er Jahren die Deportationszüge in den Osten nach Auschwitz, nach Treblinka, nach Sobibor, nach Maly Trostenez und so weiter und so fort.
Eine Frage ist jetzt noch Wie kam die Arbeiterkammer zu den Rothschild Gründen? Österreich hat es den Rothschilds nach dem Krieg nicht leicht gemacht, einen Teil ihres Vermögens zurückzubekommen. Es brauchte acht Rückstellungsverfahren und für die Erlaubnis der Ausfuhr ihrer Gemäldesammlung mussten die Rothschilds ausgewählte Gemälde der Republik schenken. Die Arbeiterkammer erwarb die Liegenschaften 1950 und 1954 zu einem relativ günstigen Preis, weil die Lage in der sowjetisch besetzten Zone nicht besonders attraktiv war, damals. 1954 wurde dann auch das beschädigte Rothschild Palais gesprengt und die Arbeiterkammer stellte ein neues Haus dorthin.
Ja, damit bin ich nun am Ende. Ein zweiter Teil dieses Podcasts wird sich mit den weiteren Karrieren von Eichmann und seinen Helfern beschäftigen, ihren Täuschungsmanövern, ihrem Zynismus und ihren Rechtfertigungen.
Und damit verabschiede ich mich von Ihnen. Ihre Christa Zöchling. Dankeschön.
Autor:in:Christa Zöchling |