Die Dunkelkammer
Long Covid, ME/CFS – Evas Leben ist zerstört

Eva Wallinger in ihrem Zimmer in Salzburg | Fotocredit: Privat
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Von Edith Meinhart (Folge 110, 3. Oktober 2024) Die Salzburgerin Eva, 27, hat Long Covid in der schwersten Ausprägung erwischt. Sie war sportlich, unternehmungslustig, kreativ, hatte beruflich und privat viel vor, bevor das Virus ihr Leben zerstörte. Die Diagnose: ME/CFS. Heute verbringt die junge Frau ihre Tage allein in einem Zimmer, rund um die Uhr betreut und gepflegt von ihren Eltern. Niemand weiß genau, wie viele junge Menschen so wie Eva aus der Öffentlichkeit, aus ihrem sozialen und beruflichen Umfeld verschwinden, weil jede Überanstrengung sie in einen Abgrund stürzt. Die Zahl geht in die Zehntausende, sagen Expert:innen. Weder das Gesundheitssystem, noch die Öffentlichkeit, noch die Arbeitswelt nehmen davon Notiz. Evas Mutter und ihre Ärztin sprechen in dieser Episode über das Leid von Long Covid-Betroffenen, Hoffnungsschimmer in der Forschung und darüber, was Menschen wie Eva vom Staat und von der Gesellschaft brauchen.

Edith Meinhart
Für diese Ausgabe bin ich nach Salzburg gereist, genauer an den Wallersee. Hier wohnt die Familie Neumeyer Wallinger. Ich sitze in ihrem Wohnzimmer. Neben mir die Mutter Hildegard und die Ärztin der Familie, Eva Enzinger.
Leider nicht mit am Tisch sitzt Eva, die 27- jährige Tochter. Sie leidet an einer sehr schweren Form Long Covid. Frau Neumayer-Wallinger, Ihre Tochter ist einverstanden, dass Sie darüber sprechen, was mit ihr passiert ist. Es ist eine seltsame und traurige Situation, weil Eva im Zimmer nebenan ist. Warum spricht sie nicht selbst?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Meine Tochter ist sehr einverstanden, dass wir über sie sprechen. Sie ist sehr erleichtert, dass sie nicht selber sprechen muss. Zu viert in einem Raum wäre für sie eine völlige Überlastung. Das wäre viel zu viel mit ihrem Krankheitsbild. Für sie ist es anstrengend, wenn mehr als ein Mensch gleichzeitig bei ihr ist. Und selbst dieser Mensch muss sehr leise sein, darf möglichst gar nicht sprechen oder nur in kurzen Sätzen mit vielen Pausen, am besten gar nicht. Das ist das Verträglichste.
Und auch die Reize sind zu viel. Wenn mehrere Menschen in einem Raum sind, ist es für sie eine völlige Reizüberlastung. Sie kann auch keine Musik hören. Sie muss die Fenster schließen und Ohrenstöpsel nehmen, wenn ein Auto vorbeifährt oder wenn Nachbarn draußen sprechen. Wir haben hier auch alles verhängt, die Bücherregale, weil wenn es sehr heiß ist im Sommer, dann ist sie in diesem Raum und dann kommt sie gar nicht in Versuchung, dass sie die Buchtitel liest. Sie kann zwar lesen, aber sie büßt es dann mit extremen Kopfschmerzen.

Edith Meinhart
Weil die Information sie überlastet?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Genau, weil ihr Nervensystem so auf Touren ist.

Edith Meinhart
Man kann sich das gar nicht vorstellen. Wie sehen die Tage Ihrer Tochter aus?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, das ist ein Problem, dass sich das niemand vorstellen kann. Auch Menschen aus dem engeren Umkreis. Die Tage schauen so aus, dass sie eine Aneinanderreihung von Rasten und Ruhen sind, abwechselnd mit Essen. Sie muss zum Beispiel auch beim Essen eine Pause machen. Sie kann nicht normal essen. Sie kann auch nicht bei uns essen, sondern es spielt sich alles in ihrem Zimmer ab. Sie ist nur in ihrem Zimmer. Und sie braucht zum Beispiel, wenn sie aufwacht das ist so zwischen 9 und 10, braucht sie ungefähr drei Stunden, bis sie so weit ist, dass sie frühstücken kann.
Da muss sie eben auch rasten, dann Zähneputzen die eine Hälfte, dann wieder Pause machen, die andere Hälfte und mit meditieren und so weiter kommt sie auf drei Stunden, bis zum Frühstücken.

Edith Meinhart
Und wer macht das Frühstück? Wer bringt es ihr?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Abwechselnd mein Mann oder ich. Jetzt, in den Ferien mehr ich und dann wieder, wenn die Schule beginnt, mein Mann, der ist zum Glück schon in Pension.

Edith Meinhart
Ich würde gerne noch einmal zurückblenden vor Evas Erkrankung. Wie haben da ihre Tage ausgesehen?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Sie war in Graz, sie hat soziale Arbeit studiert und dann in Graz gearbeitet, in einer Wohngemeinschaft für beeinträchtigte Erwachsene, geistig und körperlich Beeinträchtigte, war in einem super Team mit guter Führung, hat ihr sehr Spaß gemacht. Sie hat eine Ausbildung zur Tanzpädagogik gemacht, die musste sie dann abbrechen. Sie hatte viele Hobbies. Sie ist ein sehr kreativer Kopf. Sie war auch sehr sportlich, schlank, hat ihre Wege mit dem Rad zurückgelegt, ist gerne geklettert, ja, verschiedenste Sportarten. Und sie war sehr gerne in Graz. Das war ein Problem, dass sie nicht so gerne nach Hause zurückkommen wollte. Wir hätten das schon früher angeregt.

Edith Meinhart
Es ist gar nicht so leicht, drüber zu reden, wie das früher war.

Hildegard Neumayer-Wallinger

Es war für sie vor allem sehr schwierig. Ich habe sie vorher gefragt, die Fragen, die wirklich persönlich sind, ihre Pläne oder wie das war für sie oder auch ihre Träume und das sind schwierige Punkte für sie.

Edith Meinhart
Da hat Eva aber erlaubt, dass sie darüber reden.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Genau, sie ist eben einverstanden damit, dass wir darüber sprechen. Ich habe nur so persönliche Dinge wie ihre Pläne. Das wollte ich von ihr tatsächlich wissen.

Edith Meinhart
Wie hat ihre Erkrankung begonnen?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Sie hatte im Sommer 2022, also vor genau zwei Jahren, zum zweiten Mal Covid. Sie hatte das erste Mal im Februar, ein milder Verlauf, dann im Juli 2022 ebenfalls einen milden Verlauf und ist dann nicht gesund geworden. Sie war immer erschöpft. Sie war im August dann rund um ihren Geburtstag bei uns, da war sie auf dem Stand von einer Viertelstunde langsam Spazierengehen, kleine Wanderungen mit den Enkelkindern und dann wieder rasten. Wir haben es ehrlich gesagt nicht besonders ernst genommen, weil das ist keine normale Krankheit. Für uns war der normale Fall krank, dann noch schwach, schlapp und dann geht es bergauf. Aber es war leider so, dass es immer weiter bergab gegangen ist.

Edith Meinhart
Was haben Sie sich gedacht? Dass sie zu viel arbeitet oder einfach aus irgendwelchen anderen Gründen erschöpft ist?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Nein, wir haben es schon in Verbindung gebracht mit der Corona Infektion, das schon, aber wir wussten zu wenig über Long Covid, dass man da wirklich am besten nichts macht. Nichts. Und sie selbst wusste es damals auch nicht. Und sie ist dann wieder nach Graz gefahren, hat versucht, wieder in ihren Alltag zurückzukehren, die Arbeit aufzunehmen, ihre Tanzausbildung aufzunehmen und es war jedes Mal ein Fiasko.

Edith Meinhart
Das heißt, es hat sich immer noch verschlechtert, mit jeder Anstrengung.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Es hat sich noch verschlechtert. Und die Ärztin damals in Graz war auch noch gar nicht vertraut mit dieser Krankheit. Die hat sie einmal gefragt, sie war Montag dort, dann hat sie Soll ich sie bis Freitag krankschreiben oder nächste Woche auch noch? Und da war für unsere Tochter schon klar, das ist keine Sache von einer oder zwei Wochen, sondern das wird länger dauern. Sie hat einfach schon gespürt, das ist was sehr Massives, Hartnäckiges.

Edith Meinhart
Und wann war für alle klar, dass es Long Covid ist?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Sie ist im Dezember 22 auf Kur geschickt worden. Wir haben uns  gefreut. Wir waren total blauäugig, hatten keine Ahnung, und haben uns gefreut, ja, drei Wochen Kur und wir dachten uns nicht, dass sie gesund ist nachher, aber doch, dass sie besser sein wird. Und das war dann sehr schlimm, weil sie war auf dieser Kur komplett überfordert. Schon die Wege zu den einzelnen Behandlungen waren viel zu anstrengend. Sie war in einem leichten Aktivierungsprogramm. Das war für eine gesunde junge Frau kein Thema. Aber für sie war alles zu viel. Und die Therapeutinnen dort waren auch der Meinung, ja, gib einmal Gas. Sie hat gemeint, sie macht jede zweite Übung. Sie musste sich immer wehren gegen das medizinische Personal.

Edith Meinhart
War das damals noch nicht Stand des Wissens?

Hildegard Neumayer-Wallinger

Offensichtlich nicht.

Edith Meinhart
Es ist ja relativ kontraintuitiv. Fast alle Krankheiten werden besser, wenn man sich ein bisschen pusht.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Genau, dieses Wort passt wunderbar für diese Krankheit. Kontraintuitiv. Das war es für uns auch sehr lange. Wir haben wirklich lange gebraucht und hineinwachsen müssen in die Betreuung, in die Pflege. Auch zu akzeptieren, wenn sie sagt: Sprechpause, dann ist der Satz beendet, ohne dass wir beleidigt sind, weil dann geht es wirklich um ihre Gesundheit, sie braucht dann einfach Ruhe und es darf nicht noch ein Wort gesagt werden. Sie musste die Kur dann abbrechen, sie war nur krank. Mein Sohn und mein Mann haben sie geholt. Dann war noch eine Station in Graz, wo Long Covid diagnostiziert wurde.

Edith Meinhart
Da gibt es verschiedene Formen. Welche Diagnose hat sie da bekommen?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Das war noch Long Covid, in Graz war es noch Long Covid. Und erst dann unsere Hausärztin hat dann so langsam dieses ME CFS einschleichen lassen.

Edith Meinhart
Darüber reden wir dann noch gleich. Was hat das für sie als Mutter und für die Familie bedeutet? Das ist nicht einfach, dass ein kraftstrotzendes Kind plötzlich immer weniger bei Kräften ist.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, sie war 25. Wie schwer diese Krankheit tatsächlich ist, das haben wir nicht verstanden. Wir dachten uns, wir haben sie dann im Jänner 23 zu uns geholt. Sie war dann endlich einverstanden damit wieder zurück ins Elternhaus zu kommen, was ja nicht so einfach ist für alle Beteiligten. Aber sie war einverstanden und wir waren in der Hoffnung, in der Annahme, wir erledigen alles für sich. Wir versorgen sie, bekochen sie, erledigen alles. Wir haben eine gute Ärztin gleich in der Nähe, und dann wird es langsam, aber doch stetig bergauf gehen. Das war aber gar nicht der Fall.

Edith Meinhart
Also, Sie haben sich gedacht, sie päppeln ihre Tochter auf und dann wird sie wieder in der Lage sein, ein selbstbestimmtes Leben zu führen?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Das war unsere Annahme. Aber es ist auch hier noch um einiges schlechter geworden, weil sie immer wieder, sei es durch Termine, Arzttermine oder auch bei den Behörden, immer wieder über ihre schon sehr niedrige Grenze gehen musste, und das kann eine dauerhafte Verschlechterung zur Folge haben.

Edith Meinhart
Sie haben schon angedeutet, das schwierigste Thema für Eva ist, darüber nachzudenken, was sie eigentlich vorgehabt hätte, bevor diese Krankheit ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Könnten Sie das ein bisschen skizzieren. Man ist 27 man hat das Leben vor sich und hat Vorstellungen, wie das Leben sich gestalten sollte.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Sie hatte sehr viele Pläne. Sie wollte nach Nürnberg gehen, da eine Tai-Chi Ausbildung machen. Sie wollte mehr mit Tanz machen. Sie wollte Zusatzausbildungen machen für ihre soziale Arbeit, auch im kreativen Bereich und vielleicht noch einmal woanders hingehen.

Edith Meinhart
Das heißt, auch mit Menschen arbeiten als Tanzpädagogin?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, eine Gesprächstherapie wäre nicht ihr Ding. Bei ihr geht vieles über den Körper und sie wäre gerne in diese Richtung gegangen. Und auch Graz, immer wieder Graz. Das war der Punkt in Österreich, der sie am meisten angezogen hat.

Edith Meinhart
Hat sie die Wohnung jetzt aufgegeben?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Sie wollte diese Wohnung lange nicht kündigen. Es war doch noch ihre Perspektive in ein normales Leben. Aber im Laufe dieses Jahres, im Frühling, hat sie sie dann gekündigt.

Edith Meinhart
Das heißt, es war der Moment, wo sie auch quasi akzeptiert hat, dass diese Krankheit noch viel mehr Zeit von ihr fordern wird.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Genau, das war so. Sie ist sehr bemerkenswert in der Akzeptanz dieser Krankheit, weil sie könnte ja auch sehr schlecht drauf sein, deprimiert sein, depressiv sein, wütend sein. Aber sie nimmt die Dinge, so wie sie kommen. Es gibt natürlich auch Momente, wo sie damit hadert und einfach ein normales Leben sich herbeisehnt. Ihre gute Einstellung erleichtert uns das Ganze mit ihr, diese Pflege und diese Fürsorge für sie. Sie macht es uns leicht.

Edith Meinhart
Gibt es sonst etwas, das Ihnen persönlich als Mutter hilft bei der Bewältigung dieses Schicksalsschlages?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, in erster Linie sie selbst. Dann haben wir hier schon ein gutes Umfeld, das uns hilft. Ich muss mir nie anhören, na geh, sie soll sich nicht so anstellen oder soll sich mal ausschlafen und dann wird das wieder oder diese psychosomatische, in die viele gedrängt werden. Das kommt bei uns nicht vor. Diese Erfahrung haben wir nicht machen müssen.

Edith Meinhart
Also dass die Krankheit nicht ernst genommen wird.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Genau, außer von der PVA, das ist eine große Ausnahme.

Edith Meinhart
Was hat es damit auf sich? Welche Hürden mussten Sie überwinden oder gegen welche Wände sind Sie da gerannt?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Naja, die Ärztin hat uns schon sehr früh darauf aufmerksam gemacht: Bitte Reha Geld beantragen, weil das Krankengeld läuft aus. Sie war nach einem Jahr ausgesteuert. Der schöne Begriff. Sie ist zuerst zwischen AMS und Gesundheitskassa hin und her verwiesen worden, und dann nach einem Jahr ist aber Schluss. Nach einem Jahr Krankenstand ging es an die PVA. Wir haben den Antrag gestellt und dachten, okay, sie ist so schwer krank, ganz klar, sie wird dieses Reha Geld bekommen. Wir hatten keine Erfahrung damit. Und ja, das wurde natürlich – im Rückblick natürlich -- abgelehnt. Die Pensionsversicherung lehnt das, ich sage jetzt nicht immer, aber lehnt das praktisch immer ab.

Edith Meinhart
Was heißt abgelehnt?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Sie musste zu einem Gutachter hinfahren. Das ist auch so ein Punkt, wo sie völlig über überlastet war und noch tiefer abgestürzt ist. Mein Mann hat sie hingefahren. Für sie ist schon eine Fahrt ist für sie so anstrengend, es ist unvorstellbar. Der Gutachter hat ihr dann ins Gutachten hineingeschrieben, sie war völlig aufgelöst, als sie bei ihm hineingegangen ist. Und er hat dann gleich gesagt, er war sehr nett zu ihr, er hat gesagt, das sieht man von Weitem, dass Sie krank sind. Aber im Gutachten stand dann, sie kann 20 Stunden in der Woche arbeiten und sie kann 500 Meter in 20 Minuten zurücklegen. Wie er auf zu dieser Annahme kommt, ist uns ein Rätsel, weil das war einfach völlig, also völlig aus der Realität.

Edith Meinhart
Das war zu der Zeit, wo sie das Zimmer gar nicht mehr verlassen hat?

Hildegard Neumayer-Wallinger

Das war im September 23, sie war dann noch manchmal unten bei uns, aber nur, wenn es ganz leise passiert. Wir mussten ganz leise sein und sie hat unten gegessen. Sie war also noch sehr eingeschränkt mobil.

Edith Meinhart
Im Haus mobil?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, ab und zu ist sie in den Garten gegangen, aber das war schon oft, dass sie dann nachher eben wieder diese PEM hatte, diese Verschlechterung oder Verstärkung der Symptome nach Überanstrengung. Also wenn sie mehr, wenn sie eineinhalb Stockwerke nach unten gegangen ist, dann hatte sie ein paar Tage nachher eine Verschlechterung ihres allgemeinen Zustandes.

Edith Meinhart
Frau Dr. Enzinger, Sie sind Ärztin für Allgemein- und Familienmedizin hier in Neumarkt am Wallersee. In Ihrer Signatur steht American Specialty Board Certified Family Physician. Was hat es damit für eine Bewandtnis?

Eva Enzinger
Ich habe in den USA die Facharztausbildung gemacht, die es bei uns nicht gibt oder noch nicht gegeben hat. Bei uns wird nach langer, langer Zeit ab 1.1. 2025 auch der Facharzt für Allgemein und Familienmedizin endlich soweit sein. Auf den haben wir alle gewartet, der kommt jetzt endlich. Wir glauben, dass unser Fach ein sehr breites Fach ist, das auch eine Ausbildung verdient, die einem Facharzt gebührt. Da es zu diesem Zeitpunkt, als ich die Ausbildung gemacht habe, die Facharztausbildung nicht gegeben hat in Österreich, bin ich dann in die USA gegangen und habe dort die Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner und Familienmediziner gemacht. Die hat drei Jahre gedauert. Ich war in Tallahassee in Florida und habe das dort 2002 absolviert.

Edith Meinhart
Wann haben Sie denn das erste Mal als Ärztin mit Long Covid zu tun bekommen?

Eva Enzinger
Also im strengen Sinne 2002 am Ende meiner Ausbildung als Fachärztin. Sie werden sich jetzt fragen, wie das möglich sein soll, aber es hat damals 2002 und 2003, ich weiß nicht, ob man das in Österreich mitgekriegt hat, weil ich ja in Amerika war zu dem Zeitpunkt, die Pandemie 1 SARS CoV gegeben. Diese Pandemie hat Mitteleuropa relativ verschont. Sie war hauptsächlich in Asien, aber auch eben in den USA. Ich habe es nur mitgekriegt, weil ich in den USA damals war. Wir haben uns vorbereitet auf diese Pandemie in meiner Ausbildung. Ich war damals schon Chief Resident drüben und damit fast fertig.
Und dann hat es geheißen, okay, jetzt kommt diese Pandemie, es war wirklich ein großes Thema für uns. Und in Asien sind die Leute gestorben. Wir haben die Bilder gesehen, wie sie da elendiglich an dieser Lungenentzündung eingegangen sind. Wir haben als nächstes erfahren, 2003, dass die wenigen Leute, die das überlebt haben, einen sehr schlechten Zustand und alle möglichen Probleme hatten: Muskelschmerzen, Muskelschwäche, kognitive Probleme, Lungenprobleme, Atemprobleme, einen sogenannten Brain Fog und so weiter. Ich war ab 1994 nach der Uni schon drei Jahre in den USA zur Forschung in der Epstein Barr Virus Forschung und HIV und Herpesvirus. Und das sind genau diese Viren, wo man jetzt auch weiß, dass diese ja auch so eine Art Long Covid viralen postinfektiösen Zustand machen können.
Ich habe mich eigentlich seit 1994 mit Viren beschäftigt, die postinfektiöse Zustände machen können. Und da liegt es ein bisschen nahe, dass mich mehr mit diesem Feld beschäftige, obwohl ich ja eigentlich Breitenmediziner bin.

Edith Meinhart
Wann haben Sie dann Eva das erste Mal gesehen und auch mitbekommen, dass es bei ihr um einen Long Covid Zustand geht?

Eva Enzinger
Ja, eigentlich gleich dann, als sie gekommen ist aus Graz. Die Eltern waren schon bei mir; wir haben schon gesprochen, dass die Eva kommt und es ihr nicht gut geht. Sie war schon diagnostiziert, ich musste da nicht sehr viel Vorarbeit leisten. Das Problem war nur, es wurde ihr dann nichts angebracht. Es hat dann keiner gesagt: Ja, was machen wir jetzt mit dieser Information?

Edith Meinhart

Long Covid ist ja auch ein Überbegriff, da gibt es ja verschiedene Formen und Eva hat eine sehr schwere Form.

Eva Enzinger
Die schwerste -- und von der schwersten Form die schwerste Ausprägung. Das muss man noch dazu sagen. Es gibt ja drei Arten von Long Covid, und die schwerste Form dieser drei Formen ist ME CSF, das heißt Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom, was ein völlig falsches Bild zeichnet. Quasi: Die Leute sind müde, so ungefähr heißt das ja, Chronic Fatigue, das wird immer wieder gesagt, dass man diese Nomenklatur eigentlich verwerfen muss. Ein bisschen besser trifft es ja ME -- Myalgische Enzephalomyelitis --, was heißt Muskelschmerzen und Kopfschmerzen und Brain Fog, dieses Fertigsein. Und da gibt es wiederum vier Schweregrade; da kann man sagen, dass Eva von diesen vier Schweregraden mindestens drei, wenn nicht vier hat, je nachdem, ob sie jetzt noch ein bisschen mobil ist oder nicht. Aber im Grunde ist sie hausgebunden und dadurch alleine schon, wenn du bettlägerig bist, hast du dann praktisch den schwersten Schweregrad von ME CSF. Sehr traurig.

Edith Meinhart
Was passiert im Körper bei ME/CSF?

Eva Enzinger
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist vielleicht so, dass man vielleicht beginnen muss zu sagen, dass es einfach eine sehr schwere chronische Multisystem-Erkrankung ist. Das hört sich jetzt ein bisschen nach nichts an, aber wenn man das Wort zerpflückt, kann man erkennen, dass Multisystem heißt, dass es kein Organ gibt, das nicht betroffen ist. Man weiß durch diese globale Forschung, es gibt ja Koryphäen auf dem ME/CFS-Sektor, Gott sei Dank schon lange. Die sind halt sehr spärlich gewesen; das hat jetzt ein bisschen Fahrt aufgenommen. Natürlich, mit dieser schrecklichen Pandemie ist man draufgekommen, was die Ursachen sind, warum so dermaßen viele Körpersysteme betroffen sind. Es gibt praktisch kein Organ, das nicht betroffen ist. So muss man mal anfangen. Es ist praktisch immer eine Gehirn- oder Rückenmarksentzündung dabei. Es ist das kardiovaskuläre System betroffen, es ist eine Gefäßentzündung des gesamten Körpers. Das heißt, bis in jede Fingerspitze, Ohren, Nasenspitze, Gehirn, Niere ist der Blutkreislauf eingeschränkt.

Edith Meinhart
Die Blutgerinnung ist auch betroffen?

Eva Enzinger
Genau. Es kommt dann zu sogenannten Mikrothromben, die dann die Blutgefäße verstopfen. Dann besteht ein Problem mit der Orthostase, Das sind autonome Dysfunktionen, wo zum Beispiel die Regulation nicht passt, wenn jemand vom Liegen zum Sitzen aufsteht. Normalerweise kann das der Körper gut kompensieren. Man hat momentan ein bisschen höheren Herzschlag, aber bei ME/CSF ist es so, dass das autonome Nervensystem komplett durcheinander ist und die Blutdruckregulation nicht mehr passt. Also wir könnten alleine über was da alles abgeht, wahrscheinlich jetzt noch eine Stunde sprechen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein wichtiger Punkt ist noch, der Sauerstoffaustausch passt nicht in den Kapillaren. Die Mitochondrien sind die Kraftwerke aller unserer Zellen, die sind geschädigt. Das weiß man von den Elektronenmikroskopien her. Dann sind die Nervenfasern geschädigt. Oft ist es nicht messbar in der normalen Nervenleitgeschwindigkeit, weil es die Alpha-, Delta- und die C-Phasen sind, die man nicht messen kann, aber große Schmerzen heraufbeschwören.

Edith Meinhart
Sie haben gesagt, dass die Forschung rasend voranschreitet auf diesem Gebiet, auch weil viele Menschen jetzt betroffen sind, durch die Corona Pandemie. Was wussten Sie denn, als Sie Eva zum ersten Mal mit der Symptomatik gesehen haben noch nicht, das Sie heute wissen?

Eva Enzinger
Ganz am Anfang war nicht klar, dass Eva tatsächlich ME/CSF hat. Sie ist mit der Diagnose Long Covid gekommen. Es gibt ja drei Gattungen von Long Covid. Das eine sind diese Long Hauler, wo einfach der Zustand dieser Infektion nicht weggeht. Die haben dann entweder eine sehr lange dauernde Lungenentzündung oder eine Herzmuskelentzündung oder eine Lungenfibrose oder eine Lebererkrankung oder eine Nierenschädigung. Das sind aber alles sehr gut behandelbare Sachen. Man kann zum Beispiel jemanden, der eine Hepatitis hat, heute schon ganz gut behandeln, auch wenn diese von Covid ist. Das sind Diagnosen, mit denen wir gut umgehen können. Dann gibt es die zweite Gruppe von den Long Covid Erkrankten, die eine neue Erkrankung haben, die sie vor der Covid Erkrankung nicht hatten oder die eine Erkrankung schon hatten, die Covid dann verstärkt hat. Zum Beispiel eine typische Erkrankung, die auch ich in meiner Ordination leider immer noch sehe oder immer wieder mal sehe, ist eine Schilddrüsenentzündung. Sie kann zum Beispiel ausgelöst werden durch eine Covid Infektion oder auch Diabetes. Ich habe ein junges Mädchen bei mir in der Ordination, wo ich vermute, wo ich praktisch sicher bin, dass sie Typ 1 Diabetes bekommen hat durch die Infektion. Also Autoimmunerkrankungen können definitiv durch eine Covid-Erkrankung ausgelöst und oder verstärkt werden.

Edith Meinhart

Auch Gürtelrose?

Eva Enzinger
Ja, genau. Es werden auch Viren reagieren aktiviert. Absolut richtig. Genau. Das ist auch so eine Art von Nebenerscheinung oder auslösende Erkrankung. Aber ME CSF steht ein bisschen eigenständig, weil es zu den postakuten infektiösen Syndromen gehört. Es ist nicht das einzige, aber es ist das wichtigste postakute infektiöse Syndrom, das schwerste und leider das unterdiagnostizierteste, unerkannteste und auch schwerst zu therapierende --zurzeit. Aber es ist nicht so schwierig zu diagnostizieren, wie die Allgemeinheit glaubt. An der MedUni Wien gibt es ein ME CSF Netzwerk, das von der Frau Professor Kahtryn Hoffmann, sie ist die Chefin und die Leiterin von der Primary Care Abteilung auf der MedUni Wien. Sie hat dieses Netzwerk ins Leben gerufen. Ich würde sagen, da sind sehr große Kapazitäten, Ärztinnen und Ärzte dabei; auch wunderbare, tolle, sehr kompetente Gesundheitsdiensteanbieter, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, die da in diesem Netzwerk mitarbeiten. Es ist es sehr gut zu sehen, dass dieser Austausch und dieses gegenseitige Lernen und dieses Fälle vorstellen unglaublich viel bringt. Man lernt sehr viel für sich selbst und vor allem für seine Patienten in diesem Netzwerk. Da muss ich der Frau Professor Kathryn Hoffmann wirklich danken, dass sie das ins Leben gerufen hat. Ich glaube, das ist für Österreich eine ganz, ganz wichtige Sache.

Edith Meinhart
Was bleibt denn noch zu erforschen?

Eva Enzinger
Ja, leider immer noch zu viel. Wir haben noch keinen Biomarker. Wenn ich das erklären darf, was das genau heißt. Also, es ist zwar die Diagnose nicht so schwierig, denn es gibt ja, wie gesagt, dieses DACH Konsensus Statement, DACH steht für Deutschland, Österreich und Schweiz, DACH Konsensus Statement, wo diese Fachkräfte beschlossen haben, wie man MECSF diagnostiziert, nämlich mit einem Gespräch, mit einer klinischen Untersuchung mit den kanadischen Kriterien. Es gibt genügend Fragebögen und auch eben dieses ganze besonderes Symptom, diese PEM, wie Hildegard schon erwähnt hat, das ist diese sogenannte Post Exertional Malaise, diese Belastungsintoleranz. Das gibt es bei keiner anderen Erkrankung.

Edith Meinhart
Das ist das, was wir vorhin kontraintuitiv genannt haben. Also, dass es eben nicht produktiv ist, sich zu pushen, weil einen das Tage, manchmal Wochen oder Monate zurückwirft.

Eva Enzinger
Ja genau. Das ist eine Überbelastung jeglicher Form, also nicht nur körperlich, sondern auch mental, psychisch. Jede Art von Stimulierung kann eine PEM hervorrufen. Es gibt spezielle Fragebögen dafür, dass man herausfinden kann, das ist eines von den ersten Sachen, die ich mache, wenn ich einen postakuten, infektiösen Zustand habe, herauszufinden, hat diese Person PEM -- ja oder nein. Das ist dasWichtigste überhaupt, herauszufinden, in welche Schiene ich mit dieser Patientin, Patient gehen muss. Die Symptome kommen manchmal eben verzögert.
Es dauert manchmal bis zu 14 Stunden, bis diese Symptome kommen. Also, die hat man nicht unbedingt gleich. Wenn man das hat, dann weiß der Patient oder die Patientin das; die können sagen: Ja, ich habe vorgestern das gemacht; und jetzt liege ich im Bett. Da gibt es noch nicht diese Therapie, die wir uns alle wünschen, eine grundlegende Therapie, die einen körperlichen Zustand wieder herbeiführt, wie er vorher war. Das muss natürlich unser aller Ziel sein. Es kann ja nicht sein, dass Eva jetzt ab jetzt im Bett bleiben muss.
Wir müssen weiterhin zusehen, dass wir herausfinden, wie man das machen kann. Und da muss ich wieder lobend erwähnen, ein paar von diesen wirklich sehr tollen Sachen, wo auf zelluläre Ebene geforscht wird. Das wird auf der Uni gemacht. Da kann ich zum Beispiel Frau Professor Scheibenbogen nennen, in Berlin. Auch in den USA gibt es genügend Leute.

Edith Meinhart
Warum haben Betroffene so oft eine Odyssee hinter sich, bevor sie zu einer zutreffenden Diagnose kommen, wenn sie sagen, dass es mittlerweile gut zu diagnostizieren ist?

Eva Enzinger
Das ist eine traurige Sache. Das fängt leider damit an, dass es auf der Uni bei uns nicht erwähnt wird. Es sollte ein Fach geben. Wir lernen über alle möglichen Krankheiten. Multiple Sklerose hat man auch erst vor kurzem anerkannt. Früher hat man gemeint, das sind hysterische Frauen, die meinen, sie haben irgendwelche Taubheitsgefühle. Das ist gar nicht so lange her. Und jetzt haben wir Spezialambulanzen dafür. Und ich sage bewusst Frauen, weil bei ME/CSF leider mehr Frauen betroffen sind. Das ist generell so bei Autoimmunerkrankungen, weil Frauen ein anderes Immunprofil und Hormonprofil haben. Am besten kann ich es so erklären: Eine Frau soll, wenn sie möchte, im Stande sein, einen Körper eines anderen genetischen Materials auszutragen. Sprich, ein Baby ist ja körperfremd. Die Frau muss dieses fremde genetische Material tolerieren können.Dadurch ist der Körper der Frau auf Toleranz gepolt. Und ein Mann merkt sofort, das ist was anderes und macht seine Abwehrkräfte und seine Abwehrkörper und erkennt fremd als fremd. Und eine Frau kann das nicht so gut. Es läuft ein bisschen im Kreis, das Immunsystem, und verwirrt sich, was ist fremd und was ist nicht fremd und greift dann körpereigene Strukturen an. Teile von ME CSF sind definitiv autoimmun. Wir wissen fix, dass Autoimmunerkrankungen entweder ausgelöst werden über virale Infektionen oder umgekehrt auch, wenn man eine Autoimmunerkrankung schon hat, hat man auch häufiger eine zweite. Es sind häufig Personen, die zum Beispiel schon eine Hashimoto Erkrankung haben, die dann noch leichter eine Long Covid Erkrankung haben.

Edith Meinhart
Hat das vielleicht auch sexistische Gründe, dass man das nicht so ernst nimmt, Frauen unterstellt, hysterisch zu sein und dass Forschungsgelder da auch nicht so schnell in diese Richtung fließen?

Eva Enzinger
Genauso ist es. Und auch die Tatsache, dass man es vielen Leuten nicht ansieht. Bei einem schweren Fall, wie es jetzt bei Eva ist, die natürlich bettlägerig ist, die nicht aus dem Bett kommt. Sie haben gehört, wie schwer es ist, in diesem Fall, im schwersten Fall auch Anerkennung zu haben. Aber stellen Sie sich mal jemand vor, der Grad 1 oder 2 MECSF hat, gerade sich noch in die Arbeit schleppt, dann zu Hause komplett crasht und nicht weiß, wie sie -- meistens halt leider wie, wieder sexistisch, den Haushalt führen, die Kinder erziehen kann, was leider wieder eine Frauengeschichte ist. Also ja, da ist definitiv viel Aufholarbeit zu machen.
Also, wenn wir jetzt fragen, warum die Leute so eine Odyssee hinter sich haben, habe ich das nicht wirklich beantwortet. Es fängt an mit dem Medizinstudium, wo es dieses Fach nicht gibt, dann geht es weiter in der Facharztausbildung, wo es nicht erwähnt wird und auch nicht gibt und das Ganze dann in der Psychiatrie landet, wenn jemand kommt mit solchen Symptomen, obwohl es, wie gesagt, seit 1969 eine von der WHO anerkannte Erkrankung ist und auch codiert wird.
Was ich heute unbedingt sagen möchte. Es ist ein riesiges Problem, das noch nie so erwähnt worden ist, zumindest so, wie ich es gerne hätte: Wir haben in Österreich keine verpflichtete Codierung von Diagnosen. Wie gesagt, ich war 16 Jahre in den USA -- und dort ist nicht alles gut, das möchte ich gleich dazu sagen --, aber wenn Sie zu mir kommen und Sie haben hohen Blutdruck, hat die Krankheit einen bestimmten ICD-Code. Wenn Sie ME CSF haben, dann haben Sie Code G93.3 . Wenn ganz Österreich verpflichtend codieren muss, wenn jemand die Diagnose im hintersten Neumarkt am Wallersee gestellt hat, dann läuft das zusammen in einem großen Server und wir haben eine kompetente ELGA, die wir nicht haben, dann können wir endlich einmal sagen, wie viele Leute betroffen sind. Von den wenigen, die richtig diagnostiziert worden sind, die Hälfte ist ja gar nicht diagnostiziert. Auch wenn der Arzt kodieren könnte oder die Ärztin, ist die Diagnose nicht richtig. Aber wenn wir dann die Menge einschätzen könnten, hätten wir alle viel mehr Leverage. Ich fände das Wort so gut, um beim Bundesminister zu sagen: Hallo, wir brauchen für so viele Leute so viele Gelder. Aber wir haben nur Schätzungen, weil wir nicht imstande sind zu codieren und eine ordentliche Elga zu haben. Bei allem Datenschutz, der natürlich wichtig ist, aber hier hört er halt auf.

Edith Meinhart
Wenn ich von Eva ausgehe, dann muss man sagen, dass Eva im Gesundheitssystem kaum vorkommt bisher. Sie bekommt kein Geld, sie ist quasi nicht versichert. Versichert schon, aber durch die Eltern mitversichert. Zwar diagnostiziert, aber eigentlich auch nicht behandelt. Die ganze Last der Pflege tragen unentgeltlich die Eltern. Das scheint auch nirgends auf. Wie sind denn die Schätzungen? Wie viele Menschen sind da im Dunkeln?

Eva Enzinger
Ja, die Schätzungen sind wirklich nur Schätzungen. Man schätzt, dass vor der Pandemie, also Covid-19, waren es wahrscheinlich bis 26.000 bis 80.000 Österreicherinnen und Österreicher inklusive Kinder. Und jetzt sind es ungefähr doppelt so viel. Also man schätzt so, sagen wir mal, 200.000 sind betroffen. Das ist eine sehr hohe Zahl, wenn man sich das vorstellt, von Leuten, die müssen jetzt nicht alle im Bett liegen.

Edith Meinhart
200.000 Menschen, die bei weitem nicht ihr Leistungsniveau erreichen?

Eva Enzinger
Genau, von diesen ist ungefähr die Hälfte nicht arbeitsfähig. Also mir geht es auch nicht rein um die Wirtschaft, sondern mir geht es um Leute wie Eva, die wieder ein Leben brauchen. Um das soll es uns alle gehen.

Edith Meinhart
Sie haben vorhin gesagt, es sind mehrheitlich Frauen. Gibt es ein Altersprofil? Trifft es mehrheitlich junge Menschen?

Eva Enzinger
Ja, genau, es trifft mehrheitlich junge Menschen. Es gibt zwei Altersgipfel. Der traurige Zustand ist, dass der erste Altersgipfel 10 bis 19 Jahre alt ist und der zweite Altersgipfel ist 30 bis 39 Jahre alt. Kumuliert gesehen sind es trotzdem hauptsächlich Frauen im prämenopausalen Alter, also unter 50, wenn man alles zusammennimmt. Ich habe auch Männer mit ME CSF, aber verhältnismäßig wenige.

Edith Meinhart
Gibt es auch eine These, warum es vor allem junge Menschen trifft?

Eva Enzinger
Auch das ist wieder hormonell bedingt, eben durch dieses Autoimmungeschehen. Wenn unser immunologisches System nach der Menopause generell ein bisschen abnimmt, ist das für eine Autoimmunerkrankung gut. Das Autoimmungeschehen, die autoimmunologischen Vorgänge nehmen dann ab. Und die sind besonders wild im ganz jungen Alter. Also da, wenn die Mädchen die erste Regel bekommen; die Teenager, die sind auch sehr stark betroffen.

Edith Meinhart
Was brauchen die Betroffenen jetzt vom Gesundheitssystem, vom Wohlfahrtsstaat? Der lässt sie ja noch ziemlich hängen.

Eva Enzinger
Ich glaube, dass wir ohne Spezialambulanz nicht auskommen werden können, weil sich einige meiner Kollegen, die nicht die Ausbildung hatten wie ich -- also nicht, dass ich jetzt hier kompetenter bin, sondern meine Spezialisierung ist halt ein bisschen anders -- sich vielleicht überfordert fühlen, wenn man nicht in diese Nische haut. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, im niederschwelligen Bereich eine Spezialambulanz zu haben. Meines Erachtens wäre das gar nicht so schwierig. Wir reden ja über ME/CSF. Alles andere ist behandelbar, ganz einfach -- nicht, dass ME/CSF nicht behandelbar ist, so habe ich das nicht gemeint.

Edith Meinhart
Die 200.000 Menschen haben sich auf diese schwere Form von Long Covid bezogen.

Eva Enzinger
Wenn wir das wüssten, wenn wir G93.3 codiert hätten, könnte ich Ihnen das besser sagen, aber wahrscheinlich ja. Die Schätzungen betreffen ja das ME CSF Kontingent. Es sind wahrscheinlich 200.000 ME/CSFler, wobei vielleicht 100.000 vorher schon da waren und 100.000 durch die Covid Pandemie gekommen sind. Spezialambulanzen sind meines Erachtens gar nicht so schwierig aufzustellen. Wir haben ja in jedem Bundesland ein sogenanntes Tertiärspital mit einer neuroimmunologischen oder neuroinfektiösen Ambulanz. Wir haben es geschafft, in jedem Bundesland, in jeder Bundeshauptstadt auch eine MS-Ambulanz aufzustellen. Dann soll halt diese neuroimmunologische Ambulanz imstande sein, eine Person, zum Beispiel aus dem ME/CSF Netzwerk oder zum Beispiel vom Dr. Michael Stingl, der ja Gott sei Dank einer der wahren Vorreiter ist, dem wir sehr viel zu verdanken haben, oder von der Frau Prof. Kathryn Hoffmann abgesegnete Person, die in jedem Bundesland das übersieht und die jungen Ärzte einschult. Und siehe da, wir hätten eine Anlaufstelle. Wir bräuchten nicht irgendwelche neuen Einrichtungen bauen. Das könnte man klein beginnen. Zwei Stunden pro Woche gibt es eine postakute infektiöse Ambulanz, wo die ME/CSFler hingehen können. Die Einrichtung ist da. Die Neuroimmunologen haben wir. Ich weiß nicht, warum es nicht kommt. Es wird geredet, aber ich habe noch nichts gesehen bis jetzt.

Edith Meinhart
Was bräuchte Eva jetzt konkret , was bräuchten Sie als Mutter und Sie als Familie?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Sehr schwierige Frage. Eva macht in dem Rahmen, der ihr möglich ist, alles, um eine Besserung zu erzielen, um gesund zu werden. Das heißt, sie nimmt keine Termine mehr wahr, die nicht absolut lebensnotwendig sind. Das war jetzt auch so bei der Begutachtung für die Pensionsversicherung. Sie weigert sich, irgendwo hinzufahren, weil sie das nur weiter abstürzen lassen könnte. Sie ist angewiesen auf Hausbesuche. Es gibt zum Glück hier in der Umgebung die Ärztinnen, die zu uns kommen. Alles andere müssen wir abdecken. So normale Dinge wie Haare schneiden, das findet bei ihrem Zimmer statt. Sie hat jetzt höchstwahrscheinlich die Klage um das Reha Geld gewonnen. Sie braucht eine soziale Absicherung.

Edith Meinhart
Das heißt, bis jetzt bezahlen alles Sie.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Genau, sie hatte bisher Pflegestufe 1.

Edith Meinhart
Pflegestufe 1, wenn man nicht aus dem Haus gehen kann?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Das ist auch ein Ding von der Pensionsversicherung. Das ist einfach fernab jeder Realität. Pflegestufe 1 ist für leichte Fälle, die ein bisschen Pflege brauchen. Aber diese Krankheitslast ist eben unvorstellbar. Sie kann nicht einmal Besuche empfangen oder nur in homöopathischen Dosen. Sie ist komplett weg vom beruflichen, vom freizeitmässigen und von jedem sozialen Leben. Sie kann auch nicht am Handy ihre Kontakte pflegen. Sie hat sich selbst ein Maximum von 5 Minuten pro Tag gesetzt. Und auch geht nicht jeden Tag. Das schafft sie ohne zu crashen, ohne eine PEM nachher zu haben. Das reicht nicht für Soziales. Die PVA hat befunden, Pflegestufe 1, das ist ein Pflegebedarf von 60 Stunde im Monat. Da versuchen wir jetzt auch, bevor wir wieder klagen müssen, noch andere Mittel zu bemühen.

Edith Meinhart
Das heißt, sie bräuchten Entlastung, weil das bis jetzt alle Sie machen?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Was sehr belastend ist, sind diese Kontakte mit Behörden. Eva hat sich da völlig ausgeklinkt. Sie beschäftigt sich gar nicht mehr damit, das würde ihre Energie völlig sinnlos vergeuden, ihre wenige Energie. Sie hält sich da komplett raus. Wir erledigen das für sie selbst. Selbst für zwei gesunde Menschen, jung sind wir nicht mehr, aber für zwei gesunde Menschen ist das sehr, sehr belastend. Diese frustrierenden Kontakte mit der Behörde, mit der PVA, vorher war es auch noch Gesundheitskasse und AMS, wo die Betroffenen einfach herumgeschubst werden, solange man nicht weiß, wer zuständig ist. Das ist bei uns jetzt eindeutig, aber das ist keine gute Nachricht.

Edith Meinhart

Sie als Ärztin haben gesagt, bei Eva ist es so eindeutig. Leute, bei denen die Krankheit nicht so schwer sich auswirkt, haben es fast schwerer. Trotzdem sagt die PVA, Eva wäre zu 20 Stunden arbeitsfähig und könnte 500 Meter Wege zurücklegen. Wer begutachtet das?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, auch die Gutachter sind nicht unbedingt vertraut mit diesem Krankheitsbild. Der letzte Gutachter, der vom Gericht bestimmt wurde, hat sich wohl damit beschäftigt. Es war ein sehr ausführlicher Befund. Wir waren tatsächlich sehr überrascht, wie realitätsnahe dieser Befund war. Aber es war ein Aktengutachten, das heißt, er musste auf die vorhandenen Befunde zurückgreifen, er hat sich aber sicherlich darüber hinaus mit der Krankheit beschäftigt. Aber der Erstgutachter für dieses Reha Geld hat irgendwas hineingeschrieben. Wir sind auch sehr gut vernetzt mit Betroffenen und Angehörigen. Da ist das ein großes Thema, dieses Weglassen von Teilen der Krankheit bei Gutachten oder dieses Psychosomatisieren. Dass Leute ins falsche Eck gedrängt werden, ist übliche Praxis. Da braucht es sicher eine massive Änderung. Es geht nicht, dass schwerkranke Menschen auf Granit beißen und ihnen durch Behördengänge und Gutachter Marathons aufgezwungen, die sie nicht schaffen und die sie noch weiter verschlechtern in ihrem Zustand.

Edith Meinhart
Es wird auch Fälle geben, wo nicht beide Elternteile gesund und fit sind. Wie machen die das?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, das ist ein Rätsel. Bzw. Es gibt viele Mütter, die betroffen sind. Der Partner oder Ehemann ist dann für die finanzielle Last zuständig. Irgendwer betreut die Kinder, den Haushalt und es ist noch eine Partnerin zu pflegen. Wir haben eine sehr günstige Situation. Mein Mann ist zum Glück schon in Pension. Er hat sich das wahrscheinlich anders vorgestellt, aber es ist jetzt eben so. Und wir engagieren uns sehr für unsere Tochter. Wir machen das gerne, aber wir wollen, wenn möglich, Unterstützung von Behörden und keine zusätzlichen Belastungen. Es reicht die Krankheit.

Edith Meinhart
Wie schauen Sie in die Zukunft? Ich nehme an, Sie setzen große Hoffnungen in die Forschung.

Hildegard Neumayer-Wallinger
Ja, allerdings. Es gibt derzeit zu wenig Mittel für die Forschung. Es gibt eine tolle Stiftung in Österreich von der Familie Ströck. Von dieser Familie sind zwei der drei Söhne betroffen von ME/CFS.

Edith Meinhart
Das ist die Bäcker Familie?

Hildegard Neumayer-Wallinger
Genau, die Bäcker Familie hat eine Stiftung gegründet, die We & Me Foundation. Und sie ist gut vernetzt mit Größen in Österreich und international. Die sind forschungsmäßig am richtigen Dampfer, die muss man ausstatten mit Mitteln, weil die Forscherinnen nur forschen, wenn das finanziell abgesichert ist, und nicht für ein, zwei Monate und dann geht es vielleicht nicht weiter. Die Krankheit wird sich nicht auflösen. Die Leute verschwinden, die schweren Fälle verschwinden im Haus, in ihren Zimmern, sind nicht mehr sichtbar. Sie können sich nicht selbst wehren. Jemand muss das für sie machen. Und das Problembewusstsein gibt es weder in der Medizin noch bei der PVA noch in der Politik.

Eva Enzinger
Es ist unvorstellbar, wie viele Personen erkrankt sind, die man gar nicht sieht, die zu Hause vegetieren. Das hat mit Leben nichts mehr zu tun. Die haben gar keine Lebensqualität, werden gefüttert, manche haben alle möglichen Schläuche in der Nase oder im Magen-Darm-Trakt. Besonders ganz junge Fälle gibt es da leider auch in Österreich, die künstlich ernährt werden müssen. Da geht dann gar nichts mehr mit füttern.

Edith Meinhart
Millions missing – das ist auch ein Slogan, um auf diesen gesellschaftlichen Skandal aufmerksam machen, dass man diese Menschen alle nicht sieht.

Eva Enzinger

Genau, die sind alle zu Hause in den vier Wänden und vegetieren. Das Gesundheitssystem und auch die finanzielle Absicherung ist nicht gegeben.

Edith Meinhart
Gibt es eine zweite Krankheit, wo das vergleichbar ist?

Eva Enzinger
Die zweite Krankheit, die vergleichbar ist, die sogar medizinisch sehr stark vergleichbar ist, die ja auch eine virale Erkrankung ist, ist Multiple Sklerose. Sie ist zu einem gewissen, zu einem gewissen Punkt sogar ähnlich. Der einzige Unterschied ist, dass bei MS, als man endlich wusste, dass man ein MRT machen muss von Gehirn und Rückenmark, wurde diese Krankheit plötzlich sichtbar und man hat ewig lang diese Personen wieder, hauptsächlich Frauen unter 50, für hysterisch erklärt. Plötzlich konnten sie nicht gehen, nicht sehen, nicht denken, nicht prozessieren, hatten Brain Fog, waren daneben, konnten nicht mehr arbeiten gehen, waren schrecklich krank, hatten Herzrasen, alle möglichen Zustände. Und dann ist man draufgekommen, das ist ja Multiple Sklerose. Dann erst ist das Bewusstsein gestiegen, man hat Kampagnen gemacht, hat man gewusst, was das ist. Die Leute hatten Angst.
Auch heute noch kommen zu mir Patienten: Und? Glaubst du, ich habe Multiple Sklerose? Dann sage ich: Das klären wir zur Vorsicht natürlich ab, Aber so wie du mir die Geschichte erzählst und so wie deine Untersuchung ist, schaut das eher aus nach ME/CSF. Dann schauen sie mich so an, das haben sie natürlich noch nie gehört. Und dann sagen sie: Was, du glaubst, das hat mit dieser Infektion zu tun? Und ich sage: Ja, es sieht ein bisschen danach aus. Also ich denke schon, dass man das vergleichen kann mit Multipler Sklerose. Auch das ist eine autoimmune, neuroimmunologische Erkrankung, eine sehr schwere Erkrankung, die alle möglichen Schweregrade hat – von Patienten, die wie wir da sitzen, bei denen aber das linke Bein komplett taub ist und über das Gesicht die Ameisen laufen bis hin zu anderen, die im Bett liegen und im Rollstuhl sitzen oder die auch gefüttert werden müssen. Ich glaube, dass da definitiv eine Analogie da ist.

Edith Meinhart
Dieses Problembewusstsein gibt es auch nicht. Oder wir fürchten uns auch vielleicht zu wenig davor, weil wir die Menschen nicht sehen.

Eva Enzinger
Genauso ist es. Diese Gesundheits Education in Österreich ist auch ein großes Anliegen von mir. Ich denke, wir haben da einen sehr großen Aufholbedarf, Facts and Fiction auseinander zu dividieren. Was ist krankmachend? Wie werde ich krank? Hat mich tatsächlich dieser Wind von der Klimaanlage angeblasen oder war es nicht doch eine Infektion, die ich mir geholt habe bei der letzten Hochzeit? Ich glaube, da gehört noch ganz viel gesagt und getan.

Edith Meinhart
Weil Sie vorhin gesagt haben, vielleicht haben Schulen monetäre Gründe, die Filter nicht einzubauen: Diese Kosten sind ja lachhaft im Verhältnis zu den Folgekosten. Wenn wir Eva nehmen: Sie ist 27, war am Beginn einer Erwerbskarriere und es ist vollkommen unklar, wann und ob sie jemals wieder arbeiten wird können. Dann kann man doch nicht sagen, das ist uns zu teuer.

Eva Enzinger
Genau, das ist eines meiner größten Anliegen, schon bei den Kleinen anzufangen, dass sie diese Krankheit nicht haben müssen.

Edith Meinhart
Die Frage nach dem Ausblick würde ich auch gerne der Ärztin noch zum Abschluss stellen. Wie blicken Sie, was diese Krankheit betrifft, nach vorne?

Eva Enzinger
Generell bin ich positiv gestimmt. Leider ist es nur so, dass wir kein Datum haben, wo ich sagen kann, Anfang 2025 gibt es die Therapie. Ich glaube, das kann man halt einfach nicht sagen. Aber es ziehen jetzt so viele große, großartige Forscherinnen und Forscher an einem Strang, die sich miteinander vernetzt haben. Ich bin da mittendrin und schaue mir an, was in Südafrika passiert, was in Berlin passiert, was in den USA passiert, was in Österreich passiert. Es sind tolle Sachen im Laufen. Und ich bin überzeugt davon, dass es eine Therapie geben wird, wo zumindest eine gewisse Lebensqualität da ist.
Man darf nicht vergessen, dass ME/CSF eine Lebensqualität hat, die niemand hat, auch nicht mit dem ärgsten Krebs. Das hört sich schrecklich an, so als ob ich meine Patienten mit Krebs schlecht machen möchte. Das möchte ich auf gar keinen Fall. Ein Krebspatient oder eine Patientin erfährt eine schreckliche Therapie. Es ist furchtbar, es ist grauenhaft, Aber dann ist meistens ein gewisser Lichtblick zu sehen. Es gibt zumindest eine Remission. Es geht besser, man kann wieder gehen, man hat einen gewissen Anteil am Leben. Das ist bei ME/CSF nicht.
Und ich bin daher sehr dankbar, dass wir eine sehr aktive österreichische Gesellschaft für ME/CSF haben. Es sind sehr kluge Köpfe drinnen, tolle Patientinnen und Patientenvertreter. Kevin Thonhofer hat eine sehr gute Liste zusammengestellt, die gehört verbreitet, wo auf einem Blatt steht, was eine Familie machen kann, um im Behördendschungel nicht von Anfang an alles selbst erfinden und durchlaufen zu müssen. Auf der Webseite der Österreichischen Gesellschaft für ME/CSF ist viel Informationsmaterial zu finden, unter anderem die Telefonnummern oder E-Mail-Adressen von Personen, die man kontaktieren soll, wenn es beim Reha Geld wieder einmal nicht richtig läuft.

Edith Meinhart
Sie haben Behandlungsmöglichkeiten angesprochen. Gibt es in der Forschung den Fokus, das überhaupt zu verhindern? Kann man sich schützen vor diesem Long Covid Verlauf?

Eva Enzinger
Das ist natürlich mein Steckenpferd, die Prävention. Ich bin Primary Care Arzt. Ich muss zuerst schauen, dass niemand krank wird. Das Allerwichtigste ist die Tatsache, dass wir in Schulen, Kindergärten, öffentlichen Räumen, Großraumbüros, im Zug und sonst auch überall keine HEPA-Filter installiert haben. Das hört sich nach schrecklich viel Arbeit an, aber fürs Erste, bevor jedes Haus neu gebaut werden muss, kann man um 100 Euro mehr oder weniger 60 Quadratmeter mit einem Virenfilter behandeln. Wir werden im Herbst wieder eine große Welle haben. Es ist eine luftbezogene Erkrankung, das heißt, die Atemluft des Erkrankten ist infektiös. Daher ist das Händewaschen zwar wichtig. Aber es wäre eigentlich viel wichtiger, dass wir eine reine Luft haben, und das funktioniert leider nicht mit Lüften alleine.

Edith Meinhart
Wenn man das Haus schon gebaut hat, kann man noch was machen?

Eva Enzinger
Ja genau, das sind eben diese Filter, die man um 100 Euro kaufen kann. Es sind bestimmte Filter, die heißen HEPA 14-Filter. Das ist ein Virenfilter, ein sehr dünnes Gewebe, das auch sehr kleine Organismen auffängt.

Edith Meinhart
Das sollte jeder im Haushalt installieren?

Eva Enzinger
Wenn das ein Haushalt kann, wäre das toll. Da sage ich: Ja, bitte. Aber wo es meines Erachtens Pflicht sein müsste, und das sage ich jetzt ganz besonders dem Bildungsminister und dem Gesundheitsminister: Mir ist klar, dass nicht in einem Jahr jede Schule, jeder Kindergarten und jede Universität so einen Filter haben kann. Vielleicht aus monetären oder Distributionsproblemen. Aber man kann mal anfangen.

Edith Meinhart
Auch Verkehrsmittel wären wichtig?

Eva Enzinger
Verkehrsmittel, genau. Da das leider noch nicht passiert, müssen wir die guten alten FFP 2-Masken wieder herausnehmen. Da gehört halt einfach gesagt, in einer Arztordination muss eine Maskenpflicht her. Und wenn ich mir anschaue, was ich für eine kleine Ordination habe, ich bin ein Wahlarzt, und wie viel Infektionen wir jeden Tag durchschleusen und wie viele Leute bei mir im Wartezimmer sich gegenseitig anhusten, muss doch ich dafür sorgen, dass meine Patienten, die neben einem Corona Kranken sitzen müssen, wo ich es vielleicht nicht von Anfang an gleich weiß, nicht krank werden in meiner Ordination. Also bei mir gibt es immer Maskenpflicht, und die Leute haben das angenommen. HEPA-Filter sind zwar keine perfekte Lösung, aber eine ganz gute Lösung, sie reduzieren das Risiko.
Wir müssen in den Schulen anfangen. Es ist eine schreckliche Vorstellung, dass nur ein einziges Kind Corona – und es muss ja nicht nur Corona sein, es kann ja auch Influenza sein, es kann Epstein Barr Virus sein, es kann genug Viren, die ME/CSF auslösen – und das ganze Leben ist kaputt. Es ist wirklich im Eimer. Warum muss das sein? Es gibt etwas dagegen.

Edith Meinhart
Kann man auch auf körperlicher Ebene etwas machen, sich um die eigene Fitness kümmern? Eva war ja total sportlich. Man hat das Gefühl, es nützt gar nichts, sich gut zu ernähren und ausreichend zu bewegen. Ist das einfach Pech?

Eva Enzinger
Naja, es ist natürlich schon so, dass die Personen, die vorher schon krank waren, vielleicht jetzt noch leichter krank werden. Aber das heißt eben gar nicht, dass nicht eine gesunde, junge Person wie Eva das einfangen kann. Das ist den Leuten eben nicht bewusst. Wenn man sich vorstellt, 10 Prozent aller Corona-Erkrankten haben irgendeine Form von Long Covid, auch wenn es nur für mehrere Monate andauert. Es ist eine scary experience, sage ich mal. Das ist wirklich ein Zustand, den man sich nicht vorstellen kann, wenn man Long Covid hat. Dann hat man noch das Risiko, dass man in ein ME CSF hineingeht. Wenn einem das bewusst wird, überlegt man sich schon, ob man nicht doch den Virenfilter anschalte und vielleicht doch mal meine Maske aufsetze, wenn ich mich in einem vollgestopften Raum befinde.

Edith Meinhart
Wie sehr schützt das Impfen mit dem neuen Wirkstoff?

Eva Enzinger
Ja, das Impfen schützt schon. Es schützt vor der Corona Infektion, aber es schützt nicht 100 Prozent vor Long Covid. Das ist leider das Problem, dass es nur um die Hälfte eine Reduktion in Long Covid bewirken kann. Also, 50 Prozent aller Geimpften können trotzdem Long Covid entwickeln, wenn sie dann Corona entwickeln. Weil es leider eine etwas andere Impfung ist, die nicht hundertprozentig schützt und auch nicht hundertprozentig davor schützt, dass man dann die Krankheit nicht weitergibt.

Edith Meinhart
Aber reduziert sie das Risiko?

Eva Enzinger
Ja, sie reduziert das Risiko zu ungefähr 50 Prozent. Das ist auch schon was.

Edith Meinhart
Frau Neumayer-Wallinger, Frau Dr. Enzinger, sehr herzlichen Dank. Wie gesagt, es war mir nicht möglich, mit Eva Kontakt aufzunehmen. Das wäre für sie zu anstrengend, haben Sie gesagt. Und wahrscheinlich, weil ich eine fremde Person bin, noch anstrengender.

Liebe Hörerinnen, liebe Hörer, ich danke Ihnen vielmals, dass Sie dabei waren. Wenn Sie betroffen sind von dieser Erkrankung, finden Sie weiterführende Hinweise in den Episode Notes. Wenn Sie Gedanken dazu teilen möchten oder uns eine Nachricht zukommen lassen wollen, gerne wie immer unter redaktion@diedunkelkammer.at. Vielen Dank fürs Zuhören; ich freue mich aufs nächste Mal.

Autor:in:

Edith Meinhart

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