Die Dunkelkammer History
Iran: Kafka und die Mullahs

Kamran Ghaderi, ein österreichischer Exil-Iraner erzählt, wie Kafkas Prozess für ihn Wirklichkeit wurde. Siebeneinhalb Jahre saß er im berüchtigten Evin-Gefängnis.

Christa Zöchling
Guten Tag, hier ist Christa Zöchling. Ich begrüße Sie zu einer Dunkelkammer aus der Reihe History. Seit einiger Zeit spukt der erste Satz von Franz Kafkas Prozess in meinem Kopf herum.
Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet und dann abgeführt. Die beiden Wächter, die gekommen waren, um ihn zu holen, gaben an, von einer Behörde zu kommen und zu behaupten, sie könnten und dürften ihm nicht sagen, warum er verhaftet sei. Mir scheint aus dem Iran, aber auch aus Russland hört man immer öfter von solchen Geschichten. Journalisten, Geschäftsleute, auch Touristen meist sind es Doppelstaatsbürger, werden verhaftet, ohne zu wissen warum. Niemand sagt ihnen etwas, bis sie einem höheren Rang gegenübersitzen. Und dann heißt es Spionage und man beruft sich auf Berichte, die man nicht aus der Hand geben könne.

Danach folgt ein Urteil, meistens viele Jahre Haft, manchmal auch ein Todesurteil. Und so komme ich zum berühmten Evin Gefängnis, das sich am nördlichen Stadtrand von Teheran befindet, in einer grünen Gegend mit noblen Villen, hohen Bäumen, fast eine Parklandschaft, schneebedeckte Gebirgshänge zum Greifen nah. Die Grundstückspreise hier sind hoch. Auf dem Gelände der Haftanstalt stehen dutzende Gebäude für Häftlinge, Verwaltung, Abteilungen der Justiz und des Geheimdiensts, Wachpersonal. Auch ein Gerichtshof ist hier angesiedelt. Es gibt eine Sporthalle für die Angestellten und einen riesigen Swimmingpool, der allerdings nicht in Betrieb ist. Früher war hier die Herrschaftsvilla eines iranischen Kurzzeitpremiers und Berater des Schah.

Nach dessen Tod wurde das Anwesen beschlagnahmt und dem Geheimdienst SAVAG zur Verfügung gestellt. Massiv umgebaut wurde es 1971 als Gefängnis eröffnet. Es dauerte nicht lang und das Wort Evin klang nach Folter und Tod. Zuerst wütete der Geheimdienst des Schah und dann der Geheimdienst der Islamischen Revolutionsgarden. In meiner Jugend kannte ich einen iranischen Studenten, der unter den Mullahs in diesen Mauern gehängt wurde.

Das war 1988. Es war ein Massaker, jeweils sechs Menschen an einem Galgen. Vergangene Woche habe ich einen österreichisch-iranischen IT Unternehmer kennengelernt, der Tage im Evin Gefängnis inhaftiert war. Die Haftzeit hat seine Gesundheit ruiniert, und doch wirkt er jünger, als es seine 61 Jahre vermuten lassen würden, als wäre in diesen Mauern die Zeit eingefroren. Das war sie auch, ihm fehlen siebeneinhalb Jahre seines Lebens mit seinen heranwachsenden Kindern und seiner Frau. Kamran Ghaderi, so heißt der Mann, hatte hier in Evin einen Kafka-Moment.

Er wusste nicht, was gegen ihn vorlag. In den Verhören war immer nur von einem Bericht die Rede, der in der Spionage überführt. In den ersten Wochen der Isolation, ohne Kontakt nach außen, natürlich ohne Anwalt, begann der Zweifel an ihm zu nagen. War er bei seinen Geschäftskontakten vielleicht unwissentlich in etwas Verbotenes hineingerutscht oder hat er das Verbotene im Schock verdrängt oder gar aus seinem Gedächtnis gelöscht? Godere zweifelte an allem, nur nicht an dem Bericht, dem angeblichen Beweisstück seiner Schuld. Und so kämpft er siebeneinhalb Jahre lang gegen eine nicht greifbare Schuld und gegen einen Bericht, den er nie zu Gesicht bekommen wird. Immer tiefer dringt er ein in eine irrationale Welt. Und diese irrationale Welt in ihm, das nennt man Folter.

Man sieht keine Narben, denn die Narben sind auf der Seele. In der Schah-Zeit waren im Evin Gefängnis neben linken Kommunisten und Liberalen auch who is who des späteren Mullah Regimes inhaftiert. Der verstorbene Khomeini und andere Groß-Ayatollas, auch spätere Minister und Präsidenten wie Rafsanjani, aber auch Ali Khamenei, der jetzige oberste Führer, der das letzte Wort hat und über Leben und Tod entscheidet. Sie alle, die dort waren, kennen Einzelhaft und Folter sowie Ungeziefer, Hunger und Demütigung und noch Schlimmeres. Man könnte die Geschichte des Iran durchaus entlang der Häftlinge in Evin und anderen Gefängnissen erzählen. Als die Islamisten im Jahr 1979 siegten, kamen die ehemaligen Eliten des Schar Schim nach Evin und ein, zwei Jahre später waren die Maßen der Gefangenen schon Linke und Liberale.

Weniger als drei Jahre nach der Machtübernahme der Mullahs wird von einem Wiener Menschenrechtskomitee eine Dokumentation herausgebracht. Wir schreiben das Jahr 1982. Augenzeugen berichten darin, was sich auf den Straßen Teherans und in den Gefängnissen des Iran abspielt. Ich zitiere daraus. Verhaftungen und Hinrichtungen geschehen ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren und ohne Möglichkeit zur Verteidigung. Auch Kinder werden aus nichtigen Anlässen niedergeknüppelt und umgebracht.

Am 1. Mai 1981 wurden standrechtliche Exekutionen wie Erschießen, Erhängen oder Auspeitschen und Abhacken von Händen und Füßen an Ort und Stelle durchgeführt. Unfreiwillige Zuschauer, Passanten sanken ohnmächtig zu Boden. Mädchen wurden mit Teppichschneidemessern verfolgt, einer jungen Frau riss man die Kleider vom Leib und demütigte sie. Homosexuelle wurden auf der Straße nackt ausgezogen. Hingerichtete wurden öffentlich zur Schau gestellt. Eine Frau, des Ehebruchs beschuldigt, wurde bis zur Brust eingegraben und nach Ritus zu Tode gesteinigt. Für das Trinken von Alkohol gibt es 40 bis 80 Peitschenhiebe. Nach dem dritten Mal wird die Todesstrafe verhängt und vollzogen.

Es gab im Iran Phasen, da war es besser. Doch Folter und Verhaftung haben in jüngster Zeit ein neues Ausmaß erreicht. Bei jeder Welle des Protests, egal ob von Studenten, von Frauen, von Bloggern, von Künstlern, werden die Daumenschrauben angezogen. Die Wahl von Hasan Rouhani zum Staatspräsidenten hatte Hoffnung auf Reformen geweckt. Das war 2015 doch die Mullahs und Revolutionsgarden schlugen zurück, und so geriet Kamran Ghaderi in die Mühle. Im September 2015 war er in einer Wirtschaftsdelegation an der Seite von Bundespräsident Heinz Fischer in Teheran gewesen.

Am Neujahrstag 2016 flog er wieder hin, um ein IT-Projekt unter Dach und Fach zu bringen, mit einer Zwischenlandung in Istanbul. 2. Jänner, 6 Uhr morgens, Ankunftshalle in Teheran. Die Passkontrolle verlief ohne Beanstandung. Da hörte er seinen Namen rufen. Er ging zu einem Flughafenmitarbeiter und sagte „das bin ich, was ist denn los?“.

Der Mann weiß das nicht. Ghaderi wird in ein Zimmer geführt und wartet. Ein neuer Beamter kommt herein, befiehlt ihm in kalter Höflichkeit seine Taschen zu leeren: Laptop, USB-Sticks, Mobiltelefone, Brieftasche, Dokumente. Alles muss auf den Tisch und wird weggesperrt. Zuerst dachte Ghaderi noch, dass sei eine Stichprobenkontrolle, Doch das, was hier abging, war schon sehr beunruhigend. Wieder warten. Stumm sitzt er dem Mann gegenüber.

Seine Bitte, jemanden anrufen zu dürfen, wird abgeschlagen. Nach geraumer Zeit erscheinen zwei weitere Herren, die ihn zum Ausgang und zu einem Wagen bringen und ihn auf der Rückbank zwischen sich platzieren. Kurz vor Teheran wird ihm eine Augenbinde angelegt. Wieder in einem Verhörzimmer darf er sie wieder abnehmen. Er ist nun allein mit sich und einem Chefschreibtisch und einer Sitzgarnitur. Stundenlang geschieht gar nichts. Das ist zermürbend.

Dann beginnt das Verhör. Die erste Frage: Wissen Sie, warum Sie hier sind? Nein, Ghaderi weiß es nicht. Was denken Sie, warum wir Sie hierher gebracht haben? Und noch einmal und noch einmal und noch einmal. Immer dieselbe dazwischen Stille. Der Beamte, der ihn verhört, grinst jovial.

Dann sagt er: „Sie arbeiten mit fremden Geheimdiensten zusammen. Sie sind ein Spion. Es gibt einen Bericht. Wir haben den Beweis, wir wissen alles.“ Nun ist Ghaderi in Schock, kriegt einen trockenen Mund. Er hat ein Blackout, weiß plötzlich nicht, was, wann und wo. Er weiß nur auf Spionage steht, Folter und Tod.
Und dann gerät er in einen Redeschwall. Er erzählt von seinen Projekten, seinen Geschäften. Er breitet Details aus. Er redet um sein Leben, hofft so den Irrtum aufzuklären. Nach mehreren Stunden soll er eine Erklärung unterschreiben. Dann dürfe er nach Hause, sagt man ihm. Er solle Kooperationswilligkeit beweisen und Namen nennen und im Ausland Informationen für sie sammeln.
Wenn nicht, dann müsse er ins Evin. Ghaderi glaubt alles, was sie sagen. Da ist also ein Bericht, der ihn schwer belastet. Er hat Gedankenblitze.

Hat ihn jemand angeschwärzt? Einer seiner Angestellten vielleicht. Die erste Nacht verbringt er schlaflos. Er weiß nicht, wo er ist. Die Familie wird sich sorgen. Er versteigt sich zu dem Gedanken, das sei nur ein Test. Man will vielleicht wissen, was er aushält, sollte ihn die CIA in die Finger kriegen.

Tag 2 dieselben Fragen. Ich war ein lebender Toter, schreibt er in dem Buch, das er später veröffentlichen wird. Er versucht, den Bericht, den er nicht kennt, zu entkräften. Das ist gar nicht so leicht. Vielleicht beruht alles auf einer falschen Übersetzung von irgendwelchen Berichten oder andere Geheimdienste wollten eine falsche Spur legen. Keinen Augenblick denkt er, dass die, die ihn verhören, lügen. Er glaubt noch immer, dass es diesen Bericht gibt und dass man gemeinsam den Irrtum aufklären könne.
Er ist nicht mehr er selbst. Am Ende nennt er stotternd den Namen seines Geschäftspartners. Falscher Name, höhnt man ihm entgegen. Auf dem Weg ins Evin hat Ghaderi Tränen in den Augen. Wird er mit Mördern und Drogensüchtigen in einer Zelle sein? Wird er sich gegen geeichte Häfenbrüder wehren können? Werden sie ihn nötigen, ihm Gewalt antun?

Er bekommt ein Pyjamaset, Plastikschuhe und drei zerfaserte dünne Decken. Die Lesebrille wird ihm abgenommen. Einzelhaft in der Abteilung 209, die dem Geheimdienst untersteht. Diese Einzelhaft wird ein Jahr lang dauern. Er wird immer wieder und wieder verhört. Der Fragende vor ihm, der Protokollierende hinter ihm. Ghaderi erwartet einen stumpfen Schlag auf den Kopf oder das Klicken eines Abzugs, denn an Morddrohungen fehlt es nicht in diesen Verhören.

Einmal sitzt er einem freundlichen Richter gegenüber. Sein Herz hüpft vor Hoffnung. Jetzt ist die Justiz am Zug. Endlich nicht mehr der Geheimdienst. Ghaderi wird aufgefordert, seine Sicht der Dinge niederzuschreiben. Man gibt ihm dafür sogar seine Brille. Doch das ändert nichts.

Die Justiz unterschreibt, was der Geheimdienst will. Eineinhalb Jahre ist er im Geheimdiensttrakt des Evin inhaftiert, ein Jahr lang in Isolationshaft. Ich habe gebeten, gefleht, nicht protestiert oder gefordert, gesteht Ghaderi in seinem Buch. Er schämt sich irgendwie dafür. Aber er ist auch stolz, denn er ist ein Mensch, der von anderen Menschen Gutes erwartet. Und das will er sich eigentlich erhalten. Einmal darf er seinen Bruder anrufen, doch nicht sagen, wo er sich befindet.

Auch seine Frau darf er anrufen. Der Finger seines Wächters schwebt während des kurzen Telefonats über der Beenden-Taste des Telefons. Ghaderi schläft wenig, isst kaum, verliert rapide an Gewicht. Er macht sich Gedanken und diese quälen ihn. War er vielleicht als Agent benutzt worden, ohne es zu wissen? Aber wie beweist man das? Eine Zeit lang ist er überzeugt, sein jüngster Bruder sei der gesuchte Agent und wenn er nun ein Geständnis ablegen würde, könne er zumindest ihn schützen, sagt sich Ghaderi.

Seine Gedanken sind ziemlich verworren. Am Ende liegt ein Geständnis vor, das mehrere Geheimdienstleute mitformuliert haben, und er unterschreibt. Bei einem Termin mit einem Untersuchungsrichter ist Ghaderi eine halbe Minute lang unbeobachtet im Raum und kritzelt ganz schnell auf die Rückseite seines Haftbefehls. Er sei zu dem Geständnis gezwungen worden, es seien alles Lügen, und er bittet um Hilfe.

Ein paar Wochen später, als er wieder seinem Richter gegenübertritt, begrüßt er diesen wie einen Freiheitsengel. Bitte helfen Sie mir, befreien Sie mich aus dieser Hölle, sagt er. Der Richter lacht leutselig und Sie haben geschrieben, dass Sie gefoltert wurden? Kein Problem.
Aber jetzt, jetzt antworten Sie bitte korrekt, fordert er ihn auf. Es ist eine Endlosschleife. Sieben Jahre später, noch immer im Evin, aber nicht mehr im Geheimdiensttrakt, sieht er seinen Richter ein zweites Mal. Der hat in der Zwischenzeit eine große Karriere gemacht. Ghaderi kam im Juni 2023 frei, er und ein weiterer Österreicher mit iranischem Pass sowie ein Däne und ein Belgier. Es war eine Erpressung. Im Austausch wurde ein in einem rechtmäßigen Verfahren in Belgien verurteilter iranischer Terrorist nach Teheran ausgeflogen.

Ob und wie viel Geld floß, wird in solchen Fällen nie öffentlich bekannt gegeben. Ich finde das richtig so. Ghaderi nennt das Geiseldiplomatie. Das ist auch der Titel seines Buchs. Man sollte es lesen. So erfährt man, wie Staatsterrorismus funktioniert und das Mullah-Regime doch davon Genaueres das nächste Mal. Ich verabschiede mich von Ihnen.
Ihre Christa Zöchling.

Autor:in:

Christa Zöchling

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.