DIE DUNKELKAMMER
Israel/Palästina: „Für Frieden braucht es noch eine Generation“
Von Christa Zöchling. Israel ist eine Gesellschaft im Krieg. Im Grunde seit seiner Staatsgründung 1948. Ein persönlicher Streifzug durch die Befindlichkeit der Gegenwart und die Lehren der Geschichte.
Christa Zöchling
Guten Tag, hier ist Christa Zöchling. Ich begrüße sie zur Dunkelkammer aus der Reihe History. Ich bin gerade aus Israel zurückgekommen. Israel ist eine Gesellschaft im Krieg. Im Grunde ist es das seit seiner Staatsgründung im Jahr 1948.
In Europa vergisst man das leicht. Es gab acht arabisch israelische Kriege, vier größere Militäroperationen, palästinensische Aufstände in den besetzten Gebieten und mehrere Wellen von Selbstmordattentaten. Es gibt keine einzige Generation in Israel, die nicht in einem Krieg hat kämpfen müssen oder die ohne Angst, in die Luft gesprengt zu werden, in einen Bus einsteigen konnte. Sirenenalarm gehört zum Alltag, und Jeder weiß, wo sich der nächste Bunker befindet. Doch diesmal ist etwas anders. Es herrscht Resignation. Ich versuche nun einen Streifzug und erzähle, was ich so vorgefunden hab.
Begegnung im Flugzeug
Im Flugzeug nach Tel Aviv sitze ich neben einem Mann, der mathematische Formeln in seinen Laptop tippt. Unentwegt schrieb er seine Gleichungen. Auf Papier sähe es wahrscheinlich aus wie die Maturaarbeit von Ludwig Wittgenstein, die ich einmal an der Wiener Nationalbibliothek einsehen konnte. Formeln wie ein geometrisches Kunstwerk. Alles stimmt, nichts muss gelöscht werden. Der Mann ist ein bekannter Mathematikprofessor an der Universität in Haifa, ein Nachkomme polnischer Holocaust Opfer. Vor 40 Jahren hat er auch gekämpft, um Israel zu verteidigen, im ersten Libanonkrieg.
Jetzt schämt er sich für die Politiker seines Landes. Nein, er ist sogar wütend, sehr wütend. Einer seiner Freunde und dessen Sohn wurden vor kurzem festgenommen. Sie sind Buchhändler in Ostjerusalem. Es gab eine Razzia, ein Kinderbuch. Ein Kindermalbuch schien den Behörden verdächtig, weil auf dem Buchdeckel das Wort Gaza vorkam. Die Buchhandlung ist ein bekannter Treffpunkt für Intellektuelle, für Leser, für Menschen guten Willens.
So wie der Wissenschaftler, der an den Protesten gegen den Krieg teilnimmt und dem auffällt, dass bei den Demonstrationen in Tel Aviv immer öfter Bilder von getöteten Kindern in Gaza in die Höhe gehalten werden. Das macht doch Hoffnung, meint er und sieht mich an. Aber er lächelt nicht.
Kontrollierte Literatur
Bei der Razzia in der palästinensischen Buchhandlung in Ostjerusalem war die Polizei rücksichtslos durch die Verkaufsräume gestiefelt, hatte Bücher aus den Regalen gerissen, hunderte arabische englische Bücher in Müllsäcke gestopft und abtransportiert. Eine Schande ist das, sagt der Wissenschaftler. Das machen wir. Wir, die wir das Volk der Bücher genannt werden. Sicher landete auch eine Nebensache von Adania Shibli einem Müllsack. Die palästinensische Schriftstellerin wurde, als das Buch 2020 auf Englisch erschien, für einen renommierten Booker Prize nominiert.
Zwei Jahre später erschien es in deutscher Übersetzung und die Schriftstellerin Eva Menasse hat es im literarischen Quartett als ein, ich zitiere Buch wie ein Diamant vorgestellt. Kristallklar und poetisch. Shibli wurde ein deutscher Literaturpreis zuerkannt, vor dem siebter Okt. 2023. Doch bis heute wurde er nicht verliehen. Nur kein Wirbel, hieß es von der deutschen Kulturbürokratie. Was für ein Kleinmut.
Das Buch handelt von israelischen Soldaten, die im Jahr 1949 in der Wüste Negev die Grenze sichern, Araber erschießen und ein Beduinenmädchen aufgreifen, vergewaltigen und ermorden. Die Sache ist wirklich passiert und stand in den israelischen Zeitungen. Und dann ist da eine junge Frau in Ramallah, in der Gegenwart, die den Spuren dieses Vorfalls nachgeht, in fiebriger Angst, weil sie sich als Palästinenserin in verbotenen Zonen aufhalten muss, um dorthin zu kommen. Mit einem ausgeborgten Ausweis und mit einem Mietauto. Die zwei Staaten Lösung die am Papier skizzierte Aufteilung der Gebiete für ein Staatswesen Israel und ein Staatswesen Palästina Palästina hatte von Anfang an wenig mit den Menschen wie z.B. Adania Shibli zu tun. Mit den Jahren der Verhandlungen über eine Lösung wurden die palästinensischen Gebiete immer stärker zergliedert und fragmentiert, Zonen mit speziellen Genehmigungen und zermürbenden Kontrollposten geschaffen.
Parallel dazu hat die Politik die illegale Besetzung von Land durch Siedler geduldet und dann auch gefördert. Die Gesellschaft in Israel hat sich in den vergangenen Jahren radikalisiert. Nach jeder Welle des palästinensischen Terrors rückten die Wahlergebnisse und die Politik weiter nach rechts. Doch ein derart rechtsextremes Kabinett wie heute, in dem Rassisten den Ton angeben und die Bevölkerung Gazas aushungern wollen, und die das ganz offen sagen, hat es noch nie gegeben. Israel ist die einzige Demokratie im nahen Osten, und sie wird von Premier Netanjahu weiter demoliert. Und der anschwellende Antisemitismus weltweit macht wie immer keinen Unterschied zwischen Juden, Israelis und der Regierung.
Pessach in Tel Aviv
Beim Seder-Dinner am Vorabend von Pessach sitzen wir unter Freunden, die aus allen Himmelsrichtungen zusammengekommen sind.
Es sind Nachkommen europäischer Holocaust Opfer und Nachkommen von Flüchtlingen aus Nordafrika. Man ist liebevoll zueinander, man singt ausgelassen und ist ein bisschen traurig. Sie wissen, sie gehören zusammen, egal wie man zu Netanjahu steht, dem Krieg oder der Zukunft von Gaza. Manche hoffen sogar auf Donald Trump. Sie glauben, er sei der einzige, der Netanjahu zwingen könne, einen Geiseldeal abzuschließen. An baldigen Frieden glaubt hier niemand. Sie denken etwa so wie der österreichisch israelische Staatsbürger Tal Shoham, der nach 18 Monaten als Geisel der Hamas in einem ORF Interview auf die Frage, ob er sich eine Friedenslösung vorstellen könne, ich glaube, da braucht es noch eine Generation.
Noch eine Generation. Unsere engste Freundin stammt aus einer Familie von Misrachim Juden, die in den er Jahren aus Marokko und Tunesien z.b. nach Israel geflüchtet waren und gegenüber europäischen Zuwanderern schwer diskriminiert wurden. Meist waren sie in Siedlungen in der Wüste oder an der Grenze im Norden untergebracht worden. Sie strengten sich umso mehr an, kämpften sich hart durch das Leben, machten sich selbstständig, hatten wirtschaftlichen Erfolg. Sie waren lange Zeit Netanyahus Vela Klientel. Heute würden sie ihm nicht mehr die Stimme geben.
Unsere Freundin ist eine junge Frau, in Hulata, einem Kibbuz im Nordosten des Landes aufgewachsen. Vom Grenzzaun sieht man von dort zu den Golanhöhen hinüber und zum schneebedeckten Hermonberg. Das ist Syrien, ganz nahe. Ihre Bad Mitzva hat sie in einem Bunker verbracht. Das war auch der Krieg, der Libanonkrieg. In diesem Krieg hat Hulata Glück gehabt. Die Einwohner waren oft im Bunker, aber es wurde nichts getroffen.
Weiter im Westen, an der libanesischen Grenze, sind dagegen die Siedlungen in den vergangenen Monaten massiv zerstört worden. Eine Gesellschaft im Krieg, das bedeutet alles ist sehr teuer. Die Preise im Supermarkt sind oft doppelt so hoch wie in Wien. Ein Kilo Nektarinen in einem Geschäft im Norden kostet €22. Die Menschen hier sind erschöpft. Die Mutter unserer Freundin hat monatelang für die Reservisten im Norden gekocht und Essen ausgeliefert, ohne damit Geld zu verdienen. Aus Solidarität mit Herzklopfen verfolgen die Menschen in Hulata die Geiselvideos aus Gaza, diesen verhungerten, gedemütigten Gestalten.
Die Wut auf die Regierung, die keinen Deal zustande bekommt, keinen Geiseldeal, und immer nur von der Auslöschung der Hamas spricht, ist riesig. Die Bewohner hier wissen, dass gewalttätige Siedler im Westjordanland Häuser von Palästinensern anzünden, Kinderjagen und Olivenbauern verprügeln. Sie finden das nicht richtig. Sie ahnen, dass sie als Israelis in vielen Ländern heute nicht mehr willkommen sind. Und so fühlen sich auch die Jungen schon uralt wie 1 gr im Mahlstrom der ewig verfolgten Juden. Die Welt ist heute nicht mehr und war es vielleicht nie. Israels Freunde, die Israelis, sind zurückgeworfen auf das einzige Land, in dem Juden leben können, eben Israel.
Und darum ist ihnen das Pessachfest heuer auch so besonders wichtig. In Tel Aviv sind viele kleine Hotels mit Brettern von außen vernagelt. Die Foyers, große Hotelketten bleiben dunkel. Auf den Lehnen von Parkbänken, an Wänden, überall kleben Fotos der Opfer des siebter Okt. 2023. Am Strand von Tel Aviv wird exzessiv getrunken und in den Sonnenuntergang hineingetanzt, als gäbe es kein Morgen. Und das Morgen ist ja auch ungewiss.
Buße und Züge sind zum Platzen voll mit jungen Israelis. In Militäruniform, mit Gewehren und Patronengürteln sind sie auf dem Weg zur Familie oder zu ihrem Stützpunkt. Am Rande der verwüsteten Kibbuzze entlang des Gazastreifens wird gehämmert und gestrichen, um der kalten Gewalt etwas Praktisches entgegenzusetzen. Besonders bitter, mit den ermordeten Menschen in diesen Kibbuzn Niros, Nahalos oder Beri wurden zugleich Zuversicht und solidarischer Geist ausgelöscht. Die Bewohner hier hatten nämlich an ein Zusammenleben mit Palästinensern geglaubt. Viele dieser Bewohner, dieser jungen Paare, dieser jungen Familien hatten regelmäßig palästinensische Kinder und Mütter am Grenzübergang von Gaza in ihre Privatautos geladen und sie in israelische Krankenhäuser gebracht. Das waren Fälle, die in Gaza nicht behandelt werden konnten.
Sie hatten sich für ein Leben an der Grenze entschieden, weil sie an eine Lösung des Konflikts glaubten. Man könnte fast denken, die Terroristen hätten es auf die Friedensaktivisten abgesehen gehabt. Viele Militärs im Ruhestand hatten sich an diesem Tag, an diesem siebter Okt. 2023, in ihre Privatautos gesetzt und waren in den Süden geprescht, um zu kämpfen, während die Regierung und die Spitze der Armee vollständig versagt hatten. Diese Veteranen und Reservisten der Luftwaffe fordern jetzt in einem offenen Brief, den Gaza Krieg zu stoppen.
Wie könnte die Zukunft Israels aussehen?
Hat Israel eine Zukunft? Und welche könnte das sein? Manchmal hilft die Geschichte, weil sie zeigt, was schon alles an Ideen und Überlegungen da war. So etwa Theodor Herzls Judenstaat. Unter dem Eindruck des antisemitischen Demagogen Karl Lueger in Wien und der Dreifuß Affäre in Frankreich kam der liberale Publizist zum Schluss, die Juden hätten bei all ihrer Anstrengung keine Zukunft in Europa. Vor Antisemitismus seien sie nur sicher in einem eigenen Staat, und zwar auf dem historischen Boden Palästinas. Herzls Argumente ich in Russland werden Judendörfer gebrandschatzt, in Rumänien erschlägt man ein paar Menschen, in Deutschland prügelt man sie gelegentlich durch, in Österreich terrorisieren die Antisemiten das ganze öffentliche Leben, in Algerien treten Wanderhetzprediger auf, in Paris knöpft sich die sogenannte bessere Gesellschaft zu.
Die Circles schließen sich gegen die Juden ab. Das Buch der Judenstaat erschien 1896 in Wien. Nach Herzls Vorstellung sollte es eine strikte Trennung von Religion und Staat geben, in diesem Judenstaat nicht mehr als 7 Stunden am Tag gearbeitet werden, und jeder sollte nach seiner Tradition leben können. Seine Idee zündete und begründete die Bewegung des Zionismus, in der sich bald alle Schattierungen von maßvoll bis extrem tummelten. Es wurde Geld gesammelt, es wurde Land in Palästina gekauft, es wurde die Ausreise organisiert. Die britische Mandatsmacht in Palästina versprach 1917 eine jüdische Heimstatt auf diesem Boden. In seinen Plänen schwankte man zwischen einem binationalen Staat und zwei getrennten Staaten.
Man saß über Grenzplänen, Geburtenraten und Umsiedlungszahlen. In den er Jahren wurde die britische Mandatsmacht erst von arabischem Terror unter Druck gesetzt, und als sie dem nachgab und die jüdische Einwanderung auf deren Wunsch hin drosselte, von jüdischen Terroristen. Palästina war für die Briten eine Bürde geworden. Im November 1947 beschloss die UN Generalversammlung mehrheitlich eine Zweistaatenlösung, die allerdings von den arabischen Staaten nicht akzeptiert wurde.
Ein halbes Jahr später, am 14. Mai. 1948, zogen die Briten endgültig ab, und am Abend dieses Tages rief Staatspräsident Ben Gurion die Unabhängigkeit des Staates Israel aus. Wenige Stunden später erklärten Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak Israel den Krieg.
Von 1947 bis 1949. Verloren Palästinenser ihre Heimat durch Flucht oder Vertreibung.
Darüber wird gestritten. In welchem Ausmaß. Die Angst der Palästinenser war groß. Zu Recht. Noch vor Ausrufung des Staates Israel hatten zionistische Terrorgruppen ein Dorf namens Deir Yasin überfallen und mehr als 100 Dorfbewohner, Frauen, Kinder und Alte niedergemetzelt, auch vergewaltigt. Die israelische Armee und die Jewish Agency distanzierten sich vom Massaker. Aber die Angst blieb.
Am Ende des Unabhängigkeitskriegs, also 1949, besaß Israel 40 % jenes Gebiets, das laut UN Plänen den Palästinensern zugestanden wäre. Die Geschichte geht weiter.
In 14 Tagen. Nur so der angesehene israelische Historiker Tom Sack ist heute, im Alter von 80 Jahren, zu dem Schluss gekommen, dass der Konflikt unlösbar ist, weil er sich nicht mit rationalen Fragen befasst. Segev meint, jedes der beiden Völker definiere seine Identität über das gesamte Land, und daher erfordere jeder Kompromiss, dass wir einen Teil unserer Identität aufgeben. Ich sehe keine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, sagt Segev. Und damit verabschiede ich mich von ihnen für heute. Ihre Christa Zöchling. Dankeschön. Das war die heutige Ausgabe. Der Dunkelkammer.
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Vielen Dank fürs Zuhören.
Autor:in:Christa Zöchling |