Die Dunkelkammer History
Trump und Putin: Außenpolitik nach Landsknechtsart

Fotocredit: Missing Link

Von Christa Zöchling. Wladimir Putin, Donald Trump und andere autoritäre Staatenlenker demolieren gerade die Demokratie im Inneren und betreiben eine hemdsärmelige, erpresserische, offenbar erfolgreiche Außenpolitik.

Christa Zöchling
Guten Tag, hier ist Christa Zöchling. Ich begrüße Sie zur neuen Dunkelkammer aus der Reihe History. Vor kurzem bin ich auf einen Text von Karl Schlögl gestoßen, den Kulturwissenschaftler und Autor mehrerer Bücher über den Stalinismus, die Sowjetunion und die Zeit danach. Und weil alles mit allem zusammenhängt, hat Schlögl, der große Geschichtenerzähler, auch ein Buch über Amerika geschrieben. Ein Amerika, das es heute so nicht mehr gibt.

In einer Situation, in der die Demokratien schwach und die Autokratien stärker werden, habe er, so Schlögl, angefangen, noch einmal die alten Texte zu lesen, in denen sich in den er Jahren die hellsichtigsten Köpfe darüber klar zu werden versuchten, was sich in Zentraleuropa zusammenbraut. Die Analysen und Schriften wurden notgedrungen im Exil in Paris, New York und Kalifornien verfasst.

Ernst Fränkls Doppelstaat etwa, Franz Neumanns Behemoth, Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung oder später schon mit dem Stalinismus vor Augen, Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Auf diese Bücher werde ich in einem der nächsten Podcasts eingehen. Jetzt nur so viel: Sie alle denken nach über die Gleichzeitigkeit von Institutionen und Gesetzen, die in der Demokratie ihren Ursprung hatten, und der terroristischen Willkür eines Staates, der sich im Alltag rasant in einen totalitären Staat verwandelt. Schlögl fragt sich und uns zu Recht, warum die klassischen Texte zu Faschismus und Totalitarismus unter den heutigen Bedingungen nicht neu gelesen werden.

Könnten wir nicht etwas daraus lernen? Immerhin habe Europa in den 30er und 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die bittersten Erfahrungen gemacht mit Faschismus und Krieg. Und alles kam auf leisen Sohlen und plötzlich hallte halb Europa wieder von schweren Stiefeltritten.

Wo waren die Historiker damals, die Dichter und Denker, die liberalen Politiker, und zwar bevor die Konzentrationslager in Betrieb genommen wurden. Wo waren die erfahrenen Diplomaten? Warum glaubten so viele Staatsmänner und Journalisten damals, Adolf Hitler garantiere den Frieden in Europa, wenn man ihn mit der Einverleibung des Sudetenlandes nur ruhigstelle? Warum konnte eine Gesellschaft so in diesen Krieg hineinschlittern?

Hitler wurde übrigens vor dem deutschen Überfall auf Polen, den Beginn des Zweiten Weltkriegs, sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Der Vorschlag war als Satire gemeint. Aber das haben nicht alle so verstanden.

Am 19. Oktober also erst vor kurzem, hat nun der wunderbare und ernsthafte Schlögl den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen bekommen. In seiner Dankesrede sprach der Historiker über seine Generation, zu der auch ich irgendwie gehöre.
Wir sind aufgewachsen mit der Friedensbewegung. Ein Krieg in Europa war undenkbar nach der Urkatastrophe des Ersten und dem Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkriegs. Bürgerkriege entfernen Weltgegenden, OK. Befreiungsbewegungen, die ihre Diktaturen davonjagten, OK. Aber die Sowjetunion und der gesamte Ostblock schienen doch wie eingefroren in der Pattstellung des Kalten Kriegs, und wir dachten, es ginge nur darum, in langsamen Schritten abzurüsten, und die wirtschaftlichen, kulturellen und diplomatischen Beziehungen würden wie von selbst den Kitt für einen dauerhaften Frieden beisteuern. Wandel durch Handel. Die Palästina-Frage passte nicht ganz in diese Ruhigstellung des Gewissens, aber es gab Hoffnungsschimmer. Verhandlungen in Camp David in Oslo. 1994 Der Handschlag zwischen Yassir Arafat, dem Palästinenserführer, und Yitzhak Rabin, dem israelischen Ministerpräsidenten, vereinbart Abzug der israelischen Armee aus dem Westjordanland und aus Gaza. Palästinensische Autonomie bei Gewaltverzicht.

Ein Traum wird Wirklichkeit, sagte Rabin bei Unterzeichnung des Abkommens in Washington. Doch der Terror radikaler Palästinenser auf Israels Straßen ging weiter, und Rabin wurde 1995 von einem Rechtsextremen israelischen Attentäter erschossen. In den Jahren danach war immer wieder die Rede von Roadmaps für eine Zweistaatenlösung. Doch in den von Israel besetzten Palästinensergebieten entstand eine neue israelische Siedlung nach der anderen, wie Festungen in die Landschaft gestellt, die Gebiete zergliedert und in Zonen unterteilt, sodass ein zusammenhängendes Territorium für einen zweiten Staat nicht einmal mehr auf dem Gebiet auf dem Papier existierte. Und in Europa schwelte der Jugoslawienkrieg.

Nach Schlögl zeichnete sich in diesen Jahren des Umbruchs eine, ich zitiere, Raub- und Bandenkultur ab. Die Landsknechte im ehemaligen Jugoslawien und die Schwarzhändler in Sankt Petersburg und in jedem ehemaligen Ostblockland hielt vor allem die ehemalige Nomenklatura die Fäden in der Hand bei der Privatisierung von Staatsvermögen. Niemand dachte im Traum daran, Russland würde wieder in eine Art Stalinismus zurückfallen. Oder Amerika, die älteste Demokratie der Welt, könnte einmal stark autoritäre Züge annehmen und in unserer nächsten Nachbarschaft würden Schützengräben ausgehoben. Es komme ihm so vor, sagte Schlögl in seiner Dankesrede in der Paulskirche, als müssten wir die eine scheinbare Friedenszeit gewohnte und friedensverwöhnte Generation noch einmal alles von Anfang an durchdenken. Das wäre eine Art Bilanz und Prüfung einer Generation, die unwahrscheinliches Glück gehabt hat und die sich nun unerhört schwertut, Abschied zu nehmen und sich auf den Krieg in Europa und alles, was damit zusammenhängt, einzustellen.

Es ist ja nicht so, dass Schlögl wusste, was kommen würde. Doch seine Antennen waren gespannt. Die Propaganda aus sowjetischen Zeiten nehme sich im Vergleich zur russischen Einflussnahme heute geradezu harmlos aus. Heute sei alles gleich wahr und gleich falsch. Die Grundlage jeder Urteilsbildung werde systematisch zerstört. Und das gilt auch für Trumps Amerika. In seinem Buch Terror und Traum hat Schlögl den Höhepunkt des Stalin‘schen Massenterrors analysiert. Allein von Juli 1937 bis November 1938 sind Menschen damals hingerichtet worden und eineinhalb Millionen wurden verhaftet. Der Stalinismus war keine bloße Haupt- und Staatsaktion. Er war eine Existenzform, eine Weise des Lebens, in der sich jeder und jede hat einrichten müssen. Eine Gesellschaft im Krieg mit sich selbst, getrieben von Angst. Geredet wurde nur im engsten Kreis und das im Flüsterton. Jeder musste gewärtig sein, von heute auf morgen vom kommunistischen Funktionär zum Agenten gestempelt und abgeholt zu werden.

Nachbarn verschwanden über Nacht. Ein Wort, eine Andeutung von einem, dem Stalin gerade sein Ohr schenkte, war das Ende. Gerüchte von Verschwörungen gingen um. Schauprozesse wurden in Szene gesetzt, in denen die einstigen Helden der Oktoberrevolution die seltsamsten, fantastischsten Geschichten gestanden, sich selbst bezichtigten. Sie hätten spioniert, um die Sowjetunion mit ausländischer Hilfe zur Strecke zu bringen. Sie gestanden, sie hätten mit der Gestapo zusammengearbeitet. An den durch Folter erpressten Geständnissen passte freilich so gar nichts zusammen. Da gab es angebliche Flüge ins Ausland, wo nie ein sowjetisches Flugzeug gelandet war. Da gab es Absprachen in Hotels, die es gar nicht gab. Den Richtern war das egal. Die Hinrichtung war beschlossene Sache.

Aber all das hatte in der Gesellschaft einmal seinen Anfang gefunden. Und wann war das? Auch im postsowjetischen Russland verschwinden Menschen. In der Elite des Regimes häufen sich Fensterstürze, Unfälle, Herzstillstand, Oppositionspolitiker und Journalisten werden in Gerichtssälen, in Käfigen ausgestellt, ins Lager gesperrt, vergiftet, erschossen. Es fügt sich. Stalin ist im heutigen Russland einer der angesehensten Politiker. Ein Stalin-Denkmal in der Moskauer Metro, das in den er Jahren abgerissen worden war, wurde erst im vergangenen Mai wieder aufgestellt. Nun ein längeres Zitat:

„Wir alle, die Menschen aus dem Sozialismus, ähneln einander und sind anders als andere Menschen. Wir haben unsere eigenen Begriffe, unsere eigenen Vorstellungen von Gut und Böse, von Helden und Märtyrern. Wir haben ein besonderes Verhältnis zum Tod. In den Erzählungen der Menschen, die ich aufschreibe, klingen mir immer wieder Wörter in den Ohren wie schießen, erschießen, liquidieren, aus dem Weg räumen. Wir sind voller Hass und Vorurteile. Wir stammen alle von dort, wo es einen Gulag und einen schrecklichen Krieg gegeben hat.“

Das hat die leicht vergessene Literatur Nobelpreisträgerin des Jahres 2015 Svetlana Alexevic über. Die russische Kriegsgeneration geschrieben. Die alte Dame lebt heute im Exil und sie ist verstummt. Ich vermute, aus Verzweiflung.

Wo die Angst herrscht vor der Willkür von oben, wünscht man sich eben von einer Autorität beschützt zu werden. Und so wird es kein Ende des Krieges geben, solange Putin es nicht will oder solange er keinen Vorteil darin sieht.

Das musste auch Donald Trump erfahren. Doch damit kann er umgehen. Aus seinen angepeilten Deals ist vorerst nichts geworden. Jetzt werden halt die Daumenschrauben wieder angezogen. Diese beiden, Putin und Trump, sind keine Politiker, wie wir sie aus Demokratien gewöhnt sind.

Außenpolitik erschöpft sich bei ihnen in pompösen Staatsbesuchen. Und sonst wird nach Landsknechtart agiert. Das Werkzeug der Diplomatie, Rituale und Formen, das Wissen über Mentalitäten, Konfliktlinien, die klassische Domäne von Geheimdiensten haben ausgedient. Man schließt Deals ab oder eben nicht. Es geht um Rohstoffe, seltene Erden, Waffen und Immobilienentwicklung. Einige von Trumps engsten Vertrauten, wie Steve Whitkoff, der nach dem Gaza Deal nun auf Putin angesetzt wird, oder Trumps Schwiegersohn Kushner sind in dieser Branche groß geworden. Doch wer sich an den Stil des Landsknechts anpasst, gibt in der traditionellen Politik ein peinliches Bild ab, bei aller Freude und Erleichterung, dass die letzten israelischen Geißeln freikamen und ein Albdruck sich löste. Die Vertreter Israels haben ihre Würde verloren.

Premier Benjamin Netanjahu lobpreiste in Jerusalem Trump als Retter der Juden, vergleichbar nur mit dem Perserkönig Kyrus dem Großen. Und dieses Bild wurde dann auch noch vom Sprecher der Knesset, Amir Ohana, in einer nicht enden wollenden Suada wiederholt. Es war nicht nur Dank, es war Hingabe. Immer wieder nach Trumps Hand tätschelnd, der neben ihm saß, nannte der Knesset-Sprecher den amerikanischen Präsidenten einen Giganten der jüdischen Geschichte, in der man 2000 Jahre zurückgehen müsse, um jemanden zu finden, der das vergleichswürdig wäre. Nach der Bibel ist König Kyros, ein von Gott Auserwählter, ein Messias, der das babylonische Exil beendete und den Israeliten die Rückkehr und den Wiederaufbau ihres Tempels in Jerusalem ermöglichte. Auch die evangelikalen Christen in den USA finden sich in dieser Geschichte. Sie haben Trump auch schon im Wahlkampf einen Messias genannt.

In der Geschichtsschreibung gilt Kyros als ein Wunder an Menschlichkeit und Toleranz, barmherzig gegenüber jenen, die er besiegt hat. Ein Verfasser der ersten Niederschrift von Menschenrechten in babylonischer Keilschrift auf einer Tonrolle zu bestaunen. Eine Replik davon steht im Gebäude der Vereinten Nationen in New York. Trump wird davon nichts wissen und Trump ist auch nichts peinlich. Er genoss die Schmeicheleien in der Knesset. Dass ein Abgeordneter beim ersten protestierenden Zwischenruf im Parlament abgeführt wurde, fand er einfach großartig. Im israelischen Fernsehen sagte ein Talkshow Gast am Tag darauf, er habe sich geschämt. Israels Vertreter hätten sich benommen, als lebten wir im alten Rom und ein Cäsar sei gekommen, um unser Dorf zu besuchen. Nur die Togen fehlten. Und noch etwas war dem Talkshow Gast aufgefallen. Trump spottete über frühere US-Präsidenten und die Knesset hatte gejubelt mit dem Effekt, ich zitiere den Talkshow-Gast: „Die Demokraten in den USA sehen sich das an und werden Israel nur noch ein bisschen mehr hassen.“

Diese beiden Phänomene, Putin und Trump aufeinander zu beziehen, das klärt den Blick auf die neuen Zeiten. Und dabei helfen die Texte von Karl Schlögl. Und so ist dieser Podcast, ohne dass ich es vorhatte, dem echten Friedenspreisträger gewidmet. Und damit verabschiede ich mich von Ihnen bis zum nächsten Mal, Ihre Christa Zöchling.

Autor:in:

Christa Zöchling

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