Die Dunkelkammer History
Truppenübungsplatz Allentsteig: Wie viele Hitler-Eichen stehen dort?

In Österreich sind 1938 mehr 42 Dörfer verschwunden, um Hitlers Kriegspläne zu ermöglichen. Heute ist Allentsteig einer der großen Truppenübungsplätze in Europa und NATO-kompatibel.

Christa Zöchling
Guten Tag, hier ist Christa Zöchling. Ich begrüße Sie zur neuen Dunkelkammer aus der Reihe History.
Und wieder. Krieg. Ein Krieg zerstört Weltvertrauen, Besitz und Heimaten. Wer Bilder vom Krieg sieht, Schutthaufen statt Häuser, von Panzern durchfurchte Äcker, verlassene Dörfer, kann sich kaum vorstellen, dass dort jemals wieder Menschen leben werden, ihrem Alltag nachgehen oder gar glücklich sein können.

Krieg ist immer eine Enttäuschung, selbst ein notwendiger Verteidigungskrieg, weil er die Illusion zerstört, auf zivilisatorische Errungenschaften und sittliche Normen sei auch im Krieg Verlass. Das ist es nämlich nicht.
Schon die Vorbereitungen zum Krieg, durch Steuern und Kredite finanziert, ´vergrößern die sozialen Ungleichheiten in einer Gesellschaft. Und sind notwendig, weil existenzsichernd. Der Rüstungsdirektor des Bundesheeres, Harald Vodosek, sagt im Standard, dass Österreich von den hybriden Attacken Russlands längst betroffen sei und man deshalb verstärkt in die Drohnenabwehr investiere.
Und so komme ich auf Allentsteig zu sprechen, einen der größten Truppenübungsplätze in Europa, im nördlichen Waldviertel gelegen. Von den Nationalsozialisten im Jahr 1938 angelegt, um Krieg zu führen und Lebensraum für die sogenannte „arische Rasse“ zu schaffen.

Heute ist Allentsteig ein Nato-kompatibler Übungsplatz, der die „NATO-Evaluierung Level 2“ für internationale Einsätze erfüllt. Und man muss in dieser Weltlage fast froh sein, dass es ihn gibt.

Ich bin vor kurzem durch den Zeit-Historiker Richard Hufschmied und die Ö1-Redakteurin Rosemarie Burgstaller auf Allentsteig aufmerksam geworden. Und eine Bemerkung im privaten Kreis. Jemand sagte, ja der Hitler hat im Waldviertel, dem er entstammt, wo seine Großmutter begraben ist, alles dem Erdboden gleichmachen lassen. So sehr hätte er sich für seine Herkunft geschämt.
Das ist natürlich Unsinn. Dafür hätte Hitler die Dörfer planieren müssen, doch die Gebäude durften stehen bleiben und verfallen, nur die Menschen mussten gehen.

Eine kosmetische Korrektur

Es war die dünne Besiedelung, die Lage an der Grenze und die Annahme, die braven Bauern würden sich kaum widersetzen, die für das nördliche Waldviertel sprachen. Noch immer ranken sich Legenden um den Truppenübungsplatz Döllersheim, wie er unter Hitler hieß. 1964 auf Allentsteig umbenannt, eine kosmetische Korrektur. 
Die Vorbereitungen des NS-Regimes für die Schaffung eines Truppenübungsplatzes gingen 1938 sehr diskret vor sich.
Viele glaubten ja, und die NS-Propaganda hatte keinen anderen Zweck, Hitler sei ein Friedenskanzler. Seine Rede in der Berliner Krolloper 1933 war international mit Erleichterung aufgenommen worden. Hitler hatte darin angekündigt, auf Angriffswaffen zu verzichten und auch auf die sogenannte ‚Germanisierung‘ Europas. In Wirklichkeit war intern die Aufrüstung zur Eroberung des Ostens und der sogenannten minderwertigen Völker bereits beschlossen.
Im Frühjahr 1938, nachdem die Wehrmacht in Österreich einmarschiert war und von vielen, zu vielen Österreichern bejubelt wurde und praktisch über Nacht überall die Hakenkreuzbinden auftauchten, war ebenfalls von einer neuen Friedensordnung die Rede und die Gemeinde Döllersheim, wo Hitlers Ahnen begraben lagen, wurde als Urheimat des Führers verehrt. Später sprach man sogar von Hitlers Ahnengau.
Worauf gründet das? Unweit von Döllersheim, in Strones, einem kleinen Weiler von ein paar Dutzend Häusern, wurde 1796 Anna Maria Schicklgruber geboren.
Sie verdingte sich bei einem Dienstherrn in Graz, kehrte eines Tages schwanger nach Strones zurück und heiratete den Müllergesellen Hiedler aus Döllersheim, der das Kind allerdings zeitlebends nicht anerkannte.
Der Kleine wuchs als Alois Schicklgruber auf. Viele Jahre später, Hiedler und seine Frau Anna waren längst tot, ist der jüngere Bruder des Hiedler mit zwei weiteren Zeugen beim Notar und beim Pfarrer von Döllersheim vorstellig geworden. Das Trio bezeugte, dass es sich bei dem unehelichen Kind doch um den leiblichen Sohn des Müllergesellen gehandelt habe. Fortan hieß Alois Schicklgruber Hiedler, bzw. Hitler. Das war Hitlers Vater.
Döllersheim wurde im Frühsommer 1938 in den Zeitungen oft genannt: als künftige Kultstätte, an der Hitlers Ahnen begraben sind. Trotzdem gingen Gerüchte um, die Bevölkerung dieser Gegend solle abgesiedelt werden. Und zwar alle: Bauern, Handwerker, Gastwirte und Kirchenleute. Man erzählte sich, dass Offiziere in Militärfahrzeugen herumfahren, mit Generalstabskarten in der Hand. Das war im Mai 1938.
Doch die Leute wollten das nicht glauben. Am 1. Mai wurde (nicht nur) in Döllersheim mit großem Trara eine Hitler-Eiche gepflanzt. -„in dem tausend Jahre alten Markt Döllersheim, der Vaterstadt des Führers“, so stand es in einer der gleichgeschalteten Zeitungen. „Und bald wird der Name Döllersheim allen geläufig sein.“
Das war er dann auch, aber aus anderen Gründen.
Am 1. August 1938 mussten die ersten 200 Familien ihren Hausrat in Karren packen und gehen. Das waren handverlesene, von der Deutschen Aussiedlergesellschaft, die der SS nahestand, ausgesuchte Personen. Sie bekamen Ersatzgehöfte von kurz zuvor arisierten Liegenschaften zugewiesen.

Am 8. August 1938 fanden bereits die ersten Schießübungen statt.Etwas zeitverzögert, am 28. August, meldete der Völkische Beobachter, dass in Döllersheim ein Truppenübungsplatz in Dienst genommen worden sei. Es habe Schwierigkeiten gegeben, doch die Aussiedlung sei gelungen - und zwar -ich zitiere - „dank dem echt nationalsozialistischem Geist und der Opferbereitschaft der Bevölkerung.“

Die nächste Welle an Aussiedlern, oder soll man schon von Vertriebenen sprechen? -bekamen eine finanzielle Entschädigung ausgezahlt, die danach einen geringeren finanziellen Betrag, allerdings nicht mehr auf die Hand, sondern auf ein Sperrkonto, das 1945 wertlos geworden war. Die Vertreibung begann am 1. August und endete im Laufe des Jahres 1942.

Die zwangsweise Aussiedlung umfasste das Gebiet um Döllersheim im Süden, Allentsteig im Norden, Zwettl im Westen, Germanns im Osten. 42 Ortschaften wurden geräumt und 20.000 Hektar Nutzfläche wurden enteignet. 7000 Menschen verloren ihr Zuhause.
Unter den geräumten Dörfern waren solche, die schon im 12.Jahrhundert urkundlich erwähnt worden waren und eine alte Baustruktur hatten. Barockisierte Kirchen, Kirchen mit einem gotischen Sterngewölbe usw.

Für die Bevölkerung war das Vorgehen der Behörden eine herbe Enttäuschung.Dabei gab es in diesem Landstrich schon lang Sympathie für den völkischen Deutschnationalismus. Die Mehrzahl seiner Bewohner fristete eine dürftige Existenz, es gab keine Industrie und die Böden gaben für den Anbau nicht viel her. Die Tschechen sah man als Konkurrenz und die Viehhändler, durchwegs Juden, hasste man, angefeuert vom Rassisten und Antisemiten Georg von Schönerer, der aus Zwettl stammte und in dieser Region eine große Anhängerschaft hatte. In Groß-Poppen etwa war Hitler schon 1932 zum Ehrenbürger ernannt worden.

Der Historiker Oliver Rathkolb stellt in einer historischen Studie über das Waldviertel fest: „Für die politische Mehrheit des Waldviertels wurde als eindeutiger „Fehltritt“ und als Zeichen für die ungehemmte Machtpolitik der NS-Ära vor dem Krieg leider weder die Judenverfolgung, noch die NS-Aggression gegen die Tschechoslowakei oder die Verfolgung politischer Gegner angesehen, sondern die Schaffung des Truppenübungsplatzes Döllersheim“.

Die Dörfer blieben während der NS-Zeit im Wesentlichen erhalten: Die leeren Gebäude verfielen etwas, Planken vermorschten, Steine verwitterten, die Natur brach wieder ein.Aus Erinnerungsbüchern der Ausgesiedelten erfahre ich: Im Dorf Germanns stellten sich drei Familien quer. Der sturköpfige Gastwirt Julius Scheidl machte klar, dass er sich nicht mit jüdischem Besitz entschädigen lassen wollte. Das bezahlte er mit seinem Leben. Er wurde ins KZ Mauthausen verbracht.

Auch die Dörfler von Franzen sperrten sich. Die Männer wurden an die Front geschickt, Frauen und Kinder blieben und flüchteten in die Keller, wenn rund um sie geschossen wurde. Die Wehrmacht zwickte ihnen den Strom ab, aber sie verließen den Ort nicht.
Manche der Ausgesiedelten, für die es nicht so glücklich gelaufen war, hofften auf den Erfolg der Wehrmacht im Osten, auf zugewiesene Bauernhöfe in der Ukraine. Doch diese Hoffnung war spätestens nach dem Fall von Stalingrad im Februar 1943 zunichte.
Der Truppenübungsplatz Döllersheim war auch im übertragenen Sinn ein blutiger Boden.

Hier wurden 4500 französische Offiziere in ein Barackenlager gesperrt.1943 gelang 140 von ihnen ein Massenausbruch. Acht von ihnen kamen in ihrer Heimat an.Und es wurden hier Kampfverbände vor dem Abmarsch an die Front zusammengestellt.

Zum Beispiel die 151. Reserve-Division der Wehrmacht, die im September 1942 nach Wilna kam und an der Organisierung und Erschießung der litauischen Juden beteiligt war.Oder eine Division, die im Herbst 1944 in die Ardennenoffensive geworfen und vollständig zerrieben wurde.

1945 ging der Truppenübungsplatz in die Hände der provisorischen österreichischen Regierung über. Die Dörfer standen noch, die Kirchen waren kaum beschädigt. Doch Plünderer waren schon unterwegs.

1946 nahmen die Sowjets den Truppenübungsplatz als ehemals deutsches Eigentum in Besitz. In dieser Zeit strömten österreichische Jungunternehmer nach Allentsteig und transportierten ab, was sie kriegen konnten - gegen Lieferung von Schnaps an die Rotarmisten. Uralte Orgelpfeifen wurden als Dachrinnen verkauft, Friedhofsteine als Baumaterial undsoweiter.

Als die Sowjets 1955 abzogen, kam das Bundesheer und erledigte den Rest. Noch bestehende Kirchen wurde mit schwerer Artillerie bei Übungen beschossen, Häuser kamen unter die Planierraupe. Der ehemalige Pfarrer von Edelbach, Johannes Müllner, der das über Jahre dokumentiert und in den späten 1990er Jahren veröffentlicht hat, meinte, das sei vor allem deshalb so schnell gegangen, weil das Bundesheer ein Einschreiten des Bundesdenkmalamts fürchtete.

Heute hat sich die Natur alles zurückgeholt. Hier brüten seltene Vögel und wachsen seltene Pflanzen. Rund um das Areal sind Schilder aufgestellt: auf denen steht: Betreten verboten. Lebensgefahr. Fotografieren, Filmen und Zeichnen gesetzlich untersagt und strafbar. Die Sperrzone ist größer als das EU-Mitgliedsland Luxemburg.

Entschädigt wurde nach 1945 wenig. Nur eine der niederösterreichischen Landesregierung nahestehende Windhag’sche Stipendienstiftung stieg gut aus. Sie hat einen dreimal so großen Grundbesitz zurückbekommen als ihr 1938 gehört hat. Aus dem Nationalfonds gab es für Aussiedler, die einen Antrag stellten, 1995 eine symbolische Abgeltung. Das letzte juristische Wort fiel 2012 von einem Höchstgericht: keine Rückstellung von Grund und Boden, weil es keine Vertreibung aus politischen Gründen war.

Die Aussiedlung der Waldviertler und war eine Fußnote in Hitlers Verbrecherstaat, aber es zeigt, dass Opfer auch zeitweise Täter sein können. Und mit der symbolischen Frage: wie viele Hitler-Eichen stehen heute wohl am Truppenübungsplatz Allentsteig? verabschiede ich mich von Ihnen, ihre Christa Zöchling

Autor:in:

Christa Zöchling

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