Das Orakel
Flüchtlingskrise 2015: War die Willkommenskultur Fake News?

- hochgeladen von Michael Stebegg
Die Flüchtlingskrise von 2015 jährt sich heuer zum zehnten Mal. Darum steht die 25. Folge von Das Orakel ganz im Zeichen der Ereignisse dieses dramatischen Sommers. Wir analysieren en Detail die Einstellungen der Österreicher*Innen zur Flüchtlingskrise im Zeitverlauf von von 2015 bis heute. Und wir gehen der Frage nach, wie ausgeprägt die Willkommenskultur damals war.
Peter Hajek
Es war eher die Weiterleitkultur. Und für mich war das immer so, wir haben viele Menschen den Empfang genommen, haben ein Packerl Mana Schnitt in die Hand gehabt und eine kleine Flaschen fürs Lau und hat gesagt und da geht es Richtung Passau, weil wir tatsächlich ja viele durch das Land einfach weitergeschickt und durchreisen haben lassen.
Willkommen zum demoskopischen Podcast Das Orakel. Mein Name ist Peter Hajek, ich bin Meinungsforscher und Politikwissenschaftler und schaue mit Ihnen in die politische Gegenwart, immer wieder in die Vergangenheit und ab und zu auch in die Zukunft, die ja bekanntermaßen schwer zu prognostizieren ist.
Michael Stebegg
Hallo und herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, zur 25. Folge von Das Orakel. Mein Name ist Michael Stebegg und mir gegenüber sitzt wie immer Meinungsforscher Peter Hajek. Herzlich willkommen, Peter.
Peter Hajek
Hallo Michi.
Michael Stebegg
Ich habe diese sehr förmliche Anrede bewusst gewählt, weil wir nämlich heute mit einem Begriff zu tun haben, der sich durch die ganze Folge ziehen wird, nämlich den Begriff der Willkommenskultur.
Peter Hajek
Ah, den werde ich dir abräumen.
Michael Stebegg
Bitte. Bin gespannt. Wir wollen nämlich heute ein bisschen in die Vergangenheit blicken, nämlich genauer gesagt zehn Jahre in den Sommer 2015 das war damals der Höhepunkt der Flüchtlingskrise oder wie andere sagen, der Flüchtlingsbewegung. Und ein Ereignis, das sich vielleicht, also bei mir zumindest und wahrscheinlich bei dir und vielen Hörerinnen und Hörern auch eingebrannt hat, war der 27. August, was dann ziemlich genau vor zehn Jahren war, wo nämlich auf der Ostautobahn A auf einem Pannenstreifen bei Pandorf ein LKW mit 71 Leichen gefunden wurde. Und das markierte damals so einen Wende oder Höhepunkt, je nachdem wie man sieht, dieser Fluchtbewegung. Und das haben wir zum Anlass genommen, dass du in deinen Archiven gräbst. Und wir schauen uns die Einstellungen der Österreicherinnen zur Flüchtlingskrise im Zeitverlauf von 2015 bis 2025 an.
Peter Hajek
Und zur Willkommenskultur.
Michael Stebegg
Und zur Willkommenskultur.
Peter Hajek
Zur vermeintlichen.
Michael Stebegg
Genau. Der zweite Höhepunkt, wenn man so sagen will, also ein Satz, der dann auch immer sofort kommt, ist natürlich von Angela Merkel. Das ist Wir schaffen das, dass sie nämlich auch ein paar Tage später am 31. August gesagt wir befinden uns im Brennpunkt dieser Flüchtlingskrise. Und ich glaube, es ist vielleicht ganz gut für unsere Hörerinnen und Hörer, wenn wir mal die damalige Zeit so ein bisschen skizzieren, wie so die generelle Lage war, wie die politische Landschaft ausgeschaut hat. Und ich würde dich bitten, vielleicht einen kurzen historischen Überblick zu geben.
Peter Hajek
Oh ja, wir beginnen bei Christi Geburt. Danke. Nein, ich spreche ja in dem Zusammenhang ja lieber von der Syrien Krise, weil Flüchtlinge kommen ja nicht von irgendwo, sondern sie kamen hauptsächlich aus Syrien zum damaligen Zeitpunkt. Im Zuge dessen kamen dann auch viele Menschen aus Afghanistan nach Österreich. Also das, was wir heute diskutieren, ist so ein Sammelsurium. Aber damals war es die Syrien Krise und die Syrien Krise wiederum ist ja damals nicht zufällig eskaliert, sondern den Bürgerkrieg in Syrien gab es ja schon einige Jahre.
Michael Stebegg
Seit 2011.
Peter Hajek
Genau, und dann ist die Situation damals dort eskaliert und es haben sich eben Menschen auf den Weg gemacht, zuerst einmal in die Türkei etc. Dann halt natürlich auch weiter nach Europa. Und wie war die Situation damals eigentlich in Österreich gerade, um das in einen Rahmen zu setzen. Warum ist es so wichtig, das immer in einen historischen politischen Rahmen auch zu setzen, damit man weiß, wie war denn das Umfeld ganz grundsätzlich. Und nachdem wir jetzt eine Pandemie hinter uns gebracht haben und einen Ukraine Krieg vor der Tür und den Nahostkonflikt haben, denken wir in der Erinnerung immer zurück. Und damals, das war ja die Zehnerjahr, da war ja quasi nichts los. Und das stimmt halt nicht, weil was war damals in Österreich los? Also die Strache FPÖ war schon seit geraumer Zeit auf Platz 1 in den Umfragen, dahinter Sozialdemokraten zuerst mit Faymann, dann mit Kern.
Und also es war schon so, dass die Freiheitliche Partei so stark war in den Umfragen, wie sie heute in den Umfragen wieder ist. Wir glauben ja auch immer alle Kiklertöne reicht, die vorher nicht da waren. Das stimmt auch nicht. Also die Freiheitliche Partei war damals sehr, sehr stark. Die Koalition war eine dröge, große Koalition geworden, die schon seit 2008 im Amt war. Damals standen Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner, der Spindläcker abgelöst hatte, an der Spitze. Beide waren in den Parteien schon schwer angeschlagen. An Reinhold Mitterlehners Sessel hat man schön langsam Ritze Ratze, Ritze Ratze gehört, das war Sebastian Kurz, Wolfgang Sobotka etc. Und auch Werner Faymann war schon schwer angeschlagen und das hat Dann damals gegipfelt.
Michael Stebegg
Proteste am 1. Mai 2016.
Peter Hajek
Richtig, genau. Was war der Slogan damals? Nein, Werner, die Richtung. Stimmt.
Michael Stebegg
Stimmt.
Peter Hajek
Genau, stimmt, stimmt. Also die Koalition war, wie gesagt, schwer angeschlagen. Es war damals auch das Duell um Wien ausgerufen, Michael Häupl gegen Heinz Christian Strache. Und wenn es auch nicht so eng wurde, wie man aufgrund mancher Daten hätte vermuten können, so war der abstand mit 38 zu 31 prozent doch nicht nicht so groß, dass man sagt, natürlich war es ein eindeutiger Sieg, aber es war schon auf einem Niveau, wo man dachte, naja, jetzt rückt die Freiheitliche Partei auch der SPÖ in Wien ziemlich nah. Und genau da hinein fällt erstens eben die Syrien Krise und die Flüchtlingsbewegungen, die dadurch ausgelöst wurden und eben das Unglück eben auf der A4. Genau. So, das ist jetzt einmal der Rahmen, in dem sich das Ganze abspielt. Was jetzt begonnen hat, war eine Welle der Hilfsbereitschaft. Zumindest haben wir die medial so wahrgenommen.
Michael Stebegg
Ich erinnere mich selber an die Bilder am Westbahnhof, Die ankommenden Flüchtlinge werden begrüßt, man sammelt Decken. Und ich fand ja damals, also ich kann jetzt nur von mir reden, dieses Gefühl, das hat Angela Merkel schon sehr gut zusammengefasst. Wir schaffen das. Und jetzt frage ich mich, habe ich damals zur Mehrheit gehört oder war ich die Minderheit, die geglaubt hat, wir schaffen das?
Peter Hajek
Das ist ja eine gute Frage. Wenn ich heute rückblickend, also in den Medien wird das jetzt sehr, sehr stark thematisiert. Ich habe auch jetzt unlängst ein Interview im Ö1 Mittagsjournal gegeben zu diesem Thema und in Vorbereitung auf dieses Gespräch war mehr oder weniger das Thema, na ja, da gab es die Willkommenskultur und wann ist das gekippt? Und dann habe ich mich ins Archiv begeben und dann sind wir draufgekommen, es ist die Situation gar nicht gekippt, weil es die Willkommenskultur, so wie du sie jetzt beschrieben hast, wie wir sie alle in den sozialen Medien erlebt haben, wo Menschen den Westbahnhof gefahren sind. Wir haben damals auch im Büro Kleidung gesammelt. Das war nicht der Großteil der Bevölkerung. Also wir haben im August 2015 für heute eine Umfrage gemacht, die end der Fragestellung war, Lösen die ankommenden Flüchtlinge Sorgen und Unbehagen bei ihnen aus und zwar auf einer Viererskala? Ja, sehr. Eher schon eher nein, nein. Gar nicht. Und wenn wir das auf zweipolig zusammen, Dann haben wir 50 Prozent, das löst schon bei mir Unbehagen aus. Und 48 Prozent, die Nein, das tut es nicht. Noch dazu war die Situation relativ amorph, weil Wir hatten erst 20 Prozent, die gesagt Ja, das löst ganz großes Unbehagen in mir aus. Und auf der anderen Seite auch nur 26 prozentige sagen nein, gar nicht.
Michael Stebegg
Und mittendrin dieses eher berühmte eher.
Peter Hajek
Oder eher, also amorph. Wie wäre es so schön immer sagen, Aber trotzdem hat man schon gemerkt, das ist gar nicht so eindeutig, wie man vermeintlichermaßen wahrgenommen hat. Ich bringe da noch zwei andere Beispiele, die die Dynamik auch in dieser Zeit zeigen, nämlich die Fragestellung Soll Österreich mehr, gleich viel weniger oder gar keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen? Und wenn du das auf zweipolig zusammenfasst, Dann hast du 44 Prozent, die sagen ja, man sollte weiterhin Flüchtlinge aufnahmen. 49 Prozent, die sagen nein. So, das war im September und im Oktober, also nur einen Monat später hat es nur noch gelautet 33 zu 63.
Michael Stebegg
OK, also ist die Stimmung sehr schnell gekippt.
Peter Hajek
Die Stimmung war anders, Michi. Die Stimmung war immer kritisch, immer kritisch und sie ist dann sehr, sehr schnell ins wirklich Ablehnende übergegangen und in der Medien-Betrachtung hat es immer geheißen. Der Knackpunkt dieser Stimmungswende war Köln 2016. Wir wissen Übergriffe am Silvesterabend von Menschen mit Migrationshintergrund aus unglaublich unterschiedlichsten Kulturen, auch was ich mich erinnern kann, egal. Und dann hat es geheißen, da ist es gekippt. Nein, das ist schon vorher war es sehr, sehr schlecht und sehr, sehr kritisch. Und wir haben dann im September auch noch die Frage gestellt gehabt, welche Partei hat die besten Ideen zur Lösung der Flüchtlings Problematik? Ich weiß nicht, ob wir das damals tatsächlich so formuliert haben. Und wer war das FPÖ? Die FPÖ mit Strache, genau. Also das heißt, deshalb habe ich im Intro gesagt, die Willkommenskultur, die räume ich dir ab. Die Willkommenskultur hat es in dem Sinn - Ja, es war eine qualitativ größere Gruppe, das stimmt schon, aber es war bei Gott nicht die Mehrheit in dem Land.
Michael Stebegg
Dann taufen wir es doch jetzt in Unwillkommenskultur um.
Peter Hajek
Nein, es war eher die Weiterleitkultur weil in Wirklichkeit, also damals war er Polizeichef im Burgenland, Hans Peter Doskozil. Und für mich war das immer so, wir haben viele Menschen den Empfang genommen, haben Packerl Mannerschnitt in die Hand gehabt und eine kleine Flasche fürs Laun hat gesagt und da geht es Richtung Passau, weil wir tatsächlich ja viele durch das Land einfach weitergeschickt und durchreisen haben lassen.
Michael Stebegg
Guter Stichpunkt, um die Frage zu stellen, wie sahen jetzt die Weiterleitkultur in anderen europäischen Ländern aus? Also war Österreich, war die Stimmungslage ganz anders oder waren wir im guten Mittelfeld?
Peter Hajek
Naja, wahrscheinlich könnte man sagen, wir waren es kommt auf die Betrachtungsweise an. Also wenn man sagt, ist es wichtig, dass man auch Hilfe leistet, dann war Österreich sicher führend. Also wir haben pro Kopf gesehen, glaube ich, also sicher mehr als Deutschland aufgenommen, was ich mich erinnern kann. Ob es mehr Schweden war, weiß ich nicht, aber es waren drei Länder führend. Das war Schweden, Deutschland und Österreich, was die Stimmung in diesen drei Ländern tatsächlich nämlich nicht 2015/16, sondern jetzt auf lange Sicht hat kippen lassen. Also die Situation in Schweden ist heute eine ganz, ganz andere. Auch in Österreich ist es eine ganz, ganz andere.
In Deutschland haben wir den Ausstieg der AfD, viele Themen, die die AfD nach oben gebracht haben, Aber das ist auch ein Thema. Aber zuerst war es schon so, dass es eben von einer qualifizierten Größenordnung in der Bevölkerung hat es in all diesen drei Ländern eine positive Grundhaltung einmal gegeben, dass man gesagt okay, wir helfen. In Spanien oder in Ländern, die quasi weit entfernt waren, war das kein großes Thema, weil die waren halt weit entfernt. Und dann gab es sehr, sehr kritische Länder und das waren die Visegrad Staaten. Diese Phalanx gibt es ja heute so nicht mehr. Aber damals war das Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Heute hat man wieder die Verbindung zwischen der Slowakei und Ungarn ist wieder stärker durch Vize und Orban durch die liberale Regierung in Polen ist nicht mehr Kaczynski an der Macht, obwohl jetzt ein sehr konservativer Präsident wieder gewählt wurde, Aber dort war die Ablehnung schon immer sehr, sehr stark und kritisch und Viktor Orban hat ja diese Linie beibehalten.
Michael Stebegg
Wenn wir jetzt in Die Gegenwart springen, 2025 sind ja heute die Flüchtlingszahlen auf einem äußerst niedrigen Niveau.
Peter Hajek
Und Asylanträge, auch.
Michael Stebegg
Familiennachzug wurde ja gestoppt oder ausgesetzt. Und wenn man es Vergleicht, im Jahr 2015 wurden in Österreich knapp Asylanträge gestellt, heuer sind es bis rund Ende Mai 7.500 und man schätzt, dass wir so auf etwa 8 kommen. Also es ist wirklich sehr, sehr niedrig, wenn man das jetzt vergleicht und man dieselben Fragen, nämlich wie viele Flüchtlinge soll Österreich aufnehmen oder lösen die ankommenden Flüchtlinge Sorgen und Unbehagen aus? Wenn man die gleichen Fragen heute stellt, ist das Bild gleich oder hat sich das wiederum gewandelt? Hat man gesagt, okay, sind dies zu viele und ja, wir müssen helfen oder ist es immer noch so ein Bitte?
Peter Hajek
Also nein, ich möchte es gar nicht sagen. Ablehnung. Die Skepsis und Kritik ist sicher heute sehr, sehr groß. Erkennen wir auch daran, dass das, wenn wir fragen, was ist das Wichtigste oder was sind die drei wichtigsten Themen, ist das Thema Asyl und Migration und Integration ganz oben. Und das hat verschiedenste Gründe, um das mal den Hörerinnen und Hörern ein bisschen greifbarer zu machen. Das sind nicht nur Freiheitliche, die das sagen, sondern das Thema ist in allen Parteiwählerschaften vertreten, natürlich in unterschiedlicher Konnotation. Also Neos Wähler sehen das sehr stark vom Bildungsstandpunkt aus und sagen, wir müssen da was machen, weil insbesondere Wiener Schulen haben wir ein Thema. Grüne und Sozialdemokraten sehen das sehr stark von der sozialen Seite, dass man sagt, wir müssen diese Menschen versuchen, die jetzt da sind, einfach gut zu integrieren. Bei der ÖVP, bei den ÖVP Wählern ist es schon deutlich rechtlich orientiertere Linie im Sinn von also der Staat muss schon darauf achten, wer jetzt reinkommt und wer nicht. Es gibt aber da auch natürlich jene Menschen, die sagen, ja, wir sollten nicht nur fordern, sondern auch fördern. Das ist eine Schnittstelle. Und die Freiheitlichen sind ganz klar ablehnend. Also am besten große Teile derer, die hierhergekommen sind und noch immer keinen aufrechten Asylstatus haben: danke und auf wieder. Also schon im Rahmen der Gesetze, da wird es einen kleinen Bruchteil geben. Die sagen, das ist uns alles wurscht, haut's aus, Aber die schon sagen natürlich alles im Rahmen der Gesetze, aber sobald es die geringste Möglichkeit gibt, werden diese Menschen wieder in ihre Länder zurückgeschoben. Was dann immer dazu fällt, ist die rechtliche Rahmenbedingungen im Sinn von gibt es überhaupt Rückführungsabkommen etc.
Michael Stebegg
Du hast mir eine Frage vorweggenommen, nämlich dieses. Nein, macht nichts, eben genau diese Themenlage. Ich wollte dich nämlich fragen, also ich wollte dir eine Umfrage von dir vorlesen und dich dann fragen, aus welchem Jahr oder von welchem Wahlkampf? Die Frage, welches der folgenden Themen ist Ihnen derzeit am wichtigsten? Welches Thema sollte im Wahlkampf am stärksten thematisiert werden? Und da liegt no na Zuwanderung mit Klimawandel gleichauf an erster Stelle, dann kommt Leistbares Wohnen und an vierter Stelle Gesundheitssystem, Ärztemangel und Spitäler.
Peter Hajek
Das ist total spannend, weil ich es natürlich weiß. Das ist vom Wahlkampf 2019.
Michael Stebegg
Klingt aber nach 25 genauso.
Peter Hajek
Naja, Michi, das ist wirklich, wirklich interessant. Und das ist ja etwas, was ich versuche, sowohl Medien als auch der Politik immer zu vermitteln und damit auch unseren Hörerinnen und Hörern, wie stabil erstens Themenlagen sind, weil das könnte eine Umfrage von heute sein. Es sind die üblichen vier Themen, die wir haben, oder fünf Themen haben wir ja eigentlich. Also wir haben das Thema auch heute Asyl und Integration, wir haben leistbares Wohnen, wir haben das Gesundheitssystem, wir haben das Thema Klimawandel und wir haben heute stärker natürlich als damals Teuerung oder Lebenshaltungskosten? Teuerung, wobei die teuren kommt ja wieder. Also das sind die Themen und vier von fünf hast du jetzt gerade vorgelesen. Erstens, also das Thema Asyl und Migration haben wir in Österreich eigentlich durch die Freiheitliche Partei, wenn man es ganz genau nimmt, Sogar seit dem Wien Wahlkampf 1991.
Was viele ja nicht wissen, Jörg Haider übernahm ja 1986 am Innsbrucker Parteitag die Partei, damals von Norbert Steger und hat sie auf den damaligen ganz neuen rechtspopulistischen Kurs eingeschränkt, weil die Freiheitliche Partei davor war, wurde immer in der Politikwissenschaft bezeichnet als sogenannte Honoration Partei. Das waren verbliebene Ärzte. Ja, Ärzte, Steuerberater, Rechtsanwälte. Genau, und nie in der weiblichen Form. Also das war die Honoration Partei. Und damals fiel man schon im Bereich von drei oder zwei Prozent in den Umfragen und da hat Haider dann einfach übernommen. Was ich jetzt meine ist nicht, dass ich vorher gesagt habe, dass man es nicht weiß, dass der Innsbrucker Parteitag war, aber was viele nicht mehr wissen ist, Haider hat davor das Ausländerthema überhaupt nicht am Zettel gehabt. In den ersten fünf Jahren hat sich die Freiheitliche Partei und Jörg Haider einfach auf das blau blau rote, sag ich, auf das rot schwarze Proportsystem eingeschossen. Also schon sehr stark anti Establishment, aber das war das Leib und Magen Thema. Und das erste Mal, dass es das Thema Ausländer gab, war im Wien Wahlkampf 1991. Ab dem Zeitpunkt hat die Freiheitliche Partei erkannt, das ist ein Thema in unterschiedlichster Konnotation immer. Zuerst waren es nämlich in den er Jahren, wenn du dich vielleicht erinnern kannst, die schwarzafrikanischen Drogendealer.
Michael Stebegg
Ja, stimmt, genau.
Peter Hajek
Großes Thema damals. Dann kamen die bosnischen Flüchtlinge, die übrigens eine Erfolgsgeschichte sind, was die Integration in diesem Land betrifft. Und die Freiheitliche Partei hat immer wieder das Thema mit anderen Gruppen thematisiert. Und ich frage mich immer oder ich werde öfter gefragt, warum ist das so ein ganz, ganz starkes Thema? Und ich glaube, es löst immer eine größere Urangst in uns aus. Dieses da kommen andere Menschen in unseren Raum.
Michael Stebegg
Und nehmen uns vielleicht was weg.
Peter Hajek
Wo in irgendwas, weil sonst warten sie ja nicht da. Und ich höre ja sehr gerne Geschichte Podcast. Und ein bestimmendes Thema in Geschichte Podcast ist, dass irgendein eine Bevölkerungsgruppe von A nach B geht und dort irgendwas verwüstet. Die Goten, die Vandalen, Ja, die Vandalen, die Hunnen. Und dann hast du auch diese Ausdehnung von Alexander der Große, der ein unglaubliches Reich hat. Und das ist natürlich auch mit Bewegung verbunden. Und deshalb glaube ich, dass wir aus der Geschichte so geprägt sind.
Irgendeiner setzt sich irgendwo in Bewegung, wurscht ob jetzt als Herr oder als Einzelner und kommt zu uns und will irgendetwas von uns. Und es wird immer mit Gefahr verbunden. Und ich möchte jetzt gar nicht sagen, na, das ist nicht so oder das ist schon so, sondern es ist einfach so. Ich möchte es einfach nur mal hinstellen und Schatz, ich glaube, so ist es. Und jetzt ist die Frage, wie wir mit dieser möglichen Urangst umgehen Und dieses Thema ist einfach da und werden wir wahrscheinlich auch lange Zeit nicht wegbekommen. Zu den anderen Themen bitte auch noch etwas, weil es immer heißt, der Klimawandel, der ist jetzt weg. Nein, natürlich nicht.
Das wird uns weiterhin also erstens, der Klimawandel wird uns sowieso begleiten, aber auch das Thema bei der Bevölkerung, der kommt.
Michael Stebegg
Auch immer ins La Genau, der Sarg vor, der kommt von oben und links rechts.
Peter Hajek
Aber mein Lieblingsthema diesbezüglich ist das Thema Gesundheit und das Gesundheitssystem, weil die Politik uns die ganze Zeit erklärt, Die Probleme, die wir heute beim österreichischen Gesundheitssystem haben. Das ist ja durch die Pandemie geschehen und man muss Nein, weil die Unvorank beweisen das Gegenteil. Weil wir wissen schon, dass seit den zehner Jahren die Menschen mit unserem Gesundheitssystem immer unzufriedener wurden. Und das war weit vor, wie wir von dir gerade gehört haben, weit vor der Pandemie.
Michael Stebegg
Also wenn man sich das anschaut, dass diese Themen eben Asyl hatten, wie aber auch Gesundheitssystem, leistbares Wohnen, Klimawandel schon so lange da sind, kann man im Umkehrschluss sagen, dass die Politik bei diesen Themen in den letzten 10, 15 Jahren nichts unternommen hat.
Peter Hajek
Richtig. Oder ich möchte nicht Was ist das Problem in Österreich? In Österreich wahrscheinlich ist es ein menschliches, weltweites Problem. Aber das Problem ist, da gibt es dann den einen oder anderen Experten und Expertin und die sagen dann passt auf, wenn wir da nicht was machen, kriegen wir ein Problem. Dann sagt die Politik, haben wir heute ein Problem. Heute haben wir noch kein Problem. Aber wenn das so bleibt, bekommen wir ein Problem.
Naja, da haben wir ja noch Zeit. Weil Politiker denken ja meistens im besten Fall im Fünfjahresrhythmus. Außer Matthias Strolz, der immer gesagt Wir müssen das Pensionssystem enkelfit machen, halte ich noch immer für einen bahnbrechenden Gedanken, der sich noch immer in Österreich nicht durchgesetzt hat, weil auch es tut mir leid, also ich finde Matterbauer macht eine Sache gar nicht so schlecht, aber wenn Matterbauer in Interviews sagt, er sieht eigentlich nicht, warum die Leute bis 70 arbeiten sollten und wir haben kein Thema, Das geht.
Michael Stebegg
Ein bisschen an der Realität vorbei.
Peter Hajek
Ja, genau. Aber wir warten halt immer so lange zu, bis es dann gar nicht mehr geht und eigentlich haben wir den Punkt schon erreicht und es tut sich noch immer relativ wenig. Also beim Gesundheitssystem wirklich, ja, ist noch immer ein sehr gutes System, aber es brennt trotzdem an allen Ecken und Enden. Und ich bin neugierig, ob die aktuellen politischen Akteure, in dem Fall jetzt die Bundesregierung, sich mal aufrafft zu einem wirklich größeren Wurf, weil es einfach nötig ist.
Michael Stebegg
Wenn wir jetzt wieder zurückschauen nach 2015 zur Flüchtlingskrise, ein Politiker, der damals die Stimmungslage sehr gut erkannt hat und auch die Stimmung in der Bevölkerung aufgegriffen und genutzt hat, war der Sebastian Kurz, dessen Stern ja damals aufgegangen ist, wenn man so sagen möchte. Warum ist er nicht mehr da?
Peter Hajek
Sebastian Kurz ist deshalb nicht mehr da, weil er seine Popularität nicht für das genützt hat, wofür ihn viele Menschen abseits des Migrationsthemas eigentlich gewählt haben, nämlich Reformen zu machen. Und er hat meiner Ansicht nach dieses Versprechen nicht erfüllt. Es gibt so eine nette Anekdote, er war dann schon Bundeskanzler, ich glaube es war nach der ER Wahl, sie wurde mir erzählt. Ob es sich da zugetragen hat, genauso kann ich jetzt nicht sagen, aber sie ist symptomatisch, finde ich. Und es gab ein Treffen von Sebastian Kurz mit der jungen ÖVP, von der er ja nicht so weit entfernt, wo er alterstechnisch hergekommen ist und auch dahergekommen ist als Obmann. Genau. Und Einer der jungen ÖVPler hat gesagt, wie reformieren wir jetzt das Pensionssystem und wieso sollten wir das reformieren?
Und er hat gesagt, naja, weil wir haben doch immer gesagt, das gehört reformiert. Ja, aber das ist nicht Teil des Koalitionsvertrages. Also ich glaube mit der Freiheitlichen damals 2017 und das Thema greifen wir sicher nicht an. Und wenn sich das jetzt tatsächlich zugetragen hat und es passt eigentlich in mein Bild von Sebastian Kurz, dann hat er einige Reformen gemacht, die naja durchwegs im Sinne der Sponsoren von Sebastian Kurz, wie der maximale 12 Stunden Arbeitstag soll. Ich sage nicht einmal, dass das eine schlechte Idee ist, aber es ist relativ leicht zuordenbar. Er hat beim Pensionssystem nichts getan. Die Vereinheitlichung der Krankenkasse in die ÖGK war ein Milliardenloch, das jetzt wieder rückgängig gemacht wird.
Also da wäre schon mehr möglich gewesen. Und genau diese Chancen hat er nicht genützt. Und das ist der Grund, warum er jetzt nicht mehr dort ist. Aber das viel, viel Interessantere ist, was hat Sebastian Kurz damals erkannt? Und du hast eine Datenlinie vor dir liegen aus dem Jahr 2015. Magst du uns erzählen, was die besagt?
Michael Stebegg
Lese ich sehr gerne vor. Beginnt im März 2014 und endet im März 2016 also betrachtet einen Zeitraum von zwei Jahren. Und die Frage war, habe ich eine gute oder eine schlechte Meinung von Sebastian Kurz oder ich kenne ihn nicht, gab es auch noch zur Auswahl. Und wenn man sich das anschaut, er startet bei 50 Prozent, das geht so hin und her. Gute Meinung, ja, gute Meinung. Die schlechte Meinung ist so bei 8 bis 10 Prozent. Und dann im März 2015 wo schon auf 60 Prozent gute Meinung, fällt sie plötzlich ab auf 42 Prozent, um dann wieder rasant auf 60 draufzusteigen.
Peter Hajek
Über den Sommer.
Michael Stebegg
Über den Sommer, genau. Und dann oben bei 60 zu bleiben.
Peter Hajek
So und jetzt sehr, sehr spannend. Ich weiß nicht mehr genau, wir haben es auch nicht mehr ganz eruieren können, warum er im Frühjahr 2015 so verloren hat. Ich glaube, es waren damals diese Unstimmigkeiten innerhalb der ÖVP und innerhalb der Regierung, aber warum es so hinunterging ein paar Monate, wissen wir einfach nicht mehr. Wir wissen aber, warum er wieder oben aufgeschwommen ist, weil es hat damals im Sommer 2015 ein ZIB2-Interview mit ihm gegeben. Als Außenminister und damals hat er zum ersten Mal über das Schließen der Balkanroute gesprochen und über das Sicherheitsthema Kontrolle der Grenzen genau im Migrationsbereich und so weiter und hat sich damit entgegen der Linie der Bundesregierung positioniert. Und ab dem Zeitpunkt war er obenauf und ab dem Zeitpunkt hat Sebastian Kurz gewusst: Ah, ich habe ein Thema, ich habe ein Thema und so läuft der Hase. Und das Spannende war dann und da haben wir auch einen Verlauf, nämlich der Wechsel in der Sonntagsfrage, wenn ich mich jetzt nicht ganz entsinne, weil ich mache das ja aus dem Gedächtnis im Gegensatz zu dir.
Michael Stebegg
Soll ich dir aushelfen?
Peter Hajek
Nein, warte, warte, ich sag's. Es muss gewesen sein im Frühjahr 2017.
Michael Stebegg
Sehr richtig.
Peter Hajek
So und jetzt gibt es zwei, also ich glaube es war April 2017, da war die Freiheitliche Partei in den Umfragen Auf schlagen wir 33.
Michael Stebegg
32.
Peter Hajek
32.
Michael Stebegg
Kriegst ein Sternderl.
Peter Hajek
Und die ÖVP, glaube ich, auf 20.
Michael Stebegg
23
Peter Hajek
23. Davor gab es schon die berühmten Umfragen, glaube ich, mit dem Bandshop Tool, wo Österreich, also die Mitterlehner ÖVP schon deutlich niedergaten auf. Jetzt kam es zum Wechsel in der ÖVP und einen Monat später in den Umfragen waren die Werte mehr oder weniger diametral. Die ÖVP ist auf 33 Prozent hinaufgeschnellt und die Freiwillige Partei ist auf 26 Prozent gefallen. Das Interessante war, dass die SPÖ davon vollkommen unbehelligt war mit Christian Kern. Die sind weiter mit 28, 27 entgegen.
Und das, was wir damals erhoben hatten im Mai, weil es wurden ja dann auch Neuwahlen ausgerufen von Sebastian Kurz übrigens, Christian Kern ist ja damals rausgegangen und hat gesagt, Er reicht die Hand und man macht halt mit Sebastian Kurz weiter und der hat gesagt, nein danke, weil diese Koalition ist eh tot. Ein taktischer Fehler von Kern, ein unfassbarer Fehler, weil entweder hätte er selber auflösen müssen oder er hätte sich überhaupt nicht äußern müssen.
Wir schauen uns an, was in der ÖVP passiert. Überhaupt kein Thema. So, wie dem auch sei, das Ergebnis, das wir hier sehen, diese 33 27 26 im Mai, war ziemlich genau das Wahlergebnis vom Herbst.
Michael Stebegg
Also einfach ein Interview und dann ab in die Wahl.
Peter Hajek
Na, das Interview, von dem wir gesprochen war ja im Sommer 2015, stimmt in der Zeit und Raumkapsel, aber man kann sagen, ein Parteichefwechsel und die Geschichte ist erlebt. Du brauchst halt nur den richtigen Kandidaten dafür. Wie wir sehen. Zum Beispiel hat das bei der SPÖ mit Andreas Babler nicht funktioniert. Das stimmt, weil der liegt deutlich schwächer seine Vorgänger.
Michael Stebegg
Wir sind am Ende unseres Podcasts angelangt. Ich danke dir für diese vielen Ausführungen und ausschweifende geschichtliche Betrachtungen. Diese Folge gibt es wie alle anderen auch zum immer wieder Nachhören auf und überall dort, wo es gute Podcasts gibt. Das nächste Orakel erscheint am Donnerstag, den 4.9. Bis dahin sagen wir vielen Dank fürs Zuhören. Bis zum nächsten Mal.
Peter Hajek
Das Orakel.
Autor:in:Peter Hajek |