Bühneneingang
Sieben Jahre nach dem Erl-Skandal: Über MeToo, Machtmissbrauch und mangelnde Aufarbeitung - mit Edith Meinhart & Elisabeth Kulman
Causen wie jene rund um das Theater in der Josefstadt und das Theater der Jugend zeigen auf, wie der Kulturbetrieb nachwievor am Thema Machtmissbrauch kiefelt. Aber wie war das vor sieben Jahren, als #MeToo noch als junge Bewegung galt und die Akzeptanz von Grenzüberschreitungen in der Kultur zur gängigen Praxis gehörte? Der Skandal rund um die Tiroler Festspiele Erl und ihren Intendanten Gustav Kuhn gilt heute in vielerlei Hinsicht als Wendepunkt. Dank journalistischer Beharrlichkeit und mutiger Künstler:innen schaffte es der Fall in den öffentlichen Diskurs und brachte einiges in Rollen. Folge 42 bittet zwei maßgebliche Akteurinnen von damals vors Mikro: Edith Meinhart tauchte für das PROFIL tief in die Abgründe der Festspiele Erl ein und berichtete trotz großer Widerstände und Risiken. Die Sängerin Elisabeth Kulman gehörte zu den ersten namhaften Künstler:innen, die sich lange vor #MeToo öffentlich gegen Machtmissbrauch positionierten. In der Causa Erl wurde sie zur Integrationsfigur für viele Opfer. Zusammen ziehen sie am BÜHNENEINGANG sieben Jahre danach eine ambivalente Zwischenbilanz. Diese Folge entstand wieder in Kooperation mit dem Investigativ-Podcast "Die Dunkelkammer".
Hinweis für Betroffene: Auf der Website der Beratungsstelle #we_do! findet sich ein Überblick zu Anlaufstellen, die sich mit Diskriminierung, Belästigung, Machtmissbrauch, Gewalt und arbeitsrechtlichen Fragen befassen. Die dort aufgelisteten Angebote inkludieren alle Sparten des Kulturbetriebs.
Fabian Burstein
Hallo und herzlich willkommen am Bühneneingang. Mein Name ist Fabian Burstein, ich bin Kulturmanager und Autor und in diesem Podcast zeige ich euch den Kulturbetrieb von innen, so wie er wirklich ist. Der Bühneneingang entsteht dieses Mal wieder in Kooperation mit dem Investigativpodcast Die Dunkelkammer. Meine heutigen Gäste sind Edith Meinhart und Elisabeth Kulman. Zu dritt lassen wir Österreichs ersten großen MeToo Skandal im Kulturbereich Revue passieren, nämlich die Causa Erl, in der ein Intendant laufend Grenzen überschritt und ein mächtiges Netzwerk davor zurückschreckte, die Konsequenzen zu ziehen. Edith Meinhart ist Journalistin, Dunkelkammerhost und Erl-aufdeckerin der ersten Stunde. Elisabeth Kulman gehörte viele Jahre zu den bekanntesten Stimmen des Opern und Klassikfaches, was sie nicht davon abhielt, bereits lange vor MeToo für die Rechte von Künstlerinnen einzutreten.
In der Causa Erl wurde sie zu einem zentralen Bindeglied zwischen Betroffenen und der Öffentlichkeit. Herzlichen Dank, dass ihr beide mit mir über dieses eher unerfreuliche Kapitel der jüngeren Kulturgeschichte sprecht. Liebe Edith, liebe Elisabeth, es war mir ein besonderes Anliegen, dass wir zusammen mal eine Folge machen vor folgendem Hintergrund. Der Bühneneingang hat in der Vergangenheit sich schon öfters auch in Kooperation mit der Dunkelkammer rund um Themen wie Machtmissbrauch gedreht. Und jedes Mal war es ganz offensichtlich, dass das wahnsinnig schwierig ist, diese Themen aufzudecken, dass es da unglaubliche Widerstände aus dem Kulturbereich an sich gibt und dass es auch ein bisschen Probleme gibt, so etwas journalistisch aufzuarbeiten. So, und dann habe ich mir gedacht, wenn das im Jahr 2024 25 noch immer so kompliziert ist, wie kompliziert muss das erst vor sieben, acht Jahren gewesen sein, als die Causa R aufgeploppt ist. Und das war dann der Ausgangspunkt, dass ich mir gedacht habe, da müssen wir einfach wie in einer Art History Folge zurückblicken, was damals war, wie sich das entwickelt hat und und wie der Status quo heute ist, rund sieben Jahre danach, etwas mehr als sieben Jahre danach.
Deshalb vielleicht einmal eine kurze Zusammenfassung für alle, die das nicht mehr am Schirm haben oder die vielleicht so jung sind, dass das gar nicht in ihrem Bewusstsein war. Was war denn die Causa Erl eigentlich?
Edith Meinhart
Also im Zentrum der Causa steht der ehemalige Intendant und Festspieldirektor Gustav Kuhn, der sich an der bayerisch österreichischen Grenze im Tiroler Erl eine Art Mini Bayreuth geschaffen hat und Wagner Aufführungen gemacht hat, die auch sehr gut besucht waren mit Unterstützung des Festspielfinanziers Hans Peter Haselsteiner. Dort hat sich auch sehr gerne die Politik getroffen und hochrangige Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Bereiche aus Kunst, Kultur, Wirtschaft. Und in diesem Machtkosmos, weil alles eigentlich auf die Figur Gustav Kuhn zugespitzt war, haben sich Strukturen etabliert, die es ermöglicht haben, dass Sänger, Sängerinnen schlecht behandelt werden, andere wegschauen. Und es kam dann erstens einmal zu sehr schlechten Arbeitsbedingungen, teilweise waren die Orchestermusikerinnen auch aus Weißrussland, Belarus und es hat schon immer wieder Gerüchte gegeben. Und 2018 ist dann der Tiroler Blogger und Aktivist Markus Wilhelm mit sehr schweren Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gegangen, hat damit auch den Stein ins Rollen gebracht. Die Anschuldigungen waren aber anonym, also journalistisch war da noch gar nichts zu schreiben. Und im Laufe von Monaten, muss man sagen, so lange haben auch die Recherchen gedauert, wurde dann der Druck so groß, dass Gustav Kuhn zunächst seine Funktionen ruhen stellen musste, das war dann ungefähr Mitte 2018 und schließlich sich dann ganz zurückziehen musste.
Es gibt heute einen neuen Festspieldirektor, du.
Fabian Burstein
Hast es ja schon angedeutet. Begonnen hat es glaube ich, im Feb. 2018 mit diesen Berichten auf dem Tiroler Blog. Und damals war schon eine große Diffusion noch da, wie man das einzuordnen hat. Lass uns mal mit der journalistischen Arbeit kurz beginnen, bevor wir dann quasi in die Community reingehen, wo das ja auch gebrodelt hat. Was war der Moment, wo man gespürt hat, okay, das ist jetzt nicht mehr nur ein Gerücht oder das ist eine Fehde zwischen unterschiedlichen Gruppen im Kulturbetrieb z.B. sondern da ist etwas wirklich mit Sprengkraft, das an die Öffentlichkeit muss.
Wann war dir das bewusst?
Edith Meinhart
Also eigentlich sofort, weil ich habe das Schreiben, dass der Markus Wilhelm geschwärzt an die Öffentlichkeit gebracht hat, ungeschwärzt gesehen. Und ich habe mir gedacht, wenn da nur ein Teil davon stimmt, dann ist das so explosiv, um bei dem Bild zu bleiben, dass man dem unbedingt nachgehen muss. Ich habe auch sofort gewusst, dass das keine leichte Recherche wird. Wie gesagt, journalistisch war das überhaupt noch nicht fertig. Ich bin dann auch sehr bald nach Erl gefahren, noch im Februar, um mir vor Ort ein Bild zu machen, wie schaut das Festspielhaus aus. Und ich kann mich erinnern, ich bin in der Tiefgarage respektive im Parkhaus gestanden und da stand so eine fette Limousine, so eine dunkle, ich glaube Mercedes mit getönten Scheiben, wie mächtige Menschen sie gerne fahren. Und für mich war das so ein Fahrzeug, das stand so alleine abgedeckt in dieser Garage, das richtig furchterregend war.
Und ich bin davor gestanden, ich weiß jetzt nicht mehr, ob es dem Gustav Kuhn gehörte oder dem Hans Peter Haselstein, aber jemandem aus der Führung von Erl und ich habe mir gedacht, das ist die Macht, mit der sich Frauen, die an die Öffentlichkeit gehen, oder auch Journalistinnen, die zu MeToo recherchieren, anlegen. Und das war so der Moment, wo ich mir gedacht das muss an die Öffentlichkeit, weil die Frauen alleine schaffen das nicht. Da ist das Schwert der Öffentlichkeit eigentlich das einzige, was zählt. Weil diese Menschen, die so mächtig sind, können sich ja über Jahre sehr teure Anwälte leisten. Also wenn das nur gerichtlich abgehandelt wird, dann spüren die das gar nicht. Sie zahlen das aus der Portokassa. Aber wenn das Unrecht an die Öffentlichkeit kommt, dann bewegt sich auch gesellschaftlich etwas.
Also ich habe gewusst, ich muss das machen.
Fabian Burstein
Wir werden da viele Teilaspekte, die du da schilderst, noch näher eingehen, was das bedeutet, wenn ein wirtschaftlich starkes Gegenüber beginnt, juristisch vorzugehen. Wenn auch darüber sprechen, wie natürlich bewusst symbolische Macht ausgeübt wird in Kunst und Kultureinrichtungen. Ich möchte an dieser Stelle zu Elisabeth kurz rüber wechseln, weil faktisch war es ja bei dir so, dein Engagement für Rechte von Künstlerinnen beginnt ja nicht im Jahr 2018, sondern weit vorher.
Das geht über 10 Jahre zurück, in die 2000.
Elisabeth Kulman
12, 13 habe ich begonnen, mich zu exponieren und Missstände anzusprechen.
Fabian Burstein
Genau. Also damals war das ja noch viel außergewöhnlicher, als das heute noch immer ist. Es war auch im Übrigen weit vor der metoo Bewegung, die damals noch nicht spruchreif war, nämlich unter diesem Hashtag und unter dieser breiten Social Media Bewegung. Woher kam dieses dringende Bedürfnis, auch der Mut, Missstände zu diesem frühen Zeitpunkt anzusprechen und sich dann auch in weiterer Folge in der Causa so stark zu exponieren? Ich könnte mir vorstellen, dass einem von Anfang an klar ist, dass das Konsequenzen für die eigene Karriere haben kann unter Umständen.
Elisabeth Kulman
Ich bin ein Mensch, dem Gerechtigkeit wichtig ist. Und da gibt es dann eigentlich keine Diskussion. Ich habe es auch immer wieder für mich in meinem Kopf so empfunden, ich bin nicht abhängig. Und ich glaube, das ist auch irgendwie der Schlüsselpunkt. Wenn man das Gefühl hat, wenn man für sich selber entscheidet, ich bin abhängig und dieser Gustav Kuhn ist jetzt das einzige Heil, das mir zum Glück verhilft, dann ist man manipulativ und dann also manipulierbar und dann kommt man in eine falsche Gasse. Und in diese Gasse bin ich nie eingestiegen, wahrscheinlich bei biografischen Gründen, wie auch immer. Ich habe immer gelernt, Gerechtigkeit ist wichtig, wichtiger als alles andere.
Und ich habe jetzt, was meine Karriere betrifft, jetzt da keinerlei Angst gehabt, weil die Welt ist groß und es gibt viele Möglichkeiten. Und wenn man aber in der Illusion lebt, es gibt nur diesen einen Gustav Kuhn, dann wird es kompliziert. Und ich wusste, durch meine Furchtlosigkeit und Unabhängigkeit kann ich hilfreich wirken. Und das war mir einfach wichtig, das wollte ich tun. Mir geht es darum, Ordnung zu schaffen. Ich möchte einen Kulturbetrieb, der frei von solchen Manipulationen und fiesen Sachen einfach ist. Also es gibt einfach da Leute, die sich da egoistisch, narzisstisch, psychopathisch austoben.
Und da wollte ich auf jeden Fall ein Wort dagegen setzen. Und und für mich ist es gut, weil ich denke mal, ich will mit solchen Leuten nichts zu tun haben. Für mich hat sich in meiner Karriere jetzt die Spreu vom Weizen getrennt.
Fabian Burstein
Aber es gibt einen spannenden Moment im Jahr 2013, darauf werden wir auch noch kommen, wo du direkt mit Gustav Kuhn auf Servus TV konfrontiert bist. Und er sagt da etwas, das mir im Ohr geblieben ist. Er sagt, bei dir handelt es sich um eine Stimme, die Weltrenommee hat und vor dem Hintergrund kannst du quasi freier agieren. So irgendwie sagt er das. Also er erwähnt, dass du quasi nicht zweite Reihe bist, sondern erste Reihe bist.
Elisabeth Kulman
Das gehört alles zu seinen manipulativen Techniken.
Fabian Burstein
Natürlich.
Elisabeth Kulman
Also er schiebt mich dadurch auf Augenhöhe, will mir schmeicheln und versucht mich zu vereinnahmen. Also dieses Interview, das dauert 15 Minuten. Es ist live auf auf Sendung gewesen mit Johann Holländer als Moderator. Kann man im Internet anschauen. Es ist hochspannend und sehr verräterisch, wie Gustav Kuhn die Leute versucht einzuwickeln, ihnen schön zu tun und immer wieder auch weg vom, also sich zu rechtfertigen und so weiter. Also das ist ein Musterbeispiel an manipulativen Techniken, die er da anwendet.
Fabian Burstein
Es war für mich aber insofern interessant, weil er etwas anspricht, was tatsächlich auch wahrgenommen wird im Kunst und Kulturbetrieb, nämlich, dass es so ein bisschen die erste Riege und die zweite Riege Riege gibt. Und dass die erste Riege natürlich mehr Macht hat als die zweite Riege, was jetzt den Betrieb betrifft.
Elisabeth Kulman
Ja, dem würde ich wie gesagt widersprechen. Das ist eine Kopfsache. Also wenn ich jetzt glaube, Gustav Kuhn ist der einzige, der mir zur Karriere verhilft, ja, dann stimmt das so. Dann gibt es erste Kategorie, zweite und dritte und ganz viele nach unten. Wenn ich aber sehe, die Welt ist riesig und es gibt ganz viele Möglichkeiten. Natürlich, selbstverständlich.
Es gibt Bayreuth. Wenn man jetzt Wagner singen will, dann grenzt sich der Bereich schon ein. Da gibt es Bayreuth und nicht jeder kommt sofort, kriegt einen Fuß in die Tür von Bayreuth. Aber dann gibt es halt ihn als Alternative. Und das hat alles ausgespielt.
Fabian Burstein
Das heißt, das ist ein wichtiger Punkt, wenn man schon mal beginnt, in solchen Kategorien sich darauf einzulassen, ist das schon Teil des Problems, weil sich dann automatisch die Handlungsspielräume gefühlt einschränken.
Elisabeth Kulman
Genau. Und er nähert dieses Narrativ.
Fabian Burstein
Edith wie haben die Recherchen begonnen? Ich habe damals oder dann auch vor allem insbesondere im Nachgang aus mehreren Kontexten gehört, dass es irrsinnig schwierig war, das Thema in den Redaktionen zu etablieren, weil maßgebliche Akteure aus Führungsebenen gesagt haben, das muss gelogen sein oder das muss eine Intrige sein, weil das ist zu arg, dass das wahr sein kann und das kann nicht stimmen. War das bei dir auch so kompliziert, dieses Thema überhaupt mal erst zu setzen?
Edith Meinhart
Ja, was auch, also dass man das nicht geglaubt hat, das war auch beim Profil zunächst so. Das hat auch damit zu tun, dass da wirklich sehr viel politische und ökonomische Macht immer versammelt war bei den Wagner Aufführungen in Erl. Aber der Profilherausgeber damals war jetzt nicht persönlich verstrickt. Und trotzdem war zunächst einmal eine große Skepsis, ob das quasi die Recherchen wert ist. Ich muss dazu sagen, diese Skepsis war zwar sehr spürbar, aber hat nicht dazu geführt, dass ich ein Rechercheverbot gekriegt hätte. Ich hätte mich jetzt auch in dem Sinn nicht dran gehalten, aber ich hatte auch nicht wirklich ein ermutigendes grünes Licht weiterzumachen. Also das war schon meine persönliche Entscheidung, dass ich neben den Geschichten, die ich dann wöchentlich fürs Profil geschrieben habe, an dieser Recherche einfach dran geblieben bin, weil ich schon irgendwann dieses Momentum hatte, dass ich mir gedacht habe, diese Risikofaktoren für Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe sind in Erl so in Reinkultur verwirklicht, dass es mich wundern würde, wenn da gar nichts dran wäre.
Das war einfach nur so eine Intuition, der ich nachgehen wollte. Was das größere Problem in der Redaktion war, war das Medienrecht. Es war einfach keine Frau da, die mit Namen, also bezeugt hätte, was ihr geschehen ist. Und ich hätte auch, selbst wenn jemand anonym bereit gewesen wäre, auf eine eidesstattliche Erklärung pochen müssen, weil es war damit zu rechnen, dass jemand wie Haselsteiner das Profil klagen würde. Und dann brauche ich Menschen, die vor Gericht sagen, dass ich mir das nicht aus den Fingern gesaugt habe, sondern das tatsächlich passiert ist. Und die gab es nicht. Und das war eigentlich das Problem.
Fabian Burstein
Du sprichst etwas an, wo ja dann eigentlich auch der proof of Concept unter Anführungsstrichen eingetreten ist. Es gab ja wirklich horrende Klagen in diesem Komplex. Also da ging es um existenzgefährdende Streitwerte, die sich auch ganz stark auf dem Blogger Markus Wilhelm bezogen haben. Gab es für dich irgendeinen Moment, wo du dir gedacht hast, jetzt ist absehbar, dass die Veröffentlichung scheitern könnte, weil der ökonomische Druck schlicht und ergreifend zu groß wird? Wenn die beginnen, im großen Stil zu klagen, dann ist es aus?
Edith Meinhart
Nein, das gibt es zwar theoretisch. Und das hat wirklich den Markus Wilhelm sehr betroffen. Also es war tatsächlich existenzgefährdend. Und er hat dann auch durch Crowdfunding sehr viel Solidarität, auch finanzielle Spenden bekommen. Und das war wichtig, weil sonst hätte er das nicht überstanden. Er hat ja auch alles gewonnen dann. Aber das muss man trotzdem einmal durch die Instanzen finanziell und auch psychisch aushalten.
Bei Mir war es so, dass ich im Februar schon relativ viel dann recherchiert hatte und eigentlich schon schreiben wollte. Und diese Geschichte war dann nicht druckbar. Also die hat der Anwalt mir sozusagen aus der Hand genommen. Und da war ich dann schon, wie es generell mit leidenschaftlichen Journalistinnen so ist, sehr enttäuscht, dass ich das einfach noch nicht schreiben kann, weil mein Recherchebild war eigentlich schon recht vollständig. Aber wie gesagt, das war immer noch weit entfernt davon, dass Menschen mit Namen bereit waren, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und retrospektiv bin ich froh über diesen Rückzieher, weil die Geschichte wäre zu früh gewesen.
Fabian Burstein
Also auch ein Appell, da eine gewisse Geduld an den Tag zu legen. Das macht ja im wahren Qualitätsmedium aus, dass sie nicht in dem Moment den Affekt bedienen, weil es halt die große Geschichte ist, wo man die ersten wäre, sondern dass man bewusst wartet, bis sich das Bild komplettiert hat und auch wasserdicht ist, schlicht und ergreifend.
Edith Meinhart
Ja, es ging gar nicht so um den Affekt, sondern ich war die, die recherchiert hatte. Und irgendwann fügt sich ein Bild zusammen und das, was immer noch von anderen Gesprächspartnern dazukommt, fügt sich da gut ein. Also irgendwann hat man das Gefühl, die Geschichte zu verstehen. Und das ist der Moment, wo man selbst jetzt könnte ich sie auch schreiben. Das ist aber medienrechtlich noch nicht der Moment. Es ist gut, dass es eine Redaktion gibt, die auf Qualität schaut und sagt, wir brauchen noch, wir brauchen noch das. Ich kann mich erinnern, das war auch ein Konflikt mit dem Blogger Markus Wilhelm, weil er ja nicht sich so sehr als Journalist verstanden hat, sondern da in der Causa eher als Aktivist und sehr wichtig in dieser Rolle war, aber in gewisser Hinsicht ungestümer beim Veröffentlichen.
Und aus seiner Sicht war ich dann manchmal die unzulässig zurückhaltende oder sogar ein bisschen feige, aber ich glaube, retrospektiv war das richtig und das muss in einer guten Redaktion auch so sein, dass jemand dann auch zurückgehalten wird.
Fabian Burstein
Elisabeth, als diese Geschichte aufkam, warst du ja dann auch schon relativ schnell involviert, auch über die Initiative Art but fair, in der du ja eine wichtige Rolle spielst. Und da gab es auch wirklich dann, glaube ich, schon anzeigen wegen sexueller Übergriffe in Richtung Gustav Kuhn, wie die Causa aufgekommen ist. Welche Reaktionen hast du da persönlich wahrgenommen, nämlich innerhalb der Branche? War da das Gefühl, da muss man jetzt dranbleiben, das muss ans Licht der Öffentlichkeit oder war da eher so eine Bedrohung im Sinne von wir müssen dich halten, da ist eine Intrige am Laufen, weil das beobachten wir gerade sehr stark auch im Moment, dass das so Entsolidarisierungsmechanismen plötzlich greifen und es aus dem Inneren heraus den Drang gibt, die Dinge unter der Oberfläche zu halten.
Elisabeth Kulman
Ja, angeblich ist es so, was Studien zeigen, dass ungefähr 2/3 total zustimmen, aber hinter vorgehaltener Hand alle ja, endlich wird darüber gesprochen und das ist genauso, wie es ist und endlich sagt es mal jemand. Und dann gibt es ungefähr 1/3 die halten dann sozusagen zum Täter und verteidigen ihn, weil sie wahrscheinlich in einer besseren, höheren Position sind und auch Profit davon haben. Und das sind so Mechanismen, die widerstreitend sind. Und ich stelle mich halt immer auf die Seite der Schwächeren. Und ich finde, und ich habe versucht zu ermutigen, das zu thematisieren, da einfach eine Kraft hineinzugeben und zu erklären, warum das wichtig ist, dass man nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern öffentlich darüber redet. Und das war ein bisschen so meine Rolle, dass ich da ein bisschen versucht habe zu unterstützen, auch emotional zu unterstützen, wie wir dann die Frauen beieinander gehabt haben, dank der Edith, die durch ihre Recherche wirklich Frauen zusammen geführt hat, die bereit waren, letztendlich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit zu gehen. Das war ja der Schlüsselpunkt eigentlich.
Fabian Burstein
Tatsächlich war das wirklich der Gamechanger auch in der öffentlichen Wahrnehmung, weil das ist ja ein übliches Narrativ, dass man sagt, das sind alles anonyme Anschuldigungen und damit nicht zu rechtfertigen. Es ist sehr früh der Druck sehr hochgefahren worden von der anderen Seite. Haselstein hat sofort von einer Verleumdungskampagne gesprochen und auch Gustav Kuhn hat angekündigt, dass er klagen wird. Also es war vom ersten Moment an klar, dass das nichts ist, was politisch unter Anführungsstrichen ausdiskutiert wird, sondern das wird vor Gerichte gehen, wie hat sich das auf die Betroffenen ausgewirkt? War das ein besonderes Einschüchterungsmoment, der vieles im Keim erstickt hat? Oder ist da eher die Widerständigkeit dann gewachsen?
Elisabeth Kulman
Ja, sowohl als auch. Es war massive Angst da natürlich. Also man hat so richtig gespürt. Erstens mal ist es ja auch sehr interessant, wie dieser offene Brief überhaupt zustande gekommen ist. Also es war ein monatelanges Ringen, dann sind immer wieder Frauen abgesprungen. Wir haben beide stundenlange Telefonate geführt, um einzuwirken oder halt alles abzuwägen und so weiter. Also es war eine massive Angst da.
Und letztlich haben wir dann fünf Frauen gefunden, die wirklich bereit waren, unter allen Konsequenzen und mit größten Bibbern an die Öffentlichkeit zu gehen. Und dann kam natürlich dieser Schlag von Gustav Kuhn und Haselsteiner zurück. Also das war natürlich eine Retraumatisierung wieder. Und also da sind alle Panikattacken und Ängste nochmal hochgeschossen. Und das ist der erste Moment, das ist die erste Reaktion. Und dann wieder durch viele Gespräche haben wir halt, nachdem sich die erste Aufregung irgendwie gelebt, gelegt hat, haben wir dann die nächsten Schritte entschieden. Und es war einfach wichtig für alle, dass man nachhaltig jetzt, wenn man schon diesen Wahnsinnsschritt gewagt hat, dass man dann nachhaltig auch jetzt versucht, Änderungen zu machen und auch dranbleibt und sich jetzt nicht einschüchtern lässt und diesen Typen da einfach dorthin schickt, wo er hingehört.
Edith Meinhart
Die Elisabeth hat schon gesagt, die Frauen hatten extrem Angst und manche waren wirklich in Panik. Und das war auch so eine Auf- und Abbewegung. Also heute entschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen, auch nicht wirklich wissend, was das bedeutet, weil das ist ja ein lebenslanger Schritt. Man kann nie wieder dann nicht in der Öffentlichkeit sein mit dieser Geschichte. Und nächsten Tag zurückgezogen, weil irgendwas in einem Forum gepostet worden ist, weil irgendein Kollege angerufen hat und gesagt hat, don't you dare to talk quasi. Und ich glaube, was man, wenn man dann die Geschichte retrospektiv aufrollt, man nicht weiß, ist, wie viele Frauen etwas erzählt haben und dann sich in letzter Min entschlossen haben, es nicht öffentlich zu machen. Ich habe stundenlange Protokolle geführt, telefonisch.
Ich habe mich mit Leuten getroffen, die dann am Ende gesagt haben, ich möchte mit dem nichts mehr zu tun haben. Ich habe eine Karriere. Die Karriere war, die Ausbildung war sehr hart, die Karriere war sehr hart. Dorthin zu kommen hat sehr viel Mühe erfordert. Und ich will nicht, dass mich dieser Mensch aufhält. Das kostet so viel Energie, mich mit dieser Geschichte zu exponieren. Und da waren sehr arge Geschichten dabei, die auch das Blatt noch einmal gewendet hätten, aber einfach letztlich nie an die Öffentlichkeit gekommen sind.
Fabian Burstein
Ich meine, das ist für mich jetzt gerade faszinierend mit dem Podcast Bühneneingang, wo ich ja auch ein Lernender bin. Und gerade in den Hecklern macht Missbrauchskausen immer quasi das Doppel mit profilierten Journalistinnen, Suche in der Aufarbeitung, weil ich daraus lerne, was einfach der journalistische Anstand gebietet und wo man auch einfach nicht mehr weitergehen darf, auch wenn es erzählenswert ist, wäre, weil es da schlicht und ergreifend Grenze und ethische Regeln gibt, an die man sich zu halten hat. Finde ich auch immer spannend, weil ich komme eigentlich aus dem Kulturmanagement. Das heißt, da liegt es nahe, einfach mal zu erzählen. Und nein, wenn man in eine Medienöffentlichkeit tritt, die auch strukturiert ist wie ein journalistisches Produkt, gelten völlig zu Recht diese Qualitätskriterien, die man einhalten muss.
Edith Meinhart
Ja, es war sogar so, dass ich mich oft gefragt habe, wäre ich an der Stelle der Sängerin, der Künstlerin, würde ich es machen? Und ich habe nie eine Antwort gefunden, weil als jemand, der mit Öffentlichkeit arbeitet, habe ich gewusst, wie anstrengend es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen. Das haben die Künstlerinnen auch gewusst, weil sie natürlich auf einer Bühne stehen. Aber was es bedeutet, mit so einer Geschichte draußen zu sein, habe ich besser gewusst als sie und habe ich den Leuten schon auch gesagt. Also ich habe schon auch versucht, da jetzt nicht zu sehr zu pushen, weil die Verantwortung dafür kann ich dann nicht übernehmen. Die Person steht dann vor Gericht mit ihrer Geschichte. Da bin ich nicht mehr dabei.
Fabian Burstein
Vor allem, es ist auch ein Phänomen, muss man ehrlich sagen, dass bei solchen Geschichten, wo Leute etwas erzählen, die Institutionen nicht zuerst den Missstand anpacken, sondern den Maulwurf suchen. Das ist auch etwas, was ich erst jetzt gelernt habe im letzten Jahr. Ich habe mir immer erwartet, dass die Leute so, jetzt müssen wir uns Gedanken machen, was erzählt uns das über die Institution? Und was man eigentlich hört, ist, dass die Maulwurfsuche ab Tag eins im Vordergrund steht. Ich will noch ein bisschen weiter noch einmal zurückgehen in die Geschichte, nämlich ins Jahr 2013. Da gab es ein Gespräch, wir haben das schon angedeutet, zwischen dir, Elisabeth, und Gustav Kuhn auf servustv, du damals in der Rolle für Artbart Fair. Du hast im Vorfeld Kritik geübt an der Gajonstruktur insgesamt im Opernwesen, aber auch schon konkret in Bezug auf Erl.
Moderiert hat Johann Holländer. Also zwei definitiv Machtmenschen sind dir gegenüber gesessen und wir wollen da jetzt kurz reinhören, direkten Zugang zum lieben Gott.
Edith Meinhart
Der hat lieber Gott, jetzt weiß ich.
Fabian Burstein
So viel und habe so viel Ideen mit der Regie und so und könnte nicht der Dr. Haselsteiner bei mir vorbeischauen.
Elisabeth Kulman
Ist vorbeigekommen und es kam uns auch zu Ohren, dass in Erl bei ihnen, es ist sogar nachzulesen in der Zeit, dass sie 1/6 der Gagen, der üblichen Gagen bezahlen und dass sie von ihren Orchestermusikern und Sängern verlangen, dass sie das aus Freude machen. Die geben auch zu, dass sie musikalisch sehr viel profitieren von ihrer Erfahrung, aber dass sie auch einen rauen Umgangston haben.
Fabian Burstein
Wir haben hier jetzt zwei Dinge erlebt. Erstens Gustav Kuhn, der darüber spricht, wie er mit Gott redet und aufgrund seiner Erfahrungen und es daher erwirkt hat, dass er das Geld von Hans Peter Haselsteiner bekommen hat. Und wir hören dich, wie du den Mut findest, ihm mal ordentlich zu sagen, was du hältst vom Thema Gagenstruktur insbesondere. Und aber auch schon damit konfrontierst, dass dir zu Ohren gekommen ist, dass in Erl ein alles andere als freundlicher Umgangston herrscht. War dir damals eigentlich schon bewusst, dass die Missstände viel, viel weiterreichen?
Elisabeth Kulman
Eigentlich schon, weil man wusste, dass seit Jahren, Jahrzehnten in der Branche, wie es da abgeht. Und z.B. war das für mich auch ein Grund, dass ich mich von solchen Leuten auch fernhalte. Ich persönlich hätte nie in Erl singen wollen oder mit dem Herrn Kuhn zu tun haben wollen. Ich habe ihn in dieser Fernsehsendung zum ersten Mal getroffen. Und in der Branche wird viel gemunkelt und geredet und in den Kantinen gesprochen. Alles hinter vorgehaltener Hand.
Man zerreißt sich das Maul, wie schlimm alles ist. Aber wenn es dann um die Fakten geht, dann ist man schnell kleinlaut, oder wenn es dann ums in die Öffentlichkeit tragen geht. Also in diesem Gespräch im Fernsehen, da konnte ich auch nur einen Bruchteil davon sagen, was ich wusste, weil ich wurde damals schon juristisch beraten und man hat mir gesagt, na, das darfst du auf keinen Fall sagen. Und deswegen war das natürlich sehr vorsichtig und ich wollte ihn auch auf der emotionalen Schiene ein bisschen erwischen, aber das war sehr, sehr schwierig.
Fabian Burstein
Ja, man merkt es trotzdem, dass er am falschen Fuß erwischt wird, weil offenbar gab es irgendwie redaktionell eine Art Absprache, dass das Thema nicht in dieser Explizitheit aufs Tapet kommt. Und das sa auch, oder?
Elisabeth Kulman
Ja, genau. Also ich habe mit dem Holländer, mit dem Johann Holländer vorab ein bisschen telefoniert, glaube ich, oder geschrieben und er hat mich darauf angesprochen und was ist denn da los? Ihr habt seinen Streit über die Tiroler Tageszeitung. Aber er hat dann nicht irgendwie gesagt, in dem Interview wird es darum gehen. Und das gleiche hat er offensichtlich dem Gustav Kuhn auch gesagt. Also wir wussten beide nicht, ob es jetzt eine Konfrontation geben wird oder nicht, weil in dem Gespräch davor, da ging es darum, wie ich mich vorbereite, welches Frühstück ich esse und so weiter, wenn ich eine Vorstellung habe. Und dann plötzlich kam es dann doch zur Konfrontation.
Das war sehr überrumpelnd und überraschend und irgendwie doch nicht. Also da hat Johann Holländer natürlich uns beide wieder ausgespielt. Das ist alles Machtspielchen und das gehört alles, erzählt alles unglaublich gut, wie Menschen in Machtpositionen gerne Menschen vorführen, spielen mit ihnen und so, ist Paradebeispiel.
Edith Meinhart
Aber ich glaube, es ist trotzdem wichtig, wenn man jetzt auf das zurückschaut, zu erkennen, dass du in dem Betrieb die erste warst, die das ausgesprochen hat, was in den Kantinen und überall schon hinter vorgehaltener Hand lange vermeintlich gewusst wurde und erzählt wurde. Und das zu einem Zeitpunkt, wo du selbst eine super Karriere hattest. Und so etwas auszusprechen überhaupt nicht karriereförderlich ist. Also ich muss wirklich sagen, mein Respekt für diesen Schritt, den ich als historisch bezeichnen würde, ist wirklich groß.
Fabian Burstein
Auch meinerseits ist der Respekt sehr groß, weil wir eben bis heute hören, also ich insbesondere aus dem Schauspielerinnenbereich, dass es de facto ein Karrieretodesurteil sein kann, da aufzubegehren, weil einfach dieses Narrativ für die Kunst muss man leiden und da gelten andere Regeln, das hält sich eisern. Und wer dagegen auftritt, dem wird unterstellt, er hat einfach nicht verstanden, was Kunst ist. Und da ist es damit nicht mehr, ist damit nicht mehr würdig, in diesem Betrieb mitzumischen. Insofern war das ein bemerkenswerter Schritt und weil ihr diesen bemerkenswerten, bemerkenswerten Schritt ja in vielen Punkten dann auch gemeinsam gegangen seid. Ich möchte das kurz für die Hörerinnen einordnen, was da für Zeiten, Zeitachsen vergangen sind. Also ich glaube, der Brief kam im Jul. 2018. Das heißt, es verging rund ein halbes Jahr, bis man vom ersten Verdacht an dem Punkt war, dass zählbar was in die Öffentlichkeit gekommen ist.
Elisabeth, du hast im Mai mit einem Aufruf auch noch einmal Bewegung in die Sache reingebracht, wo du gesagt hast, wir müssen da jetzt reden und auch Farbe bekennen und einen Weg finden, die Öffentlichkeit zu informieren, was da hinter den Kulissen passiert.
Edith Meinhart
Ich glaube, ganz wichtig war, um das noch anzufügen, dass die Frauen nicht alleine waren. Also diese, ich habe ja dann begonnen, wir haben alle begonnen, Frauen, Betroffene zu finden, die bereit sind, darüber zu erzählen. Und die erste hat dann gesagt, ich würde es machen, aber nicht alleine. Und da habe ich mich wieder erinnert, wie ich vor diesem Auto in der Parkgarage gestanden bin. Niemand der Frauen hätte das alleine durchgestanden. Da legt man sich nicht mit einem Menschen an, der ungefähr gleich viel Macht hat, sondern tatsächlich mit jemandem, der einem sehr überlegen ist in jeder Hinsicht, auch in dem, wie man Öffentlichkeit mobilisieren kann und welchen juristischen Beistand man organisieren kann und kulturelles Kapital und alles. Und deshalb war es so wichtig, dass die Solistinnen, die noch dazu in ihrer Karriere nie Solidarität erfahren haben, weil das war ja immer wichtig, dass ich die Rolle kriege und jemand anderer sie nicht kriegt, weil es gibt nur die eine.
Und die mussten auch erst zueinander finden und das Vertrauen zueinander finden, dass sie das gemeinsam machen. Und ich glaube, dass, Elisabeth, da wirst du mir vielleicht das noch besser erzählen können, aber das war für die Frauen auch eine sehr bewegende und erstmalige Erfahrung, mit Kolleginnen solidarisch zu sein.
Elisabeth Kulman
Genau. Also man wird ja in diesem Beruf insbesondere als Solist, als Einzelkämpfer ausgebildet. Also die ganze Ausrichtung fokussiert sich darauf, dass ich auf der Bühne, wenn ich dann die Rolle singen muss, dass ich sie alleine schaffe. Da habe ich keinen Partner, der mir hilft oder irgendwie einen Coach, der mich unterstützt oder sonst irgendwas. Ich muss das alleine durchziehen können. Und das ganze Training, die ganze jahrelange Ausbildung trainiert darauf hin, dass man allein kämpft und auch übersteht und so. Und für diese Sache war es aber nötig, dass man sich zusammentut.
Und das war was von Anfang an sehr Fremdes für die meisten. Und gleichzeitig, glaube ich, im Nachhinein gesehen, eine unglaublich wohltuende Erfahrung, wie du gerade gesagt hast, Edith, dass es möglich ist und dass da auch eine Kraft entsteht, die größer ist als die Summe der einzelnen Personen, die dann auch wirklich was bewegen kann. Aber das war ganz schwierig, diese Solidarität zu finden. Und ich würde sagen, es ist ganz leicht, dass das wieder zerbröckelt, weil es steht auf keinen guten Nährboden. Diesen gibt es nicht. Die Ausbildung läuft weiter so. Es gibt kein Gemeinschaftsgefühl in dem Sinne.
Und deswegen haben wir diese ganzen Probleme im Kulturbetrieb für Selbstständige, für solistische Musikerinnen, Freischaffende. Da gibt es keine Lobby, da gibt es keine Gewerkschaft, die funktionieren würde, da gibt es keinerlei Solidarität. Jeder kämpft vor sich hin. Und das macht natürlich auch wieder diesen Machtmissbrauch in vielen verschiedenen Ebenen möglich und florierend.
Fabian Burstein
Ja, plus es gibt natürlich immer ganz starke Bemühungen, diese Vorstöße auch zu delegitimieren, schlicht und ergreifend. Also man kann es an einer Kleinigkeit erkennen, damals am Theater in der Josefstadt, wie wir über die 18 Stimmen gesprochen haben, die ein eigenes arbeitsrechtliches Gutachten auf den Weg gebracht haben. Und es war immer das Narrativ der Gegenseite, das sind anonyme Beschuldigungen. Das ist natürlich nicht richtig. Es waren anonymisierte Beschuldigungen. Das heißt, diese Personen waren natürlich bekannt, wer das ist. Man hat sie nur geschützt halt.
Edith Meinhart
Ja, wenn man sich mit Täter-Opfer-Beziehungen beschäftigt, dann gehört das Isolieren von Opfern ja dazu. Man muss die, die man dann als Täter angreift, vorher vereinzeln und vielleicht auch in eine seltsame Ecke rücken. Die ist ohnedies kompliziert, oder die hat ja immer mit dem Feuer gespielt. Also man muss das Opfer vereinzeln und möglichst auch versuchen, es irgendwie mit schuldig zu machen an dem Übergriff, den es dann erlebt. Das beginnt sehr lange vor dem eigentlichen Übergriff.
Fabian Burstein
Lasst uns, wir haben das vorher kurz angesprochen, lass uns kurz mal ein bisschen auf diese Strukturen in Erl eingehen. Wir haben bis jetzt festgehalten, das sind schwerwiegende Übergriffe passiert. Was war dieses Machtsystem? Was hat dieses Machtsystem ausgemacht? Wie hat das funktioniert? Wie waren die Strukturen? Welche Abhängigkeiten haben sie sich da gebildet?
Wie darf man sich eine Vernetzung vorstellen, in der sowas möglich wird?
Edith Meinhart
Ich kann mich erinnern, dass der ehemalige Marketingleiter Christoph Ziermann, das habe ich mir nämlich jetzt wieder herausgesucht, den Kosmos Kuhn einmal beschrieben hat, tatsächlich als einen Kosmos, wo jeder versucht, für die Gunst des Gustav Kuhn alles zu geben. Und das hat dann den Effekt gehabt, dass jeder, der sich da exponiert hätte, die Angst hatte, bei den opulenten Abendessen nicht mehr in der Nähe vom Dirigenten sitzen zu dürfen oder von heute auf morgen aus dem Programmheft gestrichen zu werden. Das ist tatsächlich alles passiert. Das wussten ja auch alle. Also die Sanktionen waren immer öffentlich statuierte Exempel und jeder konnte sich ausrechnen, dass das Nachteile nach sich zieht, wenn man bei irgendwas aufbegehrt. Und dann hat der Kuhn auch bei Proben Menschen extrem gedemütigt. Also sehr oft sind Menschen, Frauen und Männer, weinend hinausgegangen.
Und alle, die da mitgelacht haben oder die dazu geschwiegen haben, wurden ja mitbeschädigt. Also nicht nur die Person, die jetzt da gedemütigt wurde, sondern jeder, der nicht dafür aufgestanden ist, dass das nicht in Ordnung ist, hat sich ja auch mit selbst verletzt. Und dieses System ist so, ich habe mir manchmal gedacht, wie eine Sekte. Also irgendwann wird man so eingesogen in die Logik dieses Systems, dass es einem gar nicht mehr möglich erscheint, so wie die Elisabeth gesagt hat, daran zu denken, dass draußen noch eine Welt existiert, in der vielleicht faire Regeln herrschen und wo ich auch eine Chance haben kann. Sondern man denkt sich, das ist meine Welt, die wird immer enger, die wird wie in einer Sekte. Und Christoph Ziermann hat gesagt, er hat dann neuen Kollegen manchmal zum Einstand das Buch von Jörg Baberowski verbrannte Erde Stalins Herrschaft der Gewalt überreicht, und zwar mit den das ist eine Art Betriebsanleitung für Erl, nur bei uns wird niemand erschossen. Und ich habe damals als Journalistin, kann mich erinnern, kurz aufgelacht, weil das so eine krasse Analogie war.
Aber es ist was dran. Es ist ein System, das so fein austariert ist und immer darauf abzielen zielt, Menschen in Abhängigkeiten zu bringen. Und Herr Ziermann hat das dann einmal so beschrieben, dass Kuhn ein Meister darin war, die Künstlerinnen mit Titeln, mit Rollen, mit Versprechungen, mit Demütigungen in ein Netz von Abhängigkeiten einzuweben, wie eine Spinne, die auf Beute lauert, und dann den richtigen Moment abzuwarten, einen verwundbaren Moment, wo er angreifen konnte.
Fabian Burstein
Und angreifen heißt in dem Fall eben nicht nur jemanden auf der Bühne demütigen, sondern dass es ganz offensichtlich auch Übergriffe gab.
Edith Meinhart
Genau. Aber diese Übergriffe finden in dieser Struktur, in diesem System statt, sonst wären sie gar nicht möglich. In einer mutigen, solidarischen Kultur gäbe es keine Übergriffe.
Elisabeth Kulman
Was sich auch durchzieht durch die Angriffe von Gustav Kuhn auf, ich sage jetzt mal Opfer oder die Betroffenen. Er beobachtet ganz genau, er hat ja auch Psychologie und Psychopathologie studiert, also er späht die Schwächen der Menschen, die ihn umgeben, aus und greift genau dort ein. Also z.B. eine Sängerin ist kurz vor dem Auftritt für die Hauptrolle, ist in einem Ausnahmezustand, hochkonzentriert. In diesem Moment geht er vorbei und betatscht sie. Das ist ein emotionaler Ausnahmezustand. Du hast keine Zeit, jetzt adäquat auf diesen Übergriff zu reagieren, sondern du weißt, du musst jetzt auf die Bühne rausgehen und performen und deine Höchstleistung abliefern.
Oder eine ein Übergriff ist passiert nach einem Konzert, da ist das Adrenalin ganz oben, man ist glücklich, man freut sich über die Leistung, die man geschafft hat. Da ist der Übergriff passiert, wieder ein emotionaler Ausnahmezustand. Oder der Vater ist gestorben von einer Sängerin. Auch wieder hier nützt er den emotionalen Ausnahmezustand aus. Also das hat Strategie, immer die Schwächen auszunutzen, genau zu beobachten. Genau spielerisch alles. Für solche Menschen ist das ein Spiel.
Und das funktioniert vor allem dann, das möchte ich noch ergänzen zu deiner Erzählung über den Kosmos, funktioniert dann, wenn eine Machtkonzentration herrscht. Das heißt, Gustav Kuhn war Intendant, war Geschäftsführer, glaube ich, Dirigent und hat sogar noch inszeniert. Also das ist eine Machtfülle, die in eine gottgleiche Position pusht. Und das ermöglicht ihm dann auch diesen Krösus Status und diese Allgewalt, die ihm diesen absoluten Machtrausch ermöglicht.
Fabian Burstein
Und er hat auch besetzt natürlich. Und er hat das, glaube ich, auch im Vorgang, hat daraus einen sehr komplexen Kunstprozess gemacht, wie er da besetzt hat. Also das war nicht einfach so, dass man vorgesungen hat, sondern das war ein ganz, ganz spezielles Beziehungsgeflecht.
Elisabeth Kulman
Vielleicht, was ich noch einwerfen darf, ist, er hat oft mehrfach besetzt, was auch wieder zu seinen Spielchen gehört. Also man wusste, man musste bei allen Proben dabei sitzen, ob man jetzt entweder zuschauend war oder auf der Bühne spielen durfte. Also es gab mehrfach Besetzungen von einer Rolle und in den Proben war noch nicht klar, wer singt jetzt die Premiere. Und für eine Sängerin oder Sänger ist das total wichtig, um sich auch emotional, psychisch darauf einzustellen, wie kann ich mit meinen Kräften haushalten und so weiter. Das sind ja wirklich sehr schwere Rollen, die man da singen muss. Und das gehört auch zu seinem Spielkanon dazu, dass er die alle ausgespielt hat gegeneinander. Und ja, vielleicht, wenn du dann schön brav bist, dann darfst du singen, aber vielleicht halt dann doch nicht. Also das gehört alles zu diesen fiesen Spielereien dazu.
Fabian Burstein
Jetzt aus deiner künstlerischen Erfahrung heraus, wie stehst du zu diesem Narrativ, dass Machtmissbrauch und künstlerische Qualität miteinander verknüpft sind? Das hält sich ja wirklich hartnäckig, dass diese Art, Künstlerinnen zu brechen, Teil davon ist, dass man das Beste aus ihnen herausholt.
Elisabeth Kulman
Ja, das ist eine kranke Erzählung vom letzten Jahrhundert oder ich weiß nicht was. Also das ist das idiotischste, was man sagen kann.
Edith Meinhart
Ja, ich glaube, das ist auch eine Erzählung, die sich so stark hält, weil wir so wahnsinnig gern dran glauben. Ich glaube, Menschen haben ein großes Bedürfnis nach künstlerischer Entrückung. Wir wollen durch Kunst uns mit etwas Größerem verbinden. Das ist auch eine spirituelle Erfahrung. Früher hätte man gesagt, es verbindet einen mit dem Göttlichen. Und das ist, glaube ich, ein sehr existenzielles und auch schönes Bedürfnis. Und das führt dazu, dass wir dann, wenn wir in einer infantilen Haltung stecken bleiben, auch als Gesellschaft, Menschen zugestehen, einen gottähnlichen Status zu haben und diesen Genie Kult betreiben.
Und ich glaube, wir müssen erwachsen werden und sehen, dass je müheloser eine Balletttänzerin über die Bühne fliegt oder je müheloser eine Sängerin in eigentlich fast unmenschlichen Sphären sich ausdrückt und uns berührt und uns ergriffene Momente verschafft, desto härter war die Arbeit dahinter. Und diese Arbeit hat Bedingungen und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Wir können nicht nach Hause gehen und so tun, als wäre da jetzt wirklich Gott dagestanden und alles andere interessiert uns nicht, sondern wir müssen uns darum kümmern, dass diese Arbeitsbedingungen die Würde von Menschen nicht verletzen. Und das muss uns alle beschäftigen. Ich vergleiche das immer mit dem Essen. Wir haben uns irgendwann angefangen, sehr obsessiv mit allen möglichen Zutaten für unser Essen zu beschäftigen, aber bei der Kultur, im Opernbetrieb sind uns die Produktionsbedingungen egal. Da ist uns egal, wie dieser ergriffene Moment zustande kommt.
Und das, glaube ich, ist ein Aufruf an uns alle. Dann haben auch die Einzelnen, die sich wehren, ein gesellschaftliches Backing.
Fabian Burstein
Also ihr habt das ja beide angesprochen, dass das ein Moment der Retraumatisierung ist, wenn dann der Skandal am Tisch liegt, dass es im Wesentlichen von Stellen der Macht, auch der Politik, eigentlich mit einem Augenzwinkern abgetan wird, so nach dem ja, so ist das halt in der Kunst, das muss man aushalten. Es gibt hier wirklich ein dramatisches Beispiel und da sieht man, wie wenig sich getan hat in jüngerer Vergangenheit, wie die Wiener Stadtpolitik Herbert Föttinger zur Seite gesprungen ist. Ich möchte sagen, Gerhard Schmid hat eigentlich im Gemeinderat eine skandalöse Rede gehalten im Nachgang zu diesem Thema, mit all den Bagatellisierungen, die er anspricht. Ja, der ist ein Publikumsliebling und all diese Relativierungen, die nichts mit dem Umstand zu tun haben, was da potenziell passiert, ist schlicht und ergreifend.
Edith Meinhart
Ich glaube, da steckt ein Menschenbild dahinter, die Elisabeth hat schon gesagt, das aus dem eigentlich neunzehnte Jahrhundert stammt und dass wir in der sogenannten Rohrstaberlpädagogik endlich auf den Friedhof der Geschichte verräumt haben, nämlich, dass man Kinder rächen muss, um sie neu zusammenzusetzen und zu guten Menschen zu machen. Und in der Kunst herrscht dieses Narrativ immer noch vor. Wer glaubt, man kann Genies oder vermeintlichen Genies zugestehen, Menschen zu brechen und neu zusammenzusetzen, um sie zu Höchstleistungen zu führen? Mein Menschenbild ist, dass der Mensch sich am schönsten und produktivsten entfalten kann, wenn er in einem guten Team ist, wenn er gut geführt wird, wenn er von guten Menschen umgeben ist, künstlerisch produktiven, inspirierenden Menschen. Dann schaffen wir es, über unsere Grenzen hinaus etwas zu schaffen. Und ich glaube, es wäre Zeit, mal diese Ideologie dahinter zu entlarven und die zu entsorgen, dass man aus Menschen das Beste herausholt, wenn man sie möglichst schlecht behandelt.
Fabian Burstein
Tatsächlich schauen auch wirklich Künstlerinnen darauf. Also aus dem Kreis der Schauspielerinnen im Theater der Josefstadt hört man natürlich, dass das wie eine Ohrfeige war, zu sehen, dass eigentlich sehr demonstrativ sowohl Bürgermeister als auch maßgebliche Politiker sofort sich solidarisiert haben mit der Theaterleitung, die ja in Gutachten sehr schwer belastet wurde. Also da ging es ja nicht darum, dass da irgendwas nicht untersucht wurde, sondern das waren zwei Gutachten von renommierten Kanzleien bzw. Juristinnen. Und wie kommen wir aus dieser Falle raus? Weil in dem Fall, im Fall Josefstadt kam ja noch hinzu, dass auch die zuständige Kulturstadträtin kaum Anstalten gemacht hat, das irgendwie zu hinterfragen öffentlich.
Edith Meinhart
Ich glaube, psychologisch ist das verständlich. Diese Menschen, auch der Herr Föttinger, sind extrem charmant und sie sind natürlich mächtigen Menschen gegenüber sehr eloquent, sehr unterhaltsam. Man umgibt sich gern mit ihnen. Sie sind inspirierende Gesprächspartner. Und ich gestehe jetzt vielen Menschen zu, dass dass sie sich gar nicht vorstellen können, wie die, wenn sie unter sich mit ihrem Ensemble sind, sich manchmal benehmen. Also mir ist das auch schwer gefallen, mir das vorzustellen, weil ich, das betrifft auch manchmal den Umgang in Redaktionen. Das könnten sich vielleicht, ich meine jetzt nicht das Profil, aber auch da gibt es einen Tonfall manchmal, wo ich mir denke, wenn Menschen wüssten, wie Führungskräfte noch glauben, mit Menschen reden zu können heute, die wären wahrscheinlich erstaunt.
Also ich gestehe auch dem Bürgermeister von Wien zu, dass er sich das nicht vorstellen kann. Ich glaube, wir kommen nur raus, wenn wir aufhören, alles, was uns nicht in das Bild passt, sofort wegzuwischen und einmal den Leuten zuzuhören und sich ein Bild zu machen, so wie ich als Journalistin das auch machen muss. Das ist sehr viel Arbeit, weil es gibt schon manchmal Menschen, die tischen eine Geschichte auf, die einfach so nicht stattgefunden hat. Kommt vor. Es gibt einfach alle möglichen Pathologien. Aber wenn man oft und genau zuhört, dann kriegt man ein sehr untrügliches Gespür dafür, was da abgegangen ist, weil die Geschichten zueinander passen. Ich habe mit Leuten geredet, die kannten einander gar nicht, aber die haben Geschichten erzählt, als wären sie voneinander kopiert gewesen.
Die waren nicht einmal im selben Jahrzehnt in Erl. Also wenn man es wissen will, dann kann man es wissen.
Fabian Burstein
Wir müssen auch festhalten an der Stelle, es gab ja eine Untersuchung zu Erl und zwar jenseits einer strafrechtlichen Bewertung. Das wird ja auch oft verwechselt. Also es ist ein Unterschied, ob ich mich daneben benehme und das einfach nicht tragbar ist und dementsprechend auch arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind, weil ich sage, das ist nicht die Philosophie, mit der wir wollen, dass dieses Haus geführt wird. Und dann gibt es das Thema der Straftat. Auf der politischen Ebene muss man klipp und klar sagen, die Gleichhandlungskommission des österreichischen Bundeskanzleramts hat im Nachgang eigentlich mit einer wirklich schauderhaften Direktheit festgestellt, dass es zweifelsfrei zu sexuellen Belästigungen gekommen ist. Also das war die Erkenntnis der Gleichbehandlungskommission und es steht auch so niedergeschrieben. Ich möchte noch mal gerne auf die Rolle des Journalismus zurückkommen, und zwar bei euch beiden, wie ihr das wahrgenommen habt.
Es gibt ein Phänomen, im übrigen auch z.B. bei Wirtschaftsskandalen wie beim beim Burgtheaterskandal, dass wenn es richtig zur Sache geht, in Kulturcausen müssen anliegende Ressorts übernehmen, weil das der Kulturjournalismus nicht wuppt, schlicht und ergreifend. Es gibt dazu einige Hypothesen, dass er zu nah ist, also dass er sich mehr als Community versteht. Manche sagen, es geht darum, dass einfach schlicht und gewisse Kompetenzen fehlen, also dass ein Kulturjournalist z.B. keine Bilanz lesen kann. Wie war da eure Beobachtung? Haben da Kulturjournalistinnen sind drauf eingestiegen oder ist es erst interessant geworden, als die allgemeineren Ressorts der Lunte gerochen haben?
Edith Meinhart
Ja, es ist genauso, wie du es da jetzt analysiert hast. Ich glaube, Kulturjournalistinnen sind natürlich Teil einer in Crowd. Das hat jetzt einen Vorteil, weil man auch besser die Protagonistinnen beschreiben kann. Man muss auch nahekommen als Journalistin. Aber wenn man den Protagonistinnen, mit denen man immer zu tun hat, dann wehtun müsste, ist das auch eine Hemmung. Es gibt auch Leute, über die könnte ich nicht schreiben. Da würde ich dann zu Kolleginnen bitte übernimm du, ich bin zu nahe.
Also ich möchte jetzt kein Porträt schreiben über jemanden, den ich immer anrufe, um mir ein Bild zu einer bestimmten Sache zu mach. Aber was ich bemerkt habe, ist, ich habe sogar Verständnis dafür. Also wie gesagt, ich glaube, das ist menschlich auch verständlich, dass man Menschen, denen man so nahe ist, da nicht jetzt mit einer harten investigativen Geschichte ins Gesicht fahren will, auch weil man fürchten muss, dass man dann nicht kein Interview mehr kriegt, dass man dann keine Zugänge mehr hat. Die Frage ist, wie definiert man als Journalist, als Journalistin seine eigenen Spielräume? Also ich glaube, sie sind weiter, als die meisten denken. Aber was ich schon bemerkt habe, ist, dass die Kulturjournalistinnen gar nicht bereit sind, ihr Wissen dann mit den investigativ arbeitenden Kolleginnen zu teilen. Und das habe ich schon etwas bitter gefunden, weil natürlich sind die, die dann immer Zentrum der Recherchen stehen und Kritik fürchten müssen, daran interessiert, den investigativen Kolleginnen Susanne, ihr versteht ja nichts von Oper, was macht ihr da überhaupt?
Ihr habt ja keine Ahnung von Kunst. Und den anderen zu ihr versteht ja nichts von investigativen Recherchen. Ich glaube, da müsste man mehr zusammenarbeiten.
Elisabeth Kulman
Ja, das wäre ein guter Ansatz. Ich erlebe es halt so, man kennt die Handvoll Journalisten, Kulturjournalisten in Österreich und Deutschland und die erlebe so, dass da eigentlich sich niemand für Missstände interessiert. Also die Edith ist jetzt eigentlich die einzige verlässliche journalistische Partnerin sozusagen in solchen Investigativangelegenheiten, die ich jetzt oder du, wenn ich dich nennen darf, aber auf weiter Flur sehe ich das nicht. Und das vermisse ich auch sehr. Ich habe immer wieder versucht, in normalen Kultur Interviews, die ich halt als Künstlerin geben durfte, immer zumindest ein paar Sachen fallen zu lassen, aber richtig aufgegriffen oder so wurde das nicht. Das wird dann immer so mit großen Augen staunend zur Kenntnis genommen. Aha, da gibt es sowas, das ist aber schade.
Und das war es dann aber auch. Das finde ich sehr defizitär, würde ich jetzt mal sagen. Und ich würde mir da auch in der Ausbildung mehr wünschen. Obwohl man muss ja sagen, die ganzen Kulturredaktion, die werden gekürzt, wo es geht und auch Rezensionen von irgendwelchen Opern oder Konzertveranstaltungen sind immer irrelevanter und verlagern sich auch ins Internet, in Foren und so weiter. Mal sehen, was da noch möglich ist.
Edith Meinhart
Ich glaube, es gibt auch so eine Selbstzuschreibung. Ich bin als Kulturjournalistin für die schönen Dinge im Leben zuständig und um die dreckigen sollen sich die Kolleginnen vom investigativen Fach kümmern. Und das ist auch eine infantile Haltung.
Fabian Burstein
Ich wollte nur kurz zur Ehrenrettung des Kulturjournalismus z.B. erwähnen Anna Wieland und Helene Dallinger, die für den Standard in jüngerer Vergangenheit stark zur Causa Josefstadt recherchiert und veröffentlicht haben, die auch beim Theater der Jugend wirklich tolle Arbeit geleistet haben und die bei uns auch mal zu Gast waren. Und wir haben aber tatsächlich auch ganz offen die Probleme diskutiert, die ihr ansprecht, sie gesagt haben, wir als nachrückende Journalistinnengeneration haben große Probleme mit dem Thema investigativer Kulturjournalismus so was wie Rollenvorbilder zu finden, an denen wir auch in gewisser Weise, mit denen wir uns challengen können und auch Wissen anzapfen können, weil das einfach ein völlig unterrepräsentierter Bereich ist, der exakt so funktioniert, wie er sagt. Das eine sind die schönen Künste, das andere sind die dreckigen Skandale. Und die zwei Dinge sind sind nicht zu vermischen.
Edith Meinhart
Ich habe mich sehr gefreut, wie ich den Podcast gehört habe, über die beiden jungen Kolleginnen, die, finde ich, auch einen sehr systemischen Blick haben und eigentlich genau den Finger auf die Wunden gelegt haben. Vielleicht ändert sich das auch in den nachrückenden Generationen.
Fabian Burstein
War im übrigen für mich auch eine spannende Erfahrung. Tatsächlich haben ja davor der Michael Nikbakhsh und ich eine Geschichte gemacht zum Thema Josefstadt und da auch immer ein bisschen Kritik eingesteckt, weil wir nur das Thema Stunt Standard erwähnt haben, also laut Standardrecherchen, und nicht die Journalistinnen explizit genug genannt haben und man uns gesagt hat, wir machen da Journalistinnen unsichtbar, die tolle Arbeit leisten. Das haben wir dann eben dann sofort insofern ausgemerzt, als dass wir sie eingeladen haben, weil wir den Kritikpunkt schon verstanden haben. Wurscht, ob man das jetzt professionell oder handwerklich herleiten kann, warum das so war. Aber es war richtig zu Moment einmal, wenn es da was gibt, was toll läuft, muss man das dann auch im Zuge dessen zeigen und dem auch Raum geben. Das nur als kurzer Einschub zum Thema was kommt dem Kulturjournalismus potenziell nach?
Edith Meinhart
Ja, und sie haben auch sehr gut erklärt, welche Schwierigkeiten diese Recherche mit sich bringt. Und für mich war es interessant zu hören, dass die Schwierigkeiten sich immer noch ändern.
Fabian Burstein
Ganz pragmatisch gesagt, was hat sich persönlich für die Betroffenen nach der Veröffentlichung verändert? War da Gerechtigkeit, war da Ächtung, war da eine Mischung aus beidem? Wie haben sich die Karrieren und die Leben jener verändert, die da vor den Vorhang getreten sind und gesagt haben, was da wirklich passiert ist und damit auch mit ihrem Namen eingestanden sind?
Elisabeth Kulman
Also nachdem der ganze Spuk vorbei war, also die ganze Aufregung, die ganze emotionale Achterbahnfahrt sozusagen, nachdem die Gleichbehandlungskommission bestätigt hat, dass die sexuellen Übergriffe stattgefunden haben, aber Gustav Kuhn nicht verurteilt werden konnte, hat sich, glaube ich, zumindest eine gewisse, wenn auch unbefriedigt, aber eine Beruhigung eingestellt. Und ich habe dann die Frauen irgendwie sehr ermutigt, auch jetzt ihre Wege zu gehen und die Sache abzuschließen, auch emotional abzuschließen. Es ist so, dass eigentlich, soweit ich das überblicke, keine mehr im Kultur, also im klassischen Sängerbereich im großen Stil tätig ist. Jeder macht noch vielleicht seine kleinen Konzerte oder so, aber aus diesem brutal harten Kulturbetrieb sind eigentlich alle ausgestiegen, wenn ich das jetzt so im Groben zusammenfassen kann oder mehrfach zumindest ist doch eine verbrannte Erde da hinterlassen worden. Und es hat sicher auch was. Es war eine große Wunde. Und ich glaube aber, dass es nötig war, diese Wunde auch anzuschauen.
Und und was ich hoffe, ist, dass sie positiv aus dieser Sache rausgehen und sich auch als starke, eigenmächtige Personen empfinden. Ich glaube, das ist für die Persönlichkeitsentwicklung ganz wichtig.
Edith Meinhart
Also ich möchte vielleicht mich noch gerne zurückerinnern an den Moment der Würde. Der Satz von Gisèle Pelicot "die Scham muss die Seite wechseln", war noch nicht auf der Welt. Aber ich kann mich erinnern, dass die Sängerinnen, wie ich sie für die Profiltitelgeschichte in München da haben sich alle getroffen, um einmal zu reflektieren, was alles passiert ist. Ich glaube ein Jahr nach dem offenen Brief, wenn ich mich richtig erinnere. Und ich habe sie fotografiert und sie sind gestanden wie die Walküren auf der Bühne, mit so einer Stärke und einer Kraft gemeinsam. Und ich glaube schon, dass man das nicht vergessen darf, dass es auch etwas kostet, das immer runterzuschlucken. Es kostet etwas, es auszusprechen.
Es kostet viel, es auszusprechen, aber es hat auch etwas sehr starkes und sehr würdevolles. Und an diesen Moment kann ich mich sehr gut erinnern. Und ich glaube, die Frauen wollten dann einfach wieder mit ihrem Leben weitermachen. Sie haben sich quasi auch für die Öffentlichkeit oder für das nachher geopfert, sage ich jetzt fast so pathetisch, weil es geht ja immer die ist das Rache?
Warum machen das die Frauen? Ich habe nirgends Rache gespürt. Ich habe einen extrem starken Wunsch gespürt, dass das aufhört. Und die erste Sängerin, die gesagt hat, sie macht mit, sie geht an die Öffentlichkeit mit ihrer Geschichte, hat das ausgesprochenerweise deshalb gemacht, weil sie Kinder hat, die selbst im Kulturbetrieb Karriere machen wollen. Und sie wollte nicht, dass ihre Kinder in so einer Welt mit solchen Intendanten groß werden. Und also man macht es eigentlich für die anderen und irgendwann sagt man ich habe das jetzt gemacht und jetzt lebe ich wieder weiter.
Fabian Burstein
Du, Elisabeth, hast ja auch nach wie vor Initiativen und Plattformen, die sich sehr stark mit, sag ich mal, Resilienz oder mit der Frage beschäftigen, wie können wir gerechtere Zustände im Opernbetrieb, aber im Kulturbetrieb insgesamt herstellen. Die Initiative Voices, die Plattform Whatsober. Doc, was nimmst du wahr über die Jahre? Verbessert sich die Situation? Wird deine Arbeit weniger oder sind wir nach wie vor auf einem Level, wo man sagen muss, OK, da stagniert einfach die Weiterentwicklung des Kunst und Kulturbetriebs?
Elisabeth Kulman
Es ist interessante Beobachtung. Einerseits habe ich das Gefühl, es verändert sich überhaupt nichts. Und dann habe ich wieder das Gefühl, es gibt einen Stolperer in einer Generation, weil ich erlebe jetzt bei den ganz jungen Leuten, die sind überaufmerksam und übersensibel, würde ich jetzt fast mal sagen, was Übergriffigkeiten, jetzt verbale oder eben körperliche Übergriffe betrifft. Ich höre von Lehrenden an den Unis, dass sie aufpassen müssen wie ein Haftlmacher, dass sie nicht eine falsche Berührung oder ein falsches Wort verwenden, weil sonst gleich sich die Studentenschaft zusammentut und aufsteht und auf die Barrikaden geht oder sogar dafür sorgt, dass die Lehrperson entfernt wird. Alles schon passiert. Also da denke ich mir, da ist irgendwie ein Sprung passiert, den die andere Generation gar nicht nachvollziehen kann und schon gar nicht mitgemacht hat. Ich denke, das ist jetzt auch wieder eine überschießende Sache und das wird sich dann hoffentlich irgendwann einmal einpendeln, so dass alle miteinander in einem gegenseitigen Wertschätzen und Gegenübertreten miteinander gut produktiv arbeiten können.
Fabian Burstein
Ich meine, das ist ja überhaupt ein Phänomen, dass wir von Amplituden sprechen und die Amplituden schlagen mal in die eine und in die andere Richtung aus. Und es wäre schön, wenn wir einfach einen vernünftigen Mittelweg aushandeln, mit dem wir wertschätzend und freudvoll, aber dennoch realistisch arbeiten können.
Edith Meinhart
Und ich glaube, dazu wird es irgendwann kommen, da bin ich zuversichtlich. Was es trotzdem davon abgesehen braucht, das ist eher nüchtern, nämlich institutionelle Arbeit. Wir müssen auf die Risikofaktoren für Machtmissbrauch schauen. Wo ist zu viel Macht, ohne dass noch wer draufschaut? Wo gibt es zu wenig Solidarität? Also ich kann mich erinnern, in Erl war es so, dass eine Sängerin nach einer, nach dem Übergriff einen Pianisten informiert hat und der hat ihr aber dann nicht geholfen. Und wie ich ihn später dann, ich glaube, das war 20 Jahre später, angerufen habe, hat er zumindest zugegeben, sich zu erinnern, dass die Sängerin damals sehr geweint hat, aber er hat trotzdem nichts gemacht und sie hat sich dann ein Rad ausgeborgt und ist 90 km nach Innsbruck gestrampelt, um ihren Stress loszuwerden.
Also das sind Strukturen, wenn jemand um Hilfe holt, dann muss auch wer da sein und dann muss auch was passieren. Und diese Strukturen, diese Verfahren, die muss man sich anschauen. Sonst bleiben wir immer an der einzelnen Person picken. Also sonst sagen wir, ist das richtig, lügt die, macht die das richtig? Ich glaube, Dinge kommen auch auf den Weg, wenn sie institutionell eingebettet sind. Und vielleicht ein banaler Satz, aber Macht braucht Kontrolle.
Elisabeth Kulman
Ich glaube, wenn ich das noch ergänzen darf, ich glaube, Macht braucht auch flachere Hierarchien. Wir haben besonders im Kulturbetrieb wirklich spitze Positionierungen, Machtkonzentration, wie im Beispiel von Gustav Kuhn, wo wirklich in einer Person alles konzentriert ist, flachere Hierarchien, mehr Transparenz würde helfen. Mittlerweile höre ich auch von Intimitätskoordinationen, die auf den Opernbühnen und auch im Film, glaube ich, ist das schon sehr üblich. Und im Schauspiel, wo quasi außenstehende Mediatoren vermitteln, wenn es z.B. um körperliche Berührungen und so weiter geht, die ja auf der Bühne sehr üblich sind. Da helfen Menschen, wenn die Sprache fehlt, zu koordinieren. Ich sehe das aber alles nur als Zwischenschritte und Krücken für ein Bewusstsein, das jeder Mensch individuell für sich selber entwickeln muss.
Die helfen, ein Bewusstsein zu schaffen, wie kann ich mich in Eigenverantwortung in solchen brenzligen Situationen verhalten. Das kann man trainieren.
Und da erlebe ich z.B. auch schon bei der jüngeren Generation, dass die sehr bewusst auch manipulative Spiele durchschauen. Und wir können nur helfen, dass wir das sichtbar machen, diese Manipulationen oder einfach Übergriffigkeiten. Also ein Bewusstsein ist das allerwichtigste, weil im Moment bin ich wieder alleine. Wenn ich so einer Situation ausgesetzt bin, muss ich allein entscheiden können, idealerweise gleich im Moment, wie verhalte ich mich jetzt so, dass es für mich stimmig ist. Natürlich. Da braucht es eben, glaube ich, noch ein paar Zwischenschritte, dass jeder wirklich dann so weit ist, dass er das handeln kann.
Fabian Burstein
Liebe Edith, liebe Elisabeth, Vielen Dank für diesen abermaligen Stresstest, würde ich sagen. Weil ich könnte mir vorstellen, das war auf vielen Ebenen eine sehr bewegte und herausfordernde Zeit. Es war sehr wertvoll, darüber noch einmal auch gerade ein bisschen mit dieser zeitlichen Distanz zu sprechen, auch um zu zeigen, was sich getan hat, aber wo auch nach wie vor Stillstand herrscht. Ich glaube, wir brauchen immer wieder diese historischen Einordnungen, wie ihr sie ja auch in der Dunkelkammer macht, dass man zurückblickt, um zu verstehen, wie hat sich das System insgesamt gewandelt. Es war für mich eine sehr lehrreiche, gute H. Vielen Dank für euer Vertrauen.
Edith Meinhart
Danke dir.
Fabian Burstein
Danke, dass ihr beim Bühneneingang vorbeigeschaut habt. Ich würde mich freuen, wenn ihr den Podcast abonniert, in eurem Netzwerk teilt und auf der Plattform eures Vertrauens mit fünf Sternen bewertet. Feedback und Geschichten aus dem Inneren des Kulturbetriebs sind natürlich herzlich willkommen. Schreibt mir am besten eine e Mail. Die Adresse findet ihr auf Bühneneingang mit ue. Alle Nachrichten werden natürlich streng vertraulich behandelt. Dort auf buehneneingang.at gibt's auch einen Link zu Steady.
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Autor:in:Fabian Burstein |