GANZ OFFEN GESAGT
Über den Anschlag in Graz - mit Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper

Saskia Jungnikl-Gossy spricht mit der Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper eine Woche nach dem Terror-Anschlag an einer Grazer Schule über das Entsetzen danach, kollektive Trauer, die Sprachlosigkeit und wie man als Gesellschaft besser mit Trauer umgehen kann.

Saskia Jungnikl-Gossy
Herzlich willkommen bei ganz offen gesagt. Mein Name ist Saskia Jungnikl-Gossy und ich freue mich sehr, dass ihr dabei seid. Bei einem Terroranschlag an einer Schule in Graz wurden vor einer Woche 11 Menschen ermordet. Wie geht man mit dieser Trauer und diesem Entsetzen um? Und wie begegnet man der Tat als Gesellschaft?

Darüber rede ich heute mit Mechthild Schroeter-Rupieper. Sie ist langjährige, erfahrene Familientrauerbegleiterin, Autorin und Gründerin der Familientrauerarbeit im deutschsprachigen Raum.
Herzlich willkommen, liebe Mechthild.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Ja, dankeschön. Hallo Saskia.

Saskia Jungnikl-Gossy
Liebe Mechthild, wir starten unseren Podcast immer mit einer Transparenzpassage, die besteht aus zwei Teilen. Erstens, woher wir einander kennen. Wir haben einander kennengelernt bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Tod und Trauer vor vielen, vielen Jahren. Im Kulturhaus bei Österreich. Genau. Und haben dann seither Kontakt gepflegt. Ich war mal bei dir. Du warst öfter hier. Da gleich auch noch der Transparenz halber: Wir nehmen den Podcast heute online auf, weil du in Gelsenkirchen zu Hause bist.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Genau.

Saskia Jungnikl-Gossy
Und dort arbeitest.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Genau, ich sitze hier im Lavia Haus und ich hatte tatsächlich schon vor von dir gehört durch das Buch "Papa hat sich erschossen". Und wir haben dann ja auch in Gelsenkirchen so eine Tagesveranstaltung gemacht zum Thema Suizid, wo wir in Kleingruppen gearbeitet haben. Das war einfach auch eine ganz wertvolle Sache. Deine Mutter, die da war, wo es darum ging, wenn der Partner sich das Leben genommen hat, du eine kleine Gruppe hattest, wenn der Vater sich das Leben genommen hat oder ein Elternteil. Und da erinnere ich mich auch gerne und gut dran. Genau.

Saskia Jungnikl-Gossy
Und die zweite Frage, die ich immer stelle, ist, ob du aktuell für eine Partei tätig bist?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Nein, ich bin für keine Partei tätig, aber auf jeden Fall bin ich im demokratischen Bereich ansässig. Ausrufezeichen.

Saskia Jungnikl-Gossy
Der Anlass, warum wir diese Folge heute aufnehmen, warum wir heute miteinander sprechen, ist ja kein schöner vor einer Woche wurden an einer Grazer Schule 11 Menschen erschossen. Darunter waren neun Schülerinnen und Schüler. Das ist eine Tat, wie es sie in Österreich noch nie gegeben hat. Dementsprechend groß ist das entsetzen und dementsprechend schwierig ist es auch, die richtigen Worte zu finden und auch zu wissen, wie man dieser Trauer jetzt begegnen soll. Darüber möchte ich gerne mit dir reden. Und meine erste Frage an dich ist, als du davon gehört hast, was war denn so dein erster Impuls?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Der erste Impuls war eine große Erschrockenheit. Ich bin selber Mutter von drei Kindern, Oma von einem Enkelkind. Ein Gedanke, der dann gleich an das Germanwingsunglück ging, was ja eine andere Form von Amoklauf war. Ein Anschlag auf jeden Fall. Und wo viele Schüler und Schülerinnen betroffen waren.

Saskia Jungnikl-Gossy
Und also wenn ich da kurz einwerfen darf, da geht es um den Flug, dessen Co Pilot oder Pilot mit Absicht das Flugzeug gegen einen Berg gesteuert hat. Und du betreust ja und hast betreut die Schule, wo eine Schulklasse darunter war unter den Opfern.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Genau, wir haben also mit Familien gearbeitet und wir haben Trauergruppen angeboten für die Geschwisterkinder und für die besten Freunde und Schüler und Schülerinnen. Genau. Und sind auch über den Schulsprecher damals angesprochen worden, der es weitergeleitet hat. Und im Grunde ist es so eine Serie von Gedanken gewesen. Und es war auch so, dass ich gedacht hoffentlich wird es auch in den Schulen gut bearbeitet. Hoffentlich bekommen die Leute auch Hilfe. Und auch durch Familientrauerbegleitung, die es ja in Österreich auch gibt, und nicht nur durch Therapeuten und Seelsorgende, die auch alle einen Wert haben, aber hoffentlich kommen auch Familientrauerbegleiter, Trauerbegleiterinnen zum Zug und werden gesehen in ihrer Wichtigkeit.

Saskia Jungnikl-Gossy
Bleiben wir gleich dabei. Wie ich vorher schon gesagt habe, du hast Familientrauerarbeit in Deutschland begründet, du bist Mitgründerin davon in Österreich und der Schweiz. Was ist das eigentlich?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Familientrauerbegleitung bedeutet in einem Verlust, in der Regel beim Todesfall, zu unterstützen, dass das Weiterleben gut gelingt. Im Grunde kann man das so beschreiben, wie wenn ich eine körperliche Wunde habe, dass die heilen soll. Und ich darf nicht darauf warten, dass es wieder so ist wie vorher und keine Narbe da ist, wenn es eine große Platzwunde war, sondern das Ziel ist, dass es eine Narbe gibt und nicht eine offene Wunde. Und so ist das auch im Grunde, wenn ich sage, mein Herz ist gebrochen durch diesen Verlust, durch diese Trauer, durch dieses Entsetzen, dass das wieder heilen wird. Und es darf berührbar bleiben, weil es einfach ein großer Verlust ist und auch ein Vertrauensverlust, der da plötzlich in das Leben, in die Schule reinkommt. Aber es soll wieder heilen. Es darf berührbar sein, aber es soll wieder heilen.
Und bei der Familientrauerbegleitung geht es darum, dass wir sagen, wir legen einen Wert auf die Trauerbegleitung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Und wir informieren immer wieder darüber, bei kleinen Kindern, dass die ihre Traurigkeit gar nicht so zeigen können, weil sie gar nicht begreifen, was sie verloren haben. Und man kann immer nur das betrauern, was man begriffen hat. Wir haben gestern Abend eine Elterntrauergruppe gehabt von Eltern, wo Kinder verstorben sind. Und da sagt eine Mutter jetzt nach einem Jahr, jetzt war der Todestag gewesen und ich fange jetzt erst langsam an zu begreifen, dass mein Kind wirklich nicht wiederkommt, dass mein Kind kein Abitur macht. Selbst bei Erwachsenen dauert das oft zu lange. Und bei Kindern hat das was mit der Hirnreife und der Lebenserfahrung zu tun, dass wir darüber informieren und trotzdem sagen, wir müssen die Kinder mitnehmen. Und bei Jugendlichen, dass wir nicht darauf ach, ich brauche keine Hilfe und ich rede da schon mit meinen Freunden drüber, sondern dass sie Gesprächsimpulse bekommen, dass sie Unterstützung bekommen oder es zumindest einmal ausprobieren sollen.
Und dass wir aber auch die Eltern mit ins Boot nehmen. In einer Therapie ist es in der Regel so, dass wenn Eltern können wir darüber reden, wie kann ich mein Kind unterstützen, was sagt mein Kind? Dass dann gesagt wird, das ist im Therapiebereich, das bleibt nur in diesem Raum. Wenn, dann fragen sie Ihr Kind, das wird ihnen das schon eventuell sagen. Und in der Familientrauerarbeit arbeiten wir nicht therapeutisch, sondern wir sind begleitend tätig. Und wir uns ist es auch wichtig, dass Familien miteinander ins Gespräch kommen, dass sie sich trauen, auch Trauer zuzulassen und sich nicht verstellen, sich nicht verstecken, dass Eltern nicht ich halte meine Tränen zurück, ich halte jetzt meine Angst zurück, um das meinem Kind nicht zu zeigen. Wir strahlen Angst aus, wir strahlen Traurigkeit aus.
Das sind angeborene Gefühle, die alle tatsächlich ansteckend sind und die eine viel schlimmere Wirkung haben, wenn die verdeckt eben da sind. Und darüber informieren wir. Wir nehmen aber auch den Sozialbereich mit rein, dass wir, wenn Schüler, Schülerinnen sich viel an der Schule aufhalten, dann ist wichtig, dass wir auch mit Lehrern, Lehrerinnen in Kontakt kommen, mit dem Kindergarten, dass wir Vereinen das anbieten, dass wir im Grunde mit ins soziale Umfeld halt reingehen. Genau.

Saskia Jungnikl-Gossy
Das heißt, Trauer soll nicht privat sein, was in diesem Fall ja besonders zutrifft, weil es eine Tat ist, die ja weit über den Familienverband hinausgeht, sondern das ganze Land miterschüttert hat. Genau. Das heißt, diese kollektive Trauer, was macht das?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Die kollektive Trauer, die aktiviert auch noch mal alte Trauer, die man hat. Es kann sein, dass ich vielleicht trauer um meine Mutter, die vielleicht gestorben ist, als ich 13 war. Und ich habe das kompensiert mit viel Lernen, mit ganz viel Ordnung halt, mit viel Sport machen oder vielleicht mit viel Computerspielen, vielleicht mit Alkohol. Und dann kommt plötzlich diese Trauer dazu, dieser Schreck dazu. Und dann kann es das wieder aktivieren. Und damit muss man einfach auch rechnen, dass die Menschen, die jetzt betroffen sind, nicht alle unbedingt betroffen sind, weil der Schüler oder die Schülerin, die Lehrerin gestorben ist, sondern weil die plötzlich total traurig sind, dass die eigene Mutter gestorben ist. Und wenn die Leute sagen, wie lange ist das her?
Dann sagen die vielleicht vor 10 Jahren. Und dann sagen die ja, 10 Jahre, das ist ja nicht normal. Aber es ist normal, wenn es nicht verarbeitet ist. Wenn wir wieder auf die Wunde und die Narbe gucken, wenn es nicht vernarbt ist, dann bricht das immer wieder auf. Das ist wie so ein eiterner Prozess im Grunde. Und das heißt, das Thema Trauer muss bearbeitet werden. Nicht nur diese Tat, diese schreckliche Tat, sondern Das Thema Trauer muss einfach gesellschaftlich angegangen werden.

Saskia Jungnikl-Gossy
Durch diesen Anschlag, durch diese Trauer, die so vielfältig ist. Da gibt es verschiedene Aspekte, die ich irgendwie getrennt voneinander gerne durchgehen würde. Und ich würde gerne anfangen mit diesem Entsetzen, auch dieses Surreale, das zur Realität wird. Also dass Eltern ihre Kinder an einen vermeintlich sicheren Ort schicken, der auf einmal nicht mehr sicher ist. Die kommen nicht mehr nach Hause.
Was macht das mit einem?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Man verliert Vertrauen einfach in diese Sicherheit. Ich habe gerade eine Kursteilnehmerin aus Österreich, die letzten im Online Seminar, wir sind präsent da und eben per online und die gesagt ich lebe hier in Wien, mein Sohn geht zu einem Schulschiff hin und ich habe den immer gut gehen lassen und jetzt habe ich auf einmal Sorge und hab diese Schule halt vor Augen. Und es braucht einfach Zeit. Es braucht Zeit, um wieder Vertrauen in das Leben zu bekommen. Es braucht jede h es braucht jeden Tag, wo das Kind wieder gut nach Hause kommt, um wieder darauf zu vertrauen, dass es nicht permanent eben passiert. Es macht sicherlich auch noch mal deutlich, wie wichtig Momente im Leben sind. Also dass man Leben vielleicht mehr wertschätzt, dass man vielleicht anders miteinander umgeht.
Es wird Eltern geben, die sind im Streit mit ihren Kindern auseinandergegangen. Es wird Geschwister geben, die haben noch einen Zoff gehabt, so wie das einfach bei Geschwistern auch normal ist und auch zwischen Eltern und Kindern und und wo viele jetzt denken, meine Güte, wenn das meinem Kind passiert wäre. Wir haben heute morgen nicht miteinander geredet, wir haben uns nicht verabschiedet. Ich habe noch wegen irgend so einem blöden Scheiß, sag ich mal, noch rumgemeckert.
Weil ich genervt war. Und wenn das passiert wäre und dass man vielleicht sich wieder darauf besinnt, manchmal fünf gerade sein zu lassen, ohne dass man sagt, es ist jetzt alles egal, das Leben ist zu kurz, das geht auch nicht. Genau. Aber das Wertigkeiten sich verändern dadurch.

Saskia Jungnikl-Gossy
Du hast am Anfang gesagt, als wir einander kennengelernt haben, ging es ja auch um ein Buch. Also ich habe meinen Bruder, meinen Vater sehr plötzlich verloren. Ist jetzt schon lange her. Aber der Punkt ist, dass ich damals gelernt habe, dass dieses Plötzliche, dieses Unvermittelbare den Trauerverlauf auch sehr schweren kann. Also dass die Welt heute so ist und morgen ist sie völlig anders und hat keine Möglichkeit, sich darauf einzustellen. Wie verändern sich hier dann die Bedürfnisse in der Trauer?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Dieses Plötzliche, das ist eben von jetzt auf gleich. Wenn du jetzt neben mir sitzen würdest, dann würde ich ein halbvolles Glas Wasser nehmen, was hier neben mir steht. Und ich würde sagen, weißt du, wenn ich weiß, das Glas, das kippt gleich um und das Wasser fließt über die Tastatur. Wenn ich nicht aufpasse, dann würde ich die Tastatur zur Seite stellen, das Glas zur Seite stellen. Bei diesem plötzlichen kippt es um und es läuft rüber. Das heißt, ich kann mich nicht vorbereiten. Es ist von jetzt auf gleich das, was gerade noch galt.
Und nicht nur gestern und vor einem Jahr, sondern was gerade noch galt, das gilt jetzt nicht mehr. Es ist wie ein falscher Film. Nochmal, ich habe mich um viele Dinge gar nicht gekümmert, weil man insbesondere bei jungen Menschen ja oft gar nicht nachfragt, wie sieht das aus mit Organspende, mit lebenserhaltenden Möglichkeiten, wie möchtest du bestattet werden? All diese Dinge sind oft überhaupt nicht besprochen. Wozu man die Chance hätte, wenn es eine lange Krankheit gäbe. Ja, oder man das Thema grundsätzlich aufnehmen würde. Aber im Vergleich zu einer langen Krankheit, die ja nicht besser ist, das ist einfach anders, ist dieses Plötzliche da.
Und das, was in der Trauer passiert, ist, dass man am Anfang auch funktioniert. Wenn jemand den Eltern gesagt hätte, das wird euch passieren, dann hätten die vielleicht gesagt, dann bringe ich mich auch um. Und jetzt stehen die da und ich kann mich natürlich nicht umbringen, weil das kann ich meinem Partner nicht antun, der Partnerin, den Kindern nicht antun. Und sie machen vielleicht eine ganz schöne Beerdigung und sie geben Interviews, womit sie nicht gerechnet haben, dass sie das vielleicht können. Und sie werden funktionieren erstmal. Und vielleicht nach einem Jahr werden sie merken, dass viel Energie aufgebraucht ist und dass sie so in so vielleicht auch in einen Burnout reinschlittern, wenn sie nicht aufpassen und zwischendurch auftanken. Wir können uns das so vorstellen, dass wir so einen Energietank in uns haben, wie so ein Dieseltank.
Und Dieselwagen darf man nie leer fahren, weil sonst kommt Schmierstoff in den Motor rein, dann ist der kaputt. Und im Auto, da gibt es immer diese Warnlampe, diesen Signalton, da leuchtet was auf und man weiß, okay, du kannst jetzt noch 80 km fahren, du kannst jetzt noch 3 km fahren. Und wir haben auch so eine Warnlampe, das sind Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Ängste. Und wenn wir da nicht drauf hören, uns wird leider nicht angesagt, du kannst noch drei Wochen, du kannst noch zwei Tage.

Saskia Jungnikl-Gossy
Bleiben wir gleich bei diesem Trauerverlauf, also bei dem Ausbrennen. Das, was du meinst, was ich auch gelernt habe, ist, dass Trauer ja nicht einfach verschwindet oder auf einmal endet, sondern dass sie morgen anders ist als heute und übermorgen anders als morgen. Was können wir als Gesellschaft hier tun, damit Trauernde sich sicher fühlen und damit klar ist, dass Trauer sich verändert, aber dass sie bleibt und dass sie ihren Platz hat und dass Trauernde sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, eben jetzt zu funktionieren, aber dann vielleicht in drei, vier Monaten auf einmal endlos noch trauriger zu sein oder verzweifelter zu sein, ohne dass man das Gefühl hat, jetzt darf man sich das ja eigentlich gar nicht mehr erlauben, weil das ist ja schon eine Zeit lang her.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft einfach wissen, Trauer darf sein und Trauer darf bleiben. Trauer sollte nach Möglichkeit nicht für immer den ganzen Raum einnehmen. Wir können das so ein bisschen vergleichen, wenn wir verliebt sind, dann nimmt der Gedanke, ich nehme jetzt mal, ich wäre verliebt in einen Mann, der Gedanke an ihn nimmt ganz viel Raum ein, macht Herzklopfen. Ich gucke auf mein Handy, ich schicke eine Nachricht raus und meine Kollegen werden sagen, die ist ja verrückt und ich erzähle mal wieder davon, was für ein toller Kerl das ist und so weiter. Wenn das immer so bleiben würde, dann wäre ich erstens herzinfarktgefährdet, weil dieses permanente Herzklopfen, das wird man körperlich gar nicht aushalten, aber das wäre auch nicht gut für meine Umwelt und auch nicht für mich. Und es würde kein anderer Raum da drin bekommen. Ich hätte keine Zeit mehr für Freunde, für die Arbeit und so weiter.
Und das heißt, irgendwann geht es in so ein normales Level rein, in so ein leichtes Auf und Ab geht es rein. Und manchmal schlägt es aus, wenn was passiert, wo ich dann so richtig verliebt, verknallt bin und wieder herzklopfen kriege. Das kann auch mal so in die Tiefe gehen. Und dann geht das aber wieder in leichten Wellen halt weiter, nicht auf der Nulllinie. Ich glaube, dann ist eine Beziehung gestorben. Und in der Trauer ist es auch so, dass ich am Anfang permanent daran denke und nur davon reden könnte. Und irgendwann geht es aber auch wieder in.
Ich zeige hier gerade mit der Hand so Wellenlinien immer, da geht es rein und dann kommt ein Denktag und dann schlägt es aus und dann kommt ein Duft, dann kommt ein Lied, dann kommt irgendeine Erinnerung und plötzlich ist die Trauer wieder eben präsent. Und das darf einfach sein. Und genauso wie ich jemanden für immer lieben darf und man nicht sagen darf Pass mal auf, du bist jetzt schon fünf und dreiig Jahre verheiratet, da darf mich keiner zum Therapeuten schicken und du liebst den immer noch. Das ist jetzt ja nicht mehr normal. Und genauso, wenn mein Mann stirbt oder mein Kind stirbt, dann darf man nicht das eingrenzen und hör mal, das ist jetzt schon 10 Jahre her oder dreiig Jahre her und du bist immer noch traurig, wenn der Gedenktag kommt. Das darf für immer traurig sein. Aber es darf auch anderes in meinem Kopf Platz haben zum Denken und in meinem Herzen zu fühlen.
Das ist einfach wichtig. Aber wir dürfen Trauer nicht ausreden. Denn wenn wir das machen, dann machen wir was kaputt. Trauer hat was mit Liebe zu tun. Ich trauere nur um den oder das, was ich von Herzen liebe. Und im Grunde müsste ich die Liebe zerstören, was ja schwer möglich ist. Damit zerstöre ich im Grunde den Menschen, um die Trauer wegzunehmen.
Manchmal kommen Leute hin und mechtel, weißt du, am liebsten, wenn wir das ich gehe jetzt hier gleich raus und lass die Trauer hier bei dir. Und ich ah, OK. Und jetzt stell dir vor, du stehst draußen und du bist nicht mehr traurig. Und dann überlegen die kurz und dann sagen das geht ja gar nicht. Weil damit müsste ich diesen Menschen vergessen. Das Problem ist, in unserer Gesellschaft und eigentlich in fast allen Gesellschaften ist es so, wir werden von klein an dazu erzogen, nicht traurig zu sein. Wir sollen stark sein.
Und da wird stark mit hart verwechselt. Wenn mein Kind sterben, eins meiner Kinder sterben würde und ich würde es den anderen gegenüber versuchen, stark zu sein, in Anführungszeichen, um nicht zu weinen, dann werde ich eigentlich eine Zähnezusammenbeisserin. Ja, ich reiße mich zusammen. Und Stärke bedeutet eigentlich, Trauer zuzulassen, aber auch wieder andere Sachen in den Vordergrund kommen zu lassen. Wenn ich traurig bin, bedeutet das nicht, dass ich gleichzeitig an allem die Lebenslust verliere. Das mag vorübergehend zwischendurch sein, aber nicht dauerhaft. Wenn meine Mutter stirbt und ein Enkelkind wird geboren, dann überschattet das das Ereignis.
Aber es macht nicht die Freude um das Enkelkind weg. Und gleichzeitig macht aber auch die Geburt vom Enkelkind und die Freude, nicht die Trauer der Mutter weg. Und es können Dinge nebeneinander existieren, die aber einen unterschiedlichen Raum in meinem Herzen haben. Und das reguliert sich hoffentlich irgendwann so, dass es für mich gut aushaltbar ist oder auch gut ist, dass es sozialverträglich ist. Und ja, und was Gesellschaft wissen muss, ist einfach, wir dürfen nicht die Trauer ausreden. Wir dürfen nicht zu Menschen hingehen und und alles wieder gut. Oder auch wie schön, du lachst ja schon wieder.
Wir können lachen, auch wenn wir traurig sind.

Saskia Jungnikl-Gossy
Ich glaube, das ist auch so etwas, dass man man darf auch glücklich sein und sich über etwas freuen. Und es nimmt einem nicht. Also es darf alles nebeneinander existieren. Das ist auch manchmal hat man das Gefühl, man kann sich doch jetzt nicht freuen, weil eigentlich trauert man ja, aber ich habe es eher anders dann erlebt. Es ist schön, wenn es Atempausen gibt in der Trauer, weil du vorher gesagt hast, die Zähne zusammenbeißen und so. Jetzt geht es in diesem Fall ja sehr stark um Kinder und Jugendliche, weil die die Zielgruppe waren. Und da ist schon wichtig, dass Eltern ihren Kindern dann zeigen, Trauer ist in Ordnung.
Oder wie kann man Kindern, wie kann man Kindern helfen in ihrer Trauer und sie nicht überfordern?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Indem man die Trauer bestätigt, wenn sie die äußern, die Geschwisterkinder, die Freunde z.B. auch. Aber auch grundsätzlich beim Trauerfall, indem man Trauer bestätigt. Eine Gefühlsäußerung braucht in der Regel eine Bestätigung. Und dass man dann guckt, was kann dir denn jetzt gut tun? Vielleicht tut es einfach nur gut, dass die Mama ach, komm mal her, ich bin auch so traurig. Und man weint zusammen.
Vielleicht tut es gut, zum Friedhof hinzugehen. Vielleicht tut es gut, aber auch ein Eis essen zu gehen oder einen Brief zu schreiben, Musik zu hören. Und das muss man einfach rausfinden. Es kann sein, dass die Mutter sagt, ich höre dann die Musik, die mein Kind immer gehört hat, weil dann kann ich weinen, das tut mir gut. Und der Vater ich setze mich aufs Fahrrad und ich muss einfach fahren, fahren, fahren, fahren, bis ich merke, mein Kopf ist wieder frei. Und das Kind muss einfach Fußball spielen gehen, weil ihm das gut tut und hat vielleicht auch Glück, wenn der Trainer, die Trainerin mit ihm auch darüber spricht. Oder einfach ich habe davon gehört, das tut mir fest leid.
Oder dass einfach gesagt wird und du weißt ja immer, wenn was ist, kannst du zu mir hinkommen. Und dass der Trainer, die Trainerin das auch immer wieder sagen. Das ist auch das grundsätzlich für die Gesellschaft, dass immer und immer wieder diese Bereitschaft benannt werden kann. Es muss sich immer gefragt und wie geht es dir heute? Wobei die und wie geht es dir heute? Oder wie geht es dir im Moment? Besser ist wie die große und wie geht's dir?
Dann weiß man gar nicht, auf welcher Ebene soll ich denn antworten? Die Dana hat damals nach dem Geringsunglück gesagt, ihr Bruder ist gestorben. Da hat sie so geht es mir gut und Schule läuft auch gut. Aber wenn die Leute jetzt glauben, dass wegen meinem Bruder alles wieder gut ist, dann stimmt das ja gar nicht. Und sie hatte immer das Gefühl, egal was sie sagt, das ist nicht die Wahrheit. Und das kennst du wahrscheinlich auch, ne?

Saskia Jungnikl-Gossy
Ja, ja, interessant.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Und dass man konkretere Fragen stellt. Und was einfach wichtig ist, ist, dass man auch noch nach Monaten, nach Monaten Hilfe anbietet und nachfragt. Vielleicht dann, wenn erstmal wirklich zu Bewusstsein kommt, mein Kind kommt wirklich nicht wieder. Mein Bruder, meine Schwester, meine beste Freundin. Auch die Freunde und Freundinnen, die dürfen nicht übersehen werden. Die haben damals nach dem Germanwingsunglück am Anfang das Gefühl gehabt, sie dürfen nicht in die Trauergruppe kommen. Sie haben nicht das Recht dazu, weil sie sind ja nur Freunde und Freundin.
Aber ich habe Geschwister und ich habe meine Geschwister gerne. Aber ich habe eindeutig mit meinen Freunden und Freundinnen über intimere Sachen gesprochen oder akutere Sachen mehr gesprochen wie mit meinen Geschwistern in vielen Situationen.

Saskia Jungnikl-Gossy
Außerdem ist hier auch interessant, das, was du am Anfang gesagt hast, nämlich, dass solche schockierenden Ereignisse ja auch Traumata bei uns selbst wieder aufwärmen können. Das heißt, das betrifft jetzt quasi nicht nur Menschen, die unmittelbar davon betroffen sind, sondern auch, das kann ja auch scheinbar Unbetroffene sein, die aber vor, sagen wir einem halben Jahr überraschend ihr Kind verloren haben, einen Elternteil verloren haben, wo das wieder aufgewärmt ist. Die kann man ja auch fragen. Also ist ja eben nicht so festzumachen an Ereignissen und Plätzen und Zeit.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Ja, ich denke, die Gefahr ist einfach auch, dass, weil das etwas Mediales auch noch mal ist, dass das, ich sag jetzt mal, wie die besseren Toten sind oder die besseren Trauernden oder die, die es am schlimmsten haben, die am meisten Blick bekommen dafür. Und es wird die trauernden Menschen geben, die sind dankbar dafür, die möchten gern gesehen werden, die möchten gern von ihrem Kind erzählen, auch medial. Das würden viele Eltern auch machen, deren Kind aber nicht gesehen wird, weil das still und leise, ohne Aufsehen gestorben ist. Und es wird aber auch die Eltern geben, die möchten dieses Mediale gar nicht. Und die werden einfach mit reingezogen. Da wird es Todesanzeigen vielleicht geben, eine ganze Seite, wo alle Namen draufstehen und wo man vielleicht im ersten Jahr, ja, ja, das ist gut. Und im zweiten Jahr möchten das einige nicht mehr und andere wollen das.
Und jetzt überlegt man vielleicht auch als Elternteil, aber wenn ich jetzt den Namen von meinem Kind nicht draufsetze, ich möchte das nicht dann denken, aber ich habe mein Kind schon vergessen. Das kann einfach auch so schwierig sein. Es kann auch so schwierig sein, dass jetzt gesagt wird, das, was da passiert ist, die Eltern, die werden nie mehr des Lebens froh, weil man halt immer wieder damit konfrontiert ist. Und das Ziel auch von Trauerbegleitung ist doch, dass man des Lebens wieder froh werden kann. Aber es wird anders sein. Es wird hoffentlich ein anderes Gut sein, ein anderes froh sein wird es vermutlich sein. Es wird eine andere Wehmut, eine andere Traurigkeit mitschwingen.
Aber das Ziel ist, egal was passiert ist, dass es wieder lebenswert wird und dass Menschen das andere nicht einreden dürfen, dass es nie wieder gut geht.

Saskia Jungnikl-Gossy
Ja, ich glaube, das war für mich einer der erleichterndsten Dinge, als ich begriffen habe, also man arbeitet daran, dass alles wieder so ist wie vorher. Und dann kommt man irgendwann drauf, das wird nicht mehr so sein. Und dann zu begreifen, dass es aber anders sein kann und trotzdem ein schönes Leben. Das war sehr erleichternd für mich damals.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Und sicherlich auch eine Erlaubnis, weil es gibt eben auch Menschen, die schämen sich dafür, dass sie lachen und sagen, wie kann ich lachen? Mein Kind ist tot oder mein Mann ist tot oder wie kann ich mich auf den Urlaub freuen? Und die vielleicht auch glauben, solange es weh tut, liebe ich noch. Aber dann wird Liebe mit Schmerz verwechselt. Das kann im Anfang einfach so wehtun. Und es ist so wie die offene Wunde wieder und die Narbe, die Narbe, die berührbar ist, die empfindlich ist, da wo Menschen manchmal sagen, es ist ein Wetterwechsel und meine Narbe schmerzt so aber nicht, die blutet wieder, jetzt altert sie wieder, ich habe eine Blutvergiftung. Das dürfen wir immer wieder so übertragen. Und genau, ich finde es einfach wichtig, das, was du gerade auch noch mal gesagt hast oder was wir beide gesagt haben, dass Trauer aktiviert wird, dass wir sicherlich aktuell bei diesem schlimmen Drama sind, bei diesem entsetzlichen einfach sind, aber dass wir immer wieder den Blick weiten und auch zu den Nachbarn rüber gucken, wo der alte Vater gestorben ist und wo das Kind in der Schwangerschaft gestorben ist und wo einfach auch Trauer da ist, wo es Trauerüberscheidung gibt und wo es Trauer wegen Flucht gibt.
Und es gibt so viel Trauer und Trauer funktioniert immer gleich. Trauer sagt, ich komme nur zum Vorschein, wenn einer gestorben ist, sondern Trauer wird immer dann aktiviert, wenn Trauer gebraucht wird. Und es kann nicht gut werden, ohne dass wir Trauer zulassen. Und es geht halt immer um das Maß. Immer wenn zu viel oder zu wenig davor steht, dann müssen wir gucken, ob was reguliert werden muss.

Saskia Jungnikl-Gossy
Ab wann findest du denn, sollte man sagen, man braucht professionelle Hilfe und Unterstützung?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Also grundsätzlich glaube ich einfach, dass wenn ein plötzlicher Tod da ist oder eben auch, wenn eine sehr lange erschwerende Krankheit da war, wenn Vater oder Mutter jung sterben oder wenn Kinder versterben, dann glaube ich, dass es im Familiensystem Unterstützung braucht. Und an der Stelle sage ich erstmal von Trauerbegleitung, insbesondere Familientrauerbegleitung. Und da gibt es auch tatsächlich in Österreich etliche. Ich bilde da schon seit vielen Jahren in Niederösterreich aus und auch die Ecke Kohl bildet aus und es mag noch weitere geben, aber im Familientrauerbereich gibt es welche, an die man sich wenden kann. Auf der Homepage von mir findet man Adressen, auch unter Kontakte.

Saskia Jungnikl-Gossy
Ich werde deine Website und auch die Daten in die Show Notes geben. Also für sie.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Ganz genau. Okay, okay.
Also erstmal denke ich, kann Familientrauerbegleitung sehr unterstützend sein, wenn man nach einem Jahr merkt oder vielleicht auch schon eher, es wird immer schlimmer und schlimmer und immer unerträglicher, es gibt massive Schlafstörungen oder es werden einfach Schwierigkeiten aus dem Leben vorher aktiviert, dass man dann schauen kann, braucht es vielleicht eine Therapie. Manchmal ist es so, dass ein Todesfall plötzlich deutlich macht, ich hätte schon viel eher Hilfe haben müssen und der Todesfall das einfach aufzeigt und man vorher schon eine Therapie hätte haben müssen, weil man nicht gelernt hat, mit Gefühlen umzugehen und das vielleicht auch durch Trauerbegleitung nicht mehr machbar ist. Aber grundsätzlich würde ich mit Trauerbegleitung erstmal anfangen. Und Trauerbegleitung kann auch wirksam sein, dass gar nicht ein Trauma entsteht, sondern dass man lernt, mit schweren Sachen umzugehen, dass man immer wieder guckt, was kann mir helfen, wenn es mir schlecht geht, dass ich auch andere Trauernde kennenlerne und auch Beispiele bekomme, wie geht es denen? Ach, denen geht es auch so ähnlich wie mir. Das ist auch so hilfreich, diesen Austausch unter Trauernden zu haben. Es ist so hilfreich, Kinder Trauergruppen zu haben, Jugendtrauergruppen zu haben oder auch Elterntrauergruppen zu haben.

Saskia Jungnikl-Gossy
Es geht vor allem auch darum, glaube ich, dass man jemanden hat, mit dem man reden kann, mit dem man sprechen kann. Du arbeitest in deiner Arbeit viel mit Sprache, aber auch mit Schweigen. Wie wichtig ist es in der Trauer, gute Worte zu finden, richtige Worte zu finden? Und wie wichtig ist es einfach, da zu sein?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Da sein ist ganz wichtig. Aushalten ist ganz wichtig. Frauen, Menschen entschuldigen sich ganz häufig dafür, dass sie weinen. Und Entschuldigung, ich muss schon wieder weinen. Und ich dein Kind ist tot und du darfst weinen. Also in welcher Gesellschaft sind wir, wo wir uns dafür entschuldigen, dass wir weinen, wenn unser Kind tot ist oder jemand anderes gestorben ist? Dieses Aushalten ist wichtig. Und erklären.
Ich erkläre ganz viel. Ich erkläre über das Trauermodell, eins, was ich entwickelt habe, aber auch andere Traumodelle, die es gibt, um aufzuzeigen, wie funktioniert das eben? Was passiert in der Trauer? Worauf kann ich achten? Woran kann ich mich orientieren? Trauermodelle sind zum Orientieren einfach auch noch mal da. Und das ist einfach wichtig, das zu erklären, mit Symbolen zu arbeiten, mit Sprache, eindeutig, aber eben auch mit Symbolen.
Weil manchmal brauche ich noch mal so ein Bild dabei, so wie ich das von dem gebrochenen Herz vorhin erklärt habe. Ja, so, dass man ein Herz durchbrechen kann. Und wenn man das umdreht, hält man zwei Tränen in der Hand. Immer wenn das Herz bricht, weil ich was Liebes verliere, kommt Traurigkeit bei raus, mit oder ohne Tränen. Und es kann aber wieder zusammenwachsen. Oder dass wir einen Handschuh haben und diesen Handschuh als Körper nehmen und sagen, das ist der Körper, den ich bei der Entstehung bekommen habe. Und die Hand nehme und sage, das ist das Leben oder die Seele oder Energie, je nachdem, wie ich es nenne.
Und bei meiner Entstehung geht das Leben in den Körper rein. Und wenn ich sterbe, egal wie und egal wann, geht das Leben oder die Energie oder die Seele wieder raus. Und zurück bleibt der Körper. Der Körper, der beerdigt wird, der verbrannt werden darf. Aber ich denke immer, Energie oder Seele kann man nicht verbrennen. Und da für sich vielleicht wieder zu überlegen, glaube ich, es gibt einen Ort dafür. Und kann es der Himmel sein?
Oder ist es manche ein Stern oder eine Wiedergeburt? Ist es der Himmel und gleichzeitig auch mein Herz? Sich mit diesen Gedanken auseinanderzusetzen, zu gucken, wie kann ich in Hoffnung kommen? Das ist einfach so wichtig.
Und tätig zu sein. Wir machen mit Kindern z.b. so Wunschblumen, dass man eine Papierblume ausschneidet aus Tonpapier und in die Mitte der Blume schreibt man was liebes rein. Oder man malt ein Symbol vielleicht für eine Entschuldigung da rein, weil man oh, ich wollte gerne noch was sagen, und dann ging das nicht mehr. Und dann faltet man die Blütenblätter in der Mitte zusammen. Oder zu Weihnachten kann man das mit Stern machen, und dann legt man das ins Wasser und dann geht das wie eine Seerose, geht das ganz langsam auf. Und wo wir sagen, und wusch, steigt das nach oben raus.
Und dass wir auch versuchen, über Symbole Gefühle auszudrücken, da wo Worte manchmal nicht gehen. Ja, aber so wie du auch sagst, auch wenn ich jetzt gerade viel rede, aber dass man eben auch schweigen aushalten kann, weil der andere auch einfach Zeit braucht, was sacken zu lassen, auch noch mal zu überlegen, was sage ich? Oder ich bedenke noch mal das, was ich gerade gehört habe. Wir brauchen einfach Zeit. Wir brauchen Zeit in der Trauer.

Saskia Jungnikl-Gossy
Ich glaube, das ist für Begleitende von Trauernden oft sehr schwierig, dieses einfach aushalten. Also aushalten und da sein, weil wir wollen natürlich helfen, wir wollen was sagen, was alles besser macht. Und das funktioniert halt nicht in der Trauer. Wie kann ich damit umgehen als Begleitende in einer Trauersituation?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Indem ich mir selber auch eine Auszeit nehme. Und dass ich selber als Begleitende, und da meine ich jetzt gar nicht mal die Trauerbegleitenden, die haben ja in der Ausbildung, dass eben auch, dass sie noch mal lernen, mit eigenen Verlusten umzugehen, damit sie nicht ihre Verluste auf andere übertragen. Aber dass, wenn ich jetzt Freundin bin oder Nachbarin, Verwandte, dass ich auch noch mal schaue, was löst das in mir aus? Warum kann ich die Traurigkeit von dem anderen nicht aushalten? Traurigkeit ist ansteckend. Und das kann bei mir auch meine Trauer wieder aktivieren. Vielleicht gibt es bei mir auch etwas, was ich beweinen muss.
Das darf ich machen und ich darf mir nicht verbieten und ach, meins ist ja nicht so schlimm. Meine Mutter, die war ja schon über 90. Das ist ja kein Vergleich dazu, wo ein Kind mit 17 stirbt. Sondern wenn ich noch Traurigkeitsreste in mir habe, dürfen die auch rausgeweint werden oder rausgeschrieben werden. Die dürfen erzählt werden. Wenn ich begleite, dann sollte natürlich meine Geschichte nicht einen größeren Raum einnehmen wie der von den anderen. Aber ich darf das natürlich auch benennen, weil genauso entstehen ja auch Gespräche.
Auch wenn ich, ich kenne es so ähnlich, auch wenn es bei mir unterschiedlich war oder die Trauer eine andere war, weil meine Mutter eine Erlösung hatte. Aber so kann ich ja auch immer wieder im Gespräch bleiben. Aber dass es nicht darum geht, dass ich es dem anderen gut mache, das ist oft die große Gefahr, auch innerhalb der Familie. Man möchte so gerne haben, dass es der Mama wieder gut geht, dass es dem Papa gut geht, dass es den Kindern gut geht. Und wir können es, ich kann es dir, Saskia, nicht wieder gut machen, sondern ich kann dich unterstützen, dass Dinge wieder gut werden können. Und du musst deinen Teil dazu tun, dass du möchtest, dass es auch wieder gut wird. Diese Bereitschaft brauche ich es ja auch.
Und es braucht die Zeit einfach noch dabei. Und es ist vermessen, wenn ich glaube, ich komme jetzt dahin und ich muss es dir jetzt gut machen, damit werde ich dich nur belasten und mich selber quälen, sondern einfach zu wissen, es ist gut, da zu sein und es ist auch gut, zwischendurch wieder zu gehen, weil ich als Angehörige, Zugehörige brauche auch wieder eine Pause von dieser Traurigkeit. Ich muss auch wieder auftanken und für mich sein. Und ich darf dem Trauernden auch ruhig die Trauer da lassen. Es ist nicht meine Aufgabe, die mitzunehmen, dass ich gehe und aber jetzt ist doch wieder gut und du musst jetzt auch nicht weinen.

Saskia Jungnikl-Gossy
Wie wichtig ist denn überhaupt diese unterschiedlichen Gefühle? Also wenn man muss ja irgendwie begreifen, dass Trauer ist ja nicht ein Gefühl, sondern da ist ja Wut, Enttäuschung, Sehnsucht, Verzweiflung, Liebe. Wie wichtig ist das für Trauernde, dass sie diese Gefühle alle haben dürfen und dass sie sie alle auch anprobieren dürfen?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Das ist wichtig. Also wir haben ja diese Gefühle alle mitbekommen. Wir haben das sind ja Talente, die wir mitbekommen haben und die wir unterschiedlich einsetzen können. Und ich darf sie einsetzen. Und wenn die da sind, dann muss ich mich nicht schämen, dass ich jetzt plötzlich wütend bin auf denjenigen, der gestorben ist, weil ich ja dann auch so denke, oh Gott, weißt du, ich bin vielleicht wütend und denke, was musstest du auch in dem Moment da sein? Und dann schäme ich mich dafür, weil ich denke, ja, wo sollte er denn sonst sein? Ich wollte ja haben, dass er in die Schule geht.
So ja, aber sonst hat er öfter geschwänzt und ausgerechnet heute muss er da sein. So und dann mischt sich auf einmal so Wut und Scham und Traurigkeit. Und ich fühle mich plötzlich ganz schlecht, dass ich solche Gedanken habe und dass ich einfach weiß, nein, es ist diese Vielfalt der Gefühle. Es ist ein Gefühlschaos, was da ist. Viele Menschen haben solche extremen Gefühle und solche extremen Verluste noch nie erlebt. Deswegen ist das gar nicht vergleichbar mit anderen Sachen auch und dass sie einfach da sein dürfen. Aber ich habe auch eine Mutter erlebt, die hat Mecht, ich habe die Wut noch nicht gehabt.
Und die hat gedacht, sie brauch noch die Wut, damit alles gut wird. Und nein, das muss nicht da sein. Es muss kein Schuldgefühl oder ein Schuldgedanke da sein. Es muss keine Scham da sein, aber wenn es da ist, dann wird es einen Grund dafür geben. Und solange ich nicht mich und nicht andere verletzte, darf das einfach da sein. Solange das nicht zu viel und zu lange den Raum einnimmt, ja, darf das da sein.

Saskia Jungnikl-Gossy
Kommen wir noch mal kurz zu den Kindern oder wenn ich als Erwachsener, als Elternteil mit meinem Kind darüber rede und damit umgehe, wann muss ich misstrauisch werden, wenn das Kind keines meiner Angebote annimmt, ich das Gefühl habe, es redet nicht darüber. Also wie, was sind so Alarmsignale und worauf sollte ich achten.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Wenn sich das Kind total zurückzieht und gar nicht mehr reden mag? Das ist natürlich schwierig, wenn es gerade sowieso schon Pubertät ist. Pubertät bringt schon so viele Probleme mit. Da braucht man nicht noch einen toten Bruder oder irgendjemand anderen nahen Toten. Von daher ist es dann manchmal ein bisschen schwierig, das auseinanderzuhalten. Dann wäre es aber wichtig, wenn man eine erwachsene Vertrauensperson hat, die vielleicht in der Zeit mit dem Jugendlichen anders reden kann und mehr Zugang hat. Vielleicht ein Pate oder eine befreundete Familie oder so.
Also wenn sich jemand total zurückzieht oder wenn jemand so einen extremen Wandel hat und sagt, jetzt feiere ich nur noch, jetzt mache ich nur noch Party. Wir haben einen jungen Mann bei uns, der hat gesagt, ich habe gemerkt, das Leben kann so kurz sein. Und der ist ganz viel auf Droge gewesen, der ist ganz viel unterwegs gewesen und ist dann im Grunde in so eine Panikattacke reingeschlittert und hat dann angefangen, erstmal die Trauer zuzulassen und nicht zu unterdrücken, wenn jemand total angepasst ist, so der Sonnenschein der Familie oder wenn jemand plötzlich eine Partnerrolle übernimmt, obwohl es noch ein Kind, ein Jugendlicher, ein junger Erwachsener ist, dass man da einfach einen Blick drauf hat und auf jeden Fall Hilfsangebote macht. Und wir erleben das hier, dass die Jugendlichen, die zu uns kommen, dass die fast alle, ich behaupte mal zu 90 % sind die nicht freiwillig hier. Und die Eltern haben die gesagt, ich wünsche mir, dass du einmal dahin gehst und danach darfst du entscheiden, ob das was ist oder nicht. Aber du kannst dich nicht dagegen entscheiden, wenn du es nicht kennengelernt hast. Und dann sitzen Jugendliche manchmal da und ich bin gezwungen worden.
Und dann sage ja, und dafür kannst du einfach dankbar sein, solange deine Eltern dich nicht permanent zwingen. Aber wenn sie einmal probier es einmal und guck, dann kannst du dich dafür dagegen entscheiden. Und das sind Jugendliche, die auch Glück haben. Und wenn Eltern ihre Kinder fragen, auch kleine Kinder, möchtest du da hingehen? Kinder wissen ja gar nicht um den Wert, die wissen gar nicht um die Bedeutung. Die wissen gar nicht, was auf sie zukommt. Die denken vielleicht, sie werden da zum Weinen gebracht und deswegen sollen sie es einmal kennenlernen.
Und das ist wichtig, so ein Angebot zu machen. Auch wir erleben, dass Jugendliche am Anfang dann vielleicht auch ich brauche das eigentlich nicht, ich habe meine Freunde. Und dann merken die aber nach der Zeit, dass ihre Freunde da gar nicht mehr dran denken oder eine andere Betroffenheit haben und dass sie dann sagen, ich würde vielleicht doch noch mal dahin gehen. Und sie gehen lieber zu einer Stelle hin, die sie schon mal kennengelernt haben, wie wenn sie gar nicht wissen, wo sie andocken können in so einem Moment. Oder ich sag mal auch eigentlich im dümmsten Falle, dass sie vielleicht eben auch bei einem Psychologen landen, der Trauerarbeit aber nicht gelernt hat im Studium und dann vielleicht den Trauernden auf eine Depression behandelt. Aber eine Depression ist eine Erkrankung, die nach Möglichkeit weg soll, während Trauer bleiben darf und keine Erkrankung ist. Man kann krank werden, wenn man Trauer nicht zulässt.
Ich kann depressiv werden, wenn ich Trauer nicht zulasse. Und das ist übrigens kein Psychologen Bashing. Psychologen sind auch einfach so wichtig an so vielen Stellen. Aber für Trauer, da gibt es eben Menschen, die sind wirklich dafür gut weitergebildet, um da zu unterstützen.

Saskia Jungnikl-Gossy
Trauer kann oft einsam machen, eben weil man das Gefühl hat, alle anderen entwickeln sich. Also als Schülerin jetzt z.b. als Schüler, man hat das Gefühl, alle entwickeln sich irgendwie weiter, sind in Gedanken schon wieder ganz anders. Man selber verharrt noch in dieser Trauer, in dieser Sehnsucht. Wie durchbreche ich das? Was kann ich tun?
Wo gehe ich hin? Oder wie finde ich Worte einmal, um da auszubrechen?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Genau so wie das sagst, fällt mir ein, es gibt ein Bilderbuch, da heißt es ich bin Emil und ich bin ein zurückgebliebener. Ich bin nicht so zurückgeblieben, dass ich nicht richtig denken kann. Ich bin zurückgeblieben, weil mein Vater gestorben ist. Und im Grunde ist es so ein bisschen so, wenn ich meine beiden Beine nehme und sage, mit dem einen beIN bin ich stehen geblieben, das kann doch nicht wahr sein. Die Welt dreht sich weiter und für mich ist es gerade stehen geblieben. Ich weiß gar nicht mehr, das, was gestern noch galt, das gilt ja schon für morgen überhaupt nicht mehr und jetzt gerade auch nicht mehr. Das heißt, das eine beIN steht gerade und mit dem anderen beIN bin ich aber einen Schritt weiter als alle anderen, weil ich plötzlich durch diese Verlust eine Erfahrung mache.
Wenn ich als Jähriger meinen Bruder verliere durch den Tod, das haben manche Menschen mit 50 Jahren noch nicht erlebt. Das heißt, ich bin auf der einen Seite weiter und auf der anderen Seite bin ich so wie stehen geblieben und es zerreißt ein Jahr quasi. Und ich sehe aber äußerlich genauso aus. Das heißt, auch meine Schulkollegen, Kolleginnen, die merken, irgendwie ist die anders. Die sieht so aus wie vorher, aber die ist anders, die macht nicht mehr so viel mit, die ist nicht mehr so lustig vielleicht. Und auf der anderen Seite ist sie vielleicht überheblich überlegen. Helena, eine Jugendliche, hat damals vor uns gesagt, ich bin ein besserer Mensch geworden, dadurch, dass Papa gestorben ist und dadurch, dass ich Trauerarbeit gemacht habe.
Und dann lacht sie und ich bin nicht besser als andere, aber ich kann mich schneller entschuldigen, ich heul nicht. Warum? Weil mir ein Fingernagel abbricht. Ja, und so diese Sachen muss ich aber erstmal für mich entdecken, dass das was mit einer Veränderung in mir zu tun hat. Übrigens hat Helena später mir zugeschickt vom abgebrochenen Fingernagel und hat gesagt, ich bin so froh, dass ich jetzt auch wieder darüber traurig sein kann. Was auch noch mal so zeigt, dass die Trauer um den Papa sich verändert hat und andere Traurigkeiten auch wieder einen Raum bekommen, andere Fröhlichkeiten. Aber es ist einfach wichtig, dass ich als trauernder Jugendliche, als trauernde Jugendliche weiter zur Schule gehe, dass ich versuche, Normalität in meinen Alltag reinzubringen und gleichzeitig gnädig mit mir bin und hoffentlich auch Lehrer und Lehrerinnen habe, die einen Blick darauf haben und dass auch Freunde und Freundinnen mit reingenommen werden, dass sie auch Informationen bekommen, was passiert eigentlich bei der Traurigkeit.
Freunde und Freundinnen, die sind oft so wichtig an der Seite. Und was mir wirklich noch mal ganz, ganz wichtig ist, gerade weil es in einer Schule passiert ist, gerade weil wir damals nach dem Germanwingsunglück das auch an der Schule erlebt haben, es braucht Weiterbildung für Lehrer. Und die braucht es nicht nur in den Schulen, die braucht es schon im Studium. Lehrer lernen es nicht, nicht in Deutschland, nicht in Österreich, nicht in der Schweiz. Erzieher, erzieherinnen lernen es zu 90 % nicht, nur wenn sie Glück haben mit einem Lehrer, einer Lehrerin. Und da muss sich einfach was verändern. Und es ist so wichtig, dass nicht nur Rituale gemacht werden.
Ich sage mal, dass jetzt vielleicht an der Schule nicht nur Bäume gepflanzt werden für die verstorbenen Schüler und Schülerinnen und die Lehrerin, sondern dass man, wenn man jetzt z.b. so ein Gedenkritual machen würde, sondern dass man einen Baum mehr pflanzt und sagt und dieser Baum steht symbolisch für all die Schülern, Schülerinnen und Lehrer und Lehrerinnen, die schon vorher gestorben sind und die noch sterben werden. Damit wir auch da wieder nicht die Vorzeige verstorbenen haben, sondern sagen, das ist der Anlass gewesen und das ist so eine große Traurigkeit. Und da müssen wir hingucken. Und dass man Trauer einfach in den Blick nimmt. Denn Menschen, die Trauer unterdrücken, die können zu Mobbern werden und die können zu Mobbingopfern werden. Menschen, die Trauer unterdrücken, werden schwächer.
Ich habe gestern noch einen Häftling bei mir gehabt, der war 13, als die Mutter gestorben ist, und da hat die Trauer so unterdrückt. Der ist jetzt 29 Jahre alt, sitzt in Haft und merkt da, wo er auf einmal wenig Ablenkung hat, wie die Traurigkeit in ihm hochkommt. Und ich erkläre ihm gestern was zur Trauer und er sitzt da und holt andauernd immer tief Luft und man merkt, wie ihm die Tränen hochkommen. Und er sagt ich verstehe, jetzt erkenne ich plötzlich was von mir wieder. Und wie Viele Menschen würden auch nicht Konsum betreiben mit Drogen und Alkohol, würden nicht kriminell werden, würden nicht straffällig werden, würden nicht zum Mörder werden, wenn man lernen würde, mit Gefühlen anders umzugehen.

Saskia Jungnikl-Gossy
Wenn sie das Gefühl hätten, sie sind in einem sicheren Rahmen, wo man darüber sprechen kann.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Ja, ganz genau.

Saskia Jungnikl-Gossy
Und sich öffnen kann. Die Lehrerinnen und Lehrer, ich glaube, die hatten ein paar harte Tage in der vergangenen Woche, nicht nur an der Schule in Graz, sondern in ganz Österreich, weil das natürlich ein Thema ist, das unter jugendlichen Schülerinnen und Schülern für Entsetzen sorgt. Was brauchen Lehrerinnen und Lehrer jetzt, damit sie einerseits mit ihrer eigenen Trauer klarkommen können und andererseits aber eben ihre ihre Schützlinge gut begleiten können?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Lehrer und Lehrerin, die brauchen Austausch miteinander. Wie gehst du in der Klasse damit um? Welche Fragen fürchte ich, die vielleicht auf mich zukommen? Oder auf welche Frage habe ich keine Antwort gewusst? Lehrer und Lehrerinnen haben manchmal, sage ich mal, diese berufliche Problematik, dass sie glauben, sie müssten immer alles wissen und sie dürfen einfach auch das weiß ich selber nicht, ich frag da mal jemanden oder auf diese Frage wird es vielleicht niemals eine Antwort geben, aber wir dürfen hier nach Antworten suchen. Die brauchen Austausch miteinander, die brauchen das Angebot, dass sie sich an jemanden wenden können, wo sie selber Hilfe bekommen. Im Grunde wäre es, ich sag mal, es wäre wertvoll, Trauerbegleitung, Familientrauerbegleitung in die Schulen zu holen, in die Lehrerkollegien reinzuholen und das nicht nur für betroffene Lehrer zu machen und nicht nur für die Religionslehrer und lehrerinnen, sondern fürs ganze Kollegium.
Und das wäre einfach wichtig, dass es geöffnet wird und dass nicht ein Direktorium jetzt muss, aber auch mal wieder gut sein. Und das passiert an ganz vielen Schulen. Jetzt muss auch wieder gut sein, oder? Zum Glück ist das bei uns nicht passiert. In Deutschland haben die Lehrerkollegien jetzt nach und nach angefangen, hier und da eine Weiterbildung zu machen. Aber es kann auch einfach nur in unserem Umfeld hier so sein, weil es einfach präsenter ist. Und deswegen, Saskia hilft das auch, so einen Podcast dazu zu machen, dass man es einfach präsent macht, dass auch Eltern wir wünschen uns von unserer Schule, dass das gemacht wird.
Wir wünschen den Lehrern, dass sie Hilfe bekommen und dass sie aber auch unseren Kindern helfen können. Aber was es auch braucht, ist eben, dass Eltern sich damit beschäftigen, dass sie Bücher dazu lesen, dass sie Veranstaltungen besuchen, weil wir sind alle groß geworden, dass gesagt worden sei doch nicht so traurig, jetzt reiß dich mal zusammen, es muss doch wieder gut sein. Und so ein furchtbares Unglück, wenn das nicht genutzt wird, ist ein falsches Wort. Aber wenn man da nicht anfängt, spätestens da anfängt, auch über den Umgang mit Trauer zu reden, dann ist es noch dramatischer einfach.

Saskia Jungnikl-Gossy
Weißt du, ist es auch gerade bei so in dieser Entwicklungsphase, also bei Jugendlichen, eine andere Massivität, weil der Begriff von Endlichkeit ist ja da auch noch ein anderer. Der Begriff von Zeit ist ein ganz anderer. Wenn man erwachsen ist, dann weiß man, es gibt die Krise und man hat schon ein bisschen mehr Vertrauen darin, dass man Krisen durchstehen kann. Aber in dieser heiklen Zeit, so als Teenager, macht das auch einen Unterschied.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Sicherlich. Der Sinn des Lebens wird in Frage gestellt. Und dazu kommen die Krisen. Da kommt der Klimawandel zu, da kommen politische Richtungen dazu, da kommen die Kriege dazu. All solche Sachen, die sowieso doch schon leben, verunsichern. Und dann hast du aber doch deine Basis. Du hast doch deine Familie, wo dir nichts passiert, hoffentlich die Schule, wo du hingehst, wo nichts passiert.
Und plötzlich ist auch dieser sichere Ort beschädigt worden. Und für alle da ist einmal so ein Riss so durchgegangen. Und deswegen braucht es immer wieder die Besinnung drauf. Und das habe ich mitbekommen, dass es einige Schulen in Österreich auch gemacht haben, dass sie auch noch mal geguckt haben, wie gehen wir innerhalb der Klassengemeinschaft miteinander um? Und was tut mir gut, wenn es mir schlecht geht? Und es ist so wichtig, auch dahin zu gucken, was macht das Leben lebenswert? Weil im Augenblick ist so vieles einfach überschattet.
Und es gibt nicht nur Schatten, sondern es gibt auch Sonne dabei. Und dass wir auch immer wieder so eine Sonnenseite suchen. Und gar nicht, um schön zu reden. Aber wir dürfen nicht auch Opfer von dem Täter werden, indem dadurch unser Vertrauen schwindet. Wir dürfen uns nicht zum Opfer machen und anbieten, indem wir unsere Hoffnung verlieren, sondern immer wieder schauen, was tut mir gut, was tut dir gut? Womit kann ich jemanden lächeln, herzaubern? So was kann ich machen, dass zumindest meine kleine Welt um mich herum lebenswert einfach ist und wieder vertrauter wird.

Saskia Jungnikl-Gossy
Wie kann man aufeinander schauen?

Mechthild Schroeter-Rupieper
Ja, genau.

Saskia Jungnikl-Gossy
Mechtil, du arbeitest gern mit Ritualen. Kannst du uns noch ein paar Beispiele oder ein Beispiel nehmen? Was wäre denn noch ein schönes, gutes Ritual? Ein kleines, großes in der Trauerarbeit, jetzt auch in Bezug auf kollektiver Trauer.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Was ja gerne gemacht wird, das ist eben Kerzen anzünden oder dass man eben sich verabredet und sagt, zu verschiedenen Zeiten zünden wir Kerzen an. Das kann ja auch einfach länderübergreifend sein. Ein Ritual, was ich auch mag, ist, dass man viele bunte Bänder hat, die so 10 cm lang sind.
Baumwollbänder, bunte Bänder. Und dass man dann überlegt, welche Farbe suche ich für den Verstorbenen aus, um ihm ein Gedenken rüberzuschicken. Und ich suche erstmal eine Farbe raus. Die Farbe kann was mit demjenigen zu tun haben, vielleicht verbunden mit dem Fußballverein oder verbunden mit einer Lieblingskleidung oder mit einem Gefühl, was ich in mir habe für denjenigen. Und dann mache ich Knoten dieses Band rein. Ich überlege, was möchte ich ihm so gerne noch sagen? Ich mache einen Knoten rein.
Wofür bin ich total dankbar? Was ist eine Lächelgeschichte, wo ich jetzt schon grinsen muss, wenn ich nur dran denke. Knoten dafür rein. Vielleicht möchte ich auch noch mal das tut mir leid und mach dafür einen Knoten rein. Und dass ich dann einen Baum oder einen Strauch suche, wo ich dieses Band reinknüpfe und darauf vertraue, dass der Wind die Gedanken, die da drin reingeknüpft sind, dahin trägt, wo es diesen Menschen erreichen soll einfach. Und das könnten wir hier in Deutschland jetzt gerade für Graz machen oder für alle Menschen, die traurig sind. Das kann ich gezielt für jemanden machen.
Das wäre ein Ritual, was man kollektiv auch machen könnte. Man könnte kollektiv auch ich pflanze eine Blumenzwiebel ein und wir machen das vielleicht kollektiv zu einer bestimmten Zeit. Und Jahr für Jahr blüht diese Blume immer wieder auf und zeigt uns immer wieder, da verblüht etwas, da vergeht etwas. Aber die Hoffnung darauf, dass im kommenden Jahr wieder was rausblüht und wächst, ist einfach da. Und das ganze immer wieder ohne schönreden. Ja, das ganze ohne schönreden. Oder dass wir mit unseren Kinder oder Jugendgruppen, manchmal auch mit den Erwachsenen, so Saatkugeln machen.
Und wir nehmen Blumensamen und überlegen welcher Blumensamen passt dazu und welche guten Eigenschaften hat dieser Mensch gehabt. Und wir suchen zu diesen guten Eigenschaften, die weiter wachsen sollen, die dürften noch nicht sterben mit dem Tod, sondern die sollen weiter wachsen, suchen wir verschiedene Blumensamen aus und geben die in diese Saatkugel rein, um die dann an Orten auszupflanzen, wo wir denken, da braucht es ein bisschen von der Musikalität, die derjenige hatte. Oder hier stehen an der Bushaltestelle die Leute immer so rum und gucken so griesgrämig. Noch ein bisschen mehr Fröhlichkeit von dem, der gestorben ist. Clownerie oder so. Ich setze das mal hier neben die Bushaltestelle oder ich bringe es zum Grab hin oder pflanze es in der Nähe von der Schule oder bei mir zu Hause im Garten, dass man solche Verbindungen einfach knüpfen kann.

Saskia Jungnikl-Gossy
Danke, liebe Mechthild, für das schöne Gespräch.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Gerne. Das gern.

Saskia Jungnikl-Gossy
Wenn ihr euch jetzt mehr für die Arbeit von Mechthild interessiert, dann kann ich euch erstens all ihre Bücher schwer ans Herz legen und euch ihren Podcast empfehlen. Der heißt todesmutig und ist überall zu hören, wo es Podcasts gibt.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Ja, und dann möchte ich direkt ergänzen. Im Herbst, im Oktober erscheint das Buch ich bin todesmutig. Das ist ein Buch, wo man selber reinschreiben kann, wo eigene Gedanken reingeschrieben werden können wir Impulse geben, der Benny Bordig und ich, die wir den Podcast machen. Und es erscheint auch ein Familientrauer Kalender, ein immerwährender, der Anregungen gibt, sich mit Trauer auseinanderzusetzen. Und zudem findet man auf meiner Homepage unter Kontakte auch trauerbegleitende Familientrauer begleitende in Österreich.

Saskia Jungnikl-Gossy
Wie gesagt, die Infos stelle ich euch alle noch in die Shownotes. Danke fürs Zuhören bei ganz offen gesagt. Bis zum nächsten Mal.

Mechthild Schroeter-Rupieper
Ciao und Tschüss. Danke.

Saskia Jungnikl-Gossy
Das war die heutige Folge von ganz offen gesagt. Wir freuen uns, wenn ihr unseren Podcast abonniert und weiterempfehlt, uns auf Twitter, Facebook oder Instagram Feedback gebt und uns in euren Podcast Apps mit fünf Sternen bewertet. Ihr könnt uns auch sehr gerne per E Mail eure Meinung sagen unter redaktionganzoffengesagt at.

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Saskia Jungnikl-Gossy

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