Ganz Offen Gesagt
Über Israel und Palästina - mit Harry Bergmann

Stefan Kaltenbrunner spricht mit dem österreichisch-israelischen Publizisten Harry Bergmann über den Gaza-Krieg, wachsenden Antisemitismus in Europa und das Gefühl vieler Juden, von der Welt im Stich gelassen zu werden. Bergmann beschreibt die historische und emotionale Komplexität des israelisch-palästinensischen Konflikts und warnt vor einer Verhärtung der Fronten. Trotz aller Skepsis sieht er Hoffnung in einer möglichen politischen Neuordnung der Region.

Harry Bergmann
Das lebensbejahende Schlusswort fällt mir schwer im Moment und es fällt mir doppelt schwer, weil wenn ich sag, ich rede ja für Israel zum einen, aber auch für die Juden außerhalb von Israel. Ich glaube, dass es für Israel irgendwann einmal doch vielleicht jetzt möglich sein wird irgendwie zumindest die Situation zu beruhigen. Und ich mache mir jetzt mehr Sorgen für die Juden außerhalb von Israel. Und da fällt mir im Moment wirklich nicht ein, weil mir die Vorstellungskraft fehlt, wie man diesen Geist, der da aus der Flasche draußen ist, wieder in diese Flasche hineinbringt. Ich kann es mir nicht vorstellen.

Stefan Kaltenbrunner
Herzlich willkommen bei ganz offen gesagt, dem Podcast für Politikinteressierte. Mein Name ist Stefan Kaltenbrunner. Mein heutiger Gast ist Harry Bergmann, ehemaliger Geschäftsführer von der Werbeagentur Demner, Merlicek und Bergmann. Wir sprechen heute über Israel, über den Gaza Krieg, über einen möglichen Frieden und über den grassierenden Antisemitismus in Europa.

Ich darf jetzt herzlich Harry Bergmann begrüßen. Ich darf dich kurz vorstellen. Du bist eine Werbeikone in Österreich, warst langjähriger Eigentümer der Agentur Demner, Merlicek und Bergmann und arbeitest heute journalistisch als Autor, unter anderem für den Falter, wo du eine sehr erfolgreiche Kolumne mit dem Namen Loge 17 hast.

Aus Transparenzgründen müssen wir unsere Beziehung kurz schildern. Wir kennen uns seit ein paar Jahren. Du hast bei einem Buch mitgemacht, das ich damals mit Erwin Jabour geschrieben habe. Wir stehen in keiner geschäftlichen Beziehung, sondern haben eine lose Bekanntschaft. Wenn ich dich bitten darf, dass du kurz schilderst oder erörterst, ob du bei irgendeiner Partei oder Organisation derzeit tätig bist.

Harry Bergmann
Nein, bin ich nicht. Das kann ich ganz kurz schildern, weil ich bin nirgends tätig. Ich war früher in der Agentur, haben wir zum Teil für Ministerien gearbeitet und dann auch für den dann werdenden Bundeskanzler Werner Faymann gearbeitet. Aber das war eigentlich meine einzige Berührung mit mit der Beratungstätigkeit für politische Parteien.

Stefan Kaltenbrunner
Dann hätten wir das geklärt. Harry, du bist in Israel geboren, du pendelst mittlerweile zwischen Israel und Wien hin und her. In den letzten zwei Jahren ist natürlich viel passiert, seit dem 7. Oktober mit dem grausamen Massaker der Hamas, wo über 1200 Israelis ermordet worden sind. Wir haben jetzt seit einer Woche einen Waffenstillstand. Sehr brüchig. Ich möchte mit einem kleinen Gedankenexperiment beginnen. Stellen wir uns vor, ein Außerirdischer kommt auf dieser Welt, auf die Welt und hat keine Ahnung von dem Nahostkonflikt von Israel, von Gaza und auch von der Rezeption im Westen. Wie würdest du diesen Konflikt in ein paar Sätzen erklären?

Harry Bergmann
Also erstens würde ich mir mal empfehlen, wieder zurückfliegen, wo er herkommt.

Stefan Kaltenbrunner
Kommt drauf auf an wo.

Harry Bergmann
Zweitens würde ich versuchen, ich weiß nicht wie viel tausend Jahre zurückzugehen, um zu erklären, wer dort sich sozusagen angesiedelt hat in der Gegend. Und dann wird man langsam draufkommen, dass zuerst die Juden dort waren und dann viel später auch die Araber. Und das ist dann um dieses kleine Fleckchen Erde, das nicht größer ist wie Niederösterreich. Das ist ja überhaupt das Erstaunlichste an der Sache, weil jeder sieht und hört und liest ständig was von Israel. Und da die meisten eh nicht genau wissen, wo das ist und wie das ist und wer dort lebt und wer dort nicht lebt, ist es immer wieder interessant, wenn man sagt, du weißt eh, das ist nicht größer als Niederösterreich. Und hat einfach die Bedeutung dadurch, dass es Judenverfolgungen in all den Jahrhunderten gegeben hat und dass dann irgendwann einmal ein Staat dort entstanden ist, wo die Juden zum ersten Mal sozusagen ein eigenes Staatsgebet hatten. Und das war wichtig, insbesondere nach dem Holocaust, dass jeder Jude wusste, es gibt da drüben einen sicheren Hafen für den Fall, dass er einen sicheren Hafen braucht. Und der Staat wurde 48 gegründet und natürlich befand sich auf dem Land befanden sich Juden, aber natürlich auch Araber und rundherum waren auch Araber. Und dann ging es eigentlich mit der Staatsgründung schon los. Israel ist, glaube ich, von vier Seiten, fünf Seiten, vier Seiten angegriffen worden und seitdem dann sind viele der Araber geflüchtet, die dort gelebt haben. Später hat es dann geheißen, sie sind vertrieben worden. Die Wahrheit war, sie haben Angst gehabt, dort zu bleiben und sind einfach sozusagen weggegangen.

Und ja, seit damals gibt es diese Auseinandersetzung, wie viel davon sollen die Juden haben von dem Stück Land und wie viel davon sollen die Araber haben? Und die Hamas hat dann eingeführt ein neues Konzept insofern, als dass sie gesagt haben, from the river to the sea. Also das heißt uns gehört hier alles und ihr müsst hier weg. Und das ist in den Nutshell dieser Konflikt. Natürlich ist er hundertmal komplizierter, wie ich ihm jetzt geschildert hab. Aber das ist der Grund. Da gibt es ein Land, das von zweien beansprucht wird und da das Land sehr klein ist, gibt es Reibereien.

Stefan Kaltenbrunner
Jetzt stellt sich die Frage, warum Israel weltweit so triggert.

Harry Bergmann
Das würde ich gerne selber wissen.

Stefan Kaltenbrunner
Was ist deine Vermutung?

Harry Bergmann
Meine Vermutung ist, und das ist aber immer wahnsinnig schwer zu argumentieren, weil jeder sagt, Nein, das bin ich nicht. Ich glaube schon, dass es viel, dass es viel mit einem unerklärlichen Hass auf Juden zu tun hat, der in den verschiedensten Gestalten und Verkleidungen über all die Jahrhunderte aufgetreten ist. Und jetzt gibt es eine neue Verkleidung. Und diese Verkleidung ist sozusagen, Nein, ich bin kein Antisemit, ich bin nur, ich habe nur was gegen Israel. Und dann wird nicht einmal mehr unterschieden zwischen Israel und der Regierung Israels. Und dadurch ist das so eine Projektionsfläche irgendwie geworden, weil es ist ja völlig absurd, völlig absurd, dass dieser Konflikt plötzlich einen Flächenbrand an Antisemitismus wieder ausgelöst hat. Und ich sehe das so, als dass es jetzt auch eine Möglichkeit gibt, diesen Judenhass, der ja meistens nicht einmal, wenn du jemanden fragst, naja, warum hassen sie eigentlich Juden? Dann kommen irgendwelche Plattitüden oder da wird irgendwas nachgeplappert, was einer vorher schon nachgeplappert hat und das kann man jetzt irgendwie ausleben.

Und wenn du dir anschaust, es ist eine Projektionsfläche. Es ist so wie, ich weiß nicht, es ist so wie Friday for Future und dann #metoo und dann Black Lives Matter und dann. Es finden sich immer so-

Stefan Kaltenbrunner
Events.

Harry Bergmann
Hm?

Stefan Kaltenbrunner
Events.

Harry Bergmann
Ja, es finden sich immer solche, ich weiß nicht, wie man das nennen soll, so eine Arena mit unterschiedlichen Titeln, aber irgendwo finden sich dann immer wieder die gleichen Besucher in dieser Arena wieder und es wird halt gegrölt und geschrien und gemacht. Und meistens ist ja das Anliegen dieser Foren oder dieser Veranstaltungen ist ja in Ordnung. Es ist ja auch in Ordnung, eine pro palästinensische Demo zu machen. Es sind nur nicht pro palästinensische Demos. Es geht ihnen nicht um Palästina. Es geht ihnen zu protestieren gegen Israel, weil wenn es ihnen um pro Palästina zum Beispiel gehen würde, dann müssten ja jetzt Freudenfeiern dort stattfinden, weil man kann jetzt darüber streiten, wie erfolgversprechend das ist, was da jetzt passiert. Aber immerhin bist du einen Schritt näher gekommen einem Free Palestine, als du es vorher warst. Also wenn ich dann wirklich durch die Straßen gezogen bin und geschrieben hab Free Palestine, müsste ich mich ja eigentlich jetzt freuen. Aber du hörst nichts. Null.

Stefan Kaltenbrunner
Ich würde gerne beim Antisemitismus noch bleiben. Da gibt es immer wieder den Vorwurf und die Kritik, dass man sagt, ja, die Israelis verwenden die Antisemitismuskeule. Immer wenn Kritik am Krieg in Gaza artikuliert wird, ist da nicht ein Stückchen Wahrheit dahinter, dass man zum Teil berechtigt oder nicht berechtigte Kritik immer gleich mit Antisemitismus vermischt?

Harry Bergmann
Ich glaube, das ist ein Reflex auf beiden Seiten. Erstens einmal, Israel-Kritik ist in Ordnung, oder sagen wir, Kritik an der israelischen Regierung ist in meinen Augen in Ordnung. Und dann gibt es eben diese eine Grenze und die ist wahnsinnig schwer zu definieren. Ich weiß, es gibt wahnsinnig viele Schlagworte, wie man das definieren kann. Aber dann gibt es diese Grenze, ab wann eine Israelkritik nicht mehr sozusagen zulässig ist, sondern dann schon in antisemitische Muster hineinfällt.

Stefan Kaltenbrunner
Wo ist diese Grenze?

Harry Bergmann
Das ist eben der Streit ist wo verläuft diese Grenze? Das ist wie in Israel, wo soll die Grenze verlaufen? Natürlich eine der Möglichkeiten, diese Grenze zu erkennen, ist die völlige Dämonisierung von Israel. Und es gibt noch andere Dinge. Es ist aber nur, es will keiner zuhören. Und es ist, warum ich das sage, dass das ein Reflex auf beiden Seiten ist. Ich war da jetzt vor kurzem bei einer Diskussion im Fernsehen und da sagte eine der Diskussionsteilnehmerinnen, nachdem sie irgendetwas gegen Israel gesagt hat oder gegen die Politik Israels gesagt hat, hat sie sofort hinzugefügt, Aber bitte, ich bin keine Antisemitin. Jetzt löst das bei mir wiederum den Reflex aus. Wenn einer sofort bitte, ich bin keine Antisemitin, denke ich, na, dann bist du erst recht eine Antisemitin. Also das ist so ein Spiel mit was ist schon wieder antisemitisch und was ist noch nicht antisemitisch? Es ist… Da gehören vielleicht Leute her, die das präziser formulieren können, aber das ist auch die große Schwierigkeit für mich, in diesem ganzen Diskurs mitzumachen, weil man mir dann sofort irgendwie um die Ohren haut, naja, die Juden, die sind schon wieder angriert.

Entschuldige. Und ich fange meistens alle Diskussionen mit folgenden Zweifel Ich merke das, ich will das gar nicht, aber irgendwie kommt das so aus meinem Mund heraus. Die erste Standortbestimmung von mir selbst ist, dass ich sage, ich bin ein Kind von Holocaust Überlebenden und die zweite Standortbestimmung ist, dass ich sage, ich bin zwar in Israel geboren, aber ich verachte viel an der derzeitigen israelischen Politik. Das sage ich, um damit irgendwie zu sagen, wo ich stehe in der ganzen Sache. Aber es hilft nichts.

Stefan Kaltenbrunner
Ja, aber das sagen zum Beispiel Demonstranten, die im Internet sehr laut sind und sehr stark gegen Israel auftreten, dass man das eine mit dem anderen nicht verbinden sollte, dass man immer den Holocaust, Antisemitismus und den Krieg in Gaza, dass man das gesondert oder getrennt betrachten muss und dass es da keine Vermischung geben kann. Umgekehrt im Umkehrschluss die Frage, die kann man gegen Israel und den Gaza Krieg demonstrieren über die Vorgehensweise. Man kann das sehen, wie man möchte, ohne dass man sich den Vorwand permanent gefallen lassen muss, dass das mit Antisemitismus zu tun hat.

Harry Bergmann
Schwierig, aber es ist sicher möglich. Es ist sicher möglich. Ich finde auch vieles so schlecht an dem, was da in Gaza passiert ist und ich tue mir wiederum schwer, dass, obwohl ich es immer wieder tue. Aber gleichzeitig habe ich immer Angst, dass ich plötzlich zum Kronzeugen werde für die, die dann sagen, Naja, schau, die sagen es ja selber, dass es nicht okay ist, was da oder gelinde gesagt, nicht okay ist, was da passiert. Aber ja, ich verstehe auch, dass jemand, der Israel kritisieren will, auch eine Schwierigkeit hat, das so zu machen, dass er nicht gleich hinein rennt in die Auschwitz Keule.

Stefan Kaltenbrunner
Aber trotzdem noch die Frage, wenn man sich die Proteste anschaut, die haben auf den Unis begonnen im Internet, ist das unfassbar. So ein richtiger Tsunami. Also den Informationskrieg hat Israel schon längst verloren auf TikTok und Instagram, wie sie alle heißen, Kunstuniversitäten, linke Gruppierungen etc. also you name it. Kannst du dir erklären, warum diese Welle sich da aufgebaut hat die letzten zwei Jahre und in dermaßen einer Größenordnung über die ganze Welt schwappt, was man in einem anderen Konflikt noch nie gesehen hat in dieser Art und Weise?

Harry Bergmann
Ehrlich gesagt, ich kann es mir eben nicht erklären. Ich stehe sozusagen da und bin ja auf der Seite der Betroffenen und ich weiß nicht, wie das passiert ist. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was diesen Konflikt über alle anderen Konflikte gestellt hat, die, ich weiß nicht, ich glaube, sowas hat es überhaupt noch nie gegeben.

Stefan Kaltenbrunner
Vietnamkrieg vielleicht.

Harry Bergmann
Vielleicht.

Stefan Kaltenbrunner
Aber nicht in der Größenordnung.

Harry Bergmann
Aber auch nur. Aber nicht nicht einmal der.

Stefan Kaltenbrunner
Zum Beispiel jetzt Russland Ukraine, ganz Wien keine Demonstrationen. Unmittelbar vor unserer Haustür.

Harry Bergmann
Das ist ja sogar so, dass Russland Ukraine in den Hintergrund getreten ist. Jetzt ist es wieder da, weil die beiden miteinander telefonieren und sich irgendwas ausmachen. Aber das ist ja, ich verstehe es überhaupt nicht.

Stefan Kaltenbrunner
Ich war vor wenigen Wochen in Berlin und habe mir da so eine Palästinenser Demo angesehen und bin da nur gestanden und bin dann relativ aggressiv von den Teilnehmern gebeten worden, diese Veranstaltung zu verlassen, obwohl ich dort nichts gemacht habe. Und ich habe da gemerkt, dass eine absolute Grundaggressivität drinnen ist. Also ich habe dann kurz ein bisschen diskutiert, ohne dass ich, also journalistisch gefragt. Ich bin dann sofort beschimpft worden als Zionistenhure, als Genozidbefürworter, als Mittäter. Und was mich so überrascht hat, war diese unfassbare Wucht von Argumenten, wo ich mir gedacht habe, es gibt keine Einordnung mehr, keine Grauzonen mehr, es ist nur mehr ein Schwarz- oder Weißdenken. Und ich war da sehr überrascht darüber.

Wie empfindest du das? Also diese Argumentation, die nur einen Feind kennt oder einen Täter kennt und das ist Israel und keine Grauzone mehr gemacht wird, auch auf den Hintergrund. Wir sprechen von der Hamas, einer Terrororganisation, die die eigene Bevölkerung, was ja das Absurde an der ganzen Diskussion ist, die zwei Millionen Leute in Geiselhaft hält, seit mehreren Jahrzehnten fast schon und die Leute als Schutzschild missbraucht. Also dass auf der einen Seite das wird völlig ausgeblendet, das ist keine Diskussion und kein Thema, auf der anderen Seite nur der Täter genannt wird. Verstehst du das?

Harry Bergmann
Schau ich - nein, verstehen tue ich es nicht. Ich muss es sozusagen zur Kenntnis nehmen. Und ich bin insofern auch ein Leidtragender, weil ich versuche darüber zu reden und immer wieder nach kurzer Zeit merke, dass ich einfach, ich bin der Massenmörder. Ich bin derjenige, der Palästinenser verhungern lässt in Gaza. Ich bin derjenige, der ein Freiluftgefängnis dort errichtet habe. Ich bin, ich ziehe alle, wenn du auch nur irgendetwas sagst, also ich kann es ja nur von meiner Warte sehen, ich ziehe dann alle Sperre auf mich sozusagen und ich kann eigentlich gar nicht mehr argumentieren. Es wird auch immer schwieriger und ich habe mir auch, ich habe in den letzten zwei Jahren immer wieder darüber geschrieben und geschrieben und geschrieben, geschrieben und geschrieben. Und ich habe mir gedacht in letzter Zeit, ich hör auf, es hat keinen Sinn, weil ich komme auch nicht weiter mit meinen Argumenten und ich würde auch jederzeit in eine Diskussion kommen, wo mir jemand, wenn er mir vernünftig erklärt, was er an meinen Argumenten nicht OK findet und wir darüber in Ruhe reden könnten, würde ich es ja machen. Aber man kann nicht mehr in Ruhe darüber reden. Und wie immer ich es auch versuche anzufassen, immer habe ich das Gefühl, nein, ist falsch. Vielleicht hätte ich jetzt doch das sagen sollen. Nein, vielleicht hätte ich jetzt doch das schreiben sollen. Es ist egal. Es ist wirklich egal.

Stefan Kaltenbrunner
Wenn ich mit Leuten spreche, kommt auch öfters der Vorwurf, dass man nicht das Gefühl hätte, dass die Israelis große Empathie mit Palästinensern hätten, sondern nur ich-bezogen dieses Land sehen. Wie würdest du darauf antworten?

Harry Bergmann
Also schau, es ist so. Was die meisten Leute nicht nachvollziehen können und höchstwahrscheinlich auch nicht einmal nachvollziehen ziehen wollen, ist die Tatsache, dass wenn du über Israel redest und über die israelische Bevölkerung redest, dass du von einem Land redest, das seit seiner Gründung permanent im Krieg ist, mehrere Fronten sozusagen in diesem Krieg haben.

Das heißt, wenn du in Israel lebst, bist du ständig im Krieg, weil wenn gerade kein Krieg ist, dann sind Terroranschläge, was für dich als Bewohner von Israel auch kein großer Unterschied ist, ob jetzt eine Rakete von den Houthis da irgendwo einschlägt oder ob irgendein Bus in die Luft geht, auch das ist Krieg, also. Und dann wird einfach unterschätzt, was das mit Menschen macht, Was macht das mit Menschen, die permanent im Krieg sind? Und das kann gar niemand beurteilen. Die einzige Anklage, die ich hätte, ist, dass sich auch niemand wirklich die Frage stellt, wie würde ich in der Situation sein? Und ich habe viele Freunde, die von ganz links Friedensaktivisten, besonders liberale Menschen, die in Israel leben und wenn ich mit denen rede, denke ich, puh, da verhärtet sich auch alles langsam, weil es einfach, weil es das mit den Menschen macht, nehme ich an.

Und natürlich ist dann, wenn du dann Bilder siehst, wie die Geißeln verschleppt worden sind nach Gaza und dort siehst du, wie die sogenannte friedliche Zivilbevölkerung herumtanzt um die gerade vergewaltigten Frauen und du siehst ja nicht links nach rechts. Du hast ja immer nur, so ist ja unser Leben, du siehst immer nur den Bildausschnitt, den man dir liefert. Und dann denkst du dir auch, was, die da drüben, die hass- alle von denen hassen uns, also politisch sind wir isoliert. Dann siehst du ja nicht, dass die politische Isolation natürlich auch selbst gemacht ist durch die Politik Israels. Aber auch die, die wirklich demonstrieren. Ich war ja auch etliche, etliche Male gegen Netanjahu und die Regierung demonstrieren in Tel Aviv, aber selbst die werden langsam leiser. Was jetzt vielleicht nicht, was die Netanjahu Politik betrifft, aber was betrifft die, dass sie jetzt ein großes friedliebendes Gefühl den Palästinensern gegenüber haben. Gibt immer noch welche, aber die sind wirklich toll, weil die stehen zu ihren Dingen. Und weißt du, wenn dann auch noch so Dinge sind wie der Überfall der Hamas am 7. Oktober, der ist ja in, da waren ja Kibbutzim dort an der Grenze und viele der viele der Hingeschlachteten waren ja Friedensaktivisten, Friedensbewegung, die waren ja, also ich meine, dann denkst du dir was? Also es ist diese Verhärtung eines permanenten Zustands des Krieges.

Stefan Kaltenbrunner
Aber vielleicht hat es auch damit zu tun, dass dieser Kontrast zu extrem ist. Auf der einen Seite aus der Tel Aviv, wo jetzt das Leben wieder ganz normal läuft, wo die Leute am Strand sind und wenige Kilometer davon sind nicht hunderte Kilometer, sondern nur wenige Kilometer, also zehn Minuten mit dem Auto wird permanent bombardiert und sterben dort jeden Tag Leute. Vielleicht ist es dieser Kontrast, der auch schwer verständlich ist in Europa oder in den USA, dass man diese unterschiedlichen Bilder sieht. Ist das vielleicht eine Erklärung, dass man auch deshalb so sehr diesen Konflikt beobachtet?

Harry Bergmann
Ja, aber wie meinst du, dass man sozusagen den den Bewohnern Tel Avivs vorwirft, ihr sitzt so im Kaffeehaus und ihr macht Party und ihr macht das und ihr geht gut essen und ihr liegt am Strand, während ihr zur gleichen Zeit die Palästinenser verhungern lässt. Ich weiß gar nicht, ob das so, ob das so ein präsentes Bild ist.

Ich weiß es nicht. Faktum ist, dass, dass Tel Aviv und Jerusalem höchstwahrscheinlich zwei völlig verschiedene Länder sind. Das eine ist die Hauptstadt der säkulären Liberalen und das andere ist die Hauptstadt der Orthodoxie und der Nationalisten. Und das ist ja auch diese Geschichte, wo nicht nur dass Israel, das ist so vielen Zerreißproben ausgesetzt, dieses kleine Land. Es ist eher Wunder, dass das noch irgendwie zusammenhält, weil es ist ja nicht nur die Zerreißprobe von draußen, sondern es ist ja auch innerhalb.

Stefan Kaltenbrunner
Dazu möchte ich später noch kommen. Eine Frage noch, Wie wird das in der israelischen Gesellschaft aufgenommen, diese Kritik oder diesen weltweiten Widerstand gegen dieses Land? Also wie wird das intern, wenn du in Tel Aviv mit deinen Freunden sprichst oder Bekannten und Verwandten? Also was sagen die dazu?

Harry Bergmann
Naja, die fühlen sich von der Welt verlassen. Und wenn du dich von der Welt verlassen fühlst und auch von den Weltorganisationen verlassen fühlst, dann kommst du irgendwann zu dem Punkt, jetzt auf gut Wienerisch, ist mir wurscht, was die reden, die reden eh schlecht über uns. Na dann können wir ja gleich auf was soll man da Rücksicht nehmen? Und das ist deshalb schlecht, weil dann natürlich eine Politik wie sie Netanjahu und seine seine, ich sage immer seine rechts-rechten Spießgesellen dort, die findet dann natürlich einen guten Nährboden, weil wenn du der Meinung bist, es ist eh wurscht, wie die Welt über mich redet, dann ist es nur mehr ein kleiner Schritt zu sagen, Naja, da machts eh alles richtig. Ich meine, die Welt verurteilt ihn, also die Welt verurteilt uns auch, also passen wir eh gut zusammen, dann Netanjahu und wir. Das ist der Nachteil von dieser Geschichte. Und ich weiß wirklich nicht, wann man, wie man ich bin davon überzeugt, dass diese Politik ein Ende haben wird.

Wenn du mich jetzt fragst, wann, weiß ich nicht. Es gibt Wahlen 26. Ich bin nur überzeugt davon, dass wenn man diese Politik beenden will, dass man auf die Wahlen warten muss, weil das ist noch das Einzige, auch wenn einem das keiner mehr glaubt. Aber es ist eine Demokratie und eine Demokratie kann die Machthaber nur über Wahlen oder sollte es nur über Wahlen sozusagen beenden, Regierungen oder ja.

Stefan Kaltenbrunner
Wenn wir nach Europa gehen und nach Österreich. Wie nehmen Juden in Europa oder in Österreich das auf diese Welle an Kritik und Ablehnung?

Harry Bergmann
Naja, du darfst eins nicht vergessen, Juden in Europa oder in Österreich sind zum ersten Mal konfrontiert mit Antisemitismus und dann erst mit der Situation in Israel. Es ist ja so, dass oft große… Schon so viele Interviews gehört, wo man Leute, die Juden in der Diaspora oder hier in Österreich auch befragt hat nach Israel. Und dann bist du plötzlich in einer Situation, wo du kommentieren sollst, die israelische Politik. Warum eigentlich, frage ich mich. Es kommen auch meistens dann ganz seltsame Interviewblüten dabei heraus, aber wir sind mit einer Welle von Antisemitismus konfrontiert, die wir, also ich in meinem Leben nie hatte.

Stefan Kaltenbrunner
Kannst du erklären, wie du das wahrnimmst?

Harry Bergmann
Ich bin ein, ich glaube, ich bin insofern ein Privilegierter, weil ich habe immer in Österreich gelebt. Ich bin als Dreijähriger nach Österreich gekommen und habe eigentlich mein Leben lang hier gelebt und das war eigentlich alles wunderbar und ich war erfolgreich und ich war sozusagen, wenn du so willst, ein Teil der österreichischen Gesellschaft. Und das hat mich bewahrt davor, dass man mich irgendwie direkt sozusagen mit Antisemitismus konfrontiert hat. Manchmal während meiner Zeit, meiner beruflichen Zeit, habe ich schon irgendwie so in Zwischentönen habe ich mir schon gedacht, Na was mache ich jetzt, wenn der oder die jetzt weiterredet und sich anfängt über Juden zu alterieren, weil das ist dann blöd, weil das ist ein Kunde und was mache ich dann jetzt. Stehe ich auf oder sage ich was oder gehe? Es ist dann immer so unterschwellig geblieben, dass ich so machen konnte, wie wenn ich nichts gemerkt hätte. Also da hat man sich so irgendwie so durchgeschummelt durch solche Situationen, aber es waren schon oft welche da in dem Sinne.

Stefan Kaltenbrunner
Aber das hat sich jetzt verändert die letzten zwei, drei Jahre.

Harry Bergmann
Na jetzt, jetzt kriege ich. Ich kriege den Antisemitismus eigentlich hauptsächlich dadurch mit, dass ich schreibe und dass ich dann unglaubliche Posts und Mails bekommen.

Stefan Kaltenbrunner
Steht da drinnen zum Beispiel?

Harry Bergmann
Naja, steht drinnen, dass ich mich. Also das ist diese berühmte, Wenn es Ihnen nicht passt, warum, dann gehen Sie auch runter. Es steht drinnen, ich werde als Jude angeklagt für Dinge, die die israelische Regierung tut. Und da hilft es mir nicht einmal, wenn ich sage ja, ich bin gegen die israelische Region. Nein, Jude Dings. Also fasst du aus. Also ich fasse es jetzt aus über und zum Teil auch Bedrohungen. Also so.

Stefan Kaltenbrunner
Du wirst bedroht?

Harry Bergmann
Ja.

Stefan Kaltenbrunner
Aber wie ist die Bedrohung?

Harry Bergmann
Naja.

Stefan Kaltenbrunner
Ich frag deshalb so genau.

Harry Bergmann
Es ist, es ist, na na na.

Stefan Kaltenbrunner
Darf ich kurz? Ich frage das, was ich glaube, viele Leute, mit denen man spricht, die sagen ja, Antisemitismus, was ist das überhaupt? Wie spürt man das? Und wenn die Antwort kommt, also von meiner Seite, Naja, die Kinder müssen jüdische Kinder mit Polizeischutz in die Schule. Es werden alle jüdischen Einrichtungen bewacht. Es gibt Veranstaltungen die mittlerweile abgesagt werden. Also ich bin, glaube ich, letztes Jahr bei einer eingeladen worden, wo man dann sehr bewusst abgesagt hat. Nein, das geht nicht. Es müssen Synagogen bewacht werden. Es müssen orthodoxe Juden im zweiten Bezirk haben ein riesengroßes Problem, werden körperlich angegriffen. Und deswegen, glaube ich, muss man den Leuten erklären, was das wirklich mit einem macht und was konkret die Auswirkungen ist, weil das kann sich eigentlich niemand vorstellen.

Harry Bergmann
Schau, es gibt… Wie alles im Leben fängt es verbal an und kann unter Umständen auch physisch enden, genauso mit dem Antisemitismus. Und natürlich, wenn du jetzt nicht sozusagen 10 km gegen den Wind ausschaust wie ein orthodoxer Jude, dann kommst du dann noch irgendwie durch. Ich möchte nicht im zweiten Bezirk mit einer Kippa herumrennen und es rennen fast alle Juden, die im zweiten Bezirk leben, in der Kippa herum. Ich möchte nicht wissen, was es da an Ausschreitungen gibt. Ich verfolge es jetzt nicht so, aber es gibt wirklich Probleme. Ich möchte nicht, weil du auch über Europa geredet hast. Ich würde in meinem Leben nicht mit einer Kippa mich in Paris in die Metro setzen. Ich würde mich ums Verrecken nicht mit einer Kippa in London in die U-Bahn setzen.

Also es sind Dinge und es kommt immer näher. Es kommt jetzt, wenn du mich persönlich fragst, ich habe nur diese, ich kriege nur die verbalen Auswirkungen mit und wo man beschimpft wird und wo man sagt, wo ich auch noch einmal, Hören Sie endlich auf mit Ihren Holocaust Lügen. Also ich bin jetzt der Holocaust Lügner, weil es viel, weil es offensichtlich en vogue ist, Holocaustleugner zu sein. Also bin ich jetzt der Holocaust Lügner. Und das sind Dinge, wo du sagen kannst, Na gut, das ist ja es komm schon wegstecken. Man kann es wegstecken, aber man weiß, dass links und rechts. Es kommt immer näher, es kommt immer näher und ich bin nicht ängstlich. Ich bin wirklich nicht ängstlich. Aber ich könnte mir vorstellen, wenn du mich jetzt fragst, Naja, und glaubst du, dass du auch in eine Situation kommst, wo du in eine physische Gefahr gerätst? Hätte ich noch vor zwei, drei Jahren gesagt, na, das halte ich für ausgeschlossen. Ich halte es jetzt nicht für ausgeschlossen. Es wird schon nicht passieren, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen.

Stefan Kaltenbrunner
Es ist, wenn man sich jetzt anschaut, welche Fälle es gibt in Europa. Zahlreiche jüdische Künstler werden gecancelt, Juden werden nicht in Fußballstadien reingelassen, eine jüdische Schulklasse wurde aus einem Flugzeug geworfen. Das sind alles so plakative Fälle. Aber was du jetzt schilderst, ist einfach diese diese unterschwellige Welle, die dann doch dann jeden betrifft. Habe ich das so richtig verstanden?

Harry Bergmann
Ja, oder zumindest die Möglichkeit in sich birgt, dass es jeden Juden betrifft. Weißt du, weil du gesagt hast, Synagogen, also ich bin jetzt kein frommer Jude, aber ich bin ein traditioneller Jude und das heißt, dass ich zu den Feiertagen in die Synagoge gehe. Und seitdem ich mich erinner, das ist nicht erst jetzt, seitdem ich mich erinnere, sind Synagogen schwer bewacht. Und das Traurige an dieser Sache ist, dass es dir schon gar nicht mehr auffällt, dass da Leute mit Maschinengewehren vorm Eingang der Synagoge stehen. Es ist bereits so zu einem, zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass du, wenn du versuchst, dein jüdisches Leben zu leben, dass du da Gefahren ausgesetzt bist, die ein anderer gar nicht kennt. Und das Gefährliche daran ist, jetzt wieder für die Juden gesprochen, ist, dass du dich schon so daran gewöhnt hast, dass du dir denkst, ja, ja, weiß ich eh, dass da jedes Mal bewacht. Ja, ich muss Ausweise zeigen, ja, ich muss. Es ist absurd. Stell dir vor, alle Kirchen werden jetzt bewacht und wenn du in die Kirche reingehen willst, wirst du mal interviewt, wer du überhaupt bist. Das ist ein Leben in ständiger unter ständigen gefühlten oder tatsächlichen Polizeischutz.

Stefan Kaltenbrunner
Wie erklärst du dir eigentlich, dass so viele junge Menschen diesen Israelhass auf diversen sozialen Medien transportieren? Wir haben jetzt gehabt diese Gaza Flottilia mit Greta Thunberg, auch einige prominente Österreicher, wie die Millionenerbin Marlene Engelhorn. Und wenn man sich das anschaut auf TikTok und Instagram, das ist jetzt kein Randphänomen mehr, sondern die haben zigtausende bis Likes und Millionen Follower. Und wenn man sich durchliest, was die alles posten, zum Teil Hamas Propaganda, alles akkordiert weltweit, das ist alles ein gewisses System dahinter, welche Postings veröffentlicht werden. Und wenn man sich das durchliest, haben wir das Gefühl, 17, 18, 19, 20 Jahre, sehr junge Leute, für denen ist dieser Antisemitismus so Lifestyle, Produkte, Mainstream, das ist so im Mainstream eingesickert. Was macht das mit einem zu sehen, dass eine junge Generation hier dermaßen indoktriniert wird von sozialen Medien, um… Welche Gegennarrative braucht es dazu, um das irgendwie wieder zu kitten?

Harry Bergmann
Also erstens einmal, was macht es? Es macht Angst. Zweitens, welche Gegennarrative? Es gibt Gegennarrative, aber für die brauchst du Zeit und für die brauchst du ein Minimum an Kenntnis auf der anderen Seite und für die brauchst du auch ein ziemliches Wissen. Und du musst ständig sozusagen mit so einem, mit so einem Werkzeugkasten herumlaufen, wo du ganz genau weiß, ah, jetzt packe ich dieses Argument aus und dieses Argument und trotzdem wird es dir nichts helfen, weil du hast kein Gegenüber. Du redest, kannst das Fenster aufmachen und rausschreien, die ganze Sache. Du hast kaum ein Gegenüber, zumindest bei den jungen Leuten.

Ich habe keine Erklärung dafür. Vielleicht ist die einzige Erklärung ist die, dass man irgendwo dazugehören will und dass sie sich so treffen in diesem Zusammengehörigkeitsgefühl: Wir hassen jetzt Israel. Es ist ja wurscht, was an der sozusagen, was was den Zusammenhalt bringt, aber ich kann mir das nur so vorstellen. Aber noch viel noch. Und es basiert auf einer unglaublichen Unkenntnis. Viele von denen, ich habe das einmal gemacht. Ich habe wirklich, ich habe bei einer sogenannten pro-palästinensischen Demo, habe ich irgendjemanden, der mit der palästinensischen Fahne herumgefuchtelt hat, habe ich gesagt, entschuldigen Sie, wo genau, ich kenne mich da nicht so genau aus, aber wo genau ist Palästina. Sagt er, das weiß ich auch nicht.

Stefan Kaltenbrunner
Ja, aber das ist ja gerade das Erstaunliche, dass diese historische Unkenntnis, die meisten waren noch nie in der Region und plappern im Prinzip Propagandaplatitüden nach, die relativ einfach zu recherchieren wären. Und trotzdem passiert das alles nicht, sondern das ist eben so ein Hype, der, wie du sagst, man muss oder möchte dabei sein und glaubt auf der richtigen Seite zu sein.

Harry Bergmann
Es ist nur, glaube ich, es ist nur eine Sache. Natürlich könnte man sagen, das ist ein Hype und in einem halben Jahr werden sie sich was anderes finden. Nur da hat der Antisemitismus schon, der hat schon eine Sonderstellung, weil, und das ist das, was mir Angst macht, weil der verschwindet nicht mehr. Der verschwindet nicht mehr, weil die Tatsache, dass das jetzt so schnell entflammt ist, heißt ja, dass er immer da war. Das ist ja nicht, das ist ja nicht, da hat sich ja nicht einer, das ist ja physikalisch sogar zu erklären, dass der Brand so schnell sich entwickeln konnte, heißt, dass es immer, wie nennt man das, geglost hat, oder gelodert hat. Und deshalb glaube ich, dass ja, sie werden sich was Neues finden und sie werden demonstrieren gegen oder für? Naja, für. Es wird ja nie für was demonstriert. Es wird immer nur gegen.

Stefan Kaltenbrunner
Meistens dagegen.

Harry Bergmann
Vermeintlich für, aber in Wirklichkeit ist immer gegen. Und sie werden sich was Neues finden, aber der Antisemitismus wird bleiben. Und das ist das Erschreckende.

Stefan Kaltenbrunner
Ich habe einen Satz von so einer jungen TikTokerin gehört, die gesagt hat, in einem Interview, tausendmal geliked worden, was ich sehr erschreckend gefunden hab. Naja, hat sie gesagt, sie ist erst vor kurzem auf diesem Gaza Konflikt aufmerksam geworden, das hätte sie eh schon früher, aber sie hat sich wenig damit beschäftigt. Und der Grund ist, weil früher hätten sie halt den ganzen, unter Anführungszeichen, Scheiß in der Schule gelernt, was sie damit gemeint hat, über Holocaust und über Jugendverfolgung etc. Und jetzt merkt sie, dass das ja alles nicht stimmt. Und da habe ich mir gedacht, okay, was ist da alles schiefgelaufen in der Erziehung, in der Bildung etc. Dass erwachsene junge Menschen plötzlich der Meinung sind, alles was da passiert ist in den letzten 40, 50 Jahren oder im Zweiten Weltkrieg dann schon länger her, eigentlich völlig falsch erzählt worden ist und dass es quasi eine politische Agenda gab, Pro-Israel und die Palästinenser, irgendwie vom Westen geopfert worden sind. Und da haben wir gedacht, was macht das mit jungen Leuten, wenn sie das hören und zigtausend mal liken. Und ich glaube, das ist eine Erklärung, was du gesagt hast. Dieser Antisemitismus verfestigt sich und wie ich glaube, das wird einfach ein Mainstreamprodukt.

Harry Bergmann
Es gibt ja auch diesen Begriff Antisemitismus ohne Juden. Das heißt, die meisten, die irgendwelche antisemitischen Parolen herumkrakeelen, wenn du die fragen würdest, entschuldigen Sie. Eine Frage habe ich nur, haben Sie schon einmal mit einem Juden geredet? Kennen Sie einen Juden? Nein. Das heißt, erstens heißt du brauchst gar keine Juden, um Antisemiten entstehen zu lassen. Und zweitens heißt das, dass es eine Sache ist, die sozusagen eine Art Projektion ist. Es ist der Jude als Projektionsfläche. Alles, was schlecht ist, wird auf diese Projektionsfläche geworfen. Und jetzt ist noch die feine Unterscheidung, steht auf der Produktionsfläche Juden drauf oder steht da Israel drauf und das wird dann auch wieder vermengt, weil das ist dann auch egal.

Und ich weiß gar nicht, was ich dir antworten soll, weil ich sehe, dass es abläuft wie eine griechische Tragödie, wo man sieht, das geht nicht gut aus, aber man kann nicht eingreifen. Egal was du machst, es rollt weiter, es rollt weiter, es rollt weiter. Also ich bin nicht einmal sicher. Ich bin nicht einmal sicher. Ich wünsche mir wirklich, ich wünsche mir, dass diese Regierung in Israel endlich abgewählt wird. Je früher, desto besser. Aber wenn wir dieses Spiel spielen würden und sagen würden, nehmen wir an, Israel hätte jetzt eine andere Regierung, eine völlig andere Regierung, liberal oder mittig, wie das so schön heißt. Ich glaube nicht, dass die. Ich glaube nicht, dass dann einer sagt, naja, jetzt, jetzt ist wieder was anderes, jetzt halte ich mich wieder zurück mit Israel Kritik, weil es eh okay dort.

Stefan Kaltenbrunner
Wir sind schon sehr weit in der Zeit, vielleicht gehen wir in die Jetztzeit wieder zurück. Seit knapp einer Woche ist dieser Waffenstillstand etwas brüchig. Natürlich glaubst du daran, dass jetzt eine Chance wäre, hier einen ansatzweise, Frieden kann man ja nicht sagen, sondern zumindest eine gewisse Beruhigung passieren kann?

Harry Bergmann
Vor ein paar Tagen habe ich noch einmal gelesen, es gibt diesen Spruch von Spinoza, der unterschieden hat den wahre Frieden und die Abwesenheit von Krieg. Und der wahre Friede wäre eine Tugend mit Gerechtigkeit, mit Dings, mit Menschlichkeit und so weiter. Und Abwesenheit von Krieg ist einfach ein Zustand. Ich glaube, dass das Maximale, wenn überhaupt, wenn überhaupt, bin da sehr skeptisch, wenn überhaupt es in der Region etwas erzielt werden kann, dann ist es die Abwesenheit von Krieg.

Stefan Kaltenbrunner
Was ein Fortschritt wäre, ein großer.

Harry Bergmann
Was ein Fortschritt wäre, was es immer wieder gegeben hat auch, muss man auch sagen, was aber dann immer auch in einer israelischen Politik geendet hat, die versucht hat, diese Abwesenheit von Krieg sozusagen zu managen. Also es war dann, nachdem die Friedensprozesse der 90er Jahre irgendwie in Sand gesetzt worden sind, ging es nur mehr darum, wie können wir dieses, so eine Art ein falsches, aber doch vorhandenes Gleichgewicht, diese Abwesenheit des Krieges, wie können wir das so managen, dass wir halbwegs hier leben können. Also du hast Recht, das wäre schon toll jetzt aus der Situation, aus der wir jetzt herauskommen, aber mehr wird es nicht werden.

Stefan Kaltenbrunner
Aber ich sehe das Glas ein bisschen halb voll. Wäre nicht gerade jetzt die sehr große Chance für die gesamte Region eine Art Friedensprozess oder eine Normalisierung einzuleiten. Ich nehme jetzt einmal den Libanon. Israel hat die Hisbollah im Prinzip fast ausgeschaltet. Also der Libanon könnte auf dem Weg sein, wieder ein unter Anführungszeichen normaler Staat zu werden, was er in den letzten Jahren sicher nicht gewesen ist. Es hat dort einen Staat in Staat gegeben mit einer furchtbaren Terrororganisation. Das heißt, Libanon hätte die Chance, sich jetzt zu normalisieren. Syrien ist ein Fragezeichen. Es gibt eine islamistische Regierung dort, Man weiß es nicht, aber ich glaube, die Islamisten in Damaskus haben erkannt, dass sie sich wahrscheinlich mit Israel besser nicht anlegen. Jordanien gibt es einen Friedensvertrag, Ägypten gibt es einen Friedensvertrag und auch die Golfstaaten beginnen seit Jahren etwas umzudenken und auch eher die Chancen als die Risiken zu sehen. Das heißt, wenn man im Umkehrschluss sieht, dieses ganze Drama, was sich jetzt in Gaza und auch in der Westbank zum Teil abspielt, aufwiegt mit den anderen positiven Entwicklungen, müsste es dann nicht eine gewisse Art von Aufbruchstimmung geben, was auch wieder in der Erzählform Israels ganz anders positioniert werden könnte.

Harry Bergmann
Mit Sicherheit ist das, was jetzt passiert, insofern lässt es zumindest Hoffnung zu, weil zum ersten Mal, aus welchen Gründen auch immer und aus welchen Motiven auch immer, dass du arabische Staaten jetzt an einem Tisch hast. Das mag jetzt nur sein, das was der Trump immer so gern sagt, Deals, also das sind sicherlich Deals, aber bei Deals ist ja so, es ist nur dann ein guter Deal, wenn jeder ein bisschen was davon hat. Und wenn er das zusammengebracht hätte oder hat mit seinem Deal, dann auch gut, dann ist das schon in Ordnung so. Aber man kann es sagen, so oft man will und irgendwie hört einem keiner zu, du musst diesen Schiefer Hamas musst du aus dem Fleisch herauskriegen, weil solange der drinnen ist und du siehst ja, was sich in den letzten Tagen wieder abspielt und sagt keiner was oder es macht keiner was, es ist. Die müssen weg, die müssen, ich weiß nicht wie. Wir haben gesehen, dass es mit Militärgewalt alleine nicht geht. Sie haben jetzt auch wieder einen hübschen Zulauf bekommen, die Hamas von den 2000, die aus den Gefängnissen frei.... Also das muss weg, dann kann die Heilung anfangen. Du kannst es nicht. Solange dieser Schiefer drinnen steckt, sehe ich nicht, wie das gehen soll. Und ja, vielleicht entschließen sich endlich die arabischen Nationen, die Hamas endlich sozusagen zumindest politisch so zu isolieren, dass dort was möglich ist. Aber ich bin, ich bin nicht pessimistisch, ich bin einfach skeptisch.

Stefan Kaltenbrunner
Aber glaubst du an diese Zwei-Staaten-Lösung, die ja im Prinzip nur derzeit eine Utopie ist? Es gibt weder ein Land, es gibt weder Grenzen, es gibt weder eine Hauptstadt, es gibt keine politische Einheit unter den Palästinensern.

Harry Bergmann
Es ist verpönt zu sagen, Nein, ich glaube nicht daran, aber ich glaube vor allem an eines nicht, weil ich glaube einfach nicht daran, zumindest in der nächsten und vielleicht sogar in der übernächsten Generation, dass es eine Zwei-Staaten-Lösung gibt, dass das zwei Staaten sind, die friedlich nebeneinander leben werden. Vielleicht gibt es irgendwann einmal ein Gebilde, ein seltsames Gebilde eines palästinensischen Staates. Seltsam deshalb, weil ein Teil des Staates ist da und da und rein geografisch sind die nicht einmal eine Einheit. Aber ob das eine friedliche Koexistenz von zwei Staaten nebeneinander…

Stefan Kaltenbrunner
Das zweifelst du an?

Harry Bergmann
Ja.

Stefan Kaltenbrunner
Eine Einstaatenlösung, glaube ich, geht überhaupt nicht.

Harry Bergmann
Eine Einstaatenlösung ginge schon, aber dann kannst du vergessen.

Stefan Kaltenbrunner
Von der Demografie her wird es gar.

Harry Bergmann
Den Grund, warum es überhaupt einen Staat Israel gibt. Das wird dann irgendwas sein.

Stefan Kaltenbrunner
Vielleicht fällt dir zum Abschluss noch ein positives lebensbejahendes Schlusswort ein.

Harry Bergmann
Das lebensbejahende Schlusswort fällt mir schwer im Moment und es fällt mir doppelt schwer, weil wenn ich sage, ich rede ja für Israel zum einen, aber auch für die Juden außerhalb von Israel und ich glaube, dass, dass es für Israel irgendwann einmal doch vielleicht jetzt möglich sein wird, irgendwie zumindest die Situation zu beruhigen und ich mache mir jetzt mehr Sorgen für die Juden außerhalb von Israel. Und da fällt mir im Moment wirklich nicht ein, weil mir die Vorstellungskraft fehlt, wie man diesen Geist, der da aus der Flasche draußen ist, wieder in diese Flasche hineinbringt. Ich kann es mir nicht vorstellen. Tut mir leid, ich hätte gern was. Ja, das Wetter ist gut in Israel, das könnte ich vielleicht noch sagen.

Stefan Kaltenbrunner
Immerhin, Harry, ich sage danke für das Gespräch und alles Gute.

Harry Bergmann
Danke.

Autor:in:

Redaktion Ganz offen gesagt

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