GANZ OFFEN GESAGT
Wozu Orientierungsklassen - mit Christoph Wiederkehr

Die schwarz-rot-pinke Koalition will die Wiener "Orientierungsklassen" auf ganz Österreich erweitern: Statt sofort in den Regelunterricht einzusteigen, werden neu angekommene Kinder und Jugendliche in einer mehrmonatigen Sonderform an Grundzüge von Deutsch, Schulunterricht und österreichische Kultur vorbereitet. Der neue Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) spricht mit Georg Renner über die Vorteile dieses Systems - und welche Erfahrungen die Bundeshauptstadt damit gemacht hat.


Georg Renner
Hallo und herzlich willkommen bei ganz offen gesagt, dem Podcast für Politikinteressierte. Mein Name ist Georg Renner, ich bin freier Journalist und mein Gast heute ist Christoph Wiederkehr. Wiederkehr, früher Stadtrat für Bildung in Wien, ist ja seit rund 100 Tagen Bildungsminister für ganz Österreich. Und im Rahmen einer sachpolitischen Serie bei ganz offen gesagt unterhalten wir uns heute über das Modell der Orientierungsklassen, das Weda Care einst in Wien eingeführt hat, um neu ankommende Kinder im österreichischen Schulsystem willkommen zu heißen. Und dieses System soll jetzt auf ganz Österreich ausgerollt werden. Wie das funktioniert, welche Erfolge das System in Wien zu verzeichnen hat und warum es nicht für alle Kinder gilt, darüber unterhalten wir uns jetzt. Hallo Ukras Gott und herzlich willkommen, Christoph Wiederkehr.

Christoph Wiederkehr
Hallo, freue mich, mit dabei zu sein.

Georg Renner
Vielen Dank, dass sie sich die Zeit genommen haben. Wir wollen heute über Orientierungsklassen reden. Zuerst folgt aber die traditionelle Transparenzpassage. Ganz offen gesagt, woher kennen wir einander? Wir kennen einander, glaube ich, noch gar nicht, oder? Nur über Twitter und das politmediale Universum aus der Ferne. Zweite ihre parteipolitischen Funktionen, was sind denn die alle?

Christoph Wiederkehr
Ich bin Landessprecher von NEOS in Wien und bin der Stellvertreter der Vorsitzenden von Bertha Meinl Reisinger auf Bundesebene.

Georg Renner
Das heißt, zwei parteipolitische Funktionen, ganz klar.

Christoph Wiederkehr
Und mit denen gehen ein paar andere einher, aber die, glaube ich, muss man nicht explizit nennen, außer es ist zeremonielle Positionen. Z.B. parteiakademie wunderbar.

Georg Renner
Wir sind heute aber nicht hier, um über die Partei zu sprechen, sondern über Sachpolitik. Konkret haben wir uns vorgenommen, jetzt die nächsten paar Minuten über die Orientierungsklassen zu sprechen, die sie als Bildungslandesrat Bildungsstadtrat in Wien eingeführt haben und die jetzt auf Bundesebene bundesweit ausgerollt werden sollen. Es gab dazu im März auch schon einen ersten Ministerratsvortrag. Was sind denn diese Orientierungsklassen?

Christoph Wiederkehr
Ich möchte damit starten, warum ich sie in meiner früheren Funktion als wiener Bildungsstadtrat eingeführt habe. Wir haben nämlich gesehen, dass viele Kinder und Jugendliche ins wiener Schulsystem gekommen sind, mitten im Schuljahr, die davor noch nie in einer Schulklasse waren. Beispielsweise Flüchtlingskinder, die viele Jahre in einem türkischen Flüchtlingslager waren und dann von einem Tag auf den anderen in eine Regelklasse kommen sollen. Und das hat das Schulsystem nicht geschafft und auch die Schülerinnen und Schüler, für die war das schwierig. Darum haben wir hier eine eigene Form geschaffen, wo Kinder ohne schulische Vorerfahrung zusammenkommen, um Vorläuferfertigkeiten, so nennt man das, mitzubekommen. Das sind Grundsätze der Sprache, Symbolerkennung, aber z.b. auch Fertigkeiten, wie man eine Schere hält, wie man Schuhband bindet, Basiskompetenzen, die aber wichtig sind, um dann den Schulalltag auch bestehen zu können.

Georg Renner
Sind das nur Kinder, die neu nach Wien in dem Fall gekommen sind oder auch welche, die z.B. aus den Kindergärten kommen, aber noch nicht diese Fertigkeiten alle mitbekommen?

Christoph Wiederkehr
Das war tatsächlich nur für Kinder und auch Jugendliche, die quer ins Schulsystem gekommen sind, die waren noch nicht davor im Kindergarten. Ist auch mit dem Gesetzesvorhaben jetzt nicht so gedacht, dass Kinder, die schon im Kindergarten waren, dann in die Orientierungsklasse kommen in es ist wirklich ein sehr enges Feld, nämlich für Kinder und Jugendliche ohne oder mit kaum schulischer Vorerfahrung, die nach Österreich kommen.

Georg Renner
Wie sind denn die Erfahrungen in Wien mit diesem System? Es gab glaube ich eine Handvoll dieser Orientierungsklassen, also das war nicht an allen Schulstandorten, sondern nur zentral an einzelnen, wenn ich das richtig verstanden habe. Welche Erfahrungen haben sie denn damit gemacht?

Christoph Wiederkehr
Wir haben damit sehr, sehr gute Erfahrungen gemacht, weil man dadurch auch mit den Eltern gut ins Gespräch kommt. Es gibt nämlich, bevor ein Kind in der Orientierungsklasse kommt, ein Gespräch hier am Schulstandort gemeinsam mit den Eltern, um festzustellen, gibt es Fähigkeiten, die das Kind schon mitbringt, gab es schon schulische oder schulähnliche Erfahrungen und diese Beginnzeit, nämlich auch mit den Eltern, ist dann sinnvoll gewesen. Es gibt aktuell zwei Standorte in Wien, es gibt aber auch in Vorarlberg einen Standort, wo es solche Orientierungsklassen gibt. Die laufen zu hoher Zufriedenheit der Lehrpersonen, aber auch der Eltern. Und insbesondere das Ziel ist, dass die Kinder und Jugendlichen dort so gefördert werden, dass sie dann einen Regelunterricht oder zumeist eine Deutschförderklasse gut besuchen können. Und auch das ist gegeben aus meiner Sicht ein echtes Vorzeigeprojekt, das gut funktioniert hat. Und jetzt schaffen wir den rechtlichen Rahmen, denn es war ganz offen gesagt etwas ein Graubereich, in dem operiert worden ist, und es gab auch keine Lehrpläne, die Lehrpersonen waren eher auf sich allein gestellt, was dort vermittelt wird.
Das soll jetzt gesetzlich verankert werden, nämlich Schwerpunkt der Deutschvermittlung, dann Wertevermittlung und auch Grundkompetenzen zum österreichischen System.

Georg Renner
Wenn sie sagen, okay, wir möchten diese Orientierungsklassen vor allem für Neuankömmlinge weitermachen, so verstehe ich das, sollte es ja auch auf Bundesebene dann sein. Wird es dann überhaupt in anderen Städten solche Orientierungsklassen brauchen, weil die Mehrzahl der Neuankömmlinge kommt ja vor allem in Wien an.

Christoph Wiederkehr
Es stimmt, dass Wien besonders gefordert ist und sehr viele nach Wien kommen, aber nicht alle. Viele kommen nach Wien auch erst nach abgeschlossenem Asylverfahren oder ein paar Jahre danach. In der Beginnzeit sind auch noch mehr in anderen Bundesländern. Aber es gibt hier keine zentrale Vorgabe, wie viele Orientierungsklassen es in welchem Bundesland geben muss. Das ist dann ein flexibles Modell, das verwendet wird, wenn man sieht, es gibt in einer Region oder in einem Bundesland oder auch in einer Schule einige Kinder, die keine schulische Vorerfahrung haben, dann kann man so eine Orientierungsklasse machen. Aber selbstverständlich wird insbesondere Wien hier betroffen sein, falls auch wieder weitere Flüchtlingsbewegungen kommen. Aktuell haben wir als Bundesregierung die Familienzusammenführung ausgesetzt, weshalb hier eine Entlastung des Bildungssystems auch schon zu spüren ist.
Aber wir wollen auch vorbereitet sein auf die Zukunft, um hier dann flexibler reagieren zu können.

Georg Renner
Also kurz gesagt, man schafft da jetzt die rechtliche Möglichkeit und ob es dann umgesetzt wird oder genutzt wird, entscheiden dann die Länder im Wesentlichen selber, die Bildung im Volks und Mittelschulbereich übrig haben.

Christoph Wiederkehr
Es können sogar die Schulstandorte dann auch mit den Bildungsdirektionen entscheiden. Das heißt, hier gibt es eine große Flexibilität, aber natürlich ist es sinnvoll, wenn es von landespolitischer Seite auch unterstützt wird und es den Wunsch gibt, so etwas einzurichten. Ist aber sehr flexibel gedacht.

Georg Renner
Das heißt, budgetär müssen auch die Länder dafür aufkommen, wenn sie das wollen.

Christoph Wiederkehr
Das Budget kommt von Bundesseiter, das sind Spezialklassen von Deutschförderklassen, für die gibt es Ressourcen des Bundes. Die Deutschförderung wird im kommenden Schuljahr massiv ausgebaut, von aktuell ungefähr 650 Planstellen auf, über Planstellen. Diese werden auch in den Orientierungsklassen zum Einsatz kommen, um so kleinere Gruppen zu machen. Also in Orientierungsklassen soll es eine Doppelbesetzung geben und die Klassen werden auch nicht voll sein. Das heißt deutlich unter 20 Schülerinnen und Schüler sollten in diese Klassen gehen.

Georg Renner
Wie lange wird denn das dauern? Ich habe auf der Website der Stadt Wien nachgeschaut, aber grundsätzlich angedacht so zwei Monate ist der Aufenthalt in so einer Orientierungsklasse angesetzt und dann werden die Schülerinnen und Schüler ins Regelsystem übergeführt.

Christoph Wiederkehr
Oder die Idee so kurz wie möglich, aber so lange als nötig, aber maximal ein halbes Jahr. Es soll nämlich keine dauerhafte Segregation sein aus dem Schulsystem, sondern es soll eine Vorbereitung sein, um dann gut in ein schulisches System übergeführt zu werden. Der gesetzliche maximale Rahmen wird jetzt mit einem halben Jahr definiert, es kann aber auch kürzer sein. Aus Wien Erfahrung haben wir aber auch gesehen, nur wenige Wochen ist dann zum Teil auch schwierig, aber es ist von Kind zu Kind auch unterschiedlich, je nachdem, ob es schon manche Erfahrungen gibt und auch die Lernfortschritte sind unterschiedlich.

Georg Renner
Kommen wir zum den Inhalten der Orientierungsklassen. Sie haben schon erwähnt, grundsätzliche Fertigkeiten etc. Und dass da jetzt eben ein gemeinsamer Lehrplan erarbeitet werden soll, für was in diesen Klassen gelehrt wird. Was sind denn diese Fertigkeiten? Sie haben Deutsch Sprache erwähnt, dafür sind ja ein Zeitraum, selbst wenn es ein ganzes Semester ist, viel zu kurz, oder.

Christoph Wiederkehr
In einem halben Jahr wird man da nicht gut Deutsch lernen. Das stimmt, aber man kann Begriffe verstehen, dass man dann im Unterricht sich auch ausdrücken kann, Symbole beispielsweise, die man lernen kann, manche Schriftzeichen. Viele, die zu uns kommen ohne schulische Vorerfahrung, haben ein anderes Alphabet. Das sind Sachen, die man in der Orientierungsklasse vorbereitend vermitteln kann. Es geht aber auch oft um viel Grundsätzlicheres, das kann man sich dann meist gar nicht so gut vorstellen. Z.B. wenn ein Kind mit 12 Jahren noch nie gewohnt war, mehrere Stunden zu sitzen, dann ist das eine irrsinnige Herausforderung und da muss erst beigebracht werden, wie ein Klassensetting funktioniert.
Es beginnt bei wirklich sehr basalen Fähigkeiten, wie ein Unterricht stattfindet, wie man miteinander redet, dass man sich grüßt, wenn man einander sieht. Also wirklich grundsätzliche, auch kulturelle Errungenschaften und Gewohnheiten werden in der Orientierungsklasse vermittelt.

Georg Renner
Wenn sie kulturelle Fragen ansprechen, dann sind natürlich auch diese Frage nach Wertevermittlung, die ja auch ein Schulauftrag ist, die immer wieder heiß diskutiert wird, gerade im Zusammenhang mit dem Migrationsthema, ist da auch angedacht, das in die Orientierungsklassen einzubauen? Gleich oder ist das eine andere Ebene?

Christoph Wiederkehr
Es ist tatsächlich ein wichtiger Bestandteil, den Kindern auch grundsätzliche Werte unseres Zusammenlebens zu vermitteln, beispielsweise Gleichberechtigung von Mann und Frau, dass in Österreich Gesetze immer über der Religion stehen. Das ist in dieser Zielgruppe nicht immer selbstverständlich, wenn man lernt, dass das Gebetsbuch das Wichtigste ist. Und das ist auch etwas, was wir kulturell mit den Werten in Orientierungskasten vermitteln und hier uns auch darum bemühen, die Eltern zu erreichen. Denn wir wissen, die Prägung der Kinder hat zwar mit der Schule zu tun, aber noch viel mehr mit dem Elternhaus. Und hier die Eltern mitzunehmen, ist auch eine große Chance, diese Orientierung zu lassen.

Georg Renner
Wie kann ich mir das vorstellen, die Eltern mitnehmen? Sie haben erwähnt, vor der Einschulung in so einer Orientierungsklasse gibt es quasi ein Elterngespräch. Gibt es dann weiteren Kontakt irgendwie, wie die noch eingebunden werden? Wie war das in Wien?

Christoph Wiederkehr
In Wien gab es darüber hinaus punktuellen Kontakt mit den Eltern für unterschiedliche Themen und darüber hinaus Eltern Workshops, wo Eltern auch eingeladen worden sind, um zu spezifischen Themen dann mit den Eltern zu reden. Beispielsweise was die Kinder und Jugendhilfe macht in Österreich, nämlich was auch die Pflichten sind der Eltern und wo rechtsrechtliche Grenzen gibt. Beispielsweise wird auch Gewalt gegenüber Kindern in unterschiedlichen kulturellen Kreisen unterschiedlich gehandhabt. In Österreich ist Gesetzeslage sehr, sehr klar und die wurde beispielsweise auch vermittelt.

Georg Renner
Verstehe. Was mir auffällt, wenn sie sagen, okay, Maximaldauer ist ein halbes Jahr, also ein Semester kommen die Kinder dann, wenn sie ins Regelschulsystem übergeführt werden, nicht in einer Klasse, die schon eben ein halbes Jahr Schuljahr intus hat, ein halbes Jahr gehabt hat, sich zu sozialisieren, ein halbes Jahr Stoff, der in der Orientierungsklasse nicht so gemacht wurde. Wie holt man das dann nach?

Christoph Wiederkehr
Der übliche Übergang wird nicht in den Regelunterricht sein, sondern in der Deutschförderklasse. Die Deutschförderklasse ist auch so organisiert, dass dort, wie der Name sagt, insbesondere Deutschförderung im Mittelpunkt steht. Natürlich auch ein Stoff vermittelt wird, aber das sind dort auch außerordentliche Schülerinnen und Schüler, die nicht benotet werden. In diesen Klassenformen ist es üblich, dass es auch unterjährig Veränderungen gibt. Das ist nicht etwas ganz Neues oder Außergewöhnliches. Und so ist es das Ziel, die Kinder und Jugendlichen aus den Orientierungsklassen dann auch gut in die Deutschförderklasse mit aufzunehmen. Aber auch das soll nur ein Zwischenschritt sein, denn meine Vision und meine Idee ist inklusiv, so inklusiv wie möglich Unterricht auch zu gestalten.
Und dementsprechend sollen auch die Kinder aus den Deutschförderklassen so schnell wie möglich in eine Regelklasse kommen.

Georg Renner
Verstehe. Jetzt kennen wir alle die Zahlen, wie viele außerordentliche Schülerinnen und Schüler es in Wien gibt. Falls nicht, verlinke ich einige Artikel da so in den Shownotes. Die Frage reicht das mit diesen Orientierungsklassen? Es gibt dieses Phänomen der angekommene Schülerinnen und Schüler im im Rahmen der Familienzusammenführung ja schon seit mehreren Jahren, und gerade in den letzten drei, vier Jahren sind sehr viele dazugekommen, bis zum jetzt verhängten Stopp durch die Bundesregierung. Offensichtlich gibt es das Problem aber immer noch, dass da sehr viele nicht mitkommen im Unterricht, dass da sehr viele Deutschprobleme haben. Also waren diese Orientierungsklassen nicht genug in den letzten Jahren in Wien?

Christoph Wiederkehr
Die Orientierungsklassen waren auch immer als Puzzlestück gedacht, nämlich für sehr spezifische Fälle, nämlich von Kindern, die gar keine schulische Vorerfahrung haben. Die meisten Kinder und Jugendlichen, die bei uns Deutschprobleme haben, die haben aber schulische Vorerfahrung. Gibt auch viele, die bei uns schon in Kindergärten gegangen sind und dann nicht ausreichend Deutsch können. Das ist Thema des Deutscherwerbs und auch darüber hinaus des hinerfassten Lesen könnens ist ein riesiges, ist für mich die größte Aufgabe des Bildungssystems, insbesondere der Kindergärten und Schulen. Je früher wir ansetzen, desto besser. Wir haben als Bundesregierung jetzt viele Maßnahmen geplant. Ich habe auch viele zusätzliche Maßnahmen trotz Budgetkrise finanziert bekommen, beispielsweise eine Verdopplung der Deutschförderung in den Schulen.
Wir arbeiten auch gerade ein neues, ein verbessertes Deutschfördermodell für die Schulen aus. Und darüber hinaus werden wir verstärkt in den Kindergarten investieren, beispielsweise über ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, denn je früher wir ansetzen, desto besser. Dieses Phänomen, dass wenige Deutschkönnens und auch nicht Sinnerfasten lesen könnens, ist allerdings auch ein Thema, das uns als ganze Gesellschaft betrifft. Auch bei Erwachsenen nimmt die Fähigkeit, Sinnerfasten lesen zu können, dramatisch ab. Ich halte es für höchst bedenklich, denn die Fähigkeit, sinnerfasten lesen zu können und die weltkritisch hinterfragen zu können, ist die Voraussetzung für unsere Demokratie. Und das ist für mich ein Weckruf. Ich werde mein Bestes geben, um hier die Deutschförderung in Österreich zu forcieren.

Georg Renner
Ich wollte gerade fragen, weil ich das Thema zufällig letzte Woche ebenfalls recherchiert habe, anlässlich dieser Statistik austria Auswertung zu den Lesefähigkeiten. Ich will da jetzt nicht zu weit abweichen, aber das wird natürlich gerade in der Erwachsenenbildung auch ein großes Thema sein, wie man das irgendwie wieder hinbekommt. Orientierungsklassen für Pensionisten?

Christoph Wiederkehr
Ja, lebenslanges Lernen ist schon ganz, ganz wichtig, ganzheitlich zu sehen und auch Bewusstseinsarbeit zu schaffen, weil ein Mitaspekt, warum die Lesefähigkeit so stark abnimmt, ist die Digitalisierung. Und ich sehe technologischen Fortschritt als große Chance, aber es bringt auch riesige Risiken, nämlich lange Bildschirmzeiten von Kindern führt zu weniger Lesefähigkeit, zu weniger Konzentrationsfähigkeit, nicht nur bei Kindern, auch bei Erwachsenen, die fünf, sechs, 7 Stunden am Tag nur im eigenen Newsfeed abhängen.

Georg Renner
Das ich fühle mich irgendwie unangenehm gesehen.

Christoph Wiederkehr
Gerade nachdem ich mich selber auch mitweide, dürfen wir uns alle angesprochen fühlen. Es ist auch normal, diese technologischen Varianten und digitale Kommunikation machen ja auch süchtig. Das ist ja darauf auch ausgerichtet. Darum brauchen wir als gesamte Gesellschaft hier mehr Bewusstsein, auch welche negativen Effekte damit zum Teil einhergehen.

Georg Renner
Total spannendes Thema. Ich würde trotzdem gerne nochmal zurück zu den Orientierungsklassen kommen. Wann soll denn das ausgerollt werden? Wann können die anderen Bundesländer mit einem fertigen Konzept, mit einem fertigen Lehrstoff etc. Starten?

Christoph Wiederkehr
Wir sind mitten im Gesetzgebungsprozess. Es ist allerdings alles vorbereitet. Das heißt, Lehrstoff ist vorbereitet, Lehrplan ist vorbereitet, die Ressourcen stehen für nächstes Schuljahr zur Verfügung. Mein Ziel ist, dass man Beginn des nächsten Schuljahres rechtlich so aufgestellt ist, dass Bundesländer und Schulen, die das machen wollen, das auch machen können.

Georg Renner
Haben sie da schon Kontakt mit den einzelnen Bundesländern, mit den einzelnen Bildungsdirektionen? Gibt es da Interesse schon seitens anderer Länder und Städte? Also abgesehen von Wien und Vorarlberg?

Christoph Wiederkehr
Es gab hier schon einen Austausch und es gibt auch Interesse, dieses Modell auch zu übernehmen, punktuell dort, wo es sinnvoll ist. Jetzt gab es gerade eine Begutachtung, einen Begutachtungsprozess, wo auch noch Feedback gekommen ist, das wir zum Teil auch einarbeiten werden, um dann das Gesetz dem Nationalrat vorzulegen.

Georg Renner
Wird es da eine wissenschaftliche Begleitung geben bei den Orientierungsklassen auf Bundesebene generell, um evaluieren zu können in ein paar Jahren, okay, das hat gut funktioniert oder nein, müssen wir irgendwie weiterentwickeln?

Christoph Wiederkehr
Eine Evaluierung ist für mich immer wichtig. Es wird wissenschaftliche Begleitung geben des übergerüsts, nämlich der Deutschförderklassen, die wir auch verändern wollen, wo auch die Orientierungsklassen mit beurteilt werden. Eine Evaluierung ist mir immer wichtig, um so im Bildungsbereich besser zu werden.

Georg Renner
Wir kommen schon zum Schluss. Das würde mich nur interessieren, weil sie Deutschförderklassen, die ja hoch umstritten waren, bei ihrer Einführung 2018 erwähnt haben. Jetzt klingt das alles für mich ein bisschen nach einem Gefäß, damit man die Kinder dann ins andere Gefäß weitergeben kann, das aber auch nicht das Regelschulsystem ist, wird es irgendwie die Idee geben zu okay, eine kurze Orientierungsklasse und dann kann man die Schülerinnen Schüler im regulären System schon gleich mitarbeiten lassen?

Christoph Wiederkehr
Im Idealfall ja. Im Idealfall braucht es gar keine eigenen Gefäße. Wenn aber die Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler so arg unterschiedlich sind, dann ist es einfach in einer Klasse nicht abbildbar und möglich. Wenn ich jemanden in der Klasse habe, der noch kein Wort versteht, dann wird das schwierig sein. Wir brauchen hier eine gewisse Flexibilität in der Deutschförderung. Mein Ziel ist, diese aber auch schulautonomer und inklusiver zu gestalten. Es braucht hier einen klaren Rahmen, aber auch eine gewisse Flexibilität.
Ich bin ein Freund von Schulautonomie. Mein Ziel als Bildungsminister wird sein, den Schulen mehr Freiheit, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Autonomie zu geben, aber gleichzeitig die Qualität sicherzustellen, nämlich indem wir uns anschauen, ob es dann zu besseren Ergebnissen kommt. Da ist Freiheiten am Weg zum Ergebnis, aber keine Ergebnisfreiheit, denn wir müssen unser Bildungssystem drastisch verbessern.

Georg Renner
Da bin ich sehr gespannt, was wir für Ergebnisse haben wollen. Letzte wie viele Orientierungsklassen wird es im nächsten Schuljahr geben, glauben sie, oder wenn sie es sich aussuchen könnten, welche Dimension reden wir da? Wir haben gesagt, in Wien gibt es zwei Orientierungsklassen derzeit. Wie viele werden es insgesamt sein nächstes Jahr?

Christoph Wiederkehr
So viele wie notwendig, aber hier mache ich auch keine Vorgaben. Es wird aber weiterhin die Ausnahme sein. Das ist sehr stark davon abhängig, wie viele Kinder und Jugendliche nach Österreich kommen, die keine schulische Erfahrung haben. Und daran wird sich das richten. Jetzt ist der Familiennachzug ausgesetzt. Es wird notwendig sein, hier eine neue Regelung zu schaffen. Das erfordert auch das europäische Recht.
An der wird intensiv gearbeitet, die wird der Herr Innenminister auch vorlegen, um so auch irreguläre Migration langfristig zu reduzieren. Aber es wird weiterhin die Notwendigkeit geben, hier im Schulbereich mit diesen Gruppen gut zu arbeiten.

Georg Renner
Herr Minister, vielen Dank für Ihre Zeit und danke für das Gespräch.

Christoph Wiederkehr
Sehr gerne.

Georg Renner
Und das war's mit unserer heutigen Folge. Ganz offen gesagt, wenn ihr diese sachpolitische Unterhaltungen spannend findet, dann hört auch die anderen Folgen aus dieser Serie. Bisher habe ich mich mit Integrationsministerin Claudia Plakolm über das geplante Kopftuchverbot schulen und mit Frauenministerin Eva Maria Holzleitner über das sogenannte DECP Verbot unterhalten. Beide Folgen verlinke ich euch in den Shownotes. Das war's mit unserer heutigen Folge. Ganz offen gesagt, wenn sie euch gefallen hat, bitte empfehlt sie weiter, erzählt euren Freundinnen und Freunden davon und verlinkt sie auf Social Media und bewertet uns positiv auf den einschlägigen Podcast Plattform.
Vielen Dank fürs Zuhören, bis zum nächsten Mal. Adieu.

Autor:in:

Georg Renner

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