Die Dunkelkammer
Der Fall Pilnacek #10: "Andenken verletzt"
Das „Pilnacek-Tape“: Das ist der heimliche Mitschnitt eines privaten Gesprächs, aufgenommen am 28. Juli 2023. Darauf zu hören ist der später verstorbene Sektionschef des Justizministeriums, der über versuchte ÖVP-Interventionen klagt. Klagt ist auch ein Stichwort zur heutigen Episode, denn rund um dieses Tape ist ein Rechtsstreit entbrannt. Christian Pilnaceks Witwe Caroline List hat den Hersteller der Aufnahme Christian Mattura geklagt. Sie fordert von ihm die Beseitigung der Aufnahme und die Unterlassung jeder weiteren Verbreitung. Im Kern geht es dabei um eine Frage: Hat die Veröffentlichung des Mitschnitts das Andenken des Sektionschefs beschädigt? Der Ausgang des Verfahrens könnte auch Folgen für die Dunkelkammer haben.
Michael Nikbakhsh
Herzlich willkommen zur 179. Ausgabe der Dunkelkammer.
Mein Name ist Michael Nikbakhsh und heute geht es wieder um den Fall Christian Pilnacek – ganz konkret um das sogenannte Pilnacek-Tape.
Das ist der heimliche Mitschnitt eines privaten Gesprächs, aufgenommen am 28. Juli 2023. Darauf zu hören ist der später verstorbene Sektionschef, der über versuchte ÖVP-Interventionen klagt. Rund um dieses Pilnacek-Tape ist ein Rechtsstreit entbrannt, der womöglich auch die Dunkelkammer erfassen könnte.
Christian Pilnaceks Witwe Caroline List hat den Hersteller des Tapes, Christian Mattura, verklagt. Sie will, dass Mattura das Tape vernichtet – natürlich nicht zwingend mit einem Bunsenbrenner. Er soll das gesamte Material beseitigen und es auch nicht mehr weiter verbreiten. Im Kern geht es um die Frage: Hat die Veröffentlichung des Mitschnitts das Andenken des Sektionschefs beschädigt?
Am 28. Juli 2023 sitzt der damals suspendierte Sektionschef des Justizministeriums mit zunächst zwei, später drei Leuten im Restaurant Cavaluccio in der Wiener Innenstadt. Einer ist Pilnaceks Freund Wolfgang Rauball, ein deutscher Unternehmer, den Pilnacek auch rechtlich berät. Ein zweiter ist Rauballs Bekannter Christian Mattura, der das Gespräch aufzeichnet. Der dritte ist Richard Grasl, der später dazustößt. Mattura zeichnet rund 80 Minuten mit seinem Smartphone auf.
Auf den öffentlich bekannten Passagen ist Pilnacek zu hören, wie er schwere Vorwürfe gegen die ÖVP und speziell gegen Wolfgang Sobotka erhebt. Pilnacek erklärt, die ÖVP habe immer wieder bei ihm interveniert, damit er in laufende Ermittlungen eingreife – wogegen er sich stets gewehrt habe.
Pilnacek stirbt am 20. Oktober 2023, wenig später macht Mattura einen Teil des Mitschnitts via Kronen Zeitung und ORF öffentlich. Auch die Dunkelkammer hat darüber berichtet: In Episode 43 am 24. November 2023 wurden die entscheidenden Passagen des Tapes im O-Ton ausgespielt und kommentiert, ebenso in Episode 60 vom 13. März 2024, als Mattura selbst zu Gast war.
Streitwert 61.000 Euro
Fünf Tage nach dieser Folge reichte Caroline List vor dem Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen eine Klage gegen Mattura ein, mit den Forderungen: Unterlassung der weiteren Verbreitung und Vernichtung des Materials. Der Streitwert beträgt 61.000 Euro. Der Streitwert ist die Grundlage für die Berechnung der Anwalts- und Gerichtskosten und nicht mit Schadenersatz zu verwechseln.
Frau List argumentiert, die heimlich und ohne Zustimmung erfolgte Aufnahme habe nach der Veröffentlichung eine massive mediale Diskussion ausgelöst. Es habe viele zum Teil herabsetzende Berichte gegeben und das Andenken von Christian Pilnacek sei verletzt worden. Unter den Zeugen, die List aufrufen wollte, war übrigens auch ich – dazu komme ich später.
Das Aufnehmen von Gesprächen – ob Ton oder Video – ist rechtlich sehr problematisch, wenn es heimlich und ohne Wissen der Beteiligten geschieht und das Material danach Dritten zugänglich gemacht wird.
2019 wollte Johann Gudenus, einer der Hauptdarsteller des Ibiza-Videos, die weitere Verbreitung des Videos gerichtlich untersagen und eine Vernichtung erwirken. Der Fall ging bis zum Obersten Gerichtshof. Dieser entschied, die Herstellung des Ibiza-Videos war unzulässig, da die Aufnahmen durch Täuschung erlangt wurden und Gudenus’ Recht auf Privatsphäre verletzt wurde. Aber: Die Veröffentlichung von Auszügen durch die Medien war durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, weil der Inhalt von großer öffentlicher Relevanz war.
Rechtlich problematisch wird es vor allem durch §120 StGB, der die Weitergabe heimlicher Aufnahmen unter Strafe stellt, und durch zivilrechtliche Fragen, die Persönlichkeitsrechte betreffen. Die Veröffentlichung heimlicher Mitschnitte kann also teuer werden.
Im Fall Pilnacek greift das Strafrecht nicht: Ein strafrechtliches Vorgehen hätte Pilnacek selbst einleiten müssen, aber der Mitschnitt wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. Bleibt das Zivilrecht, und hier setzte Caroline List mit ihrer Klage an. Es gibt auch den postmortalen Persönlichkeitsschutz, den Angehörige geltend machen können, wenn das Lebensbild des Verstorbenen beeinträchtigt wird.
Tatsächlich war Caroline List mit ihrer Klage vor Gericht erfolgreich – wobei das im Augenblick nicht völlig sicher ist. Ende August 2024 wurde Mattura vom Landesgericht für Zivilrechtssachen die sofortige und vollständige Vernichtung aller Pilnacek-Tonaufnahmen sowie die Unterlassung der Verbreitung untersagt. Er musste zudem 4.890 Euro Verfahrenskosten tragen.
Mattura hat erst ein halbes Jahr später von dem Urteil erfahren, nämlich beim Lesen des Pilnacek-Buches von Gernot Rohrhofer. Denn Mattura hatte seit 2017 keine Meldeadresse mehr in Österreich. Das Gericht hat RSB-Briefe an die letzte bekannte Adresse geschickt, die jedoch nie behoben wurden, weil Mattura dort nicht mehr wohnte. Daher wurde ihm die Klage nie zugestellt, und es gab am Ende auch kein ordentliches Verfahren. Auf Antrag von Caroline List erließ das Gericht im August 2024 ein Versäumnisurteil.
Nachdem Mattura von dem Urteil erfuhr, ließ er sich den Gerichtsakt über seinen Rechtsanwalt Volkert Sackmann beschaffen und hat das Versäumnisurteil angefochten. Am 28. April gab es eine Verhandlung vor dem Landesgericht, eine Bescheinungstagsatzung, die klären sollte, ob Mattura im Frühjahr 2024 eine Zustelladresse in Wien hatte. Die Entscheidung steht noch aus.
Das Verfahren ist für die Dunkelkammer weiter relevant, da die zentralen Passagen des Tapes noch online sind. Sollte Mattura zur Vernichtung verpflichtet werden, könnte dies auch zur Folge haben, dass die Dunkelkammer aufgefordert wird, Inhalte zu löschen.
Zu Redaktionsschluss gibt es noch keine Antwort von Caroline List, die über ihren Anwalt Peter Zöchbauer eingeladen wurde.
Der Richter wird demnächst schriftlich entscheiden, ob das Versäumnisurteil Bestand hat.
Autor:in:Michael Nikbakhsh |