Die Dunkelkammer
Der Fall Pilnacek #3: Was bei Ermittlungen geschah - und was nicht

- Aus der Einvernahme der Notärztin Dagmar W. beim Bundesamt für Korruptionsbekämpfung
- hochgeladen von Michael Nikbakhsh
Am Morgen des 20. Oktober 2023 wird der Leichnam von Christian Pilnacek in einem Seitenarm der Donau nahe Rossatz im Bezirk Krems-Land entdeckt.
Kurz darauf entsteht ein Narrativ, das sich alsbald verfestigen wird: Der langjährige Sektionschef und frühere Generalsekretär des Justizministeriums habe Selbstmord begangen.
Tatsächlich ist die Faktenlage zum damaligen Zeitpunkt alles andere als eindeutig – und sie ist es bis heute nicht. Vielmehr haben sich bei der Aufarbeitung der Todesumstände behördenseitig merkwürdige Dinge zugetragen.
Nachzulesen ist das und noch viel mehr in Peter Pilz' Buch "Pilnacek – Der Tod des Sektionschefs", es erscheint am 19. Februar im Verlag ZackMedia.
In der heutige Episode geht es um zwei zentrale Fragen: Was hat sich rund um die Auffindung von Pilnaceks Leichnam zugetragen? Und was genau hat der gerichtsmedizinische Gutachter herausgefunden?
Michael Nikbakhsh
Herzlich willkommen zur 150. Ausgabe der Dunkelkammer. Mein Name ist Michael Nikbakhsh und heute geht es einmal mehr um den Fall Christian Pilnacek die Todesumstände und die behördlichen Ermittlungen dazu werfen einige Fragen auf.
Am Morgen des 20. Oktober 2023 wird die Leiche von Christian Pilnacek in einem Seitenarm der Donau nahe Rossatz im Bezirk Krems-Land entdeckt. Ein Baggerfahrer erblickt im Wasser einen leblosen Körper, mit Gesicht nach oben auf dem Rückend treibend, um 7.51 Uhr verständigt er die Polizei. Noch am Nachmittag desselben Tages wird Sebastian Kurz am Rande seines damals laufenden Falschaussageprozesses vor laufenden Kameras Folgendes sagen:
Sebastian Kurz
Am heutigen Tag ist es vor allem der Tod von Christian Pilnacek, der mich extrem betroffen macht. Ich hab gestern Abend noch mit ihm telefoniert und wenige Stunden später hat er sich das Leben genommen. Ich habe in den letzten Jahren miterlebt, wie mit ihm umgegangen worden ist und ich habe in den letzten Jahren miterlebt, was das auch mit ihm gemacht hat.
Michael Nikbakhsh
Dieses Narrativ hat sich mittlerweile verfestigt. Doch es gibt ein Problem: Die Faktenlage ist in diesem Fall alles andere als eindeutig.
Eindeutig.
Dieses Adjektiv spielt im weiteren Verlauf dieser Geschichte noch eine wichtige Rolle. Die Staatsanwaltschaft Krems hatte nach dem Auffinden von Pilnaceks Leichnam zunächst ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung eingeleitet, dieses dann aber alsbald wieder geschlossen, nachdem die gerichtsmedizinische Untersuchung Tod durch Ertrinken ergeben hatte.
Wir wissen seither, woran Christian Pilnacek gestorben ist. Aber das Wie – das ist nicht annähernd so klar.
Es ist vielmehr so, dass sich im Zuge der Aufarbeitung dieses Falles durch die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt Niederösterreich, ich sag‘s mal defensiv, merkwürdige Dinge zugetragen haben.
Ärztin unter Druck?
Da wäre eine Notärztin, die nach eigener Aussage von der Polizei unter Druck gesetzt wurde, nur ja keine Obduktion zu beantragen, obwohl sie vor Ort keine Todesursache feststellen konnte und – Zitat — so etwas noch nie gesehen hatte.
Da wäre eine gerichtsmedizinische Untersuchung, die teils erstaunliche und bisher unbekannte Ergebnisse zeitigte, da wäre das private Mobiltelefon von Christian Pilnacek, ein wichtiges Beweismittel, das seine Witwe Caroline List mit einem Bunsenbrenner vernichtet haben will.Und dann wäre da noch das bereits erwähnte Adjektiv eindeutig, das auf dem Amtsweg verloren ging.
Nachzulesen ist das und noch sehr viel mehr im Buch von Peter Pilz, Titel: Pilnacek der Tod des Sektionschefs, es erscheint im Verlag Zackzack und ist ab dem 19. Februar im Handel erhältlich. Am 18. und am 24. Februar stellen wir das Buch gemeinsam in der Kulisse Wien in der Rosensteingasse in Hernals vor.
Wie angekündigt werden wir die Präsentation am 18. Februar für die Dunkelkammer mitschneiden und daraus eine eigene Episode machen.So gesehen ist die heutige Episode ein Ausblick auf das, was uns erwartet.
Ich habe dazu auch mit dem geschätzten Fabian Schmid einen Bericht für den Standard geschrieben. Für heute soll es hier um zwei zentrale Fragen gehen. Erstens: Was hat sich rund um die Auffindung von Pilnaceks Leichnam zugetragen? Und zweitens: Was genau hat der gerichtsmedizinische Gutachter herausgefunden?
Wie gesagt, Pilnacek wird am Morgen des 20. Oktober 2023 von einem Baggerfahrer mit dem Gesicht nach oben im Wasser treibend entdeckt, dieser ruft daraufhin um sieben uhr einundfünfzig die Polizei. Die örtliche Zuständigkeit liegt zunächst bei der Polizeiinspektion Weißenkirchen, es sind aber alsbald auch Beamte des Landeskriminalamts Niederösterreich aus Sankt Pölten da, einerseits von der Gruppe Leib/Leben andererseits von der Gruppe Tatort, die für die Spurensicherung zuständig ist.
Auch die Freiwillige Feuerwehr Rossatz hat Kräfte im Einsatz, sie haben den Leichnam aus dem Wasser geborgen.
Und dann ist da noch die örtliche Ärztin, eine niedergelassene Allgemeinmedizinerin mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung.
Sie ist zudem ausgebildete Notärztin und in der Region für die Totenbeschau zuständig.
Einige Monate später wird die Ärztin vom Bundesamt für Korruptionsbekämpfung als Zeugin einvernommen.
Und ich lese jetzt einfach mal auszugsweise aus ihrem diesem Einvernahmeprotokoll vor und versuche dabei nicht erstaunt zu wirken.
Das Protokoll stammt vom 15. April 2024 und da steht unter anderem Folgendes (siehe Faksimile):

- Aus der Einvernahme der Notärztin Dagmar W. beim Bundesamt für Korruptionsbekämpfung
- hochgeladen von Michael Nikbakhsh
Es stellt sich heraus, dass bei der Staatsanwaltschaft Krems eine Staatsanwältin zuständig ist, die eine langjährige Bekannte der Notärztin ist. Auch bei der Staatsanwältin stößt die Notärztin zunächst auf Vorbehalte, weil diese von der Polizei offenbar falsch informiert wurde.
Ich zitiere wieder (siehe Faksimile):

- Aus der Einvernahme der Notärztin Dagmar W. beim BAK
- hochgeladen von Michael Nikbakhsh
Für die Ärztin sei es offensichtlich gewesen, dass die Polizei keine Obduktion wollte.
Ich fasse zusammen: Die zuständige Ärztin kann keine Todesursache feststellen, sie kann damit auch kein Fremdverschulden ausschließen und deshalb will sie auch eine gerichtsmedizinische Obduktion.
Das ist gesetzlich auch so vorgesehen.
Laut Paragraf 128 der Strafprozessordnung muss die Kriminalpolizei bei nicht natürlichen Todesfällen einerseits einen Arzt beiziehen, andererseits eine Staatsanwaltschaft informieren, und darüber hinaus auch dafür sorgen, dass der Leichnam zur Obduktion zur Verfügung steht. Eine solche Obduktion ist laut Strafprozessordnung immer dann zulässig, wenn eine Straftat nicht ausgeschlossen werden kann. Und dann gibt es noch den sogenannten Tatortleitfaden des Innenministeriums für die Polizeiarbeit und in diesem Leitfaden steht unter anderem drin, dass etwa bei der Auffindung von Wasserleichen sowieso eine Obduktion beantragt werden sollte.
Obwohl also die Ärztin eine Obduktion wegen der für sie unklaren Todesursache wollte und obwohl die Strafprozessordnung und die polizeiinternen Richtlinien das auch so vorsehen, wollte die Polizei das nach Aussage der Ärztin verhindern.
Gut, am Ende setzt sich die Ärztin aber durch.
Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Krems wird die gerichtsmedizinische Obduktion durchgeführt, allerdings erst sechs Tage später, an der Prosektur der Klinik Wien-Favoriten.
Dazu gibt es auch ein Gutachten des Gerichtsmediziners, es stammt vom 21. November 2023 und es liegt vor mir.
Und wie ich es zuvor schon erwähnt hatte: Dass Christian Pilnacek laut dem Gutachten ertrunken war, das ist lange bekannt. Dass er sich davor allerdings etliche Verletzungen zugezogen hatte, das war so nicht bekannt.
Die Verletzungen
Peter Pilz hat das für sein Buch nachgezählt. Er kam auf mindestens 20 Verletzungen über den Körper verteilt, Blutergüsse beziehungsweise und Abschürfungen an den Beinen, den Armen, den Händen, dazu Blutergüsse in der schlüsselbeinnahen Halsmuskulatur, nahe der beiden Schulterblätter, an der rechten Hüfte, weiters ein 12 mal 10 Zentimeter großes Hämatom am rechten Oberschenkel sowie eine Rissquetschwunde im Gesicht.
Nun kann sich Christian Pilnacek nicht all diese Verletzungen während des Ertrinkens zugezogen haben. Um überhaupt ans Ufer zu gelangen, war da zunächst eine Böschung zu überwinden.
Laut dem polizeilichen Tatortbericht ging das so circa zehn Meter weit über einen Höhenunterschied von circa zwei Metern. Laut dem gerichtsmedizinischen Gutachten lassen sich etwa die Wunde im Gesicht sowie die Hautunterblutungen und Abschürfungen an Armen und Beinen durchaus mit einem so genannten „Sturzgeschehen“ vereinbaren, also dass Pilnacek auf dem Weg zum Ufer ausgerutscht oder gestolpert wäre.
Peter Pilz hat das Gutachten dem Wiener Unfallchirurgen Wolfgang Schaden vorgelegt, er ist Facharzt für Unfallchirurgie und Sport-Traumatologie. Und der Mediziner kam unter anderem zu dem Schluss, dass zumindest fünf der 20 Verletzungen nicht zu einem Sturz über eine Böschung passen und die gerade Verletzungsmuster an den Händen auf mehr als einen Sturz schließen lassen.
Pilnacek wäre also jedenfalls öfter als einmal gestürzt, bevor er schließlich ins Wasser gelangte. Und dann gibt es da Verletzungen, bei denen sich der gerichtsmedizinische Gutachter selbst nicht ganz sicher war.
Da ist zum Beispiel von Einblutungen in die schulternahe Rückenmuskulatur die Rede, die laut dem Gutachten einerseits beim Ertrinken entstanden sein können, ebenso aber auch durch ich zitiere grobes Anfassen im Rahmen der Bergung des Leichnams aus dem Wasser. Der Gutachter fand laut dem Bericht jedenfalls keine Verletzungen, die auf ein gewaltsames Festhalten, Fixieren oder Unter-Wasser-Drücken hinweisen. Christian Pilnacek war zu seinem Tod übrigens alles andere als nüchtern. Auch das ein interessantes Detail.
Nach seiner Geisterfahrt am späten Abend des 19. Oktober waren gegen 22.30 Uhr 1,44 Promille Blutalkoholkonzentration festgestellt worden, nach seiner Ankunft im Haus seiner Freundin Karin Wurm hatte er nach deren Aussage noch eine Flasche Prosecco jedenfalls zur Hälfte getrunken, ehe er kurz vor 1.00 Uhr das Haus verließ.
Und irgendwie muss er es in den darauffolgenden Stunden geschafft haben, den Spiegel bis zum Morgen zu halten, denn bei der chemisch-toxikologischen Untersuchung des Leichnams wurden immer noch 1,4 Promille nachgewiesen. Also faktisch der gleiche Wert wie Stunden davor. Wie das möglich war, wurde nicht erhoben. Und noch ein interessantes Detail: In all den Akten, die ich bisher gesehen habe, findet sich nirgends ein Hinweis auf den Todeszeitpunkt. Laut Aussage der Notärztin war die Totenstarre zum Zeitpunkt ihres Eintreffens kurz nach halb neun in der früh jedenfalls noch nicht eingetreten.
So oder so. Am 21. November 2023, einen Monat nach der Obduktion, verfasste der gerichtsmedizinische Sachverständige sein Gutachten für die Staatsanwaltschaft Krems' (siehe Faksimile):

- hochgeladen von Michael Nikbakhsh
Nach den Worten des Gutachters war Pilnacek also trotz seiner Alkoholisierung weitgehend Herr seiner Sinne. Daran hätte übrigens auch das vermutete Sturzgeschehen nichts geändert.
Ein Hinweis auf einen Suizid findet sich in dem Bericht übrigens an keiner Stelle. Das ist allerdings keine Überraschung, der Gutachter hatte nur die Todesursache zu ermitteln und nicht das Geschehen, das zum Tod geführt hatte.
Wichtig erscheint hier jedenfalls der Satz aus dem GutachtenEindeutige Hinweise auf eine grobe Gewalteinwirkung durch fremde Hand ergaben sich nicht. Denn dieser zentrale Satz veränderte sich auf dem Amtsweg. Im Jänner 2024 schickte das LKA Niederösterreich seinen Abschlussbericht zu den Todesumständen von Christian Pilnacek an die Staatsanwaltschaft Krems. Da kam der Satz aus dem Gutachten auch vor, allerdings fehlte da etwas. Das LKA schrieb der Staatsanwaltschaft: Hinweise auf eine Gewalteinwirkung durch Dritte ergaben sich nicht.
Bemerkt? Der Gerichtsmediziner hatte zuvor in seiner Zusammenfassung geschrieben: Eindeutige Hinweise auf eine grobe Gewalteinwirkung durch fremde Hand ergaben sich nicht.Eindeutig und grob: Laut den Recherchen von Peter Pilz für sein Buch fehlten beide Adjektive im Abschlussbericht der Kripo. Die Staatsanwaltschaft Krems bekam natürlich sowohl das gerichtsmedizinische Gutachten als auch den Abschlussbericht des Landeskriminalamts.
Die Diskrepanzen hätten demnach auffallen können.
Wenn das jemandem aufgefallen ist, dann wurde es zumindest nicht protokolliert. An diesem Punkt mache ich für heute einen Punkt und ich schließe mit einem Cliffhanger: In dieser Geschichte ist behördenseitig einiges nicht so gelaufen, wie es korrekterweise laufen hätte sollen, eigentlich müssen. Aber warum?
Mehr dazu in Bälde




Autor:in:Michael Nikbakhsh |