Die Dunkelkammer
Der Fall Pilnacek #8: Wie man Beweismittel nicht sichert
Am Morgen des 20. Oktober 2023 wird Christian Pilnacek tot aufgefunden - die Staatsanwaltschaft Krems eröffnet ein Verfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen unbekannte Täter, aufseiten der niederösterreichischen Polizei wird ein Akt mit dem Betreff "Verdacht auf bedenklicher Todesfall" angelegt - an diesem Punkt wäre Pilnaceks Mobiltelefon zwar ein wichtiges Beweismittel, es wird aber nicht so behandelt. Für das Landeskriminalamt Niederösterreich steht bereits am 20. Oktober fest: Suizid. In dieser Episode: Warum das Handy zwar vom LKA abgeholt, aber nie sichergestellt wurde – und wie es ein Beamter damals geschafft hat, durch einen geschlossenen Gefrierbeutel in Pilnaceks Geldbörse zu schauen.
Michael Nikbakhsh
Herzlich willkommen zur 164. Ausgabe der Dunkelkammer. Mein Name ist Michael Nikbakhsh und für die heutige Episode war ich zunächst versucht, etwas zu einer Causa zu machen, die mich die längste Zeit meines Berufslebens begleitet hat, die Causa Buwog nämlich. Aber das ging sich mit dem Redaktionsschluss dieser Ausgabe am 20. März am vormittag schlicht nicht aus. Da hat das Berufungsverfahren von Grasser und anderen Angeklagten vor dem Obersten Gerichtshof begonnen. Ich werde dazu noch etwas nachreichen, und ganz unabhängig vom Verfahrensausgang: Die überlange Verfahrensdauer liegt so oder so wie ein Schatten über der Causa Buwog. Was bei im Fall Buwog viel zu lange dauerte wurde im Fall Pilnacek im Schnellverfahren erledigt.
Und damit bin ich auch schon wieder beim Fall Pilnacek. Und zwar konkret bei seinem Mobiltelefon, das im Zentrum der heutigen Ausgabe steht. Das Handy hätte 2023 eigentlich ein Beweismittel in einem bedenklichen Todesfall sein sollen, Verdacht auf bedenklicher Todesfall – genau so war die Akte Pilnacek behördenseitig nämlich zunächst angelegt worden.
Tatsächlich wurde das Handy dann aber nicht wie ein Beweismittel behandelt. Und zwar weder vom Landeskriminalamt Niederösterreich, noch von der Staatsanwaltschaft Krems. Warum das Handy vom LKA zwar abgeholt aber nie sichergestellt wurde, und wie es ein Beamter des LKA geschafft hat, durch ein Plastiksackerl in Pilnaceks Geldbörse zu schauen, das gibt es jetzt.
Vorneweg will aber zunächst wieder auf Zuschriften Hörerinnen und Hörern zur Causa eingehen, da haben uns abermals einige erreicht. Fangen wir vielleicht mit Pilnaceks Geisterfahrt am 19. Oktober 2023 an. Da gibt es gar nicht wenige, die daran zweifeln, dass es diese Geisterfahrt überhaupt gegeben hat. Claudia zum Beispiel schreibt: Gibt es BEWEISE für die Geisterfahrt? - ich glaube nicht daran. So betrunken sei Pilnacek schließlich nicht gewesen.
Ulrike schreibt: Ich bezweifle, dass es die Geisterfahrt überhaupt gab. Ich stamme aus Krems und fahre die Strecke von Wien aus oft - man kann da nirgends falsch auf die Autobahn auffahren!!!“
Also um das aus der Welt zu räumen. Ja, diese Geisterfahrt, die gab es, dazu gibt es auch polizeilichen Papierkram, der mir vorliegt.
Laut den Polizeiakten wurde Christian Pilnacek am 19. Oktober 2023 um 22. Uhr 23 von Beamten der Autobahnpolizeiinspektion Stockerau auf der S5 bei Kilometer 7,5 auf der Fahrbahn Richtung Krems angehalten, wobei Pilnacek in seinem schwarzen Lexus als Geisterfahrer Richtung Stockerau beziehungsweise Wien unterwegs war. In dem Polizeibericht sind auch 13 Anrufe von Autofahrern erfasst, die die Geisterfahrt zwischen 22.14 Uhr 22.21 Uhr bei der Polizei gemeldet hatten. Wie die Anhaltung abgelaufen ist, das kann man in einem Bericht der API Stockerau nachlesen:
Die Streife API Stockerau 2 stellte sich mit dem Dienstfahrzeug im Bereich des Streckenkilometers 7,5 quer über den ersten und zweiten Fahrstreifen und sperrte somit die Richtungsfahrbahn. Es entstand ein kurzer Rückstau. Die nachkommende Streife API Stockerau 1 konnte die Sperre am zweiten Fahrstreifen zwischen Dienstfahrzeug und Betonmittelleitwand passieren
und fuhr dem bereits wahrgenommenen Geisterfahrer frontal entgegen, sämtliches Blaulicht war eingeschalten, dazu wurden mittels Lichthupe Lichtzeichen abgegeben.
Magister PILNACEK fuhr am zweiten Fahrstreifen unmittelbar neben der Betonleitwand, verlangsamte sein Fahrzeug und hielt unmittelbar vor der Streife API Stockerau 1 sein Fahrzeug an. Der Beifahrer der Streife API Stockerau 1 Gruppeninspektor K verließ das Dienstfahrzeug und begab sich sofort zur Fahrertüre und forderte Mag PILNACEK auf, das Fahrzeug abzustellen und auszusteigen,
Mag PILNACEK folgte den Anweisungen. Somit war die Fahrt um 22:23 Uhr beendet.
Ein Polizist dreht das Auto dann um und bringt es zum Park & Ride Parkplatz der Abfahrt Tulln, dort wird dann auch amtsgehandelt.
Pilnacek macht eine Alkotest am geeichten Alkomat, der hat 0,72 Milligramm Alkoholgehalt je Liter Atemluft, umgerechnet 1,44 Promille. In dem Polizeibericht ist auch eine Stellungnahme von Pilnacek protokolliert:
Ich fuhr in Wien aus der Garage beim Museumsquartier weg und wollte nach Rossatz, ich bin den Ansagen des Navis gefolgt. Wo ich
falsch auf die Autostraße aufgefahren bin kann ich nicht sagen. Ich war mir dessen nicht bewusst. Mir kam es allerdings eigenartig vor, dass mich viele entgegenkommende Fahrzeuge anblendeten.
Wo Pilnacek falsch augefahren ist, das steht nicht fest. Laut Polizei soll es die Abfahrt Königsbrunn gewesen sein,
die Pilnacek als dann irrtümlich Auffahrt benutzt hat, das sind ungefähr 12 Kilometer von da, wo er dann angehalten wurde.
In der polizeilichen Dokumentation sind mir allerdings zwei Dinge aufgefallen, die Fragen aufwerfen, auf die ich noch keine Antworten habe. Das Navi nämlich. Pilnaceks Freundin Karin Wurm hat mir erzählt, dass er definitiv kein Navi gebraucht hätte, um zu ihr nach Rossatz zu finden, aber wenn, dann hätte er dafür sein Handy verwendet und nicht das werkseitige Navi seines Lexus.
Ja, dieses Handy. Um das wird es später noch genauer gehen. Die zweite Sache, die mich stutzig macht.
Pilnacek hat bei der Anhaltung durch die Polizei auch zu Protokoll gegeben, dass er den letzten Alkohol zwischen 21.00 Uhr und 22.00 Uhr konsumiert hatte, und zwar drei Achtel Wein, wobei er das letzte nach eigener Darstellung um 22.00 Uhr getrunken hatte.
Nur: 22.00 Uhr, das wären nur 14 Minuten gewesen, bevor die erste Geisterfahrermeldung bei der Polizei einlangte. Um 22.14 Uhr, 14 Minuten nach dem letzten Achterl, war er bereits als Geisterfahrer auf der S5 Höhe Königsbrunn Richtung Stockerau unterwegs.
Aus Wien kommend geht sich das unmöglich aus. Also entweder stimmt die Zeitangabe von Pilnacek nicht,
oder sie wurde falsch protokolliert oder er hätte noch jemanden in der Gegend von Tulln getroffen und dort getrunken, bevor er sich dann nach Rossatz aufgemacht hat.
Das letzte dokumentierte Treffen hatte er übrigens in Wien mit seiner Stieftochter, in einem Restaurant in der Wiener Innenstadt, das er ihren Angaben zufolge um 20.30 Uhr verlassen hat.
Der weitere Verlauf des Abends ist insoweit bekannt, als Pilnacek von Wurms damaliger Mitbewohnerin, Anna P., das ist die Sobotka-Mitarbeiterin, um 23.41 Uhr vom Park&Ride Parkplatz in Tulln abgeholt und nach Rossatz gefahren wurde. Und entgegen der späteren Aussagen von Wurm und P. hatte Pilnacek auch seinen Laptop bei sich, um den wird es auch noch gehen. Auf der Fahrt nach Rossatz habe er am Beifahrersitzt auf seinem Handy getippt, sagte Anna P später aus. Mit wem er da Kontakt hatte, wissen wir nicht.
In Rossatz angekommen war er laut Karin Wurm schweigsam, er habe weiterhin auf seinem Handy getippt, geraucht und eine halbe flasche Prosecco geleert, sich dann umgezogen und kurz vor 1.00 Uhr allein das Haus verlassen, ohne Geldbörse, Handy, Schlüssel und Laptop
Das wiederum fand Hörer Martin ziemlich sonderbar: Niemand stellt sich scheinbar die Frage, warum ein Mann, der gerade mit dem Auto alkoholisiert als Geisterfahrer unterwegs war, dem deswegen der Führerschein abgenommen wurde, der von einer Bekannten im Auto abgeholt wurde und währenddessen ständig an seinem Handy zugange war, weil er ja alle Hebel in Bewegung setzen musste um zu verhindern, dass das am nächsten Tag schon zur Anzeige gelangt und das sein Karriere-Aus bedeuten würde, ja warum dieser Mann, der dann auch noch im Haus seiner Lebensgefährtin angelangt, ein völlig unüblich schweigsames Verhalten zeigt und wieder am Handy tippte, dieses dann beim Verlassen der Wohnung einfach zurück lässt.
Viele Menschen haben ihr Handy überall dabei, selbst am Klo.
Ja, da war eine Smart-Watch, aber das erklärt für mich nicht, warum Herr PILNACEK in dieser für ihn bedrohlichen Situation spät in der Nacht das Haus verlässt und einfach sein Handy zurück lässt. Muss er nicht ständig mit einer neuen Nachricht von einer der kontaktierten Personen rechnen? Und wenn es nur die Taschenlampe ist, die man in der Nacht in unwegsamem Gelände ganz gut brauchen kann.
Warum Pilnacek an dem Abend so gehandelt hat, das weiß natürlich nur er. Ich will darüber nicht spekulieren.
Einige dieser Fragen ließen sich wohl über das Handy beziehungsweise Kommunikationsdaten beantworten, wenn man sie denn hätte und es auch wollte.
Apropos Spekulationen: Wir bekommen auch Zuschriften, die die Todesumstände hinterfragen,
Stichwort der tiefblaue Kopf von Pilnaceks Leichnam, den die Gemeindeärztin Dagmar W. gesehen hat, der sonst aber nicht weiter dokumentiert worden ist.
Hörer Peter hat dafür keine andere Erklärung als eine Blausäurevergiftung. Ein erfahrener Notfallsanitäter wiederum hat mir geschrieben, die blaue Haut auch Zyanose genannt, sei ein Zeichen für akuten Sauerstoffmangel beziehungsweise Ersticken.
Ursachen dafür könnten Krankheit, Verletzung oder Vergiftung sein, das sei jedenfalls kein eindeutiges Zeichen für irgendeine dieser Ursachen.
Das weiter zu vertiefen, erscheint mir auf Grundlage der uns vorliegenden Dokumente vorerst allerdings nicht wirklich zielführend.
Ich habe mir die gerichtsmedizinischen Unterlagen noch einmal genau angesehen und dabei jetzt folgendes gefunden.
Im Zuge der Obduktion wurde der Harn im Schnelltest auf folgende Substanzen untersucht: Amphetamin, Barbiturate, Benzodiazepine, Kokain, MDMA, Metamphitamin, Morphin, Methadon, trizyklische Antidepressiva und THC. Die Ergebnisse waren allesamt negativ.
Im Körper nachgewiesen wurden lediglich Spuren von Alkohol, Nikotin und Koffein.
Das Mobiltelefon
Wir wissen mittlerweile, dass Beamte des Landeskriminalamts Pilnaceks Handy am Nachmittag des 20. Oktober aus dem Haus in Rossatz zusammen mit seiner Geldbörse, Schlüsseln und anderen Gegenständen abgeholt haben. Ohne den Laptop, der blieb samt der Aktentasche zunächst im Haus zurück. Der Polizei übergeben wurden Handy, Geldbörse und die anderen Dinge das vor dem Haus durch Anna P., und zwar in einem Plastiksackerl, wie es bisher immer hieß.
Auf wessen Initiative hin diese Übergabe stattfand, da gehen die Darstellungen allerdings auseinander. Das LKA sagt, Wurm habe den Wunsch geäußert, dass Pilnaceks Witwe Caroline List die Gegenstände bekommt. Karin Wurm sagt, die Initiative dazu sei von der Polizei ausgegangen, sie selbst habe die Gegenstände jedenfalls nicht an List übergeben wollen. Und Caroline List sagte dazu in einer Einvernahme wörtlich: Die Initiative zum Ausfolgen der Gegenstände ging von der Polizei aus. Es war nicht mein Wunsch.
Der weitere Weg des Handys ist dann auch dokumentiert. Die Polizei übergab es Lists Rechtsanwalt und der gab es dann der Witwe, zusammen mit der Geldbörse und anderen Gegenständen.
Caroline List hat das Handy dann laut eigener Darstellung nach einiger Zeit aus Kummer verbrannt. Mit einem Bunsenbrenner.
Gemeint ist vermutlich ein Flambierbrenner, den man zum Beispiel für Creme Brulee braucht.
Ich weiß nicht, wer der Präsidentin des Grazer Straflandesgerichts den Rat gegeben hat, das Handy mit Feuer zu behandeln, ich kann das jedenfalls nicht zur Nachahmung empfehlen. Handyakkus reagieren auf thermische Behandlung recht empfindlich, da entsteht sehr schnell sehr viel Feuer. Frau List hat damals jedenfalls ein Beweismittel unschädlich gemacht, das weder vom LKA noch von der Staatsanwaltschaft Krems als Beweismittel behandelt worden ist. Das wiederum untersucht jetzt die WKStA. Sie ermittelt gegen mehrere Beamte des LKA Niederösterreich wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs im Zuge der Ermittlungen zu Pilnaceks Tod.
In diesem Verfahren wurde auch Caroline List von der WKStA als Zeugin einvernommen. Sie wurde unter anderem gefragt, ob sie sich bei der Vernichtung des Handys Gedanken darüber gemacht hat, ob dieses womöglich im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Krems zu Beweiszwecken benötigt wird.
List antwortete: Nein. Für mich war klar, dass dies nicht der Fall ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Obduktion bereits erfolgt und ein Fremdverschulden ausgeschlossen. Weder die StA noch die Polizei hat nach dem Handy oder dem Laptop vor der Vernichtung bei mir nachgefragt.
Zwei Anmerkungen dazu: Die Vernichtung bezieht sich nur auf das Handy, nicht auf den Laptop. Den hat Frau List nicht bekommen.
Ja und das mit dem ausgeschlossenen Fremdverschulden im Obduktionsbericht – nun ja, ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, dass der gerichtsmedizinische Gutachter in seiner Zusammenfassung eine Feststellung mit Interpretationsspielraum hinterlassen hat. Demnach habe er keine eindeutigen Hinweise auf grobe Gewaltwirkung durch Dritte gefunden.
So oder so: Als Caroline List das Handy bekam, hatte die Staatsanwaltschaft Krems formell ein Verfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen gegen unbekannt eingeleitet und die Obduktion angeordnet und aufseiten der Polizei war der Pilnacek-Akt unter „Verdacht auf bedenklicher Todesfall“ angelegt worden. Und obwohl diese Verdachtsmomente bestanden, übernahm die Polizei Handy und Geldbörse in einem Sackerl und schaute anschließend nicht hinein. Und zwar weder in das Handy, noch in die Geldbörse.
Nach eigener Darstellung wurden Pilnaceks Gegenstände als „geringfügige Effekten“ eingestuft, also als Habseligkeiten ohne großen materiellen Wert. In dem Verfahren der WKStA wurde einer der verdächtigen Beamter des LKA einvernommen. Er wurde unter anderem gefragt, ob Mobiltelefone für ihn unter geringfügige Effekten fallen. Der Beamte bejahte das, das Mobiltelefon habe Gebrauchsspuren aufgewiesen und sei sicherlich nicht neuwertig gewesen. Daraufhin wollte die Ermittler von dem Beamten wissen, ob er die Gegenstände aus dem Sackerl genommen hatte. Der Beamte verneinte das.
Er habe den Inhalte des Plastiksackerls nur oberflächlich in Augenschein genommen, ohne die Gegenstände aus dem Beutel zu nehmen. In der Geldbörse hätten sich im Scheinfach keine Barmittel befunden, weiter habe man nicht durchsucht.
Daraufhin wurde der Beamte gefragt, wie er in die Geldbörse hinschauen konnte, wo er die Geldbörse doch gar aus dem Sackerl geholt hatte.Antwort des Beamten: Das Sackerl war ein durchsichtiger Gefrierbeutel mit einem Zipp. So konnte ich auch ohne das Sackerl zu öffnen, in die Brieftasche hineinschauen.
Daraufhin fragen ihn die Ermittler, warum er die Gegenstände nicht einfach aus dem Sackerl herausgenommen und angeschaut hat.
Antwort des Beamten: Aufgrund der eindeutigen Spurenlagen war es ein Suizid und daher nicht notwendig.
Meine Anmerkung dazu. Die Beweisaufnahme durch den Gefrierbeutel hindurch erfolgte zu einem Zeitpunkt, da bei der STA Krems wegen fahrlässiger Tötung ermittelt wurde. Das war sechs Tage vor der Obduktion und einen Monat, bevor der Obduktionsbericht tatsächlich vorlag. Und ich kann auch nur noch einmal betonen.
Von Suizid oder Selbstmord steht in dem Obduktionsbericht kein Wort.
Wenn kein Polizist das Sackerl geöffnet hat, dann hat auch keiner versucht, das Mobiltelefon zu öffnen. Und wenn keiner genauer in die Geldbörse geschaut hat, dann wird auch keiner den oder die PIN Codes gesehen haben, die offenbar da drin waren.
Das ist jetzt eine kleine Überraschung. Offenbar hatte Christian Pilnacek handschriftlich zwei vierstellige Zahlen notiert und diese in seiner Brieftasche mitgeführt. Das hat Caroline List bei ihrer Einvernahme vor der WKStA ausgesagt: Zum Zeitpunkt als ich die Geldbörse bekommen habe, waren lediglich 5 Euro darin. Interessanterweise war in der Börse auch ein Zettel, auf dem PIN und PUK in der Handschrift von Christian standen.
Im Protokoll ist an der Stelle auch eine Anmerkung der Vertrauensperson dokumentiert, die Caroline List zu der Einvernahme begleitet hatte. Die Vertrauensperson ergänzt, dass auf dem Zettel lediglich zwei vierstellige Zahlen vermerkt waren. Es ist lediglich eine Vermutung, dass es sich dabei um PIN und PUK gehandelt hat. Der Zettel war auch sicher schon älter, da er ganz vergilbt und bröselig war.
Einen Hinweis auf PIN-Codes in der Geldbörse fand ich allerdings auch in ein Zeugeneinvernahme von Karin Wurm. Sie hat ausgesagt, dass er PIN Codes in seiner Brieftasche hatte, weil er sich diese nicht merken habe können. In der Regel habe er das Handy aber über den Fingerabdruck entsperrt.
Als das Handy übergeben an die Polizei am Nachmittag des 20. Oktober übergeben wurde, war es laut Karin Wurm übrigens eingeschaltet.
Fürs Protokoll: Als Karin Wurm kürzlich bei im Podcast war, hat sie das nicht erzählt. Mir lag ihre Aussage zu dem Zeitpunkt nicht vor.
Zu den Einvernahmeprotokollen, die ich für diese Ausgabe durchgearbeitet habe, zählt auch eines zur Befragung eines Chefinspektor des Landeskriminalamts Niederösterreich. Er sagte aus, er selbst habe die Geldbörse nie in der Hand gehabt, auch hätten seine Kollegen und er niemals Kenntnis von einem PIN oder Entsperr-Codes gehabt.
Er wurde da auch gefragt, warum er damals davon ausgegangen ist, dass das Mobiltelefon als Beweismittel nicht benötigt wird.
Der Beamte antwortete: Weil die Spurenlage und die Ermittlungen für uns vom Leib/Leben und vom Tatort ergeben haben, dass wir von einem Suizid überzeugt waren. Dieses Ermittlungsergebnis wurde Bein der Obduktion am 26. 10. 2023 genau so bestätigt und im schriftlichen Gutachten geschrieben. Auch die Toxikologie ergab keine verdächtigen Substanzen und bestätigte unsere ersten Ergebnisse vollinhaltlich. Magister Pilnacek hatte das Mobiltelefon bei Verlassen des Hauses nicht bei sich, deswegen hatte dieses für uns keine Relevanz. Wir gingen mit 99,9-prozentiger Sicherheit davon aus, dass es sich um einen Suizid gehandelt hat. Wir gingen aufgrund der vorliegenden Ergebnisse der Tatortermittlungen und der Vernehmungen davon aus. Wenn mir vorgehalten wird, dass ich vorhin angegeben habe, dass bei einer Obduktion auch eine auf den ersten Blick nicht sichtbare Vergiftung zu Tage treten kann, so gebe ich an, dass die Tatortgruppe und die Beamten des Ermittlungsbereichs Leib/Leben sehr viel Erfahrung in Todesermittlungen haben und deshalb, wie bereits angeführt, das vorliegende Ermittlungsergebnis keine Hinweise und keinen Verdacht auf ein Fremdverschulden ergeben hat.
Damit ist zumindest dokumentiert, dass der Selbstmord für das Landeskriminalamt bereits am Tag des Auffindens von Pilnaceks Leichnam feststand.
Interessanterweise wurde die Pilnaceks Smartwatch dann doch ausgewertet, man hat nach Geo- und Gesundheitsdaten gesucht, aber laut dem LKA keine Aufzeichnungen gefunden.
Auch der Leiter des Landeskriminalamts Niederösterreich wurde von der WKStA befragt. Er sagte als Zeuge aus unter Wahrheitspflicht Folgendes aus:
Frage der WKStA: Das Ermittlungsverfahren zur Klärung des Todesursache war offen. Ist es in derartigen Fällen nicht üblich, die letzte Kommunikation des Verstorbenen zu überprüfen, um festzustellen, ob Abschiedsbriefe, die auf einen Freitod oder Drohungen oder Ähnliches, die den Verstorbenen in einen Freitod getrieben haben könnten, hinweisen, vorliegen?
Antwort des LKA-Leiters: Natürlich gibt es Fälle, in denen das Handy angeschaut wird. Wenn sich im Nachhinein herausgestellt hätte, dass man das Handy im Ermittlungsverfahren als Beweismittel benötigt, hätte man es im Nachhinein sicherstellen könne. Im konkreten Fall gab es eine Reihe von Indizien, dass ein Suizid vorliegt.
Ein absurder Gedanke
Nun, das mit dem Sicherstellen im Nachhinein dürfte dann etwas komplizierter geworden sein, Stichwort Bunsenbrenner.
Auch doe Staatsanwaltschaft Krems hat sich zu dem Fall geäußert. Sie hat der WKStA unter anderem eine Stellungnahme geschickt. Ein Auszug: Seitens der Staatsanwaltschaft Krems wurde keine Anordnung der Sicherstellung des Mobiltelefon zu Beweiszwecken erlassen, da daraus keine Klärung der Frage eines Fremdverschuldens zu erwarten war … Darüber hinaus kann nie ausgeschlossen werden, dass in einem Ermittlungsverfahren fallaktuell richtig Entscheidungen getroffen werden, für die durch später hinzugekommene Umstände ex post betrachtet eine anderer Vorgangsweise wünschenswert gewesen wäre.
Würde man derartige Entscheidungen am Ende des Verfahrens kriminalisieren, müsst es folgerichtig nach Freisprüchen auch zu Ermittlungsverfahren gegen Polizei und Staatsanwält:innen sowie der Fachaufsicht kommen. Ein absurder Gedanke.
Im gegenständlichen Fall gab es keinerlei Anlass für eine Sicherstellung des Mobiltelefons oder gar eine Auswertung desselben, da bereits nach den Erstermittlungen die Todesursache Suizid feststand. Aufenthalt des Opfers und Kontakte in der Zeit zwischen seiner Anhaltung als Geisterfahrer, die zweifellos das Motiv für den Suizid war, und Verlassen des Wohnhauses waren bekannt.
Im Hinblick auf fehlendes Fremdverschulden wurden diesbezüglich keine weiteren Erhebungen veranlasst, da nicht relevant …
Das Motiv für den Selbstmord ist bekannt. Anhaltung als alkoholisierter Geisterfahrer und Führerscheinabnahme. Bei Bekanntwerden wäre neuerlich eine mediale Vernichtung von Magister Pilnacek zu erwarten gewesen.
Das ist jetzt allerdings ein starkes Stück. Die Staatsanwaltschaft Krems liefert hier zum Selbstmord ein Motiv, für das es keinen einzigen Beleg gibt, nicht einmal ein Indiz: Pilnacek habe sich aus Angst vor neuerlicher medialer Vernichtung das Leben genommen.
Auch so spekulativ kann man einen Fall abschließen.
Während ich diese Episode einspreche, hat sich auch rund um die Causa Pilnacek einiges auf rechtlicher Ebene getan.
Nach einem Bericht auf heute punkt at will Bundespolizeidirektor Michael Takacs Peter Pilz die weitere Verbreitung seines Pilnacek-Buchs gerichtlich untersagen lassen. Er habe dazu mehrere medienrechtliche Anträge beim Wiener Straflandesgericht eingebracht. Heute hatte die Information übrigens schneller als Pilz selbst.
Karin Wurm wiederum ist neuerdings auch Beschuldigte bei der WKStA. Das hat mit dem Verbleib von Pilnaceks Laptop zu tun.
Ich habe darüber schon ausführlich berichtet, Karin Wurm und Anna P. hatten zum Verbleib des Laptops in Einvernahmen ahnungslos gegeben, was nicht den Tatsachen entsprach. Aus diesem Grund hat die WKStA zunächst gegen Anna P. als Beschuldigte ein Verfahren eröffnet, das nun auf Karin Wurm ausgedehnt wurde. Das allerdings nur deshalb, weil Karin Wurm kürzlich ein weiteres Mal bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt hat und da ihre frühere Aussage korrigiert hat. Damit hat sie eine Falschaussage eingestanden und die WKStA musste da schon von Amts wegen tätig werden.
Fabian Schmid hat darüber im Standard berichtet und Wurms Anwalt Volkert Sackmann dazu wie folgt zitiert.
Karin Wurm sei bei ihrer ersten Aussage "massiv unter Druck" gestanden, nachdem Wolfgang Sobotka ihr über Anna P. "ausrichten habe lassen, sie solle nicht mit Medien reden und aufhören zu behaupten, Pilnacek sei keines natürlichen Todes gestorben". Wurm habe "Angst vor dem einflussreichen Nationalratspräsidenten Sobotka" gehabt: "Sie war mit der Gesamtsituation schlichtweg überfordert und wusste nicht mehr, was wahr und was falsch ist."
Ja und wie es das Leben so will, bin ich just in diesem Laptop-Verfahren jetzt nicht mehr nur Berichterstatter,
sondern nunmehr auch ein Zeuge. Die WKStA hat mir eine Zeugenladung geschickt,
ich werde da demnächst hingehen – vorab möchte dazu noch nicht mehr sagen, Details dazu gibt es nach meiner Einvernahme.
So ich bin für heute am Schluss, und ich hab immer noch einen Berg von weiteren Fragen aus der Dunkelkammer-Community abzuarbeiten, auch wenn ich weit davon entfernt bin, alles befriedigend beantworten zu können.
Aber ich arbeite dran. Wird also nicht die letzte Folge zum Fall Pilnacek gewesen sein.
Autor:in:Michael Nikbakhsh |