Die Dunkelkammer
Die Nonnen von Goldenstein #6: "Die Schwestern wurden komplett über den Tisch gezogen"

- hochgeladen von Michael Nikbakhsh
Für die meisten Menschen ist das kanonische Recht der römisch-katholischen Kirche, der Codex Iuris Canonici, ein Buch mit sieben Siegeln. Was hat es mit dem Armutsgelübde der Augustiner Chorfrauen auf sich? Darf Propst Markus Grasl als ihr aktueller Ordensoberer einfach ihr Konto sperren und über ihr Geld verfügen? Darf er hinter dem Rücken der drei Ordensfrauen Autos verkaufen? Was ist mit den Pensionen, die Schwester Regina und Schwester Bernadette beziehen, weil sie jahrzehntelang als Lehrer:innen und – im Fall von Schwester Regina – als Schuldirektorin gearbeitet haben? Wie stehen staatliches und kirchliches Recht überhaupt zueinander? Warum interessiert sich die Staatsanwaltschaft Salzburg nicht dafür, dass 50.000 Euro Barmittel aus dem Kleiderschrank von Schwester Rita verschwunden sind? Geht es den Staat wirklich nichts an, was hinter Klostermauern passiert? Zählt die Würde von Ordensfrauen weniger als die anderer Menschen? In dieser Folge gibt der Kirchenrechtler Wolfgang Rothe fundierte und klare Antworten auf alle diese Fragen.
Edith Meinhart
Herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Dunkelkammer. Mein Name ist Edith Meinhart.
Wer nichts weiß, muss alles glauben. Dieses Zitat der österreichischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach fällt mir in letzter Zeit öfter, wenn ich den Fragen nachzugehen versuche, die im Fall der Nonnen von Goldenstein nach wie vor offen sind. Was hat es mit dem Armutsgelübde der Augustiner Chorfrauen auf sich? Darf der Ordensobere Propst Markus Grasl einfach das Konto von Schwester Bernadette sperren und das Geld an sich nehmen, das die Nonnen jahrzehntelang erspart haben, unter anderem, um für ihr Alter vorzusorgen. Darf er hinter ihrem Rücken einfach ihre Autos verkaufen und das Geld behalten? Kontrolliert das irgendwer? Was ist mit den Pensionen, die Schwester Regina und Schwester Bernadette beziehen, weil sie jahrzehntelang als Lehrerinnen und im Fall von Schwester Regina als Schuldirektorin gearbeitet haben? Werden Pensionen nicht auf ein persönliches Konto überwiesen? Ist es üblich in der Kirche, dass ein Orden sie einbehält? Wie stehen staatliches und kirchliches Recht überhaupt zueinander? Geht den Staat nichts an, was hinter Klostermauern passiert? Warum zum Beispiel interessiert sich die Staatsanwaltschaft Salzburg nicht dafür, dass Euro Barmittel aus dem Kleiderschrank von Schwester Regina verschwunden sind?
Und dann ist da noch die Sache mit dem Gehorsam, den die Augustiner Chorfrauen beim Eintritt in den Orden gelobt haben. Heißt das, dass man drei erwachsene Frauen, die weder sich noch andere gefährden, gegen ihren Willen in ein Auto verfrachten und in einem Altersheim abliefern darf? Warum spielt ein Altersheim dabei mit? Die Erzdiözese Salzburg, der Propst des Stiftes der Augustiner Chorherren, die Präsidentin der Föderation der Augustiner Chorfrauen, die Leiterin der Seniorenresidenz Carlsberg in Oberalm, sie alle haben zu diesem Thema bisher nichts oder nur wenig gesagt und an vielen Stellen auf das Kirchenrecht verwiesen, auf Ordensregeln, auf einen Codex Iuris Canonici, das sogenannte Kanonische Recht oder auch auf das zuständige Dikasterium in Rom.
Für mich ist das alles ein Buch mit sieben Siegeln und für die meisten Hörerinnen und Hörer wohl auch. Ich habe mich deshalb in den vergangenen Wochen bemüht, jemanden zu finden, der sich hier auskennt, nicht befangen ist, weil er oder sie für eine Diözese oder einen Orden tätig ist und bereit ist, mit mir über das zu reden. Deshalb freue ich mich jetzt sehr, einen sehr kompetenten Gesprächspartner gefunden zu Dr. Dr. Wolfgang Rothe. Wir sind telefonisch miteinander verbunden. Sie sitzen in Deutschland. Schön, dass wir es geschafft haben.
Wolfgang Rothe
Ganz meinerseits. Vielen Dank, Frau Meinhart, für Ihr Interesse.
Edith Meinhart
Herr Rothe, Sie sind 1967 im deutschen Marburg auf die Welt gekommen. Sie wurden römisch-katholischer Priester, Sie besitzen zwei Doktortitel, einen in Theologie und einen in Kirchenrecht. Und Sie haben einen so aufregenden Lebenslauf, dass ich Sie bitten würde, sich selbst vorzustellen.
Wolfgang Rothe
Ja, mein Lebenslauf ist in der Tat aufregend und hat mich auch immer wieder sehr viel Kraft gekostet, denn ich bin als Kind und Jugendlicher in eine Kirche sozialisiert worden, die ganz im konservativen Spektrum beheimatet war. Ich habe diese Welt, diese Kirche damals als einen Ort der Geborgenheit, als meine Heimat erlebt und mich dort sehr wohl gefühlt. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte bin ich aber auch durch sehr schmerzliche Erfahrungen, darunter auch Missbrauchserfahrungen, darauf gekommen, dass vieles von dem, was in der Kirche behauptet und zu glauben vorgegeben wird, auf tönernen Füßen steht, und zwar sowohl aus humanwissenschaftlicher Perspektive als auch aus theologischer und insbesondere bibelwissenschaftlicher Perspektive. Und so bin ich ungewollt, aber doch wild entschlossen von einem kirchlichen Milieu in ein anderes gewechselt. Das war eine sehr schmerzhafte Erfahrung, weil viele Freundschaften auf der Strecke geblieben sind, weil ich im konservativen Milieu der Kirche als Nestbeschmutzer, als Verräter, als Überläufer betrachtet werde und man auch dementsprechend argwöhnisch beobachtet, was ich so treibe, was ich so in der Öffentlichkeit sage. Aber auf der anderen Seite ist die Öffentlichkeit auch mein einziger Schutz, weil wenn die Öffentlichkeit nicht wäre, die kirchliche Obrigkeit mich mit Sicherheit schon längst sanktioniert hätte, denn entsprechende Drohungen gab und gibt es immer wieder.
Jedenfalls setze ich mich seit etlichen Jahren unter anderem für die Rechte von Frauen in der Kirche ein. Gründe, warum zum Beispiel Frauen in der Kirche anders behandelt werden, vom Weiheamt ausgeschlossen werden, halte ich nicht für überzeugend. Die Gründe, die die Kirche vorbringt, sind leicht zu widerlegen. Ähnlich ist es mit Menschen aus der queeren Community. Auch hier setze ich mich massiv ein, dass Menschen die eine queere Identität oder sexuelle Orientierung haben, in der Kirche gleichberechtigt behandelt werden. Von diesem Ziel sind wir noch sehr, sehr weit entfernt. Und der dritte Punkt, mit dem ich mich in der Kirche immer wieder unbeliebt mache, ist mein Einsatz für Missbrauchsbetroffene. Interessanterweise wurde ich im Dezember letzten Jahres zu meiner eigenen Überraschung in den Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz berufen und auf diese Weise habe ich dann doch auch eine gewisse Bestätigung in diesem Bereich gefunden. Also man kann das, was ich zu sagen habe, mittlerweile nicht mehr ohne weiteres übergehen.
Edith Meinhart
Sie haben gesagt, die Argumente der konservativen Kreise der Kirche sind leicht zu widerlegen. Ich möchte jetzt hinzufügen, für Sie sind sie leicht zu widerlegen, weil Sie sowohl in Theologie als auch in Kirchenrecht beschlagen sind. Wo und warum haben Sie Kirchenrecht studiert?
Wolfgang Rothe
Das Kirchenrecht war eigentlich nicht meine erste Wahl. Das hat mir mein damaliger Bischof, der in Österreich sicherlich noch sehr bekannt ist, Bischof Kren von St. Pölten, hat er mir vorgegeben. Ich habe ihm gegenüber gesagt, ich würde gerne studieren, und er hat mir gesagt, dann machen Sie Kirchenrecht. Das habe ich dann aber auch mit großer Leidenschaft gemacht und das Kirchenrecht tatsächlich auch als einen Fachbereich entdeckt, der für mich persönlich sehr wichtig war, weil ich mich auf diese Weise gegen kirchliche Übergriffe, gegen kirchliches Machtgebaren gut wehren kann und auf der anderen Seite, weil ich anderen Menschen, die in der Kirche in Schwierigkeiten geraten sind, auf diese Weise eben sehr effektiv helfen kann.
Edith Meinhart
Das kanonische Recht besteht, wenn ich es richtig verstanden habe, aus Regeln, die sich die römisch-katholische Kirche vor sehr langer Zeit selbst gegeben hat. Wann sind die entstanden? Für wen gelten sie? Sind die irgendwo festgeschrieben? Und gibt es Gerichte? Gibt es einen Instanzenzug, die bei Fehlverhalten anzurufen sind? Wie funktioniert das?
Wolfgang Rothe
Ja, Sie haben das jetzt schon mit Ihren Fragen ganz richtig beschrieben. Das kanonische Recht ist im Grunde so alt wie die Kirche selbst, also 2000 Jahre alt. Die einzelnen Gesetze und Regeln, die haben sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende angesammelt, wurden immer wieder verändert, verworfen, Neue Gesetze wurden eingeführt und zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurden die Gesetze der römisch-katholischen Kirche erstmals in einem Gesetzbuch, dem Codex Iuris Canonici, dem Gesetzbuch der lateinischen Kirche, zusammengefasst. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde dieses kirchliche Gesetzbuch grundlegend überarbeitet und 1983 neu herausgebracht. Das ist sozusagen die grundlegende Gesetzessammlung der katholischen Kirche. Es gibt aber immer wieder auch Gesetze und Regeln, die in anderer Form publiziert sind. Da muss man eben wissen, was gerade in welchem Bereich noch hinzukommt.
Und auch diese Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt, sondern können immer wieder ergänzt, verändert, korrigiert werden, wie es zum Beispiel unlängst geschehen ist in Bezug auf die kirchlichen Regeln bei sexualisierter Gewalt. In der Vergangenheit war es immer so, dass die Schuld an solchen Vorfällen im Grunde den Opfern zugeschrieben wurde, weil die Opfer sozusagen die Täter verführt haben. Und insofern wurden solche Vergehen, solche Verbrechen eben auch nicht als Missbrauch gewertet, sondern als Zölibatsverstoß. Das hat sich mittlerweile zumindest teilweise verändert. Also die Kirche ist durchaus lernfähig, aber meiner Erfahrung nach immer nur dann, wenn ein entsprechend großer Druck von außen besteht.
Edith Meinhart
Da kommen wir auch dann dazu, wie wichtig Öffentlichkeit ist. Und auch im Fall der Nonnen von Goldenstein ist ganz grundsätzlich einmal gefragt, in welchem Verhältnis stehen das kirchliche und das staatliche Recht zueinander?
Wolfgang Rothe
Grundsätzlich sind das zwei vollkommen unabhängige Rechtskreise. Das gibt es ja in vielen anderen Bereichen auch. Jeder Verein, jeder Briefmarkensammlerverein, jeder Hasenzüchterverein hat sein Statut, das er selbst bestimmt. Und auf dieser Grundlage werden dann eben Entscheidungen getroffen innerhalb dieser Gemeinschaft. Und genauso nimmt auch die katholische Kirche für sich in Anspruch, ihr Leben nach eigenen Regeln zu organisieren und abzuwickeln. Das ist also mal grundsätzlich vollkommen in Ordnung. Das gibt es in vielen anderen Lebensbereichen auch.
Allerdings darf man nicht vergessen, dass dieses Gesetzwerk der katholischen Kirche nicht in Konkurrenz zum staatlichen Recht steht. Das heißt, eine Person, die katholisch ist, die unterliegt sowohl dem kirchlichen Recht als auch dem staatlichen Recht, wobei die Kirche keine Möglichkeit hat, ihren Rechtsanspruch durchzusetzen. Sie hat keine Möglichkeit, in irgendeiner Form Gewalt anzuwenden, jemanden einzusperren, jemanden vorzuladen. Der Staat schon und der Staat beharrt darauf, dass er dieses Recht hat. Und damit ist vollkommen klar, dass bei allen Fällen, die nicht nur kirchliches Recht berühren, sondern auch staatliches Recht berühren, das staatliche Recht dem kirchlichen Recht übergeordnet ist.
Edith Meinhart
Das heißt, es gibt auch keine kirchlichen Gerichte oder Gremien, die bei Regelverstößen dann Sanktionen verordnen.
Wolfgang Rothe
Doch durchaus, es gibt kirchliche Gerichte. Allerdings muss man sagen, dass die kirchliche Gerichtsbarkeit in weiten Bereichen eine Willkürgerichtsbarkeit ist. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass die kirchliche Gerichtsbarkeit darauf angelegt ist, zu suggerieren, es gibt eine unabhängige Justiz. Aber letztlich sind es doch immer die Bischöfe bzw. Am Schluss der Papst, die die Möglichkeit haben zu entscheiden. Wenn man zum Beispiel gegen irgendeinen Beschluss eines Bischofs juristisch vorgehen möchte, muss man sich an das römische Dikasterium wenden, das in der bestimmten Sachfrage zuständig ist. Und natürlich entscheidet Rom in aller Regel so, wie es der Bischof gerne hätte.
Edith Meinhart
Darauf würde ich dann noch näher eingehen wollen. Kommen wir davor zum Gehorsam, den die Augustiner Chorfrauen bei ihrer ewigen Profess gelobt haben. Was versteht man darunter und ist das Teil des kanonischen Rechts?
Wolfgang Rothe
Der Gehorsam von Ordensfrauen, von Ordensleuten insgesamt ist im kanonischen Recht geregelt. Bei diesem Gehorsam handelt es sich aber zunächst mal um ein spirituelles, ein geistliches Ideal. Es geht darum, dem Beispiel Jesu nachzufolgen, der immer wieder gesagt Ich tue nur das und all das, was mir der Vater im Himmel vorgegeben hat. Und diesem Ideal, dem versuchen Ordensleute dadurch zu folgen, dass sie ihren Willen, ihre Wünsche weitgehend aufgeben und sich im Gehorsam einer bestimmten Autorität unterordnen, in der Regel der Ordensobere, wobei es auch da unterschiedliche Stufen gibt. Es gibt den Hausoberen, den Provinzoberen, den Generaloberen, der meist in Rom sitzt. Nur darf man dabei eben nicht vergessen, dass es sich um ein spirituelles Ideal handelt. Und wir wissen mittlerweile, dass es auch spirituellen Missbrauch gibt.
Das heißt, man muss im Rahmen des kirchlichen Gehorsams immer sehr darauf achten, dass das Gehorsamsgelübde nicht missbraucht wird, um irgendwelche Interessen durchzusetzen, die mit diesem geistlichen Ideal gar nichts zu tun haben. Der Gehorsam soll das Leben innerhalb einer Ordensgemeinschaft schützen, indem eben nicht jeder tut, was er will, sondern indem eine Gemeinschaft füreinander da ist, aufeinander aufpasst und miteinander arbeitet. Das braucht Regeln, das braucht Normen. Das ist grundsätzlich auch vollkommen in Ordnung. Problematisch wird es noch einmal, wenn dieser Ordensgehorsam missbraucht wird, um Zwecke durchzusetzen, die mit diesem spirituellen Ideal gar nichts zu tun haben.
Edith Meinhart
Da denke ich jetzt dann sofort an die Nonnen von Goldenstein, Schwester Bernadette, Schwester Rita und Schwester Regina sind die letzten drei verbliebenen Augustiner Chorfrauen im erwähnten Kloster Goldenstein in Salzburg. Sie haben 2022 auf Geheiß aus Rom ihr Kloster und ihre Ordensschule je zur Hälfte an die Erzdiözese Salzburg und an das Stift der Augustiner Chorherren in Reichersberg, Oberösterreich, übergeben. Ist das ein üblicher Vorgang?
Wolfgang Rothe
Das ist ein durchaus üblicher Vorgang. Ich habe bisher auch schon zwei Ordensgemeinschaften begleitet, die in einer ähnlichen Situation waren, die auch, als sie gemerkt haben, dass sie keinen Nachwuchs mehr bekommen und auf Dauer nicht überlebensfähig sind, in einem Vertrag mit einer übergeordneten kirchlichen Instanz dafür gesorgt haben, dass ihr Erbe weitergeführt wird und sie selbst zugleich im Alter abgesichert sind. Das hat in diesen beiden Fällen, die ich begleitet habe, auch sehr gut geklappt, weil alles einvernehmlich geschehen ist. Und genau hier ist, glaube ich, der springende Punkt im Fall Goldenstein. Denn in diesem Vertrag, in diesem Übergabevertrag sind die Regelungen auf einem so ungleichen Niveau angesiedelt, dass man eigentlich nur fassungslos werden kann. Die Schwestern sind komplett diejenigen, die etwas geben und garantieren. Und die andere Seite, also das Kohärenzstift Reichersberg und die Erzdiözese Salzburg, stellen Dinge in Aussicht, wollen sich bemühen.
Aber ausdrücklich heißt es in dem Vertrag, dass daraus keine wie -auch immer geartete rechtlich verbindliche Gegenleistung abgeleitet werden. Kann. Das heißt, das ist ein Vertrag, der nicht auf Augenhöhe geschlossen wurde. Meines Erachtens wurden die drei Schwestern komplett über den Tisch gezogen.
Edith Meinhart
Sie haben das nicht gemerkt, die Schwestern, Man hat ihnen das auch nicht erklärt. In dem Übergabsvertrag steht nämlich ein Passus, wo sehr ausführlich beschrieben ist, dass sie, so wie bisher heißt es auch wörtlich, in ihren gewohnten Gemächern ihren Lebensabend verbringen dürfen. Das sind dann die gemächerbeschrieben, inklusive grünes Zimmer und Klostergarten und Glashaus. Und sie haben nicht daran gedacht, dass ein Passus weiter unten dieses Versprechen komplett aufhebt oder wie Sie sagen, auch quasi ins Nebulose, ins Können wir machen, aber ist nicht garantiert entrückt. Sie haben das damals in dem guten Glauben unterschrieben, dass der Ordensobere ihr Bestes will. Sie sind gar nicht auf die Idee gekommen, dass jemand, mit dem sie so lange auch Kontakt hatten, den sie sich ja sogar selbst als Ordensoberin ausgesucht haben, über den Tisch ziehen könnte.
Wolfgang Rothe
Ja, also da waren die Schwestern offenkundig zu gutgläubig im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben darauf vertraut, dass innerhalb der Kirche alle nur das Beste für sie wollen und dass sie sich darauf verlassen können. Aber der Vertrag spricht eben eine andere Sprache. Es ist sehr bedauerlich, dass die Schwestern keine externe Beratung in Anspruch genommen haben. Man muss diesen Vertrag nur einmal oberflächlich durchlesen, um zu sehen, dass hier ein völliges Ungleichgewicht zwischen beiden Parteien herrscht. Und das hätte man den Schwestern unbedingt deutlich machen müssen. Und das ist leider nicht geschehen.
Es gibt sogar im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch in Österreich einen Passus 879 wo es ausdrücklich heißt, dass ein Vertrag, ein Rechtsgeschäft, bei dem der Vermögenswert in auffallendem Missverhältnis zum Wert der Leistung steht, dass ein solcher Vertrag sittenwidrig und nichtig ist. Das würde ich für diesen Vertrag in jedem Fall veranschlagen, weil das, was gefordert oder das, was angeboten wird und das, was gegeben wird, in einem krassen Missverhältnis stehen.
Edith Meinhart
Die Immobilie Goldenstein ist ja mehrere Millionen Euro wert. Das ist eine alleinstehende Immobilie im Süden von Salzburg, umgeben von einem wunderschönen Park, einer Grünanlage. Um diesen Vertrag anzufechten, hätten die Nonnen aber Geld haben müssen. Das hatten sie nicht, weil die Konten wurden auch gesperrt, da kommen wir dann später noch dazu. Tatsächlich wurde dieses Versprechen bald gebrochen und die drei Schwestern sind gegen ihren Willen in ein Altersheim gebracht worden. Eine zwangsweise Unterbringung ist in Österreich grundsätzlich nicht erlaubt, in Deutschland sicher auch nicht und sie erfolgt unter sehr strengen gesetzlichen Voraussetzungen, sprich, wenn jemand Gefahr läuft, schwer zu verwahrlosen oder suizidal ist oder es keine andere Möglichkeit der Versorgung gibt. Und Pflegeheime sind auch nicht befugt, Personen aufzunehmen, die das gar nicht wollen, also die ausdrücklich bekunden, nicht freiwillig hier zu sein, wenn es keine gerichtliche oder behördliche Entscheidung gibt. Das heißt, sie haben gesagt, das staatliche Recht steht grundsätzlich über dem kirchlichen Recht. Das hätte dann auch für die Ordensfrauen gegolten.
Wolfgang Rothe
Absolut. Die Ordensfrauen sind Bürgerinnen der Republik Österreich und haben die gleichen Rechte wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger in Österreich auch. Und dieses Recht haben sie natürlich auch, können sie natürlich auch geltend machen. Aber dafür brauchen sie eben entsprechend geschulte Personen und eben auch entsprechende Geldmittel, die sie ja offenbar jetzt nicht mehr haben. Und insofern ist es sehr gut, dass die Öffentlichkeit auf diesen Fall sehr genau draufschaut, denn das scheint mir momentan der einzige Weg zu sein, auf dem den Schwestern effektiv geholfen werden kann.
Edith Meinhart
Ich habe mich als Journalistin auch gefragt, warum da eine Heimleitung überhaupt mitspielt. Die müssen ja auch die Gesetzeslage kennen. Ich habe darauf auch keine Antwort bekommen. Ich habe natürlich um Auskunft gebeten. Kennen Sie ähnliche Fälle?
Wolfgang Rothe
Also ich würde mal so sagen. Die beiden Ordensgemeinschaften, die ich auf einem ähnlichen Weg begleitet habe, die haben tatsächlich sich dafür entschieden, gemeinsam ihren Lebensabend in einem Altenheim zu verbringen. Das mag der vernünftige Weg sein, nur man kann niemanden dazu zwingen, vernünftig zu sein. Und wenn die Schwestern Wir wollen nicht in ein Altenheim, dann ist das gefälligst zu akzeptieren. Es wird immer wieder ins Spiel gebracht: Ja, wir wollen ja nur das Beste. Ja, es könnte ja irgendwas passieren. Das spielt alles keine Rolle. Die Schwestern sind mündige Bürgerinnen der Republik Österreich. Und wenn sie Wir möchten nicht in dieses Altenheim ziehen, wir möchten zurück in unser Kloster, dann haben sie jedes Recht darauf und niemand hat das Recht, sie dazu zu zwingen, solange, wie Sie ja richtig gesagt haben, keine Selbstgefährdung oder keine Gefährdung anderer Personen vorliegt, die dann allerdings auch noch von einem Gericht entsprechend beurteilt werden müsste.
Edith Meinhart
Die Schwestern sagen, sie hätten vielleicht sogar eingewilligt, in ein Altersheim zu gehen, aber es wurde ja nie mit ihnen gesprochen. Sie wurden ins Altersheim gebracht, haben lange Zeit nicht verstanden, dass sie dafür immer bleiben sollen. Also zuerst wurde ihnen nicht gesagt, dass sie ins Altersheim kommen, dann wurde ihnen nicht gesagt, dass sie da bleiben sollen. Retrospektiv sagt jetzt der Ordensobere doch, sie hätten sehr wohl über die Zukunft gesprochen. Die drei Ordensfrauen sagen ganz dezidiert und unabhängig voneinander, das stimmt nicht. Also in den von ihnen begleiteten Fällen hat man offensichtlich das Einvernehmen gesucht vorher.
Wolfgang Rothe
Genau dieses Einvernehmen bestand zunächst mal innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft. Diese Gemeinschaften haben sich dafür entschieden, diesen Weg einzuschlagen und haben dann um Unterstützung von Seiten der Kirche gebeten, dass eben die entsprechenden Liegenschaften übernommen werden, dass das alles finanziell in trockenen Tüchern ist. Und das hat auch wunderbar geklappt. In diesem Fall, im Fall Goldenstein sieht es meines Erachtens komplett anders aus, auch wenn rechtlich alles sehr vergleichbar ist, weil die Schwestern einfach nicht wollen und sie haben das Recht nicht zu wollen. Offenbar, Sie haben es ja auch gerade gesagt, hat man mit ihnen das gar nicht im Einzelnen besprochen und man hat sie im Grunde entmündigt. Und ich erlebe so was als Seelsorger immer wieder einmal, dass Familien die Oma, sobald sie nicht mehr sich selbst versorgen kann, einfach ins Altenheim verfrachten gegen ihren Willen. Also solche Fälle gibt es in Familien immer wieder. Aber müsste nicht gerade die Kirche sensibler vorgehen? Menschen auch im Alter respektieren, ihren Willen zur Kenntnis nehmen, versuchen mit diesen Menschen zu reden, gegebenenfalls sie auch zu überzeugen. Aber reden muss man und nicht einfach über die Köpfe hinweg zu entscheiden. Das ist menschenverachtend und menschenunwürdig, wie die Kirche mit den drei Nonnen von Goldenstein umgegangen ist.
Edith Meinhart
Es ging dann ja weiter. Die Konten der Nonnen wurden sofort gesperrt. Auf einem Konto bei der Hypobank waren laut ihren Schilderungen 400.000 Euro, auf einem, bei der Spengler Bank 95.000 Euro. Nur konnten sie davon in der Sekunde nichts mehr abheben. Unter den Zetteln, welche die jährige Schwester Bernadette im guten Glauben, dass es ihrem Ordensoberen um das Wohl der Nonnen geht, unterschrieben hat, dürfte eine Bankvollmacht gewesen sein und dann ist das Geld einfach weg. Die Banken spielen da offensichtlich auch mit. Wie denken Sie darüber?
Wolfgang Rothe
Naja, wenn den Banken eine auf den ersten Blick betrachtet gültige Vollmacht vorgelegt wird, haben die Banken gar keine andere Möglichkeit, als entsprechend zu handeln. Sie müssen also das, was sie als rechtmäßig erkennen, umsetzen. Die Frage auch hier ist auch hier wieder, Ist dieses Rechtsgeschäft rechtmäßig zustande gekommen oder war es sittenwidrig? Wurden die Schwestern auch hier über den Tisch gezogen? Haben sie eine Vollmacht unterschrieben, von der sie gar nicht wussten, um was es sich handelt, welche Konsequenzen damit verbunden sind? Und wenn sie das nicht wussten, dann wurden sie gezielt getäuscht. Und insofern handelt es sich dann eben auch nach 879 des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs um einen Vertrag, der gegen die guten Sitten verstößt und nichtig ist. Also einer Überprüfung könnte, sollte auch diese Bankvollmacht nicht standhalten können.
Edith Meinhart
Die Nonnen hätten weiters laut Gesetz Anspruch auf Taschengeld in der Höhe von 20 Prozent ihrer Pension. Das haben sie auch nie erhalten. Stattdessen hat der Propst einen jungen Mann zu ihnen geschickt, der ihnen 150 Euro im Monat gegeben hat, also 50 Euro pro Person. Und er sagt, er darf das kirchenrechtlich.
Wolfgang Rothe
Der Propst ist kirchenrechtlich gesehen der Obere der Schwestern. Diese Vollmacht hat er. Daran ist auch nicht zu rütteln. Kirchenrechtlich handelt er vollkommen korrekt. Wenn er als Obere den Schwestern ein Taschengeld zugesteht oder auch nicht, ist es seine Sache. Das müsste im konkreten Fall in den Statuten der Gemeinschaft festgelegt sein. Ob und in welcher Höhe sie ein Taschengeld beziehen, das weiß ich jetzt nicht, ob es solche Statuten gibt und wie die aussehen. Aber grundsätzlich ist es so, dass die Verfügungsgewalt über jegliches weltliche staatliche Vermögen aus kirchlicher Sicht mit der Ordensprofess an die jeweiligen Oberen abgetreten wird.
Das bedeutet aber nicht automatisch aus Sicht des Staates, dass eine solche Übergabe, eine solche Abtretung auch nach staatlichem Recht gültig ist. Also man muss diese beiden Dinge sorgfältig voneinander unterscheiden. Ich möchte nochmal betonen, aus meiner Sicht, ich weiß natürlich nicht alle Fakten, aber aus meiner Sicht dürfte der Propst kirchenrechtlich korrekt gehandelt haben. Ich habe aber allergrößte Zweifel, ob er nach staatlichem Recht korrekt gehandelt hat. Und er hat auf jeden Fall moralisch äußerst fragwürdig gehandelt.
Edith Meinhart
Der Probst hat weiters für den Betrag, der für die Bezahlung des Altersheims offen geblieben ist, Sozialhilfe beantragt, also staatliches Geld, obwohl es ja Ordensvermögen gegeben hat. Schwester Bernadette hat mir gesagt, sie habe ihrer Erinnerung nach ihn dazu nie bevollmächtigt. Und trotzdem schafft es ein Ordensmann bei einer staatlichen Behörde, diese Sozialhilfe einzureichen. Wird nicht gefragt, ob er den Titel einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung vorlegen kann. Wundert Sie das, dass eine staatliche Behörde das einfach so macht?
Wolfgang Rothe
Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, Frau Meinhart. Aber in Österreich wundert mich so etwas tatsächlich nicht. Ich habe lange genug in Österreich gelebt, um zu wissen, dass in Österreich Staat und Kirche auf das Engste verbandelt sind. In Deutschland wäre so etwas sicherlich nicht möglich, weil alles sorgfältiger getrennt ist. Aber in Österreich gibt es da überall in vielen Bereichen Grauzonen, die auch sehr gerne ausgenutzt werden, um solche Dinge treiben zu können, die eben bei näherer Betrachtung aus einer objektiven Perspektive zumindest fragwürdig erscheinen. Das will man natürlich nicht und insofern nutzt man solche Grauzonen nur allzu gerne aus.
Edith Meinhart
Denken Sie der Staat, vor allem in Österreich in Klammer gesagt jetzt, muss sich in ein neues Verhältnis zur Kirche setzen, in ein zeitgemäßes, auch die Menschenrechte erachtendes Verhältnis.
Wolfgang Rothe
Unbedingt. Also die Republik Österreich ist Teil der Europäischen Union. Die Europäische Union hat eine klare Gesetzgebung in Bezug auf die Menschenrechte. Es gibt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. All das, was Menschenrechte umfasst, muss die Republik Österreich eins zu eins umsetzen. Und darauf kann man sich als Staatsbürgerin und Staatsbürger natürlich auch berufen.
Edith Meinhart
Mir brennt auch zum Armutsgelübde eine Frage unter den Nägeln. Gilt das auch für die Augustiner Chorherren? Weil der Propst geht gerne jagen, wie Medien zu entnehmen, ist kein sehr günstiges Hobby und lässt sich zum Geburtstag um mehrere tausend Euro ein persönlich für ihn angefertigtes Brustkreuz schenken. Die Nonnen laufen in geflickten Trachten herum, tragen überhaupt keinen Schmuck und sollen am besten mit nichts auskommen. Wie passt das zusammen? Sind das unterschiedliche Ordensstatuten? Gibt es da ein oben, unten sind manche gleicher?
Wolfgang Rothe
Also ich würde mich jetzt ungern darauf einlassen, zu beurteilen, ob und inwieweit das Verhalten einer bestimmten Ordensperson jetzt seinem spirituellen Anspruch gerecht wird oder nicht. Das muss der Orden selbst entscheiden, das muss die Person selbst beurteilen und mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Das lässt sich von außen schwer beurteilen. Tatsächlich ist es so, dass Ordensleute, egal ob sie jetzt Augustiner Chorherren von Reichersberg oder Augustiner Chorfrauen von Goldenstein sind, ein Ordensgelübde abgelegt haben, das Gelübde der Armut und damit die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen abgetreten haben. Wenn zum Beispiel ich greife jetzt doch mal das Beispiel auf, das Sie genannt haben, dem Propst von Reichersberg ein goldenes Brustkreuz geschenkt wird, dann geht dieses Kreuz nicht in seinen Privatbesitz über, sondern in den Besitz der Gemeinschaft formell gesehen. Also das lässt sich alles durchaus kirchenrechtlich unter Dach und Fach bringen. Wie es moralisch einzuordnen ist, steht auf einem anderen Blatt. Und wie gesagt, da würde ich mich ungern darauf einlassen, weil ich da die Situation einfach zu wenig kenne.
Edith Meinhart
Kommen wir zum Vatikan. Verstorbene Weihbischöfe und mächtige kirchliche Würdenträger starben oft im Kloster oder in ihren gewöhnlichen Räumlichkeiten und nicht selten wurden sie von Nonnen bis zu ihrem Tod auch gepflegt. Für mich als Außenstehende stellt sich schon die Warum werden mächtige Kirchenmänner nicht ins Altersheim abgeschoben. Warum steht den Augustiner Chorfrauen von Goldenstein nicht auch ein selbstbestimmtes, würdevolles Altern zu? Mr. Der Vatikan mit zweierlei Maß.
Wolfgang Rothe
Also die Entscheidung, die Schwestern ins Altenheim zu verfrachten, ging ja nicht vom Vatikan aus, sondern offenbar vom Propst von Reichersberg. Hier wurde nach Aussage der Schwestern die selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens offenkundig nicht geachtet. Der Vatikan entscheidet in der Regel nicht über solche Detailfragen, sondern trifft allgemeine Entscheidungen. Dass die Gemeinschaft in ihrer bestimmten bisherigen Rechtsstruktur aufgelöst und der Propst von Reichersberg zum neuen Ordensoberen bestimmt wird, das bewegt sich also auf einer ganz anderen Ebene. Es gibt durchaus auch Bischöfe und Priester, die irgendwann einmal im Altenheim landen. Ob sie es jetzt wollen, kann man in manchen Fällen nicht beurteilen. Aber ich kenne viele Fälle, in denen die betreffenden Personen das durchaus bejaht und gewollt haben, weil es ja auch durchaus hilfreich sein kann.
Altenheim ist ja nicht per se ein schlechter Ort, um im Alter zu leben. Nur gerade als Kirche, gerade als Christen müssten wir die Würde von Menschen auch im Alter achten und eigentlich ein Gegenbeispiel bilden zu einer Gesellschaft, in der oft nur Jugend und Leistung etwas zählt. Diese Schwestern haben ihr Leben lang gearbeitet und ihr Leben lang sich dafür eingesetzt, dass junge Menschen eine gute Schulausbildung bekommen. Das sind Werte, die sich über Generationen noch bemerkbar machen werden. Und es ist einfach traurig, wenn sie jetzt so behandelt werden, als hätten sie ihre Schuldigkeit getan und man kann sie einfach verräumen. So schaut es für mich aus. Und das finde ich aus religiöser, aus kirchlicher, aus geistlicher Sicht einfach ein solches Armutszeugnis, dass mir das Herz förmlich blutet.
Edith Meinhart
Anfang Jänner 2025 hat der Verstorbene Papst Franziskus Simona Brambilla zur Präfektin des vatikanischen Dikasteriums für die Institute des geweihten Lebens ernannt und damit zur obersten Verantwortlichen für die Orden. Das ist in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche jetzt erstmals eine Frau. Denken Sie, das ändert etwas am Umgang mit Ordensfrauen?
Wolfgang Rothe
Grundsätzlich ist es so, dass Ordensfrauen in der Kirche einen heiklen und schlechten Stand haben. Erst 2018 hat Papst Franziskus ein neues Dokument herausgebracht mit dem Namen Korps Orans, in dem rechtlich geregelt wird, wie mit Ordensfrauen umzugehen ist. Und dort werden die bestehenden Regeln sogar noch einmal verschärft und noch einmal konkretisiert. Die Frau hat ja im Rahmen der Kirche ohnehin schon eine schwache Position. Bei Ordensfrauen ist es noch einmal durch das Gehorsams und Armutsgelübde wesentlich heikler, weil diese beiden Gelübde natürlich leicht ausgenutzt, leicht missbraucht werden können. Und leider passiert das auch immer wieder.
Edith Meinhart
Ist da Besserung in sich, denken Sie.
Wolfgang Rothe
Jein. Die Tatsache, dass mittlerweile auch Frauen in vatikanische Führungspositionen berufen werden, könnte dazu beitragen, dass sich mit der Zeit ein Mentalitätswechsel einstellt. Das wird aber dauern. Das wird lange dauern. Und vielleicht wird es zu lange dauern, um die einzelnen bekannten Fälle, in denen Ordensfrauen schlecht und gegen ihren Willen behandelt werden, um denen effektiv zu helfen. Also eine vage Hoffnung für die Zukunft sollte einen nicht davon abhalten, in der Gegenwart für die Gerechtigkeit zu kämpfen.
Edith Meinhart
Die Geschichte der Nonnen von Goldenstein könnte sich ja theoretisch andernorts auch wiederholen, weil es gibt viele Orden, die keinen Nachwuchs mehr haben, aber in sehr wertvollen Immobilien sitzen. Wie groß ist denn der ökonomische Druck, diese gewinnbringend zu verwerten?
Wolfgang Rothe
Das ist jetzt auch wieder mal eine Frage, die ich so allgemein nicht beantworten kann, weil es natürlich sehr darauf ankommt, um was für eine Immobilie es sich handelt. Sehr oft stehen kirchliche Immobilien unter Denkmalschutz, können also nicht so ohne weiteres umgebaut oder einer anderweitigen Nutzung zugeführt werden. Da sind also viele Dinge zu beachten, die man einfach im Einzelfall wissen muss, um hier ein Urteil darüber zu fällen. Aber grundsätzlich haben Sie natürlich recht. Es geht auch in diesem Fall um sehr viel Geld.
Edith Meinhart
Sie gelten ja als unerschrockener Kritiker auch kirchlicher Hierarchien und scheuen sich nicht, Machtmissbrauch anzuprangern. Was zeigt sich aus Ihrer Sicht am Beispiel der Nonnen von Goldenstein und was wäre die Chance auf Veränderung?
Wolfgang Rothe
Der Fall der Nonnen von Goldenstein ist eigentlich ein sehr typischer Fall. Also es gab gerade in den letzten Jahren viele Fälle, wo Ordensfrauen in irgendeiner Weise in Konflikte mit der kirchlichen Obrigkeit geraten sind, seien das jetzt die Clarissen von Bellorado in Spanien oder die Karmelitinnen von Arlington in Texas oder die Benediktinerinnen von Pienza de Toscana. Überall wurde über die Köpfe der Schwestern hinweg entschieden, blieben die Schwestern am Schluss auf der Strecke, wurden Klöster aufgelöst, Schwestern entlassen, verloren ihr gesamtes soziales Umfeld, verloren ihren Lebensinhalt. Also da muss man einfach sagen, sind Ordensfrauen in der katholischen Kirche in einer sehr schlechten, prekären Situation, weil sie sich so wenig wehren können. Hier muss dringend nachgebessert werden. Es geht hier einfach auch darum, dass die katholische Kirche lernen muss, den Willen und die Würde jedes einzelnen Menschen zu achten. Sehr oft, gerade auch wenn es um Missbrauch geht, stand und steht bei der Kirche an erster Stelle der Schutz des guten Rufes der Kirche als solcher. Aus diesem Grund wurde in der Vergangenheit vieles vertuscht, vieles verheimlicht. Wir müssen lernen als Kirche, dass jeder Mensch eine Würde und einen Wert hat, der über die Kirche als Ganze hinausgeht. Denn jeder Mensch ist nach biblischer Lehre, nach dem Bild Gottes geschaffen und jeder Mensch hat, indem er einen freien Willen hat, auch etwas Göttliches in sich, was wir akzeptieren müssen. Und man muss nicht unbedingt mit religiösen Begriffen kommen. Die Würde des Menschen und die Menschenrechte sind ja auch von Seiten des Staates anerkannt und daran hat sich die Kirche gefälligst zu halten. Wir haben hier viel nachzuholen und ich hoffe sehr, dass gerade Konflikte wie der um die Augustiner-Chorfrauen von Goldenstein mit dazu beitragen, dass hier in der Kirche endlich ein Umdenken ansetzt und der einzelne Mensch mit seinem Willen und seiner Würde mehr berücksichtigt, mehr geachtet wird.
Edith Meinhart
Ich hätte noch eine Abschlussfrage: Wenn sich Dinge ändern müssen, müssen sie sich wahrscheinlich auch an höchster Stelle in Rom ändern. Wie kommen Konflikte, Geschichten wie jene von den Nonnen von Goldenstein ungefiltert und in ihrer Komplexität an die richtigen Stellen?
Wolfgang Rothe
Gar nicht, muss man sagen. In der Regel gelangen solche Berichte über die jeweiligen Bischöfe nach Rom und spiegeln dementsprechend natürlich auch die Sicht der Bischöfe wider. Die einzige Möglichkeit, in Rom wirklich Druck auszuüben, ist, das kann ich nur noch einmal sagen, die Öffentlichkeit. Es wird in Rom durchaus wahrgenommen, wenn die Öffentlichkeit hier einen Finger in die Wunde legt. Und insofern bin ich in Bezug auf die Augustiner-Chorfrauen von Goldenstein auch durchaus guter Dinge, denn ihr Fall hat ja weltweit für Aufsehen und Aufregung gesorgt. Aber man darf natürlich auch nicht vergessen, es gibt viele Fälle, die nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Auf einen solchen Weg angewiesen zu sein, zeigt eigentlich schon, wie defizitär die kirchliche Rechtskultur ist. Hier haben nicht alle die gleichen Rechte. Bischöfe und kirchliche Autoritäten haben immer den besseren Stand, die besseren Aussichten und man braucht schon sehr viel Glück und wirklich gute Argumente, um sich hier gegen die Mächtigen in der Kirche durchsetzen zu können.
Edith Meinhart
Sind Sie zuversichtlich, dass das in diesem Fall etwas auch in Rom verändern könnte?
Wolfgang Rothe
In diesem Fall bin ich tatsächlich zuversichtlich, weil ich dieses große öffentliche Interesse sehr begrüße, weil es für Transparenz sorgt, weil es dafür sorgt, dass sich Rom die Sachen auch sehr genau anschauen muss und vielleicht durch die öffentliche Aufmerksamkeit, durch die Presseberichte eben auch eine andere Sichtweise auf den Fall gewinnt, als von dem jeweils zuständigen Bischof oder bischöflichen Ordinariat, in diesem Fall also das Erzbistum Salzburg, übermittelt wird.
Edith Meinhart
Herr Rothe, ich danke Ihnen sehr, sehr herzlich. Mir hat sich einiges erhellt. Ich hoffe auch den Hörerinnen und Hörern und danke nochmals, dass sie ihr Wissen mit uns geteilt haben.
Wolfgang Rothe
Sehr gerne Frau Meinhart.
Autor:in:Edith Meinhart |