Stets bereit
Eine Welt in Waffen – Europas Sicherheit unter Druck
Eine tour d´horizon durch globale Konfliktzonen und -themen mit Beginn im hohen Norden, wo das Schmelzen des Eises nicht nur Schifffahrtsrouten freigibt, sondern neue strategische Fronten schafft. Anschließend ein Blick auf Frankreichs nukleare Ambitionen und die nukleare Lage in Europa, auf das digitale Schlachtfeld Ukraine, den Schattenkrieg im Nahen Osten, Afrikas neue globalpolitische Dynamiken und die Frage, ob und wann ein Cyberangriff zur NATO-Verteidigung gem. Artikel 5 führen könnte.
Europa kann sich keine strategische Zuschauerrolle mehr leisten. Der Kontinent ist von Konfliktlinien umgeben, aber institutionell fragmentiert, militärisch asymmetrisch, und politisch häufig zögerlich. Während andere Akteure wie Russland, China, Türkei, Iran entschlossen Räume füllen, ringt Europa meist mit sich selbst.
Europa braucht eine eigene sicherheitspolitische Handschrift. Nicht als Gegensatz zur NATO, sondern als komplementäre Kraft mit eigenem strategischem Denken, eigenen Fähigkeiten und politischem Willen. Frankreichs Nuklearangebot könnte der Nukleus einer europäischen Abschreckungskraft sein. Die EU muss aber auch ihre Resilienz gegenüber hybriden Angriffen massiv stärken und Europa muss begreifen, dass Sicherheit nur in der Bereitschaft zur strategischen Selbstbehauptung liegt. Das ist keine Rückkehr des Kalten Krieges, sondern der Eintritt in ein Zeitalter der permanenten, meist verdeckten Konfrontation. Die Frage ist also nicht mehr, ob Europa handeln muss, sondern, wie lange es sich das Nicht-Handeln noch leisten kann.
Herbert Bauer
Grüß Gott und einen guten Tag, heute möchte ich eine Perspektivenreise durch globale Konfliktzonen und sicherheitspolitische Themen starten, dazu eine kleine fiktive Geschichte: Stellen Sie sich vor: Es ist das Jahr 2029. Europa taumelt zwischen Klimakrisen, inneren Spannungen, unbewältigter Migration und einer NATO, deren Einigkeit brüchiger wirkt als je zuvor.
Inmitten einer Serie von Cyberangriffen und Desinformationskampagnen, die sich über Monate gegen norwegische Infrastruktur und die europäische Bevölkerung richten, geschieht das Unerwartete: Bewaffnete Einheiten ohne Hoheitszeichen landen auf der Inselgruppe Spitzbergen. Präzise, koordiniert, ohne einen Schuss. Binnen Stunden sichern sie zentrale Punkte der Insel wie Flughäfen, Seehäfen, Satellitenanlagen, Forschungseinrichtungen, Logistikdrehscheiben und Kommunikationszentren. Es folgt keine offizielle Erklärung. Kein Ultimatum. Kein offener Konflikt. Ein nuklear bewaffneter Staat, zweifelsfrei erkennbar, schafft vollendete Tatsachen. Die ohnmächtige Reaktion des Westens: Norwegen protestiert. Europa heult und debattiert. Die NATO poltert und sichert immerhin die Flanken. Der eilig einberufene UN-Sicherheitsrat ist durch ein Veto blockiert. Der Westen steht am Abgrund eines Dilemmas: Konfrontation mit einem Nuklearstaat der mit dem Einsatz seines Arsenals droht oder Akzeptanz der Ohnmacht wegen der nuklearen Erpressung.
Und genau hier beginnt unsere heutige Folge, mit Veränderungen in Konflikträumen und Konfliktthemen, die in solchen Szenarien münden könnten.
Wir beginnen im hohen Norden, wo das Schmelzen des Eises nicht nur Schifffahrtsrouten freigibt, sondern neue strategische Fronten schafft. Anschließend blicken wir auf Frankreichs nukleare Ambitionen und die nukleare Lage in Europa, das digitale Schlachtfeld Ukraine, analysieren den Schattenkrieg im Nahen Osten, untersuchen Afrikas neue globalpolitische Dynamiken und fragen zuletzt, ob und wann ein Cyberangriff zur NATO-Verteidigung gemäß Artikel 5 führen könnte.
Warum das alles? Weil diese Krisen und Themen miteinander verbunden sind, über Technologie, Geografie und Machtinteressen und zusammen eine neue Epoche globaler Unsicherheit markieren.
Fangen wir also im hohen Norden an:
Wie hier schon mehrfach besprochen, ist die Arktis heute weit mehr als ein Klima-Hotspot für Umweltschützer. Unter dem schrumpfenden Polareis formiert sich ein strategischer Wettlauf, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann.
Neue Schifffahrtsrouten, wie die Nordost- und Nordwestpassage, öffnen sich. Schon 2050, wenn nicht früher, werden diese für den globalen Handel äußerst attraktiv sein. Damit steigt natürlich das Interesse an Kontrolle und Sicherheit, was zu militärischer Aufrüstung der Polarregion führt. Russland entwickelt sich Richtung Norden. Zahlreiche Arktis-Basen wurden wiederbelebt, U Boote kreuzen unter dem Eis und laut US-Pentagon wurden Hunderte sowjetische Anlagen reaktiviert. Aber auch China ist mit im Boot. Peking bezeichnet sich als „Arktis-naher-Staat“ und kooperiert mit Moskau in Forschung und Patrouillen. Präsident Putin kündigte Großmanöver mit China in der Arktis an.
Der Westen hat die Entwicklung zu spät erkannt und muss nachziehen. Die USA, Kanada und Finnland haben das ICE Pact-Abkommen unterschrieben. Ziel ist es, gemeinsam 70 bis 90 Eisbrecher zu bauen, um Kontrolle und Präsenz in der Region sicherzustellen. Zugleich investieren die NATO und Europa in Drohnen, die extremen Temperaturen trotzen, so etwa in Schweden und Dänemark. Die Technik bleibt eine echte Herausforderung: die Kälte beeinträchtigt Batterien, Eis setzt den Sensoren zu und Standardsysteme versagen bei unter −40 °C.
Was bedeutet das Ringen um die Arktis im geopolitisch strategischen Sinne? Die entscheidende GIUK-Lücke, dass ist das Areal zwischen Grönland, Island und UK, wird wieder zum Schlüsselpunkt für Jagd auf russische U-Boote oder mögliche Angriffspläne. Auch Dänemark reagiert massiv: Für mehr als 2 Mrd USD baut es über Satelliten, Schiffe und Drohnen eine neue Präsenz in Grönland auf. Die Arktis wird also zum geopolitischen Drehscheibenraum, in dem Wirtschafts-, Klima- und Sicherheitsthemen verschmelzen. Russland und China sind militärisch voran, der Westen muss erst aufholen. Das Eis schmilzt und mit ihm die strategische Ruhe.
Inzwischen bewegt sich aber auch viel an der globalen Nuklearfont. Schauen wir zu Frankreichs Atomoption, zum Transport von US-Atomwaffen nach Europa und erkunden eine allfällige nukleare Zeitenwende in Europa. Es geht um eine neue europäische Realität, in der Frankreich, die USA und auch Großbritannien ihre nuklearen Strategien neu justieren.
Jahrzehntelang war Frankreichs Atomstreitkraft Force de frappe ein Symbol nationaler Souveränität. Frankreich war und ist strikt und allein für einen Einsatz verantwortlich, womit der Schutz allerdings nur für Frankreich selbst wirkt. 2025 markiert jedoch eine mögliche Wende: Präsident Macron signalisierte im Juni, Paris sei bereit, europäische Partner unter seinen nuklearen Schutzschirm zu stellen. Ein historischer Schritt, der in Warschau, Bukarest und dem Baltikum auf offene Ohren stößt. Hinter den Kulissen laufen bereits Gespräche mit Polen, Rumänien und baltischen Staaten. Diese Gespräche kommen nicht über NATO-Strukturen, sondern als bilaterale Sicherheitszusagen, was ihre Wirkung erhöht.
Die Gründe für diese Entwicklung sind klar: Die USA sind im Pazifik und Nahen Osten gebunden und ihre Prioritäten verschieben sich. Länder wie Finnland oder Tschechien prüfen bereits Alternativen und Frankreich bietet sich als europäischer Sicherheitsanker an. Selbst in Deutschland, wo das Kanzleramt offiziell schweigt, wird angeblich hinter verschlossenen Türen über eine mögliche Rolle im künftigen nuklearen Gefüge diskutiert. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie Europa atomar denken will. Für meinen Geschmack geht es allerdings zu langsam. Die atomare Erpressbarkeit, von wem auch immer, ist eindeutig souveränitätsgefährdend und für Nicht-Atom-Staaten ungelöst. Aber Frankreich ist nicht der einzige Player. Trotz scheinbar anderer Haltung verstärken die USA ihre nukleare Präsenz in Europa, und zwar deutlich. Erstmals seit 2008 wurden wieder US-Atomwaffen auf britischen Boden verlegt. Konkret sind es B61-Bomben im Stützpunkt RAF Lakenheath. Pentagon und London bestätigen es zwar nicht offiziell, doch NATO-Kreise sprechen von einem ‚Fähigkeitsaufbau‘ als Reaktion auf Russlands Aufrüstung.
Und es geht weiter: Der US-Kongress prüft eine dauerhafte Stationierung strategischer Waffen in Europa, ein Signal, das in Brüssel als ‚Paradigmenwechsel‘ gedeutet wird. Die Botschaft ist klar: Die Ära der nuklearen Entspannung ist vorbei. Ich möchte hier aber in einem kleinen Exkurs an Folgendes erinnern: Zwischen 1979 und 2019 war Europas Sicherheit nuklear brisant und doch gleichzeitig diplomatisch eingebettet. Der NATO-Doppelbeschluss von 1979 reagierte auf sowjetische Aufrüstung mit einer Doppelstrategie: Nachrüstung und gleichzeitiges Angebot zu Verhandlungen. Was folgte, war eine Ära der Eskalation und Entspannung zugleich mit innenpolitischen Protesten, Regierungswechseln, und schließlich dem INF-Vertrag von 1987, der eine ganze Klasse atomarer Mittelstreckenraketen vernichtete. Doch 2019 endete diese Phase: Die USA und Russland kündigten den Vertrag und das Gleichgewicht, das über Jahrzehnte gehalten hatte, zerbrach.
Aber zurück zur derzeitigen Situation. Eine bisher wenig beachtete, aber entscheidende Entwicklung ist der Northwood-Deal zwischen Paris und London. Beide Atommächte vereinbaren erstmals eine koordinierte Arsenalpolitik, inklusive gemeinsamer Übungen und Modernisierungspläne. Ein Schritt, der die europäische Nukleardynamik verändert: Nicht nur die USA, auch europäische Staaten rüsten sich also für eine härtere Sicherheitsära. Wir erleben somit die Geburt einer möglichen europäischen Nukleardoktrin, und zwar nicht auf NATO-Ebene, sondern auf bilateraler oder mini-lateraler Basis. Paris bleibt zentral, Berlin zögert, aber der Trend ist gesetzt: Europas sicherheitspolitisches Erwachen könnte - wieder einmal - wie schon in den 1960er-Jahren aus Frankreich kommen, als Frankreich unter de Gaulle mit der force de frappe ein strategisches Eigenbewusstsein demonstrierte.
Man will nicht nuklear erpressbar sein, wie es der Fall ist, wenn ein Gegner, der es kann, auch immer wieder damit droht.
Springen wir nun zum Ukrainekrieg. Die fast pausenlosen Angriffe Russlands und das furchtbare Sterben gehen weiter. Würde Russland aufhören, die Ukraine anzugreifen, wäre der Krieg zu Ende. Ich möchte aber heute einen besonderen Aspekt der Kriegsführung, die digitale Kriegsführung betrachten und hier im Speziellen auch das KI Schlachtfeld, also die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz im Experimentierfeld eines laufenden Krieges.
In der Ukraine werden nicht nur klassische Waffensysteme eingesetzt, sondern auch high tech Systeme wie Drohnen, Koordinationstools mit künstlicher Intelligenz und massive Cyber Fähigkeiten.
Im Juni 2025 startete die Ukraine die Operation Spiderweb (Spinnennetz). Mit über 100 Drohnen wirkte sie tief im russischen Territorium und traf strategische Luftwaffenstützpunkte bis nach Sibirien. Laut dem ukrainischen Geheimdienst SBU wurden allein an fünf Basen fast 20 russische Bomber beschädigt oder zerstört, was wohl ein technischer und militärischer Durchbruch war. Gleichzeitig reagierte aber Russland mit umfassender Wucht: In mehreren Angriffswellen flogen hunderte Drohnen und Dutzende Hyperschall-Raketen gegen ukrainische Ziele und dort insbesondere gegen Energie- und Öl-Infrastruktur. Doch dank ukrainischer Luftabwehr-Systeme und massiven Einsatzes elektronischer Gegenmaßnahmen konnte ein Großteil der Drohnen abgefangen und zahlreiche andere gestört werden .
Im Zentrum dieser Gegenwehr steht die elektronische Kriegsführung (EW). Die Ukraine baut eigene Systeme wie Pokrova auf, die feindliche GPS Signale stören und Drohnen umrouten. Laut verschiedenen Quellen stammen etwa 80 % der Erfolge von solchen EW Systemen. Das Schlachtfeld wird damit zunehmend unsichtbar.
Parallel wächst die Kooperation mit dem Westen. Beim jüngsten Treffen der Ukraine-Defence-Contact-Group (dem Ramstein-Format) kündigten Deutschland, USA, Norwegen u.a. neue Drohnenlieferungen an und versprachen koordinierte Hilfe, insbesondere für Interceptor-Drohnen, die gegnerische unbemannte Luftfahrzeuge gezielt abfangen.
Die Ukraine selbst wird auch zum interessanten Technik-Partner. Präsident Selenski bespricht offensichtlich mit US-Präsident Trump einen „Drohnen-Mega-Deal“, bei dem die USA erprobte ukrainische Modelle kaufen sollen und im Gegenzug in die ukrainische Drohnenproduktion bei gleichzeitigem know how Transfer investieren wollen. Aber nicht nur in der Luft, auch zu hoher See entwickelt es sich weiter. Unbemannte Wasserfahrzeuge, wie Sea Baby und Magura V operieren autonom auf dem Schwarzen Meer und markieren eine neue Phase der netzwerkverknüpften Kriegsführung. Die Ukraine wird also zum Testfeld für moderne Kriegstechniken, die das Kriegsgeschehen grundlegend verändern und die künftige Kriegsführung nachhaltig beeinflussen werden.
Springen wir zum Brennpunkt Iran. Nach dem direkten US-Angriff auf iranische Atomanlagen, die Operation Midnight Hammer, in der drei wichtige Nuklearanlagen durch B-2-Bomber und eine Unterseebootsalve angegriffen wurden, herrscht Uneinigkeit über den Erfolg des Angriffs. Trump und der Verteidigungsminister erklärten, es sei ein glatter Erfolg, doch ein Medienbericht zeigt nun, dass offensichtlich nur eine Anlage stark geschädigt wurde, während die anderen beiden Anlagen in Monaten wieder hochgefahren werden könnten. Der Iran reagierte allerdings sofort, auch auf anderen Ebenen, in dem Houthi-Raketen Israel attackierten und Teheran Minen in den Persischen Golf verlegte, um gegebenenfalls die Straße von Hormuz zu blockieren. Intern warnt das Regime zugleich vor ausländischer Spionage, insbesondere dem Mossad, was wohl ein Hinweis auf neue verdeckte Operationen und einen eskalierenden Schattenkrieg gelten kann.
Zwischen Waffenlieferungen, verdeckten Geheimdienstaktionen, Cyberangriffen und Anschlägen stärkt der Iran seine Proxy-Netzwerke wie Hisbollah, Huthi-Rebellen in Jemen und diverse Milizen in Syrien und Irak. Erst jüngst wurde bekannt, dass ein iranischer Waffentransport mit 750 Tonnen Material die Huthis aufrüstete, ein deutliches Zeichen dafür, dass Teheran trotz Bomben weiter seine Einflusszone konsolidiert.
Die Reaktionen in Tel Aviv sind extrem wachsam: Israel bekämpft iranische Proxy-Staaten zunehmend offen mit Drohnen, Luftschlägen und Geheimoperationen, und geht auch gezielt gegen hochrangige Kader der iranischen Revolutionsgarden vor, um das Netzwerk Schritt für Schritt auszudünnen. Insgesamt zeigt sich, dass der Iran zwar direkt getroffen wurde, aber die Reaktion ist neu kalkuliert, militärisch, asymmetrisch und regional verschoben. Wir sehen also keinen klassischen Krieg, sondern eine Eskalationsspirale mit direktem Schlagabtausch, stummen Drohungen und verdeckten Operationen, ein Schattenkrieg mit globaler Dimension.
Nun kommen wir nach Afrika. Nach dem Abzug westlicher Truppen entstand in der Sahelzone ein Machtvakuum. Russland ersetzt die Wagner-Miliz nun offiziell durch das vom Verteidigungsministerium kontrollierte Africa Corps. Und Russland unterstützt den Aufbau von Militär und schließt Kooperationsverträge. Niger, Mali und Burkina Faso gründeten 2024 die Alliance of Sahel States, um sich von ECOWAS, der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinsachaft, und westlichem Einfluss zu lösen. Gleichzeitig engagieren sich China und die Türkei mit Ausbildung, Infrastruktur und Krediten und füllen damit, wie Russland, das sicherheitspolitische Vakuum. Die Instabilität befeuert Migrationsbewegungen. Tausende wagen die Mittelmeerroute und Senegal meldet jährliche Flüchtlingswellen zu den Kanaren. Der islamistische Terror im Sahel bleibt akut. Afrika ist ein Frühwarnsystem für Europa: Anhaltender Migrationsdruck, hybride Bedrohungen und die schrittweise Machtausübung durch internationale Netzwerke, anstatt durch klassische Armeen. Europa steht dem weitgehend machtlos gegenüber, weil es keine Strategien zur aktiven Einflussnahme entwickelt hat, denn für eine Machtprojektion fehlen der Wille und die Mittel.
Kommen wir zur letzten Station unserer Tour d’Horizon: dem Cyberkrieg, einer unsichtbaren, aber tiefgreifenden Dimension moderner Konflikte. Seit die NATO den Cyberraum neben Land, Luft, See, Weltraum, zur fünften Einsatzdomäne erklärte, wird diskutiert, ob ein Cyberangriff den Bündnisfall (Art. 5) auslösen kann. Laut NATO kann ein massiver Hackerangriff als bewaffneter Angriff gewertet werden, doch klare Schwellenwerte fehlen. Somit kann die Reaktion von der Diplomatie bis zum Militärschlag reichen.
In Großübungen wie Locked Shields (Juli 2025) trainiert die Allianz die koordinierte Cyberabwehr. Bis 2035 sollen 5 % des BIP für Verteidigung investiert werden, davon 1,5 % für Cyber und kritische Infrastruktur. NATO-Generalsekretär Rutte fordert zudem eine massive Stärkung der Luftabwehr.
Ein Angriff auf Stromnetze oder Gesundheitssysteme könnte also theoretisch den Artikel 5 auslösen, doch mangels klarer Kriterien bleibt es eine politische Grauzone. Der Cyberraum ist allerdings längst zur realen Front und zum Schlachtfeld geworden, das von keinem Soldaten mehr betreten werden muss.
Probieren wir zum Schluss ein Fazit und einen Ausblick.
Die aufgezeigten und natürlich nicht annähernd vollzähligen Spannungen am Nordpol, die nuklearen Optionen, der digitale Krieg in der Ukraine, der Schattenkrieg mit dem Iran, die Destabilisierung Afrikas und die Unsicherheit im Cyberraum zeigen eines sehr klar: Europa kann sich keine strategische Zuschauerrolle mehr leisten.
Der Kontinent ist von Konfliktlinien umgeben, aber institutionell fragmentiert und schwach, militärisch asymmetrisch gegenüber den Bedrohungen und politisch äußerst zögerlich. Während andere Akteure wie Russland, China, Türkei, Iran entschlossen Räume füllen, ringt Europa meist mit sich selbst.
Die Optionen sind zwar begrenzt, aber klar:
Europa braucht eine eigene sicherheitspolitische Handschrift. Nicht als Gegensatz zur NATO, sondern als komplementäre Kraft mit eigenem strategischem Denken, eigenen Fähigkeiten und politischem Willen.
Frankreichs Nuklearangebot könnte der Nukleus einer europäischen Abschreckungskraft sein, wenn Berlin, Warschau und andere bereit sind, Verantwortung gemeinsam zu tragen. Die Uneinigkeit Europas wird dabei allerdings sicher ein Problem sein.
Die EU muss auch ihre Resilienz gegenüber hybriden Angriffen massiv stärken. Das gilt für den digitalen Raum, kritische Infrastruktur, Grenzschutz und Migrationsmanagement sowie die Meinungsmanipulation durch fremde Mächte. Und - - Europa muss begreifen, dass eine Sicherheit nur in der Bereitschaft zur strategischen Selbstbehauptung liegt.
Wir erleben dabei keine Rückkehr des Kalten Krieges, sondern den Eintritt in ein Zeitalter der permanenten, oft verdeckten Konfrontation. Die Frage ist nicht mehr, ob Europa handeln muss, sondern, wie lange es sich das Nicht-Handeln noch leisten kann.
Autor:in:Herbert Bauer |