Die Dunkelkammer History
Israel/Gaza: Die Linke und Israel

Der Gaza-Krieg ist vorerst gestoppt, die Terror-Organisation Hamas militärisch geschlagen - doch ist sie das auch in den Köpfen der Menschen? In der Linken hat der Hass auf Israel weltweit zugenommen.

Christa Zöchling
Guten Tag, hier ist Christa Zöchling. ich begrüße Sie zu einer neuen Dunkelkammer aus der Reihe History. Wie ist die Lage? Persönlich betrachtet: Meine israelische Freundin weint. Vor Freude. Sie fühlt sich erlöst. Als sei sie aus einem Albtraum erwacht.

Ihr Name: Mai Barzilay.

Es war vor zwei Jahren. Am 7. Oktober 2023, einem Samstag, ein später Vormittag. Wir saßen in meiner Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk und ihr handy klingelte unentwegt. Nachrichten blinkten auf. Und Bilder. Die Videos waren das Schlimmste – vom Gelände des Nova-Festivals, aus den Kibbuz-Dörfern an der Grenze zum Gaza-Streifen: Gefilmte Gewaltszenen, zur Schau gestellte Opfer, vergewaltigte Frauen, zerschlagene Kinder, ausgebrannte Häuser, Schüsse, Schreie, Kommandos. Triumphierende Hamas-Kämpfer posieren auf einem israelischen Panzer; der zerrissene Grenzzaun, durch den sich eine Menschenmenge wälzt, bewaffnet mit Stöcken und Äxten und Säcken. Vielleicht zum Plündern?

Wir begriffen nicht gleich, dass diese Bilder mit den Handys der Opfer gemacht worden waren und von den Mördern herumgeschickt wurden. Später dann Bilder von gefesselten, blutenden Frauen und Männern, als Geiseln genommen; auch leblosen Körpern, in den Straßen von Gaza-Stadt dem Beifall der Menschen preisgegeben.

Mai Barzilay ahnte das Unheil. Sie sagte: Jetzt werden viele unschuldige Menschen und Kinder in Gaza sterben.

Nach Angaben unabhängiger Studienautoren in London sind bis zum Jänner 2025 etwa 75.000 Menschen im Gaza-Krieg getötet worden, weit mehr als die Hälfte von ihnen waren Frauen, Kinder und alte Menschen. Rechnet man die Zahl bis September 2025 hoch, wären das 100.000 Opfer.

Damals, in den ersten Tagen, fand ich eines besonders bitter: Dass mit den ermordeten Menschen in den Kibbuzim zugleich Zuversicht und solidarischer Geist ausgelöscht worden war. Diese Leute hatten nämlich an ein Zusammenleben mit Palästinensern geglaubt. Viele hatten regelmäßig palästinensische Kinder und Mütter am Grenzübergang von Gaza in ihre Privatautos geladen und in israelische Krankenhäuser gebracht, Fälle, die in Gaza nicht behandelt werden konnten. Sie hatten sich für ein Leben an der Grenze entschieden, weil sie an eine Lösung des Konflikts geglaubt hatten.

Unsere kleine Familie mit unserer Ersatztochter aus Israel war peinlich berührt, als die Solidaritätskundgebung für Israel vor dem Bundeskanzleramt in Wien ziemlich mau besucht war und die Menschen nach Ende der Veranstaltung per Lautsprecher gebeten wurden, ohne Israel-Fähnchen, Kippa oder anderen Zeichen jüdischen Lebens nach Hause zu gehen.

Zur selben Zeit fand in der Wiener Innenstadt nämlich eine, ich würde sagen: Hamas-Jubelfeier statt. Mit Palästinenserfahnen, Hamas-Stirnbändern, Rapper-Sound und viel, viel mehr Leuten und keiner war älter als 25.

Israel muss verschwinden

So war es auch in anderen europäischen Großstädten. Die Älteren und Alten standen mit Kerzen still bei Israel-Kundgebungen, die Jungen - viele und laut – skandierten „from the river to the sea“ – eine Parole, die der Hamas alle Freude macht, weil sie – wörtlich genommen – den Staat Israel auf der Landkarte des Nahen Ostens auslöschen würde. Das ist die Grundsatz-Charta der Hamas: So viele Juden töten wie möglich. Massenmord an Juden ist ihr Daseinszweck – Israel muss verschwinden.

Damals dachte ich oft an ein Erlebnis an einer Wiener Berufsschule.Es war im Jahr 2015. In der Berufsschule für Elektrotechnik und Mechatronik in der Mollardgasse, ein kasernenartiger Bau aus der Endzeit der Monarchie, etwa 4000 Burschen, wenig Mädchen. Ein engagierter Direktor und ein leidenschaftlicher Lehrer für das Fach Politische Bildung hatten zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus eine Initiative gesetzt, an der sich mehrere Klassen beteiligten. Es ging um Massaker der Nazis in den buchstäblich letzten Stunden des Zweiten Weltkriegs.

Der 11. April 1945. Wien war schon befreit. Am Schwedenplatz waren Soldaten der Roten Armee dabei, die kaputten Brücken instandzusetzen, um ans andere Ufer zu kommen. Dort – im zweiten Wiener Gemeindebezirk - durchkämmte ein SS-Kommando die Straßenzüge, um versteckte Juden zu finden. In der Förstergasse trafen sie – vermutlich auf eine Denunziation hin – im Keller eines Hauses auf elf Juden und Jüdinnen, die sie in den Hauseingang stießen und erschossen. Die Befreier waren so nahe, vielleicht einen Steinwurf entfernt, aber zu spät.

Der zweite Lehrlingsjahrgang hatte diese Geschichte recherchiert und sich an einem Gedenkmarsch für die Opfer beteiligt. Darüber wollte ich mehr erfahren. In Gymnasien sind solche Projekte nichts Außergewöhnliches, in Berufsschulen schon.

Ich stand – damals als Journalistin des profil – vor der Klasse und die Jugendlichen erzählten, was sie über die Opfer erfahren hatten. Sie waren empört – der Krieg schon aus, erschossen in letzter Sekunde, so eine Gemeinheit.Ein Jugendlicher aus Afghanistan, ein halbes Kind noch, der sechs Jahre zuvor allein aus seiner Heimat geflüchtet und in Österreich gestrandet war, sagte, er kenne solche Todesangst aus eigenem Erleben. Er erzählte von sich und es wurde ganz still im Raum. Alle in der Klasse fanden es ganz schlimm, was mit den Juden passiert war. Und wie ist das heute, frage ich, mit den lebenden Juden? Israel? Gaza? Syrien? Wie seht ihr das?

Ich sah irritierte Gesichter und hörte: Stille. Und dann brach es los. „Was Israel gegen Gaza unternimmt, ist genau das Gleiche, was Hitler gemacht hat.“

„Selbstmordattentate sind eine Verteidigung. Israel hat angefangen.“  „Ich verstehe nicht, dass die Juden genau das Gleiche tun, was man ihnen angetan hat.“Und dann lernte ich viel über Verschwörungstheorien. Die Zeitungen seien alle gelenkt, die Wahrheit finde man nur im Netz. Damals war es Youtube.

„Keiner wisse, was in Syrien wirklich los sei, wer wirklich hinter dem IS steckt. – Das könnten auch die Amerikaner sein. Oder der Mossad. Um den Islam zu schwächen. Und: Woher weiß man überhaupt, dass die IS-Leute Muslime sind?“

Die Doppelmoral wurde angeprangert: „Gaddafi war 42 Jahre lang okay, und dann plötzlich war er ein Diktator? Alles wegen Öl.“
Es wurde immer lauter. Dann läutete die Glocke, wir standen im Schulhof und so ging es weiter: „Alles, was auf der Welt passiert, wird von einer geheimen Gruppe entschieden. Das weiß jeder. Die Bilderberger. Kennen Sie die nicht? Oder Rothschild. Der ist doch bekannt. Außer in fünf Ländern gehört dem jede Nationalbank. Das sind die, die dahinterstecken, die Fädenzieher und keiner weiß es.“

Diese Schüler waren eine Vorzeigeklasse. Wach, interessiert, höflich und liebenswert. Was sie dachten, war in ihrer Generation weit verbreitet.

Für Antisemitismus braucht es keinen Gaza-Krieg und keinen Netanyahu. Nur dass man jetzt mit vielen schwimmt und dass es immer mehr werden, dazu verhilft es schon.

Auch heute machen Verschwörungstheorien die Runde: Netanyahu habe vorher alles gewusst und gelenkt, um den Völkermord an den Palästinensern durchzuziehen. (Tatsächlich wurden Warnungen nicht ernst genommen. )

Das gibt es noch krasser. Auf Tiktok etwa: Der 7. Oktober sei ein Inside-Job gewesen, eine Mossad-Aktion.

Israel war immer schon eine Art Paria-Staat, nicht erst seit der Anklage wegen Kriegsverbrechen und Völkermord und einem aufrechten Haftbefehl für Netanyahu. In den 1970er- Jahren unterhielten viele Länder keine diplomatischen Beziehungen mit Israel. Die Mehrheit der arabischen und muslimischem Länder hält das bis heute so. Seit dem Sechstage-Krieg 1967 gilt Israel als imperialistische Kolonialmacht. Die Juden waren damals schon in den Augen der Welt von Opfern zu Tätern geworden.

Vor allem unter Linken.

Die bereits in früheren Podcasts erwähnte französisch-israelische Intellektuelle Eva Illouz hat jetzt einen Essay veröffentlicht. „Der 8. Oktober“ – es geht um den Tag danach. Ich lege das Buch jedem ans Herz, der an der aktuellen Weltlage verzweifelt.
Im Vorwort schreibt Illouz: „Bis zum 7. Oktober glaubte ich, Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien die letzten Ereignisse, die abweichende Überzeugungen und Meinungen in einer moralischen Gemeinschaft des Mitgefühls noch zusammenbringen könnten.“

Israelis spürten davon wenig. Sie hörten nur den berechtigten Vorwurf, stumpf gegenüber dem Leid der Palästinenser zu sein.
Am 8. Oktober, der Gaza-Krieg hatte noch nicht einmal begonnen, wurde – gerade auf akademischem Boden - der Hamas-Überfall auffällig oft als Akt anti-kolonialen Widerstands begrüßt. Der 8. Oktober in New York: „All out for palestine“ beschreibt ein Redakteur der NYT die Stimmung in der Hochburg der Demokraten. „Jubelnde Menschen, die das Abstechen mimen. Euphorie und Schadenfreude“.
Ein Uniprofessor von der Columbia nennt die Hamas in diesen Tagen öffentlich: „innovativ“. Und die Massaker „eindrucksvoll“. Ein Historiker von der Cornell-Universität ist „begeistert“.

Linke Parteien, nicht nur in Frankreich, sehen im 7. Oktober einen heldenhaften Akt des Widerstands. Auch die Ikone der queeren Linken, Judith Butler – die darüber hinaus die sexuellen Gewalttaten der Hamas-Terroristen an israelischen Frauen erst einmal anzweifelte. Und Dokumente (!) verlangte.Aber auch die Frauenkommission der Vereinten Nationen brauchte mehrere Wochen, um diese Vorfälle ernstzunehmen und zu verurteilen.

Drei Dutzend Studentengruppen an der Universität Harvard waren sofort einhellig der Meinung: Israel sei selbst schuld, habe sich das – also den Hamas-Terror - selbst zuzuschreiben.Das alles geschah vor Beginn des Gaza-Kriegs.

Illouz fragt in ihrem Essay, wohin das linke Mitgefühl entschwunden ist.Sie sieht einen Tabubruch darin, dass Zivilisten auf besonders grausame Weise massakriert und ihre Körper geschändet werden und das öffentlich gefeiert wird. Warum geschah dieser Tabubruch auf so vielen Uni-Stätten. Vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten.

Eine Ursache für den Höhenflug der identitären Linken sieht die Soziologin im Denkstil des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion, wo nichts mehr fest ist, alles flottiert, es nur auf Interpretation, Betroffenheit und persönliche Erfahrung ankommt, wo alles nur ein Zeichen ist und ein Machtsystem und die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge hinfällig wird. Mit zwei Grundpfeilern: Ablehnung der Werte der Aufklärung und Ablehnung des Westens. Der Siegeszug dieses Denkens begann in den 1970er Jahren. Ausgehend von Frankreich gelangte es über die USA zurück nach Europa.

Wirtschaft, Politik, Ideologie – alles wurde in vernetzten Strukturen gedacht, die durch die Interessen der Macht geschützt sind. Ein geschlossenes System und unwiderlegbar, das auf alles übertragen werden kann - auf Sexismus, Kapitalismus, Rassismus, Kolonialismus … Und so kamen auch seltsame Allianzen von Linken, Islamisten, Schwarzen, Feministen und so weiter zustande.

Mit einem gemeinsamen, frei flottierenden Feindbild des Zionismus, der sich wie ein tugendhafter Antisemitismus gibt. Auch auf dem Gelände des alten AKH in Wien, heute ein Uni-Campus, gab es 2024 ein Palästina-Protestcamp. Die Teilnehmer riefen auf zum Boykott israelischer Waren, Wissenschaftler und Künstler. Auf Plakaten stand: „Blut an euren Händen“ und „Kampf dem Patriarchat und dem Kolonialismus“.

Das seht Ihr in einem Hamas-Staat verwirklicht? fragte ich eine Studentin und man hörte wohl eine gewisse Gereiztheit in meiner Stimme. Die junge Frau antwortete – ohne eine Spur Verlegenheit – dazu könne sie nichts sagen. Ohne Plenumsdebatte und Beschluss.

Es gäbe noch viel über die Linke und Israel zu sagen. Vielleicht das nächste Mal.

Ich verabschiede mich von Ihnen, Ihre Christa Zöchling.

Autor:in:

Christa Zöchling

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