Stets bereit
Und dann ein Flugzeugträger!
In dieser Folge geht es um die strategische Lage rund um den Ukrainekrieg im August 2025. Diese umfasst die Präsenz der USS Gerald R. Ford im Atlantik über das Gipfeltreffen Trump–Putin in Alaska bis hin zu den parallelen ökonomischen und militärischen Belastungen Europas und der Ukraine. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Abschreckung, Diplomatie und Energieabhängigkeit das Kräftegleichgewicht zwischen USA, NATO, EU, Ukraine und Russland prägen.
Im Kern zeigt sich: Die Ukraine muss ihre Luft- und Drohnenabwehr massiv stärken, eigene Waffenproduktion ausbauen und ihr Stromnetz widerstandsfähiger machen. Europa steht zwischen steigenden Rüstungsausgaben, teurer Energie und der Notwendigkeit, Sanktionen konsequent durchzusetzen. Für die NATO zählen Einsatzbereitschaft, Luftabwehr und klare Abläufe im Ernstfall. Die USA halten die wichtigsten Hebel, dürfen ihre Partner dabei aber nicht überfordern. Russland demonstriert Stärke, bleibt jedoch durch ukrainische Angriffe verletzlich. Insgesamt gilt: Abschreckung bleibt notwendig, doch ohne diplomatische Auswege wird sie zum teuren Dauerzustand.
Herbert Bauer
Grüß Gott und einen guten Tag, heute möchte ich die aktuelle strategische Lage rund um die Ukraine beleuchten. Wie immer beginne ich mit einer Beschreibung, die uns zeigt, was gerade passiert:
Am 9. August 2025 flogen drei US-B1B-Bomber über das arktische Gebiet nach Norwegen, eskortiert von spanischen Hornets landeten sie auf der Ørland Air Base, wo sie gemeinsam mit norwegischen F-35 an einer NATO-Übung teilnehmen. Am 17. August 2025, früh am Morgen, liegt Nebel über dem Ärmelkanal. Die See ist ruhig. Dann schiebt sich ein gewaltiger Schatten durch den Dunst: die USS Gerald R. Ford, der modernste und größte Flugzeugträger der US Navy. Dreihundertdreißig Meter Stahl, ein schwimmender Flugplatz. Begleitet wird er von 3 Zerstörern (den Zerstörern USS Mahan, USS Winston S. Churchill und USS Bainbridge), zusammen bilden sie die Gerald R. Ford Carrier Strike Group. Unsichtbar für das Auge läuft auch ein U-Boot in Sicherungsrolle mit. Gemeinsam ziehen diese Schiffe durch die Straße von Dover in Richtung Nordsee. Wenn man also verkürzt sagt, der Flugzeugträger so und so läuft aus, dann ist das immer eine ganze Gruppe von Schiffen.
Wie funktioniert eine klassische Trägergruppe: Im Zentrum steht der Flugzeugträger selbst – Kommandozentrale und Flugplatz zugleich. Dazu kommen die Begleitschiffe mit ihren hochmodernen Radarsystemen, die Luftraum und Seewege überwachen. Ein getauchtes U-Boot sorgt für Abschreckung und Abwehr. Und schließlich das Versorgungsschiff, das Treibstoff, Munition und Lebensmittel liefert. So bleibt der Verband wochenlang einsatzbereit.
Auch an diesem Morgen gibt es Flugbetrieb. Im Moment rollt ein Aufklärungsflugzeug vom Typ Hawkeye an, mit der markanten Radarkuppel auf dem Rücken. Es wird über das Katapult beschleunigt, hebt ab und übernimmt sofort die Rolle des fliegenden Frühwarnradars. Kurz danach donnern die F/A-18 Super Hornets vom Deck. Sie steigen auf, sichern den Verband, kreisen über dem Meer. Für die Mannschaft ist das Routine, für Beobachter wirkt es wie eine präzise Choreographie aus Rauch, Feuer und ohrenbetäubendem Lärm. Wenn die Jets zurückkehren, zeigt sich die andere Seite: Landungen auf einem fahrenden Flugplatz. Die Piloten setzen mit gesenktem Fanghaken auf, dieser hakt in einem Stahlseil ein, und nach nur hundertzwanzig Metern stehen die Maschinen still. Präzision bis ins letzte Detail.
Währenddessen zieht die Gerald R. Ford weiter zwischen England und Frankreich hindurch. Links die weißen Kreidefelsen von Dover, rechts die Küste Frankreichs – eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Die Botschaft ist klar: Amerikas militärische Präsenz ist mitten in Europa sichtbar.
Von offizieller Seite wurde dieser Transit auch kommentiert. Der Kommandant des Trägers, Kapitän Dave Skarosi, erklärte: „Die aktuelle Passage der Gerald R. Ford durch die Straße von Dover ist ein Beweis für unsere Fähigkeit zur Machtprojektion, die Frieden durch Stärke unterstützt.“ Der Befehlshaber der Zerstörergruppe, Kapitän Mark Lawrence, sagte: „Ein freier und offener maritimer Raum nützt allen Nationen. Unsere gemeinsame Durchfahrt zeigt unseren Willen, Frieden, Stabilität und Abschreckung auf dem europäischen Kontinent zu stärken.“
Eine Stellungnahme aus Moskau zu diesem Transit am 17. August habe ich nicht gefunden. Weder der Kreml noch das Außenministerium haben sich dazu öffentlich geäußert. In einem vergleichbaren Fall, beim Besuch der Gerald R. Ford in Oslo im Jahr 2023, nannte die russische Botschaft den Auftritt jedoch eine unlogische und schädliche Machtdemonstration.
Damit sind die Positionen umrissen: Von NATO-Seite Stabilität, Abschreckung und Schutz. Für die russische Seite – zumindest in früheren Fällen – eine Provokation.
Kurzer Einschub zur weltweiten Flugzeugträgerlage: Die USA verfügen über elf aktive Flugzeugträger, während Russland nur einen hat, der allerdings seit Jahren nicht einsatzbereit ist. Daneben betreiben Frankreich einen, Indien, Großbritannien und Italien jeweils zwei (wobei Italien nur für Senkrechtstarter) und China fällt mit insgesamt drei auf, zwei davon bereits im Dienst und einer in Erprobung.
Aber zurück zur Politik: am 15. August 2025 trafen sich Donald Trump und Wladimir Putin in Anchorage, Alaska. Es war das erste persönliche Gipfeltreffen seit Jahren, ausgerichtet auf der Joint Base Elmendorf-Richardson. Zuvor wurde ein Durchbruch in der Frage des Ukraine-Kriegs beschworen, jedoch behielten die Realisten mit reduzierten Erwartungen recht. Denn als Putin nach dem Gespräch vor die Presse trat, sprach er über vieles – nur nicht über die Ukraine. Er begann mit einem Rückblick: „Wie bekannt, haben russisch-amerikanische Gipfel seit mehr als vier Jahren nicht stattgefunden. Die vergangene Periode war sehr schwierig für die bilateralen Beziehungen. Sie waren auf dem niedrigsten Niveau seit dem Kalten Krieg. Und das ist weder gut für unsere Länder noch für die Welt insgesamt. Offensichtlich war es früher oder später notwendig, die Situation zu korrigieren, von Konfrontation zu Dialog überzugehen.“ Putin lenkte die Aufmerksamkeit auf die Wiederaufnahme des Dialogs an sich – nicht auf die Frage, wie es in der Ukraine weitergehen sollte.
Ganz anders hatte Donald Trump noch im Vorfeld argumentiert. Er hatte angekündigt, eine schnelle Waffenruhe erzwingen zu können. Ursprünglich setzte er dafür einen Zeitraum von fünfzig Tagen, später sprach er sogar nur noch von zehn bis zwölf Tagen. Falls bis dahin keine Einigung erreicht würde, drohte er mit hundert Prozent Strafzöllen auf Länder, die weiter russisches Öl kaufen. Mit dieser harten Linie wollte Trump Druck aufbauen – und zugleich Erwartungen an das Treffen hochschrauben.
Doch am Ende musste er einräumen, dass diese Erwartungen nicht erfüllt wurden. Trump sagte nach dem Gespräch: „Wir haben kein umfassendes Verständnis gefunden. Ein Deal liegt bislang nicht vor.“ Zwar bezeichnete er die Gespräche insgesamt als produktiv, doch das zentrale Ziel – eine konkrete Lösung für die Ukraine – wurde nicht erreicht. Aber der vom Internationalen Strafgerichtshof zur Verhaftung ausgeschriebene mutmaßliche Kriegsverbrecher wurde wieder salonfähig gemacht. Die USA sind dem internationalen Statut ja nicht beigetreten und erkennen die Befugnisse des Gerichtshofs nicht an – deshalb lag während des Gipfels in Alaska keine rechtliche Verpflichtung vor, Putin zu verhaften. Kurzer Exkurs: Die USA haben den Internationalen Strafgerichtshof immer dann gelobt, wenn er gegen Staaten wie Sudan oder Libyen vorging. Doch im Fall Putin blockieren sie, weil sie verhindern wollen, dass ein Präzedenzfall entsteht, der eines Tages auch gegen amerikanische Präsidenten oder Generäle angewandt werden könnte.
Drei Tage später, am 18. August, empfing Trump dann in Washington Präsident Wolodymyr Selenskyj, gemeinsam mit führenden europäischen Politikern. Es ging dort erneut um die Zukunft der Ukraine – militärisch, finanziell und politisch. Für die Europäer wurde dieses Treffen als entscheidend stilisiert: Bleibt die amerikanische Schutzgarantie bestehen, oder verknüpfen die USA ihre Hilfe an neue Bedingungen? Auch hier spalteten sich die Einschätzungen: Für die einen war es ein klares Signal der Solidarität, für die anderen blieb es bei Bildern und Ankündigungen.
So ergibt sich eine politische Klammer: In Alaska das Treffen mit Putin als Symbol für die direkte Linie nach Moskau. In Washington das Treffen mit Selenskyj und den Europäern als Zeichen transatlantischer Abstimmung, mit nie gesehenen Sitzanordnungen im Oval Office. Dazwischen, auf dem Nordatlantik, demonstriert die USS Gerald R. Ford ihre Präsenz. Diplomatie und militärische Machtdemonstration greifen ineinander, zwei Seiten derselben Strategie.
Während sich also in Alaska und Washington die Präsidenten inszenieren, spielt sich im Nordatlantik und an den Frontlinien die harte Realität ab. Am 17. August 2025 nahm die USS Gerald R. Ford nach ihrer Durchfahrt durch die Straße von Dover den Einsatz im Nordatlantik auf. Begleitet von ihren Zerstörern demonstriert der Verband, was „Power Projection“ bedeutet: ein schwimmender Flugplatz, von dem täglich Dutzende Einsätze von Patrouillen bis zu Aufklärungsmissionen geflogen werden können. Für die NATO ist das ein klares Signal: Die transatlantischen Versorgungswege sind gesichert, amerikanische Stärke ist jederzeit präsent.
Gleichzeitig begann am 19. August der Aufmarsch für die russische Großübung Zapad 2025. Die russisch-weißrussische Übung Zapad-2025 findet vom 12. bis 16. September in Belarus statt. Die Manöver sind angeblich gezielt ins Landesinnere verlegt worden, weit weg von den NATO-Grenzen, wohl um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Mehr als fünfzigtausend Soldaten, Panzer, Raketen, Luftwaffe offiziell als Routine bezeichnet, in Wirklichkeit aber eine Machtdemonstration an der Westgrenze. Für Moskau ist es die Botschaft: Wir sind vorbereitet, wir können großflächig Krieg führen. Für die NATO ist es die Erinnerung daran, dass dieser Konflikt längst nicht auf die Ukraine beschränkt bleiben muss.
Eskalation zeigt sich auch an einem Zwischenfall, der Europa direkt betrifft: Am 20. August stürzte eine russische Drohne tief im Osten Polens ab. Sie explodierte über einem Maisfeld, Fensterscheiben zerbrachen, Menschen wurden nicht verletzt. Warschau sprach von einer klaren Provokation, die NATO beriet umgehend über den Vorfall. Damit wird deutlich: Der Krieg erreicht den Luftraum eines Bündnispartners, mit unkalkulierbaren Folgen.
Auf dem eigentlichen Kriegsschauplatz bleibt die Lage angespannt. Russland verstärkte zuletzt seine Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur. In der Region Odessa traf am 20. August ein massiver Drohnenangriff ein Kraftstoff- und Energiezentrum, ein Feuer brach aus, mindestens eine Person wurde verletzt. Tags zuvor legte ein ukrainischer Angriff im besetzten Teil von Saporischschja die Stromversorgung lahm, ein Beweis dafür, wie verwundbar die russische Logistik bleibt.
Zugleich trifft die Ukraine Russland immer häufiger im eigenen Hinterland. In der Nacht auf den 20. August schlugen ukrainische Drohnen in mehreren Regionen ein – in Rostow, Penza und Samara. Dabei kamen mindestens drei Menschen ums Leben, weitere wurden verletzt, Industrieanlagen wurden beschädigt. Schon am 15. August war im Gebiet Astrachan ein Schiff zerstört worden, das mutmaßlich iranische Munition transportierte. Auch eine Ölraffinerie in Samara wurde angegriffen. Diese Schläge sollen Russlands Kriegsmaschinerie ins Stocken bringen – nicht an der Front, sondern in der Tiefe.
Gleichzeitig trifft Russland aber die Ukraine weiter mit hoher Intensität. In Charkiw starben bei einem Raketen- und Drohnenangriff mindestens sieben Menschen, über zwanzig wurden verletzt. Auch in Kiew und Dnipro häufen sich Angriffe auf Wohnhäuser und Energieanlagen. Was mich dabei immer wieder wundert, dass ich keine pazifistischen Demonstrationen erkennen kann, die gegen das tägliche Töten durch den Angreifer protestieren, aber nach wie vor die Unterstützung des Angegriffenen hinterfragt wird. Selbst lapidare Aussagen Putin´s wie: ‘Wo der Fuß des russischen Soldaten hintritt, ist das unser Land.’ als brutale Ansage zu Friedenshoffnungen, die die gesamte Ukraine de facto als russisches Eigentum beansprucht und nicht nur diese bedroht, bleibt von den üblicherweise bei geringeren Ansagen anderer Politiker aufheulenden und Mahatma Ghandi zitierenden Friedensbewegten erstaunlicherweise unreflektiert.
Im August 2025 laufen die militärischen und ökonomischen Entwicklungen also weiter parallel, und beide setzen Europa unter Druck.
Donald Trump hat erneut klar gemacht, dass er von Europa höhere Verteidigungsausgaben erwartet. Nach NATO-Angaben erreichen in diesem Jahr alle Mitglieder die Zwei-Prozent-Quote, viele liegen sogar darüber. Für Länder wie Deutschland oder Italien bedeutet das zweistellige Milliardenbeträge zusätzlich, und das in Haushalten, die ohnehin von schwachem Wachstum und hohen Zinskosten belastet sind. Ein großer Teil dieser Gelder fließt in US-Systeme, vom F-35-Programm bis zu Raketenabwehr.
Auch die Energiefrage bleibt ungelöst, auch wenn nun ein ukrainischer Verdächtiger im Zusammenhang mit der Sprengung der Nordstreampipeline festgenommen wurde. Die USA sind mit über fünfzig Prozent Anteil der größte Lieferant von Flüssiggas für die EU. Die Preise haben sich zwar nach dem Höhepunkt der Krise beruhigt, liegen aber weiter über dem Vorkrisenniveau. Für die Industrie bedeutet das einen dauerhaften Wettbewerbsnachteil.
Und schließlich die Sanktionen gegen Russland. Im Juli trat das 18. Paket mit Nachschärfungen beim Ölpreisdeckel und strengeren Regeln gegen Umgehungen in Kraft. Dabei geht es vor allem um die sogenannte Schattenflotte: hunderte ältere Tanker, die russisches Öl außerhalb der westlichen Preiskontrolle transportieren. Die Gegenmaßnahmen werden härter. Griechenland und Zypern verweigern diesen Schiffen zunehmend den Zugang zu Häfen, Versicherer kündigen Deckungen, und mehrere Tanker wurden im Mittelmeer und in asiatischen Gewässern bereits festgesetzt.
Trotzdem bleiben die Auswirkungen wechselhaft. Ein Beispiel ist Indien: Hier gingen die russischen Ölimporte im August deutlich zurück – von über einer Million Barrel pro Tag auf nur noch rund vierhunderttausend. Der Grund dafür liegt nicht in Trumps Strafzöllen, sondern in anderen Faktoren: Indien hat seine Lager gefüllt, Preiskonditionen verschlechterten sich, und die Durchsetzung des Ölpreisdeckels macht den Transport komplizierter. Damit ist klar: Die Wirkung der Sanktionen ist nicht null, aber sie bleibt instabil und hängt stark von Markt- und Kontrollmechanismen ab.
Für Europa ergibt sich so ein Dreifachdruck: steigende Rüstungsausgaben, Strafzölle aus Washington und Energiekosten, die über dem internationalen Niveau bleiben. Die USA halten in all diesen Fragen die stärksten Hebel in der Hand – als Sicherheitsgarant, als Rüstungslieferant und als Energielieferant. Die Ratlosigkeit dieses uneinigen Europas ist erschütternd. Europa hat oft so getan, als könnte es mit Menschenrechten, Entwicklungshilfe und Klimazielen die Welt prägen – in Wahrheit sind das eher Wohlstandsziele, die man nur aus einer Position der Stärke heraus voranbringen kann. Zuerst hätte man strategische Unabhängigkeit sichern müssen – in Energie, Verteidigung und Technologie. Stattdessen wirkte Europa wie ein moralischer Apostel ohne die nötigen Machtmittel.
Probieren wir ein nüchternes Fazit: Was folgt aus dem bisher Gesagten für die Hauptakteure?
Für die Ukraine heißt das: Der Druck auf Städte und Energieversorgung, kombiniert mit eigenen Angriffen ins russische Hinterland, zwingt zu klaren Prioritäten. Die Luft- und Drohnenabwehr muss maximal verdichtet werden, vor allem über Stadtzentren, Energieknoten und Munitionslagern. Parallel dazu muss die eigene Drohnen- und Munitionsproduktion hochgefahren werden, damit die Tiefe der russischen Logistik verwundbar bleibt. Und das Stromnetz muss dezentraler und schneller reparierbar werden, sonst wird jeder Winter zur Zermürbung. Auf diplomatischer Ebene gilt: Militärische Wirkung zählt nur dann, wenn sie in verhandlungsfähige Positionen übersetzt werden kann. Ohne messbare Geländegewinne oder Systemerfolge bleibt der Hebel klein.
Für die EU laufen militärische und ökonomische Lasten gleichzeitig. Das bedeutet: Beschaffung bei Munition, Luftverteidigung, Ersatzteilen bündeln, um Kosten zu senken und Lieferketten zu beschleunigen. Ebenso wichtig ist eine professionelle Durchsetzung der Sanktionen, sonst frisst die Umgehung jede Maßnahme auf. Und: Energiekosten müssen durch entsprechende Verträge, Netzausbau und Speicher sinken. Denn ohne wettbewerbsfähige Preise verliert die Industrie ihre strategische Tiefe. Europa hat sich durch den US-LNG-Import in eine teurere Abhängigkeit manövriert, als es die alte von Russland war.
Für die NATO ist die Botschaft klar: Die Präsenz der Ford im Atlantik und die Zapad-Übung an der Westgrenze zeigen, dass Seewege, Luftraum und Reaktionszeiten ein entscheidender Maßstab sind. Die Hausaufgaben heißen: echte Einsatzbereitschaft – bei Munition, Wartung, Personal –, eine geschichtete Luft- und Raketenabwehr auf dem Kontinent und klare Verfahren für den Fall von Luftraumverletzungen. Abschreckung funktioniert nur, wenn Interoperabilität und Logistik rund um die Uhr gewährleistet sind.
Für die USA gilt: Washington hält die zentralen Hebel wie Sicherheit, Energie, Rüstung. Das stärkt deren Verhandlungsposition, birgt aber auch Risiken. Wenn der ökonomische Druck auf Europa zu groß wird, schwächt das genau jene Partner, die a la long politisch und militärisch gebraucht werden. Der Balancepunkt liegt darin, die Abschreckung hochzuhalten, ohne durch Zölle und Lieferfriktionen die Bindung der Alliierten zu unterminieren.
Und für Russland? Zapad sendet Stärke. Gleichzeitig zeigen die ukrainischen Angriffe, wie verwundbar Logistik, Raffinerien und Depots sind. Je stärker Moskau Energie- und Städteziele angreift, desto größer die Motivation der NATO-Partner, Luftabwehr und Produktion weiter auszubauen. Offen bleibt, ob die industrielle Basis Russlands den anhaltenden Verschleiß durchhält.
Am Ende gilt: Ohne glaubwürdige Abschreckung gibt es keine ernsthafte Diplomatie. Und ohne diplomatische Auswege bleibt Abschreckung ein teures Dauerprojekt. Wer das versteht, plant jetzt parallel – Schutz der Zivilbevölkerung, Munition und Energiepreise – und einen realistischen Pfad, wie militärische Effekte in politische Ergebnisse übersetzt werden können.
Autor:in:Herbert Bauer |