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Wenn Information zur Waffe wird

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Informationskrieg verändert das Verständnis von Wahrheit. Früher entschied sich Macht auf dem Schlachtfeld, heute im Deutungsraum. Wer beeinflusst, wie Menschen Ereignisse wahrnehmen, beeinflusst auch, welche Handlungen sie für gerechtfertigt halten. Damit wird Wahrheit zu einem strategischen Gut. Sie ist nicht mehr bloß die Grundlage politischer Entscheidungen, sondern selbst Gegenstand des Konflikts.
Herbert Bauer
Grüß Gott und einen guten Tag, heute möchte ich mit Information als Mittel des Krieges und der Beeinflussung beschäftigen. Alleine die heutigen Schlagzeilen, wie Telefonat zwischen Trump und Putin, Selenskyj im Weißen Haus, Israel über Hamas, wegen vermisster Geiselleichen erzürnt, Europa in Gefahr, Brüssel skizziert Fahrplan zur Verteidigung, Indien kauft kein russisches Öl mehr, lassen in uns ja Bilder entstehen, die auch wirken. Aber stimmen die Informationen? Deuten wir sie richtig?
Zu Beginn wieder eine Geschichte, die uns in die Materie und das Gewicht von Informationen hineinführt: Sie beginnt mit einer Szene, die harmlos wirkt jedoch binnen Stunden zu einer weltweiten Schlagzeile wurde. In einem Zugabteil auf dem Weg nach Kiew sitzen Emmanuel Macron, Friedrich Merz und der britische Premier Keir Starmer. Auf dem kleinen Tisch vor ihnen: ein zusammengefaltetes weißes Papiertuch, ein silberner Kaffeelöffel, zwei Pappbecher, ein paar Unterlagen. Da öffnet sich plötzlich die Abteiltür, eine Kamera schwenkt hinein, ganz nah, fast neugierig. Die drei Politiker schauen auf, kurz irritiert – dieser Moment wirkt, als würden sie überrascht. Merz greift automatisch nach den Bechern, räumt den Tisch ab, als wolle er Platz schaffen. Die Aufnahme dauert ein paar Sekunden, doch das reicht: sie verlässt den internen Kanal des ukrainischen Begleitteams und taucht kurz darauf in sozialen Netzwerken auf. Von dort aus geht sie viral. Russische und kremlnahe Telegram-Accounts behaupten, auf dem Tisch habe sich ‚Kokain‘ befunden. Aus dem zerknüllten Taschentuch wird in Sekundenschnelle ein Beutel weißes Pulver. Aus dem Löffel, der Teil des Bahngeschirrs ist, wird ein angebliches Drogenbesteck. In vielen Postings heißt es sogar, Merz halte den „Löffel der Beweise“ in der Hand. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, greift den Clip auf, verbreitet ihn weiter und kommentiert, dass die westlichen Führer wohl „high“ gewesen seien. Innerhalb weniger Stunden erreicht die Geschichte Millionen Nutzer, ein Musterbeispiel für das Tempo, mit dem digitale Desinformation heute funktioniert. Erst dann beginnen westliche Medien mit der Überprüfung. Internationale, arrivierte Fakten-Checker analysieren das Material Bild für Bild. Kein Pulver, kein Röhrchen, kein Drogenbesteck – nur das Standard-Kaffeegeschirr der französischen Bahn und ein Papiertaschentuch. Frankreichs Präsidialamt reagiert noch am selben Tag ganz klar mit: „Eine völlig absurde Behauptung, die aus einer banalen Szene eine Skandalgeschichte konstruiert.“ Doch die Wahrheit kommt zu spät. Das Video hat sich längst verselbständigt, hundertfach geschnitten, mit Musik hinterlegt, ironisch kommentiert. Was bleibt, ist ein Eindruck: drei Politiker, ein weißes Objekt, ein Moment des Ertappt-Seins. Und genau daraus entsteht eine Erzählung, eine, die nichts mehr mit Fakten zu tun hat.
Doch dieser Kontrollverlust über die Deutungshoheit bildet nur die eine Seite der Medaille. Während hier die Narrative zu entgleiten scheinen, wird andernorts umso bewusster an der Inszenierung von Wirklichkeit gearbeitet.
Diese Woche hat gezeigt, dass Machtpolitik und Informationspolitik heute zusammengehören, wie nie zuvor. Jede Handlung, jede Geste, jedes Wort wird öffentlich begleitet, interpretiert, kommentiert. Wer das Bild kontrolliert, kontrolliert die Bedeutung. In Jerusalem inszeniert sich Donald Trump als Friedensstifter. Netanjahu steht neben ihm, arabische Vertreter sitzen in der ersten Reihe. Ausgewählte westliche Staatenlenker dürfen hinter Trump als Statisten stehen, Kameras sind auf ihn gerichtet, jedes Zitat wirkt einstudiert. Er spricht von ‚Frieden durch Stärke‘, und für einen Moment erinnert die Bühne an die großen Inszenierungen früherer Staatsmänner. Hier wird Macht kommuniziert – nicht im Verborgenen, sondern als Schauprozess der Sichtbarkeit. Diese Inszenierung richtet sich nicht nur an Israel oder den Nahen Osten, sondern an das globale Publikum: an Wähler, an Gegner, an jene, die entscheiden, wer in Zukunft als Ordnungsmacht gilt. Und andererseits passiert in Washington und Moskau eine neue Runde der Droh- und Signalpolitik. Die USA erwägen, Tomahawk-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Russland reagiert sofort. Dmitri Medwedew spricht von ‚katastrophalen Folgen‘, russische Nachrichtensender sehen die Ankündigung als Beweis westlicher Aggression. Die USA dagegen wollen genau diesen Effekt: Abschreckung durch Öffentlichkeit, Entschlossenheit als sichtbares Signal. Die Information wird benutzt – als politisches Werkzeug. Und so entsteht beidseitig das, was man heute „kommunikativen Eskalationszyklus“ nennt: Worte und Bilder ersetzen nicht den Krieg, aber sie führen ihn auf rhetorischer Ebene.
Ein anderes Beispiel für die Kraft der Information: Der diesjährige Friedensnobelpreis geht an die venezolanische Oppositionsführerin María Corina Machado. In ihrer Dankesrede widmet sie den Preis „dem Volk Venezuelas und - - Präsident Trump für seine Unterstützung“. Trump selbst reagiert enttäuscht, weil er leer ausgegangen ist, er spricht davon, dass er den Preis „verdient“ hätte, und wirft dem Komitee politische Voreingenommenheit vor. Das Weiße Haus schließt sich an. Binnen Stunden wird der Nobelpreis Teil eines globalen Informationskampfs: Die einen feiern moralische Anerkennung, die anderen sehen gezielte Ausgrenzung. Ein Preis wird zur politischen Bühne – ein Symbol, das Wahrnehmung lenkt.
Mehr als Symbolik gibt es allerdings dort, wo kinetischer Krieg stattfindet, aber auch hier findet der Wille zur Beeinflussung statt. Russland startet die bislang massivste Angriffswelle dieses Herbstes – über dreihundert Drohnen, Dutzende Raketen gegen die ukrainische Energieinfrastruktur. Ziel ist nicht nur militärischer Sieg, sondern Verunsicherung, Dunkelheit, Kälte. In Charkiw trifft eine Rakete ein Krankenhaus, ein UN-Hilfskonvoi wird beschädigt. Gleichzeitig greift die Ukraine russische Ölanlagen und Raffinerien mit Langstreckendrohnen an – und veröffentlicht die Bilder sofort, als Zeichen der Gegenwehr. Jede Seite führt Krieg nicht nur mit Waffen, sondern mit Bildern, Begriffen und Emotionen. Der Luftkrieg wird zur Erzählung von Stärke, von Rache und von Standhaftigkeit.
D
iese Woche zeigt, was Informationspolitik im 21. Jahrhundert bedeutet:
Sie ist kein Nebenschauplatz der Macht, sondern ihr Resonanzraum.
Und sie verläuft nicht nur zwischen Staaten, sondern zwischen Narrativen.
Doch nicht alles, was Wirkung entfaltet, ist schon Informationskrieg.
Wenn man über Informationskrieg spricht, meint jeder etwas anderes. Man spricht von Propaganda, Fake News, Cyberangriffe oder psychologischen Operationen, also eine breiten Palette. Umso wichtiger ist es, den Begriff sauber zu fassen. Informationskrieg ist kein Modewort, sondern ein strategisches Konzept, das zwischen Politik, Militär und Gesellschaft angesiedelt ist.
In westlichen Doktrinen gilt Information als Teil des sogenannten Information Environment, also des gesamten Raums, in dem Wahrnehmung, Kommunikation und Entscheidungsfindung stattfinden. Dort wirken politische und militärische Akteure gemeinsam, aber mit unterschiedlichen Mitteln.
Auf der politischen Ebene spricht man von Strategic Communication: Regierungen, Bündnisse oder internationale Organisationen erklären ihre Absichten, formulieren Narrative, setzen Signale und suchen Zustimmung. Das ist legitim, offen und rechtlich gerahmt. Wenn die USA etwa öffentlich über Waffenlieferungen an die Ukraine sprechen, ist das strategische Kommunikation. Sie richtet sich an Freund und Feind zugleich – sie informiert und wirkt politisch, ohne zu täuschen.
Auf der militärisch-operativen Ebene sprechen wir dann von Information Operations, also von der koordinierten Nutzung verschiedener Fähigkeiten – elektronische Kriegführung, psychologische Operationen, Cybermaßnahmen oder militärische Täuschung. Ziel ist, Wahrnehmung und Entscheidungs-prozesse eines Gegners zu beeinflussen, zu stören oder zu verzögern. Diese Operationen sind planbar, messbar und eingebettet in den militärischen Auftrag.
Zwischen diesen beiden Ebenen – Politik und Militär – liegt der eigentliche Raum des Informationskriegs. Hier greifen strategische Kommunikation und operative Maßnahmen ineinander. Politik gibt die Richtung vor, das Militär übersetzt sie in Wirkung. Wenn Washington die Lieferung von Tomahawks ankündigt, ist das einerseits ein politisches Signal der Entschlossenheit, andererseits eine militärisch flankierte Botschaft, die Gegner und Verbündete gleichermaßen erreichen soll. Informationskrieg ist also kein rein militärischer Vorgang und auch keine bloße politische Rhetorik. Er ist ein System der Beeinflussung, das beides verbindet: politische Zielsetzung und operative Umsetzung. Dabei werden Medien, Plattformen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Netzwerke zum Resonanzraum.
Betrachten wir kurz die Informationsmacht im globalen Vergleich.
In westlichen Demokratien dient Information primär der Kommunikation und Legitimation. Russland hingegen betrachtet sie als strategisches Instrument, um Einfluss zu sichern, Gegner zu schwächen und Stabilität nach innen zu festigen. Die Militärdoktrin von 2014 und die „Doktrin der Informationssicherheit“ von 2016 definieren Information als eigenen Sicherheitsraum, der ständig verteidigt und offensiv genutzt werden muss – in Frieden wie im Krieg. Damit verschwimmt die Grenze zwischen beidem: Informationsführung ist ein Dauerzustand. Ziel ist weniger der militärische Sieg als die Schwächung gesellschaftlicher Strukturen und des Vertrauens in Institutionen. Die russische Informationspolitik operiert auf drei Ebenen: Staatliche Medien wie RT oder Sputnik verbreiten strategisch gefärbte Berichte nach dem Prinzip der "Firehose of Falsehood" – einer Propagandatechnik, die durch massenhafte, widersprüchliche Falschinformationen gezielt Desorientierung erzeugt. Parallel werden verdeckte Operationen Cyberangriffe, Trollfarmen und gezielte Datenlecks kombiniert, um gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen, etwas was in Europa offensichtlich von Erfolg gekrönt ist. Politisch-diplomatische Kanäle nutzen schließlich Parteien, NGOs und ideologische Verbündete als Resonanzräume, um diese Narrative in innenpolitische Diskurse einzuspeisen. Diese Ebenen bilden eine „komplexe Informationskonfrontation“, in der Cyber, Medien, Politik und Kultur zusammenwirken. Von der Krim bis zur Ukraine war jede militärische Aktion von begleitender Informationsstrategie flankiert. Informationskrieg ist für Russland kein Ausnahmezustand, sondern eine dauerhafte Methode der Machtausübung – getarnt als öffentlicher Diskurs, bis Vertrauen selbst zur Frontlinie wird.
Schauen wir zu China. China führt keinen Informationskrieg nach russischem Muster, sondern einen Informationskampf durch Kontrolle. Es kommt zu einer Verschmelzung von Technologie, Verwaltung und Gesellschaft zu einem Steuerungssystem. Innenpolitisch dienen Zensur, Überwachung und die „Great Firewall“ der Sicherung von Stabilität. Informationssouveränität gilt als Teil politischer Führung. Außenpolitisch verfolgt Peking langfristige Einflussnahme: durch den Ausbau globaler Mediennetzwerke, Kooperationen, Bildungsprogramme und Investitionen in digitale Infrastruktur der „Digital Silk Road“. Ziel ist nicht Destabilisierung, sondern Verschiebung des globalen Informationsschwerpunktes hin zu chinesisch geprägten Normen und Technologien.
In der militärischen Planung versteht China Information als Mittel zur Entscheidungsüberlegenheit, nicht zur permanenten Attacke. Es setzt auf Integrated Network-Electronic Warfare und langfristige Narrative, die Loyalität statt Misstrauen erzeugen sollen.
Russland destabilisiert, um Spielräume zu schaffen; China stabilisiert, um Einfluss zu sichern. Beide nutzen Information als Machtfaktor – der eine laut und disruptiv, der andere leise und systemisch.
Schauen wir zum Westen. Fast ist man geneigt zu titeln: Kommunikation zwischen Aufklärung und Angst. Auch westliche Demokratien setzen Information strategisch ein, jedoch unter Transparenz und öffentlicher Kontrolle. Informationspolitik dient meist der Abschreckung und Legitimation, weniger der Manipulation. Ihre Wirkung bleibt jedoch doppeldeutig: Warnungen vor Bedrohungen können Sicherheit schaffen oder aber auch Angst verstärken. Beispiele sind sicherheitspolitische Aussagen von Nachrichtendienstchefs oder Diplomaten, die sowohl informieren als auch politische Prozesse beeinflussen können. Die Sprache westlicher Politik betont Verteidigung, Schutz und Stabilität, doch ständige Gefahrenrhetorik kann auch Verunsicherung erzeugen, ein schwieriger Spagat. Einiges ist natürlich acuh dem degenerierten Sicherheitsverständnisse einer saturierten Gesellschaft zuzuschreiben. Während sich die einen durch Waffen und Rüstung in ihrem Sicherheitsgefühl gestärkt sehen, fühlen andere bereist irrationale Angst, die auch noch durch gegnerische Narrative geschickt genährt wird.
Wahrheit wird nicht zensiert, sondern durch Agenda Setting gesteuert, darunter versteht man die Festlegung was, wann und mit welchem Framing kommuniziert wird.
Militärische Sichtbarkeit – etwa durch NATO-Übungen oder Truppenverlegungen – ist Teil dieser strategischen Kommunikation. Der Westen will informieren, wo andere manipulieren, doch die Grenze ist fließend. Ob Informationspolitik Vertrauen schafft oder untergräbt, entscheidet sich daran, ob Aufklärung gelingt, ohne Angst zu erzeugen.
Am Ende dieser Folge möchte ich bewusst machen, dass es nicht nur darum geht, wer den Informationskrieg gewinnt – sondern was dieser laufend mit uns macht.
Informationskrieg verändert das Verständnis von Wahrheit. Früher entschied sich Macht auf dem Schlachtfeld, heute im Deutungsraum. Wer beeinflusst, wie Menschen Ereignisse wahrnehmen, beeinflusst auch, welche Handlungen sie für gerechtfertigt halten. Damit wird Wahrheit zu einem strategischen Gut. Sie ist nicht mehr bloß die Grundlage politischer Entscheidungen, sondern selbst Gegenstand des Konflikts.
Der Informationskrieg schafft neue Verantwortungen. Wenn Kommunikation zur Waffe werden kann, trägt jeder, der sie - die Information - einsetzt, eine militärisch-politische Verantwortung, das gilt nicht nur für Politiker sondern auch für Journalisten, Diplomaten, Unternehmen und Bürger. Das ist neu. In offenen Gesellschaften war Kommunikation bislang Ausdruck von Freiheit. Heute ist sie auch ein Sicherheitsfaktor.
Die wirksamste Verteidigung liegt aber nicht in einer Zensur, sondern in Kompetenz, in kritischer Bildung, Medienverständnis, technischer Resilienz und politischer Nüchternheit. Wer jede Meldung prüft, statt sie zu teilen, entzieht dem Gegner Wirkung. Informationskrieg lebt von Reaktion; seine Schwäche ist die Selbstkontrolle des Publikums.
Die Grenze zwischen legitimer Informationspolitik und Manipulation bleibt unscharf. Westliche Demokratien sollten strategisch kommunizieren, ohne propagandistisch zu werden, sie sollten entschlossen, aber wahrhaftig handeln. Das ist kein Widerspruch, sondern die neue Form von Glaubwürdigkeit.
Und schließlich: Der Informationskrieg zwingt uns, über Macht neu nachzudenken. Macht ist nicht mehr nur das Vermögen, zu handeln, sondern das Vermögen, Deutung zu setzen. Wer Deutungshoheit verliert, verliert Handlungsfreiheit. Insofern ist Informationskrieg keine Randerscheinung moderner Konflikte, sondern ihr geistiger Kern.
Vielleicht besteht die größte Herausforderung nicht darin, Lügen zu entlarven, sondern im Erkennen, wann wir selbst beginnen, falsche Informationen als Waffe einzusetzen – aus Angst, aus Eifer oder aus Überzeugung. Der Informationskrieg ist nicht irgendwo da draußen. Er verläuft durch jede Gesellschaft, durch jede Redaktion, durch jedes Gespräch. Und er endet nicht mit einem Waffenstillstand, sondern erst, wenn Vertrauen wieder stärker wirkt als Angst.
Autor:in:Herbert Bauer |